In den Texten von MOTHICA geht es oftmals um menschliche Abgründe sowie Leben und Tod. Das dritte Album „Kissing Death“ ist nun als „düstere Liebeskomödie“ mit dem Sensenmann in der Hauptrolle konzipiert. Die Alternative-Pop-Katharsis der 29-jährigen Künstlerin erfolgt düster-elektronisch und mehr denn je Synthie-schwanger.
Meine ganze Karriere ist der Versuch, die Vision in meinem Kopf zu verwirklichen und es so aussehen oder klingen zu lassen, wie ich es mir vorstelle“, erzählt MOTHICA, die bürgerlich McKenzie Ashton Ellis heißt. „Das ist viel wichtiger, als sich nach Streaming-Zahlen, Auszeichnungen oder Playlist-Spots zu richten. Es gab eine Zeit, in der ich dachte, sie würden mich glücklich machen, doch heute weiß ich, dass sie das nicht tun und ich meinen Weg gehen muss.“ So ehrlich wie in diesem Statement nimmt man die in Los Angeles lebende Singer/Songwriterin insgesamt wahr: „Ich veröffentliche schon seit 2015 Musik, auch wenn mir die Leute erst seit 2020 wirklich zuhören“, merkt MOTHICA an. „Es hat seine Zeit gebraucht, bis ich anfing, Songs zu veröffentlichen, die, sagen wir, spezifisch sind. Dass ,Vices‘ so gut ankommen würde, hätte ich niemals erwartet, weil ich dachte, dass niemand in der Lage wäre, sich damit zu identifizieren. Doch es ist einer meiner Top-Songs. Die Stücke, die die Leute am meisten ansprechen, sind diejenigen, die von Depressionen handeln, von Sucht-Abstinenz, körperlichen Übergriffen und psychischer Gesundheit. Das sind allesamt Themen, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie in Songs packen würde. Der Zuspruch für ,Vices‘ hat mich damals ermutigt, mich verletzlicher zu geben. Dazu kommt, dass ich keine ausgebildete Sängerin bin. Die Leute fühlen die Emotionen in meiner Stimme, weil ich auf eine gefühlvolle Art und Weise singe, wenn auch nicht auf die technisch richtige. Die Kombination aus beidem ist es wohl, was die Leute anspricht.“
MOTHICA ist in vielerlei Hinsicht als Gegenentwurf zum sterilen überproduzierten Plastik-Pop zu begreifen: „Bei jedem Song, den ich aufnehme, sind die Vocals normalerweise schon am ersten Tag fertig“, erzählt die 29-Jährige. „Nicht unbedingt mit der ersten Aufnahme, aber ich versuche, das Gefühl jedes Stücks innerhalb eines Tags einzufangen. Meiner Erfahrung nach hilft das. Wenn ich Songs früher immer wieder umgeschrieben oder neu aufgenommen habe, bin ich am Ende doch oft zur ersten Version zurückgekehrt. Meist weist nur die diese besondere Magie auf.“ Die düstere Ästhetik und die schonungslos ehrlichen Texte über harte Themen zeichnen die Stücke der Künstlerin aus: „Als das mit Corona losging, war ich gerade ein Jahr lang drogenfrei und 25 Jahre alt“, holt MOTHICA aus. „Ich erinnere mich an das beunruhigende Gefühl, dass meine Karriere ins Leere läuft. Mir war langweilig. Wegen der Pandemie bin ich zurück zu meinen Eltern gezogen, um aus der Großstadt heraus zu sein. Es war eine verwirrende Zeit, in der mir Leute von diversen Labels gesagt haben, meine Musik hätte ihren Höhepunkt schon 2017 erreicht und dass die Playlists keinen Dark Pop mehr wollten. Das habe ich zwar gehört, doch darauf vertraut, dass es da draußen Hörer für mich gibt. Also habe ich alles auf eine Karte gesetzt und viel Content online gestellt. Weil alle zu Hause waren und vor ihrem Handy saßen, habe ich schnell eine Fangemeinde gefunden, die rasend schnell wuchs. Innerhalb weniger Tage hatte ich plötzlich ein paar hunderttausend Follower.“ Einem viralen Hit sei Dank: „,Vices‘ ist der Grund dafür, das stimmt. Es hat aber lange gedauert, bis ich überhaupt eine erste Show spielen konnte. Bis dahin habe ich mich oft gefragt, ob die Leute meine Musik wirklich mögen und ob es überhaupt echte Menschen sind. Als sie dann auf den Konzerten die Texte mitsangen, dachte ich: Wow, das ist so seltsam. Für mich ist es schwieriger als für Künstler, die mit kleinen Shows anfangen und sich mit der Zeit entwickeln. Ich bin aus dem Internet direkt auf die großen Bühnen getreten.“
Dabei fühlt sich MOTHICA dort nur bedingt wohl: „Was das Touren anbelangt, bin ich sehr, sehr ängstlich“, gibt sie zu. „Ich habe ausgeprägte Reiseangst. Wenn ich in den USA unterwegs bin, kommt meine große Angst vor Waffengewalt auf Festivals hinzu. Als das Leben nach Corona wieder losging, war ich zwei Jahre in keiner großen Menschenmenge gewesen. Mein erstes Konzert war dann gleich auf dem Lollapalooza. Seitdem habe ich auf vielen weiteren Festivals gespielt und für COHEED AND CAMBRIA eröffnet. Live aufzutreten, ist aber nicht gerade meine Stärke. Es fühlt sich für mich nicht natürlich an. Die meisten Musiker wachsen bei ihren Auftritten über sich hinaus und haben das Verlangen, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Bei mir ist das nicht so. Nach Konzerten bin ich sehr ausgelaugt und erschöpft. Das Schwierigste ist für mich, mich daran zu erinnern, Spaß an der Performance zu haben.“ Spaß ist im Kontext von MOTHICA eine unerwartete Kategorie: „Nun, ich versuche, auf meinen Shows Witze zu machen, und covere den Song ,All star‘ von SMASH MOUTH aus dem Film ‚Shrek‘“, führt die Künstlerin an. „Den spiele ich, nachdem ich meine Rede über Selbstmord und meine Erfahrungen als Teenager gehalten habe. Ich versuche wirklich, beide Elemente unterzubringen. Wenn ich nur traurige Lieder singen und mich schlecht fühlen würde, könnte ich all das nicht tun. Dennoch bin ich auf etliche meiner Freunde eifersüchtig, die einfach nur poppige Knaller schreiben und nichts als Spaß und Freude vermitteln. In meinen Songs geht es hingegen um Themen wie sexuelle Übergriffe, Drogen und Depressionen.“ Oder wie auf dem aktuellen Album um eine Sensenmann-Liebesgeschichte im Stil einer romantischen Komödie: „Nachdem ich dieses ‚Kissing Death‘ im Sinn hatte, habe ich diese zusammenhängende Geschichte geschrieben“, so MOTHICA. „Darin drückt sich meine Romantisierung des Todes aus, auch wenn alle immer sagen, man solle den Tod nicht romantisieren. Aber was ist, wenn man es doch tut? Das habe ich schon als Teenager getan. Also erzähle ich diese surreale Geschichte, in der der Sensenmann mein Ex-Freund ist, mir nachstellt und mich heiraten will, ich ihn jedoch zurückweise.“
© by Fuze - Ausgabe #107 August/September 2024 und Arne Kupetz
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