An manchen Bands zerbrechen Freundschaften, einige bringen erst welche hervor. Oder aus Freundschaften entstehen Bands. So bei NERVÖUS: Vier Kids aus Hof in Franken, die zu unterschiedlichen Zeiten nach Berlin emigrieren, den Berliner Billy als Sänger ins Boot holen und loslegen. Die langjährige Freundschaft ist nicht nur im Touralltag hilfreich, sie resultiert auch in einer gefestigten Einstellung. Wir sprachen über ihre LP „Konfetti & mutwillige Zerstörung“, Empathie als Superkraft und strukturellen Sexismus in der Subkultur.
Erst zwei Tapes mit klassischem, schnörkellosen Hardcore-Punk, dann folgten Dub- und HipHop-Sounds unter dem Namen EL ATEA, die sich auch auf „Konfetti & mutwillige Zerstörung“ wiederfinden.
Patrik: Was wir zuerst machen wollten, hatte sich nach den beiden Tapes erledigt. Danach fingen wir richtig an. EL ATEA sind Matti und ich.
Diana: Es juckt uns manchmal in den Fingern, was Neues auszuprobieren und andere Einflüsse reinzubringen. Damit es nicht mehr heißt: „Das sind NERVÖUS aus Berlin, die machen Hardcore-Punk“. Sondern: „Das sind NERVÖUS aus Berlin, die machen ... Ja, was eigentlich?“
In „schere.stein.konfetti“ heißt es: „Soll ich Konfetti oder Steine schmeißen?“ Welcher Gedanke steckt dahinter?
Irem: Unsere Texte sind bewusst so geschrieben, dass jeder seine Interpretation mitnehmen kann, wir wollen aber zur Reflexion anregen. Die darin ausgedrückten Ansichten sind nicht in Stein gemeißelt. Wir machen uns Gedanken um unsere Texte und wollen niemandem etwas vorschreiben, sondern nur den Sachverhalt schildern. Die Leute sollen sich ihre eigenen Gedanken dazu machen.
Matti: Gerade von Politbands wird häufig der Zeigefinger ausgepackt. Das ist etwas, was ich mir verbieten würde. Weil es Sachen gibt, die du nie 100% richtig machen kannst. Das funktioniert als Band gar nicht. Du kaufst dir Musikinstrumente, die aus irgendwelchen Edelhölzern gefertigt sind, fährst in der Weltgeschichte umher und verballerst einen Haufen Sprit ... Das macht es für mich schwierig. Wenn es bei uns eine Kritik gibt, dann die, dass die Sache mit dem erhobenen Zeigefinger nur eine halbdurchdachte Sache ist.
Irem: „schere.stein.konfetti“ basiert gewissermaßen auf dieser P.c.-Szene, die faschistische Züge trägt. Jedes Wort wird dir im Mund umgedreht und du kannst schnell verurteilt werden. Du musst darauf achten, wie du dich gibst. Das hat nichts mit Freigeistigkeit zu tun. Politcal correctness gibt es nicht. Ich bin ein Mensch, der mit Fehlern behaftet ist. Deswegen weiß ich eben nicht: „Soll ich Konfetti oder Steine schmeißen?“
Welcher Gedanke steckt hinter der Zeile „Empathie ist die neue Superkraft“ aus „Empatheroine“?
Diana: Es ist die wichtigste Superkraft im Alltag, die man zum Überleben braucht, um mit anderen Menschen zurechtzukommen.
Matti: Es geht darum, der Gesellschaft etwas Positives zu geben. Einerseits, weil es ein gutes Gefühl gibt, andererseits kannst du damit Menschen aktivieren, etwas zu tun.
Wie fielen die Reaktionen auf euer Promofoto aus? Wolltet ihr mit der Kombination von Tough-Guy-Image und Glam provozieren?
Diana: Es wird belächelt. Ich denke, das ist genau richtig. Die Leute wissen, wer dahinter steckt, und verstehen es.
Billy: Ich sehe das nicht unbedingt als Provokation. Eher als Hinweis darauf, dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Es gibt natürlich einen Kontrast zwischen dem optischen Erscheinungsbild und der Musik dahinter. Das Elitäre, Engstirnige, Versteifte muss aber nicht sein. Wir haben die Möglichkeit, Inspiration aus allem zu ziehen und ein eigenes Gewand daraus zu schneidern, eigene Inhalte.
Diana und Irem, wie ist es für euch, sich in einer männerdominierten Szene zu bewegen?
Irem: Es ist interessant. Einige haben eine stereotype Vorstellung von Frauen in der Szene. Es gibt Vorurteile und Normen. Einmal wurde ich auf unserem Konzert nicht in den Backstagebereich hereingelassen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich in der Band bin. Wenn sie wissen, dass du in der Band spielst, kommen mehr Vorurteile.
Matti: „Habt ihr die gefickt?“, hieß es auch schon mal.
Irem: Wir würden mit den Veranstaltern schlafen, damit sie uns booken – hatten wir alles schon. Es kommt selten vor, aber es kommt vor. Das ist traurig.
Billy: Da wären wir wieder beim erhobenen Zeigefinger. Obwohl wir in der Szene dieselbe Grundeinstellung mitbringen, scheint es immer noch wichtig zu sein, zur Reflexion anzuregen. Political correctness ist ziemlich in, alle labern etwas von Sexismus und kommen dann nach dem Konzert trotzdem zu mir und erzählen, wie geil die Titten unserer Gitarristinnen gewackelt haben. Ich war total baff.
Irem: Als Billy uns das erzählt hat, ging es uns noch Tage danach mies. Wir merkten, dass wir vorsichtig sein müssen, und haben mit der Zeit eine harte Schale entwickelt.
Diana: Mittlerweile belächeln wir es. Ab und zu haben wir im Nachhinein noch Kontakt mit Leuten und versuchen, alles klarzustellen. Es geht aber nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen. Viel sinnvoller ist es, selbst Aufklärungsarbeit zu leisten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Kristoffer Cornils
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