Bezüglich der Faktenlage über diese legendäre Bostoner Post-Punk-Band ist eigentlich in Ox #55 alles Wichtige gesagt worden. Nachdem man sich 1983 nach einer EP und einem Album wieder aufgelöst hatte, kehrte die Band überraschenderweise vor zwei Jahren mit einer famosen neuen Platte namens „ONoffON“ auf Matador zurück – in der Originalbesetzung Roger Miller, Peter Prescott und Clint Conley, nur Martin Swope war durch SHELLAC-Bassist Bob Weston ersetzt worden, der auch schon mit Prescott bei den VOLCANO SUNS gespielt hatte. Normalerweise lege ich wirklich keinen großen Wert darauf, mit Bands zu jeder neuen Platte ein Interview zu führen, aber wer zwei Jahre nach so einer gelungenen Reunion mit „The Obliterati“ ein weiteres dermaßen überragendes Album nachlegen kann, erzeugt schon ein gewisses Erkenntnisinteresse. Was die Beggars Group Germany scheinbar anders sah, die sich ansonsten um die Matador-Releases in Deutschland kümmert, weshalb „The Obliterati“ erst auf Umwegen in deutsche Plattenläden fand. Insofern stehen auch diesmal die Chancen schlecht, MOB in absehbarer Zeit mal auf deutschen Bühnen zu sehen. Ich sprach wie schon vor zwei Jahren mit Schlagzeuger Peter Prescott.
Hallo, Peter, wo erreiche ich dich eigentlich gerade?
Ich dem Plattenladen, wo ich arbeite. Ich mache das schon ziemlich lange, seit mindestens 15 Jahren. Früher machte es mehr Spaß, aber es ist immer noch besser, als bei irgendeiner Firma zu arbeiten. Roger war immer der Einzige von uns, der tatsächlich als Vollzeitmusiker gearbeitet hat. Aber ich bin zu streitlustig, um in dieser Hinsicht irgendwelche Zugeständnisse zu machen, haha. Wenn ich Musik mache, versuche ich es zu vermeiden, damit wirklich Geld verdienen zu müssen. Das ist meine Haltung dazu, denn ich kann mich in dieser Hinsicht nur sehr schwer verbiegen. Es muss mir schon Spaß machen, sonst geht es nicht.
Und wie informiert ist man über das aktuelle Geschehen in der Musikwelt, wenn man in so einem Laden arbeitet?
Ich glaube, mehr als die anderen in der Band. Entweder, weil ich darüber lese und mich im Internet informiere oder dadurch, dass viele Leute hier brandneue Promo-CDs herbringen. Ich kann so die meisten neuen Platten hören, die mich interessieren. Allerdings muss ich gestehen, dass mich die meisten jungen Bands, die in diesem Post-Punk-Revival-Kontext auftauchen, nicht besonders interessieren, vielleicht ein Generationsproblem, aber mir ist ein Großteil der Musik, die junge Leute gerade machen, einfach zu konservativ.
Heutzutage würden MOB ja auch nicht mehr für eine Punkband gehalten.
Haha! Ja, ich habe einige Reviews gelesen, wo die Leute darauf reagierten, als ob es eine Art Lärmangriff wäre. Aber für uns ist es nur unsere Version von Rockmusik. Aber in den Besprechungen, die oft von jüngeren Schreibern stammen, kommt es so rüber, als ob wir BLACK SABBATH oder die BOREDOMS wären, etwas wahnsinnig Intensives. Aber für uns ist das etwas ganz Alltägliches.
Aber „The Obliterati“ klingt auch wirklich verdammt laut und wütend.
Ja, die Leute empfinden das wohl so. Es ist halt unsere Art, uns auszudrücken, wir sehen es nicht unbedingt als laut und wütend an, aber ich verstehe, warum es andere Leute so sehen. Aber es ist wirklich nicht so, dass wir irgendwie besonders sauer wären und es jetzt an der Musik auslassen.
Ohne die Texte konkret vor sich zu haben, fällt es bei MOB immer schwer, ihnen wirklich folgen zu können. Gibt es diesmal eine deutlich politischere Tendenz? Ein Song wie „Nancy Reagan’s head“ vermittelt zumindest diesen Eindruck.
Nein, so was ist zwar da, aber es ist abstrakt gehalten. Uns als Band nervt die politische Situation in diesem Land natürlich schon gewaltig. Seit Bush das Sagen hat, ist es ein Alptraum an Inkompetenz und das hat dieses Land in eine völlig falsche Richtung manövriert. Aber nach einer gewissen Zeit stumpft man diesbezüglich auch etwas ab, weil er leider noch einige Zeit im Weißen Haus sitzt. Man könnte sich zwar jeden Tag darüber aufregen, aber das bringt ja nichts, das Beste ist also, sich dazu zu äußern und dann wieder seines Weges zu ziehen. Aber wir haben auch nie gerne Parolen geschwungen. Wir haben deshalb auch nie Texte bei den Platten mit abgedruckt, mal abgesehen von „Signals, Calls And Marches“, und da waren alle Worte einzeln alphabetisch geordnet, also musste man sich die Texte selbst wieder zusammensetzen, haha. Wir haben diesmal zwar mehr Wert als sonst auf die Texte gelegt, aber generell wollen wir einfach, dass die Leute mit uns interagieren und wir nicht nur eine akustische Hintergrundtapete sind, das heißt, wenn man sich unsere Musik anhören will, muss man uns schon auf halbem Weg entgegenkommen. Wenn man das nicht will, ist das durchaus verständlich, aber wenn man es tut, wird man dafür auch reichlich entlohnt. Aber selbst wenn man die Texte besser hören könnte, wüsste ich nicht, ob man sie dann auch besser verstehen würde, haha. Bei uns muss man schon etwas tiefer graben, als bei den meisten anderen Bands. Im Allgemeinen ziehen wir Abstraktion allzu offensichtlichen Sachen vor.
Weshalb man, auch wenn es blöd klingt, bei euch auch unweigerlich auf die Kategorisierung „Artrock“ kommt.
Das ist aber durchaus zutreffend. Wir haben unser Interesse für Kunst und das Spielen in einer Band immer als etwas betrachtet, was man durchaus kombinieren kann. Nur weil man in einer Rockband spielt, muss man nicht sämtliche Spuren künstlerischer Prozesse entfernen. Wir jedenfalls haben damit unsere künstlerischen Impulse zum Ausdruck gebracht.
Zwei Jahre ist es her, seit „ONoffON“ erschien, habt ihr danach ernsthaft damit gerechnet, noch eine Platte zu machen?
Nein, ganz sicher nicht. Wir spielten das Album ein und waren die nächsten acht Monate auf Tour. Und in diesem Zusammenhang entstanden immer neue Songs. Wir hatten uns nie entschieden, eine Platte aufzunehmen und dann angefangen, dafür Songs zu schreiben, aber wenn wir Songs haben, gut, dann können wir auch eine neue Platte machen. Für uns muss das eine natürliche Entwicklung sein. Wenn wir einen konkreten Plan gehabt hätten, hätten wir es wahrscheinlich vermasselt, haha. Aber wenn man sechs bis acht Songs hat, die einem wirklich gefallen, kann man auch darüber nachdenken, eine Platte zu machen. Und genauso könnte es sein, wenn wir mit den Gigs zu dieser Platte durch sind, dass wir vielleicht ein paar neue Songs haben und daran Interesse haben, sie aufzunehmen oder es einfach lassen. Und eines kannst du mir glauben, wenn wir eine Platte aufnehmen, soll da nichts drauf sein, was wir für nicht notwendig halten. Natürlich gibt es immer Leute, die einen Song mögen und den anderen nicht, aber wir bemühen uns wirklich sehr, Sachen zu vermeiden, die wir als mittelmäßig empfinden.
Obwohl jeder Song auf „The Obliterati“ individuelle Songwriter-Credits hat, fällt es wirklich schwer, die Songs konkret einer Person zuzuordnen. Ich dachte zum Beispiel immer, Clint wäre eher der Mann für die netten Melodien, wenn sie denn mal bei euch auftauchen.
Das stimmt generell auch, aber diesmal hatte er wohl weniger Bedenken, den Krach- und Power-Level bei seinen Sachen stärker zur Geltung kommen zu lassen. Ich kenne Clint ja lang genug und er war diesmal wesentlich aggressiver, das kann man gut raushören. Rogers Songs sind in der Regel komplexer und verschachtelt und meine dadaistisch-verrückt und übertrieben. Diesmal haben wir das stärker untereinander aufgeteilt, wodurch es auch schwieriger ist, zu sagen, wer für was verantwortlich war. Aber das finde ich auch gut. Es hat eh einige Zeit gebraucht, nachdem wir begonnen hatten, wieder zusammen zu spielen, wirklich organisch zu klingen.
Hattest du denn das Gefühl, dass nach den ganzen Superlativen im Zusammenhang mit „ONoffON“ jetzt auch ein gewisser Erwartungshaltungsdruck vorhanden war?
Das ist schwer zu sagen. Die übliche Sichtweise ist wohl, dass niemand erwartet, dass eine Reunion-Platte wirklich gut ist. Die, die mich wirklich begeistern konnten, kann ich an fünf Fingern abzählen. In der Regel sind Reunion-Platten eine armselige und farblose Imitation der Vergangenheit, und wir wollten nicht die Zeit von jemand mit so einer Platte verschwenden, und auch nicht unsere Zeit. Also sollte man schon alles da reinstecken, sonst ist es sinnlos. Und das ist natürlich eine große Herausforderung. Wir sind selbst sehr kritisch und haben unsere eigenen Standards, die wir erfüllen wollen.
Und einen Film soll es jetzt auch über MOB geben.
Ja, jemand hat vor vier Jahren mit einer Dokumentation begonnen. Wir haben es in gewisser Weise dadurch versaut, dass wir weitergemacht haben, haha, denn es sollte erst nur eine Dokumentation über ein paar Shows sein, wurde dann aber doch ein Film über uns in einem etwas breiteren Sinne. Und deshalb lag die Sache erst mal auf Eis, aber schließlich hat der Produzent jemanden gefunden, der alles sinnvoll zusammenschneiden konnte – er hatte wohl vor zwei oder drei Monaten seine Premiere. Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber die anderen und es gefiel ihnen, es muss wohl gut gemacht sein. Ich glaube, der Produzent will den Film im Herbst auf DVD veröffentlichen.
Gibt es denn überhaupt viel altes Material über euch, was man verwenden kann?
Mehr als wir dachten, haha. Wir hatten damals auf VHS eine Live-Aufnahme von uns veröffentlicht, aber es gab auch noch viele andere Leute, die LoFi-Videoaufnahmen in unterschiedlichsten Clubs von uns gemacht haben. Aber vieles stammt tatsächlich aus den Jahren nach 2002, aber sie haben wohl genug altes Material gefunden, um das auszugleichen.
Vielleicht kannst du abschließend noch was zum etwas rätselhaften Titel der Platte sagen, die ja erst „Aluminum Washcloth“ heißen sollte.
Clint und Roger denken sich schon seit Jahren Fantasienamen für Psychedelic-Bands aus, einen fanden sie besonders amüsant und zwar „Aluminum Washcloth“. Das war der Arbeitstitel für einige Monate, bis jemand im letzten Moment mit „The Obliterati“ ankam, womit wir uns in gewisser Weise einen Spaß mit den Illuminaten erlaubt haben, denn anstatt sozusagen Licht ins Dunkel zu bringen, wird bei uns alles nur noch undurchsichtiger. Und irgendwie blieb der Titel dann hängen, weil er allen gefiel.
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