Die beiden Kanadierinnen haben kürzlich ihr drittes Album „Don’t Worry“ veröffentlicht. Passend dazu waren sie auf einer kurzen Europatour im Vorprogramm von Laura Jane Grace. Die beiden Punkrock-Musikerinnen sind sehr lustige und auskunftsfreudige Zeitgenossinnen, was man nach der Lektüre ihrer Texte nicht unbedingt vermutet. Jenna (voc, gt) war beim Interview vor dem Konzert im Conne Island in Leipzig von einer Erkältung heimgesucht worden, hatte im Laufe des Gesprächs dennoch zunehmend mehr zu erzählen. Für Marcia (dr, voc) hatte ich einen veganen Muffin dabei, denn sie hatte am Tag zuvor Geburtstag.
Wie viel Schlaf habt ihr letzte Nacht gehabt?
Marcia: Mehr als vier Stunden, ich nehme an, die Frage ist auf unseren Song „Four hours of sleep“ bezogen. Ich hatte sechs Stunden.
Jenna: Ich würde sogar sagen, es waren acht Stunden.
Habt ihr nicht gefeiert? Schließlich hatte Marcia gestern Geburtstag?
Marcia: Ja, wir hatten ein paar Drinks mehr. Das war aber in der Nacht davor, als wir um Mitternacht tanzen gegangen sind. Da hat mein neues Lebensjahr begonnen.
Laura Jane Grace postete von ein paar Tagen, dass sie seit einem Jahr trocken ist. Wie ist es generell auf Tour? Besteht die Gefahr, sich allzu leicht Drogen hinzugeben? Immerhin ist eine Tour ja viel mit Warten verbunden – und ich nehme an auch mit Langeweile.
Marcia: Ich denke, das hat am meisten mit dem Alter zu tun. Als wir mit dem Touren begonnen haben, waren wir schon in den Dreißigern. Da bekommen wir auch nicht mehr so viel angeboten, wie es bei den Jüngeren der Fall ist. Drogen sind auch nicht unser Ding, Marihuana mal ausgenommen, aber das sehe ich nicht als Droge an.
Jenna: Ich denke, je größer du wirst als Band, desto mehr bekommst du auch in Sachen Drogen angeboten.
Marcia: Viel schwieriger ist aufzupassen, dass man nicht zu viel trinkt. Vor allem in Europa und insbesondere in Deutschland, wo immer ein Kasten Bier herumsteht. Wenn wir in Kanada touren, bekommst du zwei Getränkemarken. Und hier ist das Gegenteil der Fall, alles steht zur freien Verfügung.
Im letzten Song „Four hours of sleep“ auf der neuen Platte „Don’t Worry“ kommt ja ein wenig rüber, wie es so auf Tour ist. Wenn ihr auf die ganzen letzten Jahre, in denen ihr permanent unterwegs gewesen seid, zurückschaut – war es schlicht und einfach hart?
Jenna: Je öfter du auf Tour gehst, desto leichter wird es – aber auch härter. Du entwickelst eine gewisse Routine, du bekommst raus, was für dich geht und was nicht, du triffst mehr Leute, du hast sauberere Plätze, an denen du schlafen kannst, anstatt in besetzten Häusern schlafen zu müssen. Es wird aber auch schwerer – du weißt, es gibt einen Zeitpunkt auf Tour, an dem du krank wirst – es ist nur die Frage, wann. Wie bei mir gerade und das ist immer ziemlich frustrierend. Dazu kennst du jede Straße und jede Brücke, über die du fahren wirst, und weißt, dass irgendwas schiefgehen wird. Sei es, dass irgendetwas mit dem Van ist, oder wenn es eine Show ist, zu der kaum jemand kommt. Das von vornherein zu wissen, ist der nervige Teil daran.
Marcia: Das sehe ich genauso. Und deshalb ist es einfach wichtig, jemanden in deinem Team zu haben, auf den du dich verlassen kannst, wie unseren Fahrer Stephan. Er merkt, wenn etwas in der Luft liegt, und löst das Problem sofort. Wir wissen, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen. Es nimmt verdammt viel Last von unseren Schultern, und das jeden Tag. Und der härteste Teil am langen Touren ist wirklich, dass du sehr wenig Schlaf bekommst, was daran liegt, dass wir bei so vielen Leuten an verschiedenen Orten und verschiedenen Wohnungen schlafen. Die Leute sind so nett und großzügig, uns ihren Platz anzubieten, und dann merkst du plötzlich, dass es zwei oder drei Uhr morgens ist und du weißt, dass du um neun aufstehen musst. Zu viel Schlaf bekommst du jedenfalls niemals.
Wie viele Konzerte spielt ihr im Jahr? Bei der Hardcore-Band TERROR sind es 300.
Jenna: Was?! Das ist verrückt. Das würde ich niemals machen. Lass es bei uns um die 100 sein. 2016, als „Feeling Disconnected“ rauskam, waren es etwa 130.
Marcia: Und das hat sich nach viel angefühlt.
Jenna: In den Jahren davor waren es so um die 80. Zwischen einer LP und der nächsten sind es locker 150, und währenddessen schreibst du die Songs und gehst noch ins Studio.
Wie lang sind eure Pausen?
Marcia: Übermorgen verlassen wir München und fliegen nach Hause zurück, kommen abends an und am nächsten Morgen geht es für drei Wochen in den Osten Kanadas auf Tour. Es kann sich also zwischen Stunden und Wochen bewegen. Letzten Sommer hatten wir einige Wochen Urlaub.
Jenna: Ja, es waren zweieinhalb Monate und, ich glaube, die längste Zeit, die wir Pause gemacht haben. Es kamen auch keine kurzfristigen Auftritte dazwischen. Natürlich sind wir auch in dieser Zeit ziemlich beschäftigt.
Marcia: Ja, Jenna macht die ganzen Online-Vorbereitungen für unsere Releases, sie arbeitet quasi permanent.
Jenna: Ah, ich liebe es, wenn du beschreibst, was ich mache, haha.
Ist es schwierig, Beziehungen und Freundschaften daheim aufrechtzuerhalten, wenn man so viel in der ganzen Welt unterwegs ist?
Marcia: Klar, du vermisst die Leute, die du liebst.
Jenna: Wir sind zum Beispiel jeden Mai unterwegs, wenn Marcias Mom Geburtstag hat.
Verliert man Freunde?
Marcia: Ja. Wir haben mittlerweile aber so viele Freunde hinzugewonnen, an ganz verschiedenen Orten, was sehr schön ist. Morgen treffen wir zum Beispiel Freunde in München, worauf wir uns sehr freuen. Gleichzeitig vermisse ich meinen besten Freund in Kanada. Es ist einfach, wie es ist.
Jenna: Auch zu Hause kann man Freunde „auf Zeit“ haben, auch dort sehe ich einige sehr gute nur im Sommer, beim Sport zum Beispiel, und nicht im Winter, in dem wir einfach nichts machen.
Die Texte auf den vorherigen Platten gingen klar in eine depressive Richtung. Als ich die neue Platte gesehen habe, fragte ich mich, ob es textlich gesehen am Ende eine positive Platte ist. Dann habe ich sie gehört und dachte: Nein, das ist sie nicht. Euer neues Video „Escape plan“ drückt von den Bildern her eine angenehme, gemütliche Unbeschwertheit aus – vom dazugehörigen Text ist es das aber ganz und gar nicht. Wie passt das zusammen?
Jenna: Haha, I love that – das ist absolut richtig.
Marcia: Ja, das ist das Schöne, du packst einfach total ernste Lyrics in eine lustige, catchy Melodie.
Jenna: Ich habe den Text geschrieben. Er passt nicht zur Musik, aber die Musik passt zu den Bildern. Es war Sommer und wir dachten, lass uns ein Sommer-Video machen.
Marcia: Ich würde nicht sagen, dass der Text nicht dazu passt. Die Grundaussage ist ja „You will be okay“.
Jenna: Ja, du kannst nicht von der ganzen Scheiße weglaufen, du wirst zurückkommen. Die Situation, in der der Song entstand, war ein bisschen seltsam. Es war ein schöner sonniger Tag, ich war im Garten, war in einer guten Stimmung und hatte die Idee, jetzt einen Happy-Song zu schreiben. Und klar – der Text geht jetzt nicht unbedingt in dieselbe Richtung. Ich fühlte mich sehr inspiriert und hatte gleichzeitig das Gefühl, allein sein zu wollen. Und so ist dieser gegensätzliche Song entstanden. Wir haben keine poppigen Songs, die zu so einem Video passen würden, vielleicht „Thick & thin“ ...
Und „Satellite radio“ ...
Jenna: Ja, genau. Den habe ich ganz vergessen ...
Marcia: Der war ja auch auf unserem ersten Album.
Als ich mir eure neue Platte angehört habe, hatte ich den Eindruck, die Musik zu den Songs stammt von euch beiden, oder etwa nicht?
Marcia: Du hast recht, ich finde aber, auf dem letzten Album haben wir ein klein wenig mehr gemeinsam gemacht. Dieses Mal schrieb ich ein paar Songs, Jenna schrieb ihre Songs und es war eher so, dass jeder abwechselnd etwas beigesteuert hat.
Jenna: Wenn du dich hinsetzt mit der Absicht, zusammen einen Song zu schreiben, haut das meist nicht hin. So was klappt nie. Ich denke, es ist für uns einfacher, erst mal voneinander getrennt zu schreiben und das dann zusammenzufügen.
Und wie ist es bei den Texten?
Marcia: Das läuft komplett getrennt, da wir beide eine völlig unterschiedliche Art zu schreiben haben. Ich mache es am liebsten auf Tour im Van, da ist Zeit, da kann ich gar nicht aufhören, da fallen mir ständig Dinge ein, über die ich schreiben kann. Ich ziehe mich da zurück und kann es nicht haben, wenn mich jemand dabei beobachtet. Wenn ich dann zu Hause bin, feile ich an jeder Zeile dann noch 200-mal, bevor ich den Song Jenna zeige. Ich glaube meist, noch nicht fertig zu sein, und sie sagt dann, dass der Text passt.
Inwiefern spiegeln die Texte der neuen Platte eure persönliche Sichtweise wider? Ich erinnere mich an den Song „You’re not 23 anymore“ von der LP „Cities Away“, zu dem ihr mir erzählt habt, dass dieser aus der Sicht einer anderen Person verfasst sei und deshalb nicht eurer Ansicht entspricht.
Jenna: Ich denke, es sind dieses Mal sehr persönliche Geschichten. „Oh Irene“ habe ich zum Beispiel für meine Großmutter geschrieben, ein sehr persönlicher Song.
Marcia: Ja, das ist genau deine persönliche Geschichte, wie du es selbst siehst. Ich denke, wir erleben beide Herzschmerz und schreiben das aus unserer Sicht nieder. In einem Song steckt das gebrochene Herz von Jenna, in einem anderen meines, haha, so ungefähr läuft das ab.
Da gibt es aber viele gebrochene Herzen ...
Marcia: Haha, bei den zwölf Songs hätten wir die LP besser „12 Broken Hearts“ betiteln sollen.
Jenna: Deswegen heißt sie auch „Don’t Worry“!
Marcia: Manchmal fühlt man sich schon sehr bloßgestellt, da stehen Sachen drin, die ich sonst nicht mal meinem besten Freund erzählen würde.
Jenna: Mein Vater hat sich bei mir gemeldet und gefragt, ob es mir gut geht, nachdem er die Demosongs gehört hatte, die ich ihm geschickt hatte. Ich sagte ihm, dass sich die Familien keine Sorgen machen müssten, nicht umsonst heißt die Platte „Don’t Worry“.
Marcia: Das war ein Hinweis an unsere Freunde: „Ja, uns geht es beiden gut, macht euch keine Sorgen.“
In „Just went away“ heißt es: „I am sick of constantly feeling down and feeling sorry for myself“. Von wem ist der Song?
Jenna: Das ist von mir. Ich war mir nicht sicher, ob ich den Song auf dem Album haben wollte. Er ist so traurig und das haut rein.
Marcia: Ich finde den Song so verdammt gut – jeder von uns hat solche Gedanken.
Jenna: Ich leide nicht an psychischen Problemen, jedenfalls nicht mehr als jeder von uns. In diesem Song ging es um eine konkrete Situation, in der ich so dachte. Es ist nicht das Gefühl, mit dem ich normalerweise aufwache. Insgesamt betrachtet bin ich ein fröhlicher Mensch. Wobei ich ab und an auch ein wenig von einem Arschloch an mir habe. Vielleicht einmal im Monat, haha.
Marcia: Das ist dein Selbstschutz.
Jenna: Ich wäre auch ungern die Person, die immer down ist und feststeckt – das ist nicht gerade die positive Umgebung, in der ich sein möchte. Davon gibt es viele Menschen. Und man möchte helfen und weiß doch, dass sie es selbst schaffen müssen.
Wie würdet ihr die LP musikalisch beschreiben? Für mich wirkt sie „runder“, „erwachsener“, „smarter“. Sie ist nicht so hart und wütend wie „Feeling Disconnected“.
Marcia: Von der Produktion her finde ich, liegt sie genau zwischen „Cities Away“ und „Feeling Disonnected“. „Cities Away“ war unsere erste größere Erfahrung im Studio, die von sehr viel Spaß geprägt war. Bei „Feeling Disconnected“ sind wir einen Schritt zurückgegangen, wir wollten es so aufnehmen, wie wir live klingen, also nur Gesang, Gitarre und Drums. „Don’t Worry“ ist ein Mittelding. Jenna hat diesmal auch Bass gespielt, dieser folgt aber der Gitarre.
Jenna: Jedes Lied hat eine andere Art von Snare, Marcia hat um die zwanzig verschiedene. Als wir uns die Demos angehört haben, haben wir genau überlegt, welche Snare zu welchem Teil passt. Genauso haben wir überlegt, welcher Gitarrenklang zum jeweiligen Lied passt. Bei „Feeling Disconnected“ war jeder Song exakt gleich „eingestellt“, unser Produzent JP Peters hat buchstäblich gesagt, wir sollten bloß nichts anfassen, haha. So ist die neue Platte sicherlich aufwändiger produziert. Was wir uns auch vorgenommen hatten.
Jenna, wie wichtig sind dir deine akustische Sachen? Es gibt viele Videos von dir alleine mit der Gitarre.
Jenna: Es ist mir immer wichtiger geworden. Ich wollte irgendwann zurück zu den Anfängen, denn ich schreibe meine Songs akustisch, das sind die Wurzeln. Ich mag es auch, auf einem Album etwas anderes zu hören, wie etwa den Hidden Track auf unserem letzten Album. Für dieses Album haben wir uns einfach vorgenommen, einen Akustiksong aufzunehmen, wie zum Beispiel ALKALINE TRIO. Im Punkrock ist immer Raum für akustische Musik, besonders auf Festivals. Wir hatten das nicht unbedingt vor und auch sonst noch nie gemacht, aber die Leute haben sich das gewünscht und auch jeden Abend danach gefragt. So habe ich mir dann doch den Zugang zur ruhigeren Musik gewünscht. Und ich finde es interessant, auf unsere Platten etwas Abwechslung zu bringen, wie im Akustiksong „Four hours of sleep“.
Hast du vor, eine Solo-Platte zu machen?
Jenna: Ich habe mal kurz darüber nachgedacht. Nur wann sollte ich Zeit dafür haben?
Du hast ja auch Zeit, eine MOBINA GALORE-Platte zu schreiben.
Jenna: Exakt. Und ich werde nichts von der Zeit abschneiden, die ich für die eine Sache habe, und in eine andere stecken.
Marcia: Ich denke, du hast eine Zeit gehabt, in der du überlegt hast, dass die Songs zu einem Akustikset passen würden?
Jenna: Ja, das ist so.
Marcia: In zehn Jahren wirst du Songs über die letzten zehn Jahre rausbringen.
Jenna: Ich habe auch einen Ordner in meinem Handy, der „Solo-Songs“ heißt, in dem ich meine Ideen speichere.
Ihr seid sehr oft mit Laura Jane Grace auf Tour, sei es mit AGAINST ME! oder auch wie hier mit ihrem Solo-Projekt. Habt ihr irgendeine persönliche Beziehung zu ihr?
Marcia: Nur unsterblichen Respekt und Bewunderung. Der Kontakt zwischen ihr und unserem Labelchef Gunnar von Gunner Records kam vor langer Zeit zustande, als er AGAINST ME! mal auf Tour gefahren hat. So haben wir einen gemeinsamen Freund. Er hat Laura damals unsere erste LP geschickt und gefragt, ob sie uns mal mit auf Tour nehmen will, wenn AGAINST ME! eine machen. Irgendwie gefallen wir ihr, was sehr schön ist, da es ja jetzt wieder geklappt hat. Dieses Mal hat die Tour in Europa super reingepasst zwischen Festivalsaison und unserer anstehenden Kanadatour.
Ich habe in eurer Spotify-Playlist gesehen, dass ihr auch Musik von Rihanna, Lady Gaga, und Ani di Franco hört. In Deutschland ist es eher so, dass man als Punkrocker ausgelacht wird, wenn man Pop hört. In den USA ist es völlig normal, dass auch Hardcore-Bands Pop hören. Wie ist das bei euch in Kanada?
Marcia: Ich denke, in Kanada und den USA sind wir nicht auf ein Genre festgenagelt, ganz im Gegenteil, es ist ganz normal, auch andere Musikgenres zu hören als die, in denen du dich selbst bewegst.
Jenna: Im Gegensatz zu Kanada, in der auch Punkrock-Drummer wie Peter von der Punkrock-Band SINGLE MOTHERS noch in ganz anderen Genres unterwegs sind, scheint es hier eher so zu sein, dass ein Gitarrist einer Punkband nicht in einer anderen Musikrichtung auftauchen würde – und natürlich gibt es das auch bei uns. Wir machen halt die Musik, die uns gefällt, und es wird laut bei unseren Auftritten. Wenn ich aber dann in den Van gehe, möchte ich möglichst langsame und chillige Musik hören, wie FIRST AID KIT oder Taylor Swifts neues Album, weil es einfach so positiv ist. Ich meine, ich bin eine Songwriterin und es ist einfach sehr hilfreich, auch Einflüsse aus anderen Genres zu haben. Und manchmal stehen wir wirklich da und versuchen bewusst, mal einen Song im Stil irgendeiner anderen Band zu spielen, die mit Punkrock nichts zu tun hat, was es total interessant und einzigartig macht.
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