MOSCOW DEATH BRIGADE

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Unerwünschte Elemente

Punkrock und Aufbegehren in Russland? Das ist eine ganz andere Nummer als hierzulande. Denn Russland ist keine Demokratie. Und das haben MOSCOW DEATH BRIGADE im Laufe ihrer Bandkarriere nach eigener Aussage mehr als einmal erfahren – und das nicht selten am eigenen Leib. Kein Wunder ist es da, dass sie ihr neues Album, einen Bastard aus Punk, Rap, Metal und Electro, nun „Bad Accent Anthems“ genannt und denjenigen gewidmet haben, die als „unerwünschte Elemente“ gelten. Im Interview sprechen Vlad Boltcutter und Ski Mask G, die beiden Frontmänner, entsprechend nicht nur über Musik und Corona, sondern auch darüber, wie es derzeit politisch und gesellschaftlich um ihre Heimat steht.

Ihr sagt, euer Album „Bad Accent Anthems“ richte sich an all diejenigen Menschen, die von der Gesellschaft als „unerwünschte Elemente“ bezeichnet werden. Wann habt ihr euch zum letzten Mal so gefühlt?

Vlad Boltcutter: Ständig. Jedes Mal, wenn wir die Grenze zur EU, zum Vereinigten Königreich oder zu den USA überschreiten. Wenn wir eine Tour beginnen oder ein Visum beantragen. Meistens müssen wir dann nachweisen, dass wir keine potenziellen Einwanderer sind und irgendwann vorhaben, unseren Aufenthalt zu verlängern. Die ausländischen Behörden sehen auf dich herab und unterziehen alle Papiere einer genauen Prüfung. An mancher Grenze können die einem das Leben wirklich schwermachen. Trotzdem stellen wir immer wieder fest, dass wir in einer wesentlich glücklicheren Lage sind als Millionen anderer Menschen, die von diesen Behörden aufgrund ihrer Herkunft, ihres Akzents, ihres Geburtsorts noch schlechter behandelt werden.

Inwiefern seid ihr in Russland ein solches unerwünschtes Element?
Vlad Boltcutter:
Wir scheinen zumindest immer noch auf einer Regierungsliste mit extremistischen und unerwünschten Bands zu stehen. Und als wir MOSCOW DEATH BRIGADE gründeten, war es wirklich unpopulär in Russland, Antifaschist zu sein. Nicht nur, dass einem die rechtsextremen Schläger zahlenmäßig weit überlegen waren. Nein, auch ein großer Teil der einfachen, normalen Leute hasste einen deswegen abgrundtief. Die Bevölkerung wurden von den offiziellen Medien einer wahren Gehirnwäsche unterzogen. Den Menschen wurde weisgemacht, Antifaschisten seien oft Geheimagenten aus dem Ausland, die darauf abzielen, die traditionellen Werte der russischen Gesellschaft zu zerstören. Natürlich hassten auch die Bullen uns Antifaschisten. Es gehörte zur alltäglichen Praxis, ein Punk- oder Hardcore-Konzert zu überfallen, alle im Club zu verhaften und die persönlichen Daten der Besucher später an Neonazis weiterzugeben.
Ski Mask G: Aber es gab Ausnahmen: Einmal beendeten die Bullen unsere Show in der Stadt Rjasan ... Das Publikum wurde ziemlich wütend und randalierte und drohte damit, die ganze Stadt in Schutt und Asche zu legen, bevor genug Verstärkung da wäre, um die Menge aufzuhalten. Am Ende ließen die Cops die Verhafteten frei und gaben auf. Ich glaube aber nicht, dass so was heute noch möglich wäre, weil die Polizei jetzt alles kontrolliert und die Leute bei jedem Versuch, sich zu widersetzen, sofort ins Gefängnis steckt.

Im letzten Interview mit dem Ox hattet ihr über die Nazi-Szene bei euch berichtet. Das ist jetzt vier Jahre her. Seitdem ist viel passiert. Es kamen unter anderem unzählige Flüchtlinge nach Europa – und ein Rechtsruck bis in bürgerliche Kreise war die Folge. Wie ist die Situation bei euch heute?
Ski Mask G:
Überraschenderweise scheint sich die Situation mit den Nazis in Russland dramatisch verbessert zu haben. In den letzten Jahren hat die Bedrohung durch rechtsextreme Straßenbanden drastisch abgenommen und kann nicht mehr mit dem verglichen werden, was wir vor acht bis zehn Jahren hatten, als Neonazis täglich Punk-Shows, Demos und Minderheiten auf der Straße angriffen. Heute können sich die Menschen so anziehen, wie sie wollen, Punkrock- und HipHop-Shows werden nicht mehr attackiert. Und die meisten Leute aus der jüngeren Generation, die ganzen Punk- und Hardcore-Kids, können sich mittlerweile fast nicht mehr vorstellen, dass wir hier noch vor einem Jahrzehnt einen echten Krieg auf der Straße hatten. Leider finden immer noch Angriffe auf Minderheiten statt. Aber das ist tatsächlich nicht mehr mit dem Alptraum zu vergleichen, in dem wir seinerzeit lebten. Es sieht so aus, als ob die Situation mit den Nazis in einigen europäischen Ländern – und besonders in den USA – heute sogar wesentlich schlimmer ist als in Russland.

Wie erklärst du dir das?
Ski Mask G:
Es ist schwer, einen Grund für diesen Wandel zu nennen. Einige glauben, dass die Antifaschisten einfach den Straßenkrieg gewonnen haben. Andere glauben wiederum, dass die Regierung nach der Revolution in der Ukraine erkannt hat, dass Neonazis eine Bedrohung für sie sein könnten. Sie hat daraufhin begonnen, ernsthaften Druck auf alle rechten Gruppen auszuüben.

Dennoch, bei Russland sprechen wir nicht von einer Demokratie. Und wenn sogar bei uns linke Bands wie etwa FEINE SAHNE FISCHFILET, auf die ich gleich auch noch genauer zu sprechen komme, von vielen angefeindet werden – wie schwer muss es da sein, in eurer Heimat eine antifaschistische und sozialkritische Band zu sein?
Vlad Boltcutter:
Das stimmt schon. Es war eine ziemliche Herausforderung, als wir Ende 2000 und Anfang 2010 als Band begannen. Es gab einen regelrechten Straßenkrieg mit Neonazi-Gangs, viel Druck von Seiten der Behörden und Gegenwind aus der Gesellschaft. Dennoch ist es heute viel besser geworden – abgesehen von den Behörden, die immer noch hart gegen die antifaschistischen Aktivisten vorgehen. Was die normalen Leute betrifft: In den vergangenen zehn Jahren sind in Russland die sozialen Bewegungen stärker geworden. Klar, das alles befindet sich immer noch im Entwicklungsstadium. Trotzdem erkennen viele Menschen, dass es an der Zeit ist, für ihre Rechte zu kämpfen, sich gegen Bigotterie und Gewalt zu stellen. Das ist gut zu sehen. Denn damals schien es, als seien die Menschen aus der DIY- und Punk-Szene die Einzigen, die versuchen, Minderheiten zu unterstützen, die gegen antidemokratische Gesetze protestieren und sich auf Demos von den Bereitschaftspolizisten verprügeln lassen.

Putin plant, bis in die 2030er Jahre Präsident zu bleiben. Was denken die Menschen in Russland darüber?
Vlad Boltcutter:
Es ist schwer, in dieser Frage für alle zu sprechen. Ich sage es mal so: Viele Leute finden ihn gut. Aber ebenso protestieren auch viele – ob auf der Straße oder im Internet. Und das sind nicht nur Menschen aus der Subkultur, sondern oft normale Bürger aller Altersgruppen und Berufe.

Das zu hören ist gut. Dennoch dürfte eine Band wie ihr in Zukunft dort, wo ihr herkommt, nicht gerade unwichtiger werden.
Vlad Boltcutter:
In erster Linie tun wir unser Bestes, um als Musiker interessant zu bleiben. Die positive Botschaft, die wir zugleich rüberzubringen versuchen, basiert wiederum auf unserer Pflicht als Band zu versuchen, diese Welt ein bisschen besser zu machen. Wir hoffen, dass Menschen, die unsere Platten hören oder wegen der Musik zu unseren Konzerten kommen, am Ende eben auch unsere Gedanken und Inhalte wahrnehmen und sich davon inspirieren lassen. Wir haben jedenfalls bemerkt, dass dieser Plan schon in unseren frühen Jahren funktionierte, als unsere Auftritte in Russland überraschenderweise anfingen, Menschen anzuziehen, die gar nicht aus der Szene kamen. Das war für eine Band wie unsere zwischen Punk und Rap und mit sozialkritischen Texten ziemlich ungewöhnlich.

Abgesehen davon leben wir seit einiger Zeit in einer Welt, die vom Kampf gegen das Corona-Virus beherrscht wird. Jeder ist davon betroffen. Wie ist die Lage aktuell in Russland?
Vlad Boltcutter:
Die ist alles andere als gut. Russland ist ein riesiges Land und es scheint so, dass jede Region ihre eigenen Regeln zur Bekämpfung des Virus hat. Im Allgemeinen ist die Pandemie hier immer noch auf dem Vormarsch, viele Menschen haben ihre Arbeit verloren und stehen vor dem Hungertod, weil es nicht genug finanzielle Unterstützung von der Regierung gibt. Auf der einen Seite hat Russland zwar ziemlich früh auf die Pandemie reagiert. Aber leider sind die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus chaotisch. Es fehlt zu vielen Menschen an Verantwortung und Fürsorge für andere. Nicht alle sehen ein, dass es bei der Einhaltung der Quarantäne, dem Tragen einer Maske und derlei Dingen nicht in erster Linie um das Befolgen von Regeln geht, sondern um den Schutz des verwundbarsten Teils der Gesellschaft, der älteren Menschen. Der Menschen mit chronischen Krankheiten. Und auch des medizinischen Personals, das jeden Tag sein Leben riskiert – oft ohne angemessenen Schutz.

Benötigt ihr eigentlich die Musik, um euren Lebensunterhalt zu verdienen?
Vlad Boltcutter:
Nein. Wir sind es gewohnt, gleichzeitig zu arbeiten und Musik zu machen, auch wenn es wirklich schwierig ist, einen Vollzeitjob zu behalten, wenn man monatelang auf Tournee ist oder ein Album aufnimmt. Aber momentan kann wegen der Quarantäne keiner von uns arbeiten. Da geht es uns wie den meisten Menschen. Und genau wie alle anderen Bands können auch wir nicht touren. Daher kann ich wirklich nur an die Leute appellieren: Streamt die Musik eurer Lieblingsbands. Und wenn ihr es euch leisten könnt, kauft deren Alben. Das würde vielen Bands wirklich helfen, sich über Wasser zu halten.

Kommen wir also wie angekündigt auf Monchi und Co. zu sprechen: Ihr seid vor einigen Jahren mit FEINE SAHNE FISCHFILET auf Tour gewesen. Habt ihr noch Kontakt zu den Jungs?
Vlad Boltcutter:
Ja. Wir waren auch schon Freunde, ehe sie so bekannt wurden wie jetzt. Und wir sind auch abseits der Musik Freunde. Eine lustige Anekdote fällt mir auch immer wieder zu unseren Treffen ein: Einmal übernachteten wir nach einer Show in Monchis Haus. Die Bude war voll mit Menschen und seinen Hunden. Unser Mercher Nik sah einen Pitbull und fing an, mit ihm zu spielen. Er schubste ihn und zog ihn spielerisch an den Ohren. Der Pitbull begann zu knurren. Und Nik fragte Monchis Bruder, warum der Hund so wütend sei. Er mache doch nur ein bisschen Spaß. Die Antwort: „Ich habe den noch nie gesehen. Ich glaube, das ist ein streunender Hund, der gerade von der Straße hereingekommen ist.“ Man könnte sagen, das war knapp für Nik, haha.

Du sagst es: FEINE SAHNE FISCHFILET sind jetzt ein richtig großes Ding in Deutschland. Als offensiv politische Band wohlgemerkt, was nicht selbstverständlich ist.
Vlad Boltcutter:
So ist es. Und ich finde es wunderbar, dass eine Band mit einer solchen Botschaft und mit diesem Engagement gegen rechts, gegen Rassismus, gegen die Diskriminierung von Minderheiten so groß rauskommt – und das bei all den Drohungen, die sie ja mitunter bekommen und aushalten müssen. Aber die Jungs spielen ja auch gute Musik. Sie haben eingängige Melodien und Songs, die auch im Stadion funktionieren. Was gut ist, denn dann hören eben auch Tausende von Menschen nicht nur die Musik, sondern auch alles das, was dahintersteckt. Und das wiederum bringt vielleicht manch einen, der das noch nicht getan hat, dazu, über die Texte und Statements nachzudenken. Außerdem sind die Jungs wirklich nette Leute und auch mutig – wir wissen, dass sie ständig Drohungen erhalten, aber sie geben niemals auf.

Gibt es deutsche Bands aus Punk und artverwandten Genres, die auch in Russland populär sind?
Vlad Boltcutter:
Leider nicht im großen Rahmen. Was das angeht, hören die Leute hier meist lokale Acts oder die großen international bekannten Bands. Aber russische Punks lieben natürlich die klassischen deutschen Punkbands wie SLIME oder TOXOPLASMA.

Wie schafft ihr es, derart viele musikalische Facetten wie Punk, Metal, Rap und Electro zu kombinieren?
Vlad Boltcutter:
Ganz einfach: Wenn wir an unserer Musik arbeiten, versuchen wir, einen Soundtrack für unser Leben aufzunehmen. Und Genres zu vermischen, liegt da natürlich in der Natur der Sache. Schon als wir als Metalheads und Punks aufgewachsen sind, haben wir begonnen, uns auch mit HipHop und elektronischen Beats auseinanderzusetzen. Und als wir die Band gründeten, wollten wir die Musik machen, die die verschiedenen Stile, die wir lieben, miteinander verbindet.
Ski Mask G: Das neue Album „Bad Accent Anthems“ ist dabei für mich auch ein Höhepunkt dieser Entwicklung. Es ist beispielhaft für unsere zahlreichen Einflüsse.