Das erste, was einem bei dem Bandnamen NEIN NEIN NEIN einfällt, ist sicherlich der gleichnamige Song der Band BUTTOCKS. Allerdings kann man die recht junge Band aus Mönchengladbach garantiert nicht in die 80er-Deutschpunk-Ecke stecken. Spontan würde mir eh keine Band einfallen, mit der man NEIN NEIN NEIN vergleichen könnte, denn auch wenn die Texte deutsch sind, ist es kein Deutschpunk, und trotz persönlicher und politischer Texte, weder Emo- noch Politpunk. Die Härte kommt genau wie Melodie nicht zu kurz, dennoch wirkt nichts ausgenudelt oder tausendmal gehört, da bei den Songs die normalen Songstrukturen einfach gesprengt werden. Jeder Song ist ein potenzieller Ohrwurm und das bei einer Länge, die man sonst nur von Platten wie der "Group Sex" von den CIRCLE JERKS kennt. Ihr merkt, NEIN NEIN NEIN hat mit "Deine Szene ist ein Zombie" eine ganz besondere Platte veröffentlicht, über gleich fünf verschiedene Labels, und daher schickte ich Michi (vox/git), Victor (b/vox) und Daniel (dr) ein paar Fragen.
Michi, warum war es dir wichtig, so viel Persönliches in die Linernotes zu schreiben? Schließlich klingt einiges ja relativ intim.
Michi: Das klingt nicht nur intim, das ist es auch. Ich hab mir die Linernotes gestern mit etwas Abstand noch mal durchgelesen, und das ist schon ein ziemlicher Seelenstriptease, den man mit so was hinlegt. Da stehen nun etliche Sachen auf ewig und für jedermann zugänglich drin, die ich bislang höchstens mit drei oder vier Leuten in meinem Leben geteilt habe - was irgendwo schon eine sehr persönliche Geschichte ist. Andererseits besteht zu dem geneigtem und interessiertem Zuhörer und Mitleser dann doch die gewisse Distanz, auch wenn jener mich sogar persönlich kennen sollte. Ich muss dem Menschen nicht in die Augen schauen, wenn er das liest und für sich aufnimmt. Auf der Bühne geht das bei mir zum Beispiel gar nicht. Ich finde es schön, das Publikum zu sehen, aber den Leuten beim Spielen in die Augen schauen? Damit hab ich echte Probleme.
Wie kommt es, dass ihr als arrogant verschrien seid?
Daniel: Vorwiegend ja nur in Gladbach, weil viele Leute mit Michi nicht klarkommen. Und da Michi sehr oft bei Konzerten dem Publikum Contra gibt, was nicht unbedingt unberechtigt ist ... in erster Linie wohl weil wir geil sind und es wissen. War jetzt nicht so ernst gemeint, aber musste gesagt werden, haha.
Victor: Das kommt wohl durch Michis nicht immer so nette Art, mit dem Publikum zu reden. Viele nehmen da einiges zu verbissen und zu ernst und müssen sich dann künstlich darüber aufregen, dass man das, was eh alle denken, endlich mal ausspricht.
Michi: Haha, irgendwie wusste ich, dass diese Frage kommt. Ich denke, eine gesunde Mischung aus Größenwahn und Selbstgerechtigkeit hat noch niemandem geschadet. Nee, im Ernst ... das kommt ganz darauf an, wie was bei wem ankommt. Wenn auf einem Konzert so Spackenbands mitzocken, die beispielsweise auf den Weltjugendtagen gespielt haben oder die geile Rockstarkarriere als Ziel verfolgen, da muss ich denen einfach einen Spruch von der Bühne aus reindrücken. Die Band und deren Freunde finden das halt arrogant und anmaßend, manch einer im Publikum auch.
Victor: Oder wenn Leute auf die Bühne klettern und dann vor dem riesigen Verlegenheitshalbkreis stehend hektisch winken, dass sie gleich aufgefangen werden wollen, um von zehn Leuten wandernd von einer Ecke zur anderen getragen zu werden ...
Michi: Das ist doch scheiße und peinlich, und ich hab da auch als normaler Konzertbesucher immer so ein Gefühl von Fremdscham. Bei so was kann ich auf der Bühne auch selten die Fresse halten. Die Kids sind beleidigt und wir sind halt Arschlöcher. Auf der anderen Seite sind dann doch immer Leute im Publikum, die das sehr gut verstehen und uns nachher sagen, dass sie das total in Ordnung fanden, was ich da gesagt habe. Für eingangs Erwähnte sind wir dann eben arrogant, für die anderen sind wir die, die das sagen, was sie sich eigentlich denken.
Wenn man mit dem Argument kommt, dass ihr ja nur möchtegernintellektuellen Zeigefingerpunkrock macht, was würdet ihr da entgegnen?
Daniel: Haha, letztens in Aachen wurden wir als Nazifreunde beschimpft, weil wir aus Gladbach kommen.
Victor: Ja, wir machten keinen Punk, sondern wären nur scheiß Kiddies.
Michi: Ich denke, wir sind keine sonderlich intellektuelle Band. Wir sind eine persönliche Band. Klar denken wir, wir wären besonders schlau, das denkt aber jeder von sich. Nimm zum Beispiel Songs wie "Christen fisten!" oder "Machoscheiße", die sind weder sonderlich hochgestochen und schon gar nicht sollen sie irgendwen zum Denken anregen. Find ich ganz schlimm, so was. Wir wollen die Welt nicht verändern.
Victor: Wir wollen uns nur auskotzen.
Michi: Und wenn es als intellektuell gilt, nicht primär über Fußball, Saufen, oder belanglose Scheiße zu singen, dann läuft da irgendwas verkehrt. Übrigens kann man auch schön unpeinliche Texte übers Saufen schreiben.
Daniel: Ich denke nicht, dass wir Musik machen und Michi Texte schreibt, um intellektuell zu erscheinen. Ich denke eher, dass unsere Musik ein ernst zu nehmender Ausdruck von Emotionen und Erfahrungen ist ...
Victor: Ansichtssache, wir machen Punk. Punkt! Ob es dabei durch die Texte intellektuell rüberkommt und manche es als Zeigefingerpunkrock ansehen, ist mir recht schnuppe. Jeder interpretiert Musik anders. Einige denken auch, Wolfgang Petry hätte intellektuelle Texte ...
EA 80 sangen "Gladbach soll brennen": Bitte nennt Argumente dafür.
Daniel: Man gucke sich die Gladbacher HC/Punkszene an.
Michi: Zum bloßen Leben geht das hier schon in Ordnung. Hier hast du deine Ruhe, außer wenn Fußball ist. Ansonsten ... irgend so ein blödes "postmodernes Museum" und lauter kläglich gescheiterte Versuche seitens der städtischen Marketinggesellschaft, irgendwelche werbewirksamen Arten von Mainstreamkultur zu etablieren. Was da an Kohle fließt, das ist unglaublich. Wie wenig am Ende passiert, ist noch unglaublicher, wenn man bedenkt, wie viel man selbst mit Bruchteilen der für diesen ganzen Ensemblia-Schießmichtot-Mist aufgewendeten Mittel zumindest in Sachen alternativer Kultur wirklich erreichen könnte.
Victor: Ich denke, wenn man sich einfach mal in Gladbach umguckt, sieht man schon genug Sachen, die für einen Großbrand sprechen. Ein Haufen Idioten, die sich viel einbilden und immer eine große Fresse haben, viele Treppenkids, die das Ganze einfach nur noch ins Lächerliche ziehen, viele unzuverlässige Leute und so weiter.
Michi: Irgendwann entwachsen die Kids dem Teeniealter und ziehen halt dorthin, wo Leben ist. Oder verspießern nach dem Vorbild ihrer Eltern. Ein unabhängiges oder selbst verwaltetes Jugendzentrum zum Beispiel wäre in Gladbach reinste Utopie, gerade weil es hier in der Provinz mehr um Style als um Inhalte geht. Wir haben hier drei Jahre lang Konzerte veranstaltet, und im Endeffekt ging es bei den meisten immer wieder nur darum, für sich selber das Meiste rauszuholen und die eigenen Interessen zu befriedigen, anstatt mal gemeinsam für alle zu arbeiten.
Bitte erklärt mal die Metapher hinter eurem Albumtitel. Was stört euch an der heutigen Punkszene besonders, oder liegt es gar nicht nur an Punk?
Daniel: Wo der Albumtitel herkommt, kann man ja im Booklet beziehungsweise auf der Innenhülle nachlesen.
Michi: Ich bin schwer szenekrank und mag mich nicht mehr über Gruppenzugehörigkeiten definieren. Auch wenn ich schon sehr wohl sagen kann, was ich nicht haben möchte oder wo ich mich eben gar nicht mit verbunden fühle. In der Punk- und allen irgendwie zugehörigen Subszenen tummelt sich mittlerweile so viel Geschmeiß ... Dort hast du die sexuell verklemmten Ultra-pc-Kacker, nebenan diese unsägliche Tough-Guy-Scheiße, ein paar Meter weiter Fußball und Ficken, samt Homophobie und krassestem als Spaß getarnten Sexismus, im schlimmsten Fall auch mal den Bekannten, der nichts Schlimmes dabei findet, auch mal ULTIMA THULE zu hören - und übrigens war die erste SKREWDRIVER-Platte noch nicht rechts, gääähn - und drüber und drunter nix anderes als eine Spaßgesellschaft, die nur andere Musik hört als der Ottonormalvollidiot.
Victor: Wie schon gesagt, die Gladbacher Szene wirkt immer mehr wie ein Zombie, irgendwie ist sie noch da, auch wenn sie schon längst hätte begraben werden sollen. Momentan sind es wohl hier die ganzen Treppen-Möchtegern-Hardcorepunks, die mit ihren 15 Jahren schon die großen Überpunks sein wollen. Ich selber habe und hatte nie soooo viel mit dem Punk-Ding am Hut. Grundlos saufen, auf der Straße rumsitzen und scheiße aussehen, was hat das für einen Sinn? Klar es gibt auch viele, viele Leute, die ganz anders drauf sind. Aber hier in Gladbach sind die Idioten leider in der Überzahl.
Daniel: An dem Thema Off-Beat sieht man, wie gute Konzerte in Gladbach immer mehr zurückgehen und viele Leute immer mehr an Ehrgeiz und Ambition verlieren, das Leben innerhalb der Szene zu gestalten. Man geht halt auf Konzerte, die man vielleicht selber nicht mal besuchen möchte, oder besucht halt Konzerte außerhalb Gladbachs und das war's. Vieles innerhalb der Szene verkommt zu so einem Fashion-Ding. Halt dieses Punk sein, weil es hip ist, und sein wahres Ich somit einfach nur zu verfälschen.
Michi: Punk ist harmlos geworden, glaub ich.
Überwiegt Hass oder Verzweiflung bei NEIN NEIN NEIN?
Daniel: Obwohl sich beides teilweise in unserer Musik widerspiegelt, kann ich sagen, dass bei uns weder Hass noch Verzweiflung überwiegt. Es sind dann eher temporäre Bestandteile des Lebens, die jeder mal irgendwie erfährt.
Victor: Überwiegend haben wir eigentlich sehr viel Spaß. Dass die Songs teilweise sehr negativ rüberkommen ... das ist halt so!
Michi: Ob nun Hass oder Verzweiflung überwiegen, mag ich so nicht beurteilen. Wenn man die Texte im Zusammenspiel mit der Musik für sich aufnimmt, ist das für mich vielleicht vielmehr so eine Mischung aus Melancholie und Wut, würde ich sagen. Im Endeffekt ist es am ehesten der Spaß, dass wir Menschen mit unserer Musik irgendwie konfrontieren und berühren, der uns den ganzen Scheiß hier machen lässt.
Timbo Jones
© by - Ausgabe # und 9. Februar 2021
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Renke Ehmcke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #77 April/Mai 2008 und Alex Gräbeldinger