Hamburg. Früher, in den späten 70er und frühen 80er Jahren neben Berlin als die Punkhochburg der Republik verschrien, heute eher für seine Schule (inkl. Schülerbands) und seine Elektronikmärkte bekannt. Dennoch finden sich immer wieder ein paar Spießgesellen zusammen, die der alten Tradition frönen und eine Punkrock-Band ins Leben rufen wollen. Da es sich anscheinend über die Dekaden hinweg so eingespielt hat, besitzen selbige Bands in der Regel keine lange Haltwertzeit. LA CRY und die PHANTASTIX bestätigen hier jeder für sich als Ausnahme die Regel. Nun haben sich erneut vier Schergen zusammengerauft, um sich dem Vier-Akkorde-Rock´n´Roll hinzugeben. Da mir die Herren Musiker zum Teil schon seit einigen Jahren von diversen gemeinsamen Unternehmungen auf dem Hamburger Kiez bekannt sind, stellte sich mir auch nicht die Frage, ihrem ersten Auftritt, im Planet Subotnik mit den GENERATORS, beizuwohnen. Da nun ein Konzert anstand, benötigten sie nur noch einen Namen, der mit MOSLEM HEAT schnell gefunden wurde. An besagtem Abend hatten sie dann auch keine Mühe, die Amerikaner ratzfatz an die Wand zu spielen. A Star was born, Hamburg begeistert. Derzeit nehmen die Jungs einige Lieder auf, so daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann wir mehr und vor allem erste Tonträger von MOSLEM HEAT zu Gehör bekommen. Da ich stets meinen journalistischen Pflichten nachkomme, beschloß ich, euch, werte Leser, diese Band näherzubringen, bevor sämtliche Spatzen der Republik ihre Lieder von den Dächern pfeifen. Deshalb machte ich mich eines schönen Abends auf nach Hamburg-Hamm, wo die vier Herren in einem Bunker ihren Bandpflichten nachkommen und gemeinsam proben, um ein kleines Interview mit ihnen zu führen. Da alle vier recht lustige Zeitgenossen sind, ist nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und in Bitterkeit und Ernst zu ertrinken.
Kommen wir zuerst zur unvermeidlichen Bandvorstellung. Die meisten Leute dürften ja noch nicht wissen, welche Lausbuben sich hinter dem Namen MOSLEM HEAT verstecken.
Perry: Perry Spinoza, 24. Das macht man so in dem Business. TIC TAC TOE haben sich auch jünger gemacht. Beruf: Vater zweier Kinder. Hobbys: Elvis. Ich bin der Shouter.
Timo: Timo, Gitarre. Hobbys: Lesen. Beruf: Zivi. Alter: Harald heißt er.
Carsten: Carsten. Wie alt bin ich ? 26? - OK, ich bin 26 Jahre alt, Beruf zur Zeit nichts, Instrument Schlagzeug und meine Hobbys ist alles, was mit gutem Rock´n´Roll zu tun hat.
Andi: Ich bin der Andi oder auch P.J. Jude. Alter: 20, Beruf: Zivildienstleistender und Hobbys gibt es nicht. Doch, im Zollhof abhängen mit den lieben Zeitgenossen des modernen Punkrocks.
MOSLEM HEAT ist ja für jeden von euch nicht die erste Band. Erzählt mal, welche musikalischen Wege ihr zuvor schon beschritten habt.
Perry: Zuerst war ich Mitbegründer und Sänger bei den VANILLA MUFFINS, noch in der Schweiz. Dann habe ich in Hamburg STIMPY ins Leben gerufen mit lauter Schlagzeugern, die mich alle an den Rande eines Nervenzusammenbruchs gebracht haben. Das ging dann den Bach runter, und seitdem halt MOSLEM HEAT.
Timo: Ich habe bei SCHROTTGRENZE angefangen 1994, bin da immer noch nicht ausgestiegen. Nun seit Januar bei MOSLEM HEAT.
Carsten: Oh, jetzt wird´s schwierig: EMILS, VOLKSWIDERSTAND, OHL, DER FLUCH, COMBAT SHOCK, RASTA KNAST, SCHWANENSEE. Das lief alles irgendwie parallel.
Andi: ABORTIVE ABORTION, eine wundervolle True-Death-Metal-Band. German Power Metal oder Neue Deutsche Härte. Dann stieg ich 1997 auch bei SCHROTTGRENZE ein und seit Januar diesen Jahres Mitbegründer dieser wundervollen Band MOSLEM HEAT.
P.J. Jude, du hast dir ja auch in ziemlich kurzer Zeit einen recht guten Namen als Produzent hier in Hamburg gemacht. Was war denn dein bisheriges Schaffenswerk ?
Andi: Die letzten Aufnahmen habe ich mit der grandiosen Schwulenband THE Y.M.C.ASS gemacht, die jetzt auch als Single erschienen sind. Davor hatte ich meine Finger noch bei dem Projekt "Ballermann ´88" im Spiel. Meine neue Produktion ist jetzt das Aufnehmen mit meiner eigenen Band MOSLEM HEAT.
Perry Spinoza, dank deiner extrovertierten Bühnenshow wirst du ja auch die "Diva aus Basel" genannt. Woher stammt deine Choreographie ?
Perry: Das ist ein schwieriges Thema für mich. Bisher habe ich ja immer einen Bass in den Fingern gehalten. Auch bei STIMPY habe ich gesungen und Bass gespielt. Deswegen stand ich jetzt vor einer schwierigen Aufgabe. Im nachhinein muß ich sagen, daß ich bei unserem ersten Auftritt eher wie ein nervöses Huhn auf der Bühne rumgelaufen bin. Ich habe halt auch noch versucht, vom King einige Karateübungen mitzunehmen, aber das muß ich noch ein bißchen verfeinern. Es muß mehr aus dem Beckenbereich kommen.
Timo, du bist ja auch als Solokünstler aktiv. Erzähl da mal etwas zu.
Timo: Ja, ich habe letztens eine Tour unter dem Namen Timo Krüger absolviert und einige Hallen, z.B. in Kassel und Hamburg, zum Kochen gebracht als Support der grandiosen Y.M.C.ASS, habe mich jetzt aber zur Ruhe gesetzt.
Carsten, Gerüchten zufolge sollst du ja gar kein Mensch, sondern eine Maschine, ein Drumcomputer sein. Wie widerlegst du diese These ?
Carsten: Ich widerlege das gar nicht.
Perry: Er wird auch "Der Eiskalte Engel" genannt.
Ihr nennt euch MOSLEM HEAT. Was an euch ist heiß ?
Timo: Perry Spinoza.
Perry: Nee, wir haben in Sachen Outfit noch einiges vor. Das wird gerade noch ausarbeitet, aber uns schwebt da schon was spaßiges vor. Ob wir uns da jetzt aus der muslimischen Kultur bedienen oder ganz in Leder auftreten, daran arbeite ich gerade noch.
Dahin zielte auch der zweite Teil der Frage. Was an der Band ist muslimisch ?
Timo: Unsere Künstlernamen.
Andi: Die Musik. Eigentlich ist es aber nur der Klang nach südländischen Ländern. Dieses Temperament dort ist in unseren Herzen.
Perry: Im übertragenen Sinne sind wir aber auch Fundamentalisten. Auch das verbindet uns mit den Moslems.
Wo seht ihr denn eure primären musikalischen Einflüsse ?
Perry: Meine persönlichen? Ich bin sehr großer MISFITS-Fan, vor allem was das Songwriting anbelangt. Kein Song über 2,5 Minuten, Melodien bringen, aber trotzdem nicht die Härte verlieren und abwimpen. Also die MISFITS sind für mich ein sehr großer Einfluss.
Timo: Für mich, der neben Perry Spinoza die Songs schreibt, suchte ich einen Kontrast zu SCHROTTGRENZE, sprich nicht so poppig, sondern härterer Rock´n´Roll.
Perry: Aber ich möchte noch die MÜNCHENER FREIHEIT ins Spiel bringen, die haben auch großen Einfluss auf unser Songwriting. Außerdem versuche ich auch beim ELECTRIC LIGHT ORCHESTRA zu klauen. Die waren vor allem frisurentechnisch ganz große Meister, doch zu solchen Frisuren werden wir es wohl nie bringen.
Mit welchem Ziel habt ihr die Band gegründet und was ist bisher schon geschehen ?
Andi: Erstmal ist gar nichts passiert, weil wir uns nur so getroffen haben, bis wir dann auf die Idee kamen, Perry Spinoza mit in die Band zu nehmen. Da passierte dann schon ein bißchen mehr. Danach spielten wir dann einen Auftritt, um die Publikumsreaktion zu sehen, und sind gerade dabei, unser erstes Demo fertigzustellen. Zum Jahreswechsel werden wir uns an die erste Plattenproduktion ranmachen. Ein Label haben wir aber noch nicht.
Carsten, du spielst ja nun schon seit etlichen Jahren in diversen Bands und hast daher viel gesehen und erlebt. Wie beurteilst du die Entwicklung innerhalb der Punkrock-Szene ?
Carsten: Ich hoffe, es entwickelt sich mal wieder zum Positiven hin. Ich finde, das hat sich in den letzten Jahren alles sehr negativ entwickelt. Es wurde mir alles viel zu siffig, um es mal auf den Punkt zu bringen. Hoffentlich werden die Leute mal wieder ein wenig cooler. Aber so in der Szene stecke ich auch gar nicht drin.
Mal etwas für Hamburg-Touristen. Was empfehlt ihr denen an Lokalitäten zum Ausgehen? Wo trifft man euch?
Carsten: Lunacy.
Timo: Ich denke, auf jeden Fall bei "Hühner Ewald" im Sandkamp, Hamburg-Horn.
Perry: Ja, der "Hühner Ewald" ist bei uns ganz weit vorne.
Themawechsel. Was bedeutet für euch persönlich heutzutage noch Punkrock ? Was meint ihr, wie Punk den Wechsel ins dritte Jahrtausend überleben wird ?
Carsten: Überleben wird er ihn auf jeden Fall, weil das eine Musikrichtung ist, die bleiben wird. Das wird immer mal wieder ein bißchen populärer und auch wieder ein bißchen kleiner. Aber was sich daraus entwickelt weiß ich doch nicht.
Perry: Ich möchte mich mit MOSLEM HEAT jetzt aber auch nicht zu sehr auf Punkrock versteifen. Wir kommen zwar alle aus der Ecke, aber ansonsten? Von der Message her sicher nicht. die Texte sind uns total egal, meiner Meinung nach.
Carsten: Wir wollen uns da auch nicht so festlegen. Das, was gefällt, wird auch gemacht.
Perry: Mir tut eigentlich nur jede Band leid, die sich "Punkrock" auf die Fahnen schreibt und sich somit einen eigenen Käfig baut.
Andi: Die Message, die hinter Punk steht, wurde in den 80er Jahren schon von so vielen Bands verbreitet, da muß man das nicht heutzutage immer nur alles wieder aufwärmen. Es brauch wohl keiner mehr singen, wie scheiße die Bullen doch sind.
Dann erzählt doch mal, welche Bands bei euch zu Hause hoch im Kurs stehen.
Andi: SOCIAL DISTORTION, BRIAN SETZER und TURBONEGRO.
Carsten: THE CLASH, nach wie vor und auch in Zukunft. Ansonsten alter Rock´n´Roll und 77er Punkrock.
Perry: Ich höre privat eigentlich kaum noch Punkrock, weil es für mich etwas anderes ist, Punkrock zu spielen, als Punkrock zu hören. Das ist mir langweilig geworden. Ich höre auch viel alten Kram. Den King, je öfter desto besser, Roy Orbison, aber auch neue Bands wie zum Beispiel FILTER finde ich ganz interessant. Mein absoluter Geheimtip sind CAESAR´S PALACE aus Göteborg.
Timo: Ich finde gerade die neue Singleauskopplung von den H-BLOCKS total geil. Ansonsten mag ich gerade die Wonderfools und nach wie vor MÜNCHENER FREIHEIT.
Perry: Außerdem will ich noch Jeff Lynn vom ELECTRIC LIGHT ORCHESTRA erwähnen. Ich werde demnächst einen Jeff Lynn-Gedenktag einführen. Das hat er verdient, die Band wird völlig unterbewertet.
Wie begeht ihr das Millenium-Silversterfest ?
Carsten: In Elmshorn auf einer Party, wenn nichts besseres anliegt.
Perry: Ich bin in London. Mal sehen, was so kommt.
Timo: Ich glaube, da komme ich mit.
Carsten: Ich hab´ schon was besseres. Ich komme auch mit.
Perry: Mal kurz etwas anderes, um irgendwelchen Gerüchten vorzuwirken.
Timo: Perry Spinoza ist nicht schwul.
Perry: Nein, es gehen Gerüchte um, daß P.J. und Timo meine Söhne sind. Das ist wahr.
Carsten: Und ich bin die Tante.
Wie habt ihr euren Sommerurlaub verlebt ?
Andi: Schön auf Rügen in den Nazibauten.
Timo: Ich fahr nächste Woche nach Dänemark.
Perry: Ich habe kein Geld.
Carsten: Ich auch nicht.
Andi: Womit wir mal eben festhalten wollen, daß die einzigen in der Band, die sich Urlaub leisten können, die Zivildienstleistenden sind.
Ihr seid ja zum Teil große Formel 1-Fans. Wie läßt sich das denn mit Rock´n´Roll vereinbaren ?
Timo: Allein die Motorengeräusche erinnern mich immer sehr stark an die OBLIVIANS. Außerdem hat Heinz-Harald Frenzen ´ne coole Rock´n´Roll-Frisur.
Andi: Die Frauen, die immer im Fahrerlager dabei sind, sind auf jeden Fall sehr Rock´n´Roll.
Carsten, ich habe gehört, du legst zu Hause sehr viel Wert auf stilvolles Ambiente. Wie sieht das aus, wie lebt der Rest der Band ?
Carsten: Ein röhrender Hirsch überm Sofa und geblümte Tapete, halt so richtig bürgerlich.
Perry: Ich wohne mal hier, mal dort. Bei Carsten habe ich gestern Unterschlupf gefunden, heute penne ich bei Holgo und wenn ich Glück habe, läßt mich Martina morgen bei sich schlafen. Ich habe also keinen festen Wohnsitz. Ich bin aber noch nicht auf Platte, jedoch ein heißer Anwärter.
Timo: Ich wohne mit P.J. zusammen, ganz normal mit Rauhfaser, Holzregal und Wildlederschrank.
Kein Interview in einem Punkfanzine ohne folgende Schlagworte. Ich bitte um ein kurzes Brainstorming.
Anarchie:
Carsten: Überholt, nicht durchführbar.
Alkohol:
Andi: Super, lecker.
Drogen:
Carsten: Kommt drauf an.
RAMONES:
Carsten: Kult.
Politik:
Carsten: Scheiße, aber unumgänglich.
Fanzines:
Perry: Sind hin und wieder ok, darf man aber auch nicht zu ernst nehmen. Aber obwohl dieses Interview im Ox erscheint, oute ich mich hier und jetzt als großer "Gerda"-Fan. Das sind die einzigen Fanzinemacher, die mir richtig aus dem Herzen sprechen. Das kann ich von der ersten bis zur letzten Seite unterschreiben.
Vegetarismus:
Perry: Niemals. Nur kein Schwein.
Andi: Fleisch muß sein, beiß rein!
Timo: K.D.W. - Kraft durch Wurst.
Majorlabels:
Perry: Super, unbedingt. Es gibt nichts besseres.
Nazis:
Perry: Ich bin Ausländer.
Damit wären wir fast durch. Wie soll es mit MOSLEM HEAT weitergehen?
Timo: Wir lösen uns jetzt auf.
Perry: Am 20.9. spielen wir im Hafenklang, HH zusammen mit D.O.A.
Habt ihr noch abschließende Worte für die Ox-Leser ?
Timo: Ihr seid die besten.
Vielen Dank an MOSLEM HEAT für die Beantwortung meiner hochgeistigen Fragen. Auch wenn die Band schon mächtig durchstartet, sind sie erst am Anfang ihrer Karriere. Um soundtechnisch noch fetter und abwechslungsreicher zu werden, suchen die Jungs nun noch einen zweiten Gitarristen. Wer aus dem Hamburger Raum kommt, Interesse an MOSLEM HEAT gefunden hat und sechs Saiten bedienen kann, sollte sich mal mit P.J. Jude unter der Nummer 0177-369 07 32 in Verbindung setzen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #36 III 1999 und Abel