Wenn man an Punk aus den USA denkt, fallen einem automatisch fast nur Bands von beiden Küsten oder aus den großen Metropolen ein. Aber auch im Mittleren Westen zum Beispiel gibt es sehr gute Bands, wie etwa NATURE BOYS aus Kansas City, Missouri. In ihrer 15-jährigen Bestehenszeit haben sie vier LPs und zwei Singles herausgebracht, waren acht Mal in den USA auf Tour und kommen nun im November 2024 für ihre mittlerweile vierte Europatour über den Atlantik. Das nahm ich zum Anlass, mich mal mit Sänger und Gitarrist Danny Fischer zu unterhalten.
Ihr habt euch im September 2009 gegründet. Wie seid ihr zusammengekommen?
Mit unserem ersten Schlagzeuger Aaron Rommel war ich schon als Teenager befreundet, das war noch in Green Bay in Wisconsin. Wir hatten uns bei einem Punk-Konzert kennengelernt, wir gingen beide gerne Skateboardfahren und wurden enge Freunde. Jahre später reiste ich per Anhalter durch die Staaten und landete schließlich in Kansas City, wo Aaron sich mir schließlich anschloss. Wir hatten damals nicht viel zu tun und ich hatte ein paar Songs ausgearbeitet. Ich sagte, dass ich eine Band gründen wollte, und er war interessiert, aber er spielte kein Instrument. Also lieh er sich ein Schlagzeug und es funktionierte gut. Wir hatten sogar ein paar Auftritte als Duo. Zu dieser Zeit trafen wir Suzanne regelmäßig in einem Park, wo wir abhingen zum Biertrinken. Wir fanden sie cool und fragten sie, ob sie bei unserer Band mitmachen und einen Moog-Synthesizer spielen wollte. Sie sagte „Uhhhh, vielleicht?“. Haha! Eine Woche später oder so kamen wir drei zusammen und spielten ein paar Songs. Suzanne hatte nicht viel Spaß mit dem Moog und sagte, dass sie eigentlich Bass spielen wollte, also lieh sie sich einen Bass von einem Freund und das war’s. Seitdem sind wir eine Band. Wir wollen lauten, schnellen und unverfälschten Rock’n’Roll spielen, Platten aufnehmen und durch die Welt touren.
Eure musikalische Karriere begann ja nicht erst 2009. Ihr habt doch bestimmt vorher schon in anderen Bands gespielt, oder?
Ja, ich war zuvor in ein paar Punk- und Rock’n’Roll-Bands, auch mal in einer Psychedelic-Country-Band. Suzanne war Sängerin in einer Thrashcore-Band mit dem ziemlich tollen Namen DICK CHENEY’S DICK. Aaron hat vorher noch nicht in einer Band gespielt, aber er liebte Musik, sammelte Platten und ging zu vielen Konzerten.
Wie seid ihr mit dem Punk-Virus in Kontakt gekommen?
Vielleicht mit der Geburt? Ich bin als Kind hin und her geschubst worden, hatte eine kaputte Familie, es gab Trennungen und Versuche, wieder miteinander auszukommen. Ich hasste die Typen, die mich gemobbt haben, und war insgesamt von der dunklen Seite der Dinge fasziniert. Schließlich fand ich in einer kleinen Stadt, in die wir irgendwann gezogen waren, eine Gruppe von Kids, die Spaß hatten und gerne abhingen, zu Shows gingen, Zigaretten rauchten und über alles redeten. Ich fühlte mich da einfach sicher. Das hat mich überzeugt. Das ist schon lange her, aber ich nehme an, dass ich mir dieses Gefühl über die Jahre hinweg bewahrt habe. Ich kämpfte gegen den Hass auf mich selbst und diese beschissene Welt an, war quasi auf der Suche nach dem Guten. Ich habe versucht, nicht in ein Loch zu fallen, indem ich alles auf andere schiebe, keine Antworten habe und Ausreden finde. Ich konnte diese Probleme in meinen Texten und meiner Musik verarbeiten. Manchmal schreie ich und manchmal singe ich. Es steckt alles in den NATURE BOYS-Songs.
Euer Line-up ist ziemlich stabil. Ihr habt nur euren Drummer Aaron Rommel gegen Evan Malone ausgetauscht. Wie kam es dazu?
In dieser seit langem bestehenden dreiköpfigen Band waren Suzanne und ich der Kitt, der alles zusammenhielt. Aaron hat mit uns angefangen und hat ungefähr vier wilde Jahre des DIY-Punk-Rock’n’Roll durchgestanden. Nachdem sich unsere Wege trennten, hatten wir ein kurzes Intermezzo mit einem Typen namens Alex Moss. Evan war zuvor unser Roadie und wurde offiziell 2015 Teil der Band. Wir haben in sieben Jahren zwei LPs rausgebracht und eine Reihe von Touren gespielt. Evan verließ die Band Anfang 2022. Gefrustet von der Pandemie und ohne viel Action, hielten Suzanne und ich es für das Beste, die Band ruhen zu lassen, bis die richtige Person auftaucht – oder eben nicht. Es dauerte etwas mehr als ein Jahr, bis Brad, unser jetziger Schlagzeuger, uns an die Hand nahm und sagte: „Ich werde mit euch rocken.“ Seitdem haben wir eine Menge Spaß.
Ihr stammt aus Kansas City in Missouri. Aus europäischer Sicht nehmen wir vor allem Bands aus Kalifornien oder von der Ostküste wahr. Wie kann man sich die Punk-Szene in eurer Heimatstadt vorstellen?
Die scheint sich alle fünf Jahre oder so zu verändern. Vor zehn, fünfzehn Jahren gab es eine Menge kleinerer Hauskonzerte, in Kellern oder Garagen. Es gibt vielleicht zwei All-Ages-Veranstaltungsorte, die mir jetzt einfallen. Einer davon, das Howdy, bietet eine Menge Shows. Nebenan, im selben Gebäudekomplex, befindet sich das Farewell, wo ebenfalls alle möglichen Veranstaltungen stattfinden. Es gibt immer noch ein paar gute und auch ein paar beschissene Clubs, die Rock’n’Roll-Gigs veranstalten. Es gibt ebenfalls eine junge Hardcore-Szene, die in Kansas City schon immer lebendig war. Es war schon immer eine kleinere Szene, aber es kommen so viele Bands hierher, dass unsere eigenen Bands herausfinden müssen, wie sie das am Laufen halten können. Zu meiner Zeit war der Punk-Rock’n’Roll hier nicht gerade der Renner, aber wenn eine neue Band auftaucht, ist es meist eine Freude, sie zu erleben. Gleichzeitig sind die Dinge ständig im Wandel. Die Gentrifizierung macht es den kleinen Veranstaltungsorten, Clubs und Low-Budget-Spots extrem schwer oder fast unmöglich, weiterhin zu funktionieren. Wir müssen kreativ sein und die Leute geben immer noch ihr Bestes, machen Benefizveranstaltungen und bauen eine Gemeinschaft auf. Wie du sagst, denken die Leute im Ausland bei den USA an New York, Chicago, Los Angeles usw., an die Orte an der Küste. Kansas City gilt als „Flyover City“, was auch stimmt, aber meiner Erfahrung nach finden sich einige der besten Sachen in den „Lost Pockets“, den versteckten Orten. Als ich das erste Mal nach Kansas City kam, wirkte die Innenstadt wie verlassen, fast wie eine Geisterstadt. Leider ändert sich das jetzt alles und das Gleiche gilt für viele andere kleinere Städte, die Kansas City ähneln. Es wurde so vieles einfach geschlossen und ruiniert. Zugleich sind die Mieten absurd gestiegen. Viele gute Leute sind weggezogen.
Wenn man sich auf eurer Homepage eure bisher absolvierten Auftritte anschaut, ist man schon überrascht. Wie viele Konzerte habt ihr in den USA und Europa schon gespielt?
Hunderte von Shows! Ich glaube, wir sind über die Jahre hinweg acht Mal durch die Staaten getourt, dazu kommen ein paar zusätzliche Abstecher in verschiedene Regionen. Und es wird das vierte oder fünf Mal sein, dass wir in Europa sind. Tut mir leid, aber ich habe irgendwann den Überblick über die genaue Anzahl unserer Konzerte verloren. Wir haben immer versucht, etwa zwei Monate im Jahr zu touren. Manchmal mehr, manchmal weniger. Wir haben viele tolle Momente erlebt und tolle Leute kennen gelernt. Es ist wunderbar, Leute wiederzusehen, die auf dem Weg Freunde geworden sind. Das ist vielleicht sogar der wichtigste Grund, um weiterzumachen. Wir waren jetzt seit fast sechs Jahren nicht mehr in Europa. Wir freuen uns schon sehr auf diese Tour!
Eure Touren bucht ihr DIY-mäßig immer noch alle selbst.
Ja, wir haben die meisten Shows auf die eine oder andere Weise selbst gebucht, indem wir den ersten Kontakt hergestellt haben. Wir stellen nicht alle Bands oder Veranstaltungsorte in anderen Städten zusammen, aber der direkte Kontakt zu einem Veranstalter war uns immer wichtig. Wir haben viel Hilfe von Freunden bekommen, die uns die richtigen Ansprechpartner vermittelt haben.
Ihr seid recht viel und oft mit eurer Band unterwegs. Dafür braucht man natürlich Zeit, daher frage ich mich, was für Jobs ihr macht?
Ich bin Baumpfleger und kümmere mich um die Bäume in Kansas City. Suzanne arbeitet hier für einen öffentlichen Radiosender und ist Podcast-Produzentin. Brad ist bei einem Unternehmen für Glasrecycling beschäftigt und sammelt in der ganzen Stadt Glas ein.
Bislang habt ihr seit 2012 vier LPs und zwei Singles veröffentlicht, 2021 erschien eure letzte LP „IV“, Sind diese Platten noch erhältlich?
Die ersten beiden LPs sind ausverkauft, aber wir haben noch die dritte und vierte LP auf Lager. Alle unsere Aufnahmen sind in voller Länge auch auf Kassette erhältlich, die man auf unserer Website bestellen kann. Aber wahrscheinlich ist es einfacher, unsere LPs bei unserem Label Dead Broke Records zu bestellen. Sie sind besser und schneller im Versand.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #176 Oktober/November 2024 und Helge Schreiber
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #166 Februar/März 2023 und Helge Schreiber