MISERY INDEX

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Mind over Metal

„Sei nicht böse, wenn ich Blödsinn rede“, begrüßt mich ein etwas übermüdet aussehender Mark Kloeppel anlässlich unseres Interviews im November 2010 in der Hamburger Markthalle. „Wir sind seit vier Tagen in Europa und ich hab keine Nacht mehr als zwei Stunden geschlafen.“ Trotz der widrigen Umstände entpuppt sich der Mann, seines Zeichens Gitarrist der Death Metaller MISERY INDEX aus Baltimore, als angenehmer und besonnener Gesprächspartner, dem man seine Explosion auf der Bühne später am Abend so nicht zutrauen würde. Moment. Stand da gerade Death Metal? „Ja“ und nochmals „Ja“, denn das Quartett, das sich vor zehn Jahren nach Jason Nethertons Abgang als Bassist bei DYING FETUS bildete, spielt zwar einen derben Bastard aus Death, Grind und Hardcore, ist textlich und geistig aber unverändert tief im Hardcore und seiner ursprünglich sozialkritischen Aussage verwurzelt.

Du hast mal gesagt, dass die Seele eines Musikers sein Songwriting ist und nicht sein Equipment. Du schreibst ja einen Großteil der MISERY INDEX-Songs, bist du also die Seele der Band?

Nein, natürlich nicht, aber im Songwriting kommt die Persönlichkeit durch. Unser Songwriting ist immer noch eine Gemeinschaftsaktion. Ich schreibe halt pausenlos Unmengen an Riffs, die wir zusammen modifizieren. Adam, unser Drummer, hat auch viele Gitarrenparts parat, während ich umgekehrt an Drumpatterns arbeite. Deshalb haben wir ja so eine Mischung aus Grind, Thrash und Punk.

Von wegen Punk: Wie sehen eure Verbindungen zur Punk-Szene aus?

Adam und ich leben in der Innenstadt von Baltimore und ich arbeite als Security für die Otto Bar, in der wir beispielsweise Gigs für Bands wie MAGRUDERGRIND oder A WARM GUN gemacht haben. Außerdem spielen wir oft in Punk-Läden oder auf D.I.Y.-Konzerten von Freunden aus der Hardcore-Szene. Auch wenn wir rein musikalisch betrachtet eher Death Metal spielen, versuchen wir doch all diese Aspekte miteinander zu verbinden und sind wohl auch deshalb Teil all dieser Szenen.

Bestimmte Szenen bedeuten ja automatisch bestimmte Beschränkungen. Wenn ich nun „Heirs To Thievery“ höre, fallen zwei Songs aus dem Album heraus, nämlich „The spectator“ und „Day of the dead“, die beide sehr druckvoll und melodiös sind. Hattet ihr bewusst vor, mit eingängigeren Songs andere Leute zu erreichen?

Das ist lustig, dass du das sagst. Eigentlich sollten die beiden Songs gar nicht auf die Platte. „The spectator“ ist eigentlich ein Hardcore-Punk-Song, den Jason zum Spaß geschrieben hatte und der schon lange herumlag. Als er ihn uns dann vorstellte, waren wir begeistert und der Song ist sofort aufgenommen worden. „The day of the dead” ist entstanden, als wir im Studio Blödsinn gemacht haben. Ich hab den treibenden Rhythmus einfach mit der akustischen Gitarre aufgenommen, so als lustigen Akustik-Punk-Song. Die anderen fanden den Rhythmus großartig und so ist ein ganzer Song draus geworden, der mit der ursprünglichen Idee nichts mehr zu tun hat. Da wir einige Konzerte in Südamerika planten, wollten wir als Verbeugung vor unseren dortigen Fans etwas spanischen Text haben, auf Deutsch haben wir ja auch schon mal was gemacht. Einer der Jungs von A WARM GUN ist Spanier und hat mir mit der Übersetzung geholfen. Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört, Spanisch kannst du nicht einfach wie Englisch überall draufpressen, da muss der Rhythmus mit der Musik genau passen, sonst klingt es ganz seltsam.

Ihr seid trotz Death Metal inhaltlich sehr politisch. So ist euer aktuelles Album ein kritischer Rückblick auf die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner. Wie reagiert das US-Publikum darauf?

„Politisch“ ist kein guter Ausdruck für uns, ich würde es „politisch bewusst“ nennen. Kurz nachdem das Album draußen war, haben schon viele im Publikum die Texte gekannt. Wir spielen natürlich meistens vor Gleichgesinnten, aber die Leute, die sich mit der amerikanischen Geschichte auseinandergesetzt haben, stimmen unseren Inhalten und unserer Kritik natürlich zu.

Ich habe den Eindruck, dass Deutschland in der Auseinandersetzung mit seiner Geschichte weiter ist als Amerika, antifaschistische Songs einheimischer Punk-Bands gibt es wie Sand am Meer, kritische Lieder zur amerikanischen Geschichte scheinen mir von US-Bands eher selten zu sein.

Was damals in Europa passierte, war ja auch dramatisch. Eines der Themen von „Heirs To Thievery“ ist die Behandlung der Indianer durch unsere neo-koloniale Regierung, als sich das heutige Amerika westwärts ausdehnte. Um es mal unromantisch zu sagen: Sie wurden beiseite geschoben und ermordet, um Platz für den Fortschritt zu schaffen. Das Problem ist nur, dass das mittlerweile recht lange zurückliegt und kein aktuelles Problem für die Menschen ist. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in Amerika schleppender verläuft. Dabei darfst aber nicht ganz vergessen, dass die Darstellung Amerikas in den Medien falsch ist. Immer die Typen im Anzug und mit Schlips, die Blödsinn labern. Das siehst du pausenlos, aber in der Realität gibt es so etwas wie eine durchaus organische Arbeiterklasse, die keineswegs mit dem übereinstimmt, was bei uns vor sich geht. Leider haben diese Leute aber nicht die Macht, Dinge zu ändern, genauso wenig wie die Regierung noch wirkliche Macht hat.

Um noch mal auf das Stichwort „politisch bewusst“ zurückzukommen: Du hast mal gesagt, dass es nicht Sinn und Zweck sein kann, Band-Merch möglichst billig anzubieten, wenn die Herstellung irgendwo in Korea durch Kinderarbeit betrieben wird. Was ist die Konsequenz dieser Aussage für euch konkret?

Es hat etwas gedauert, bis wir das grundlegende Problem wirklich wahrgenommen haben. Wir haben uns nichts Konkretes vorzuwerfen, aber im Prinzip weiß ich nicht genug darüber, wo unsere T-Shirts zu welchen Bedingungen produziert werden. Aktuell haben wir gerade was von Freunden drucken lassen, wo wir genau wissen, wer was wie macht. Deren Firma heißt Monolithic Merchandise, und Scott McPherson, der mal bei DISKREET gespielt hat, hat die Sachen designt. Ich denke, das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, zurück zu unseren Wurzeln.

BOLT THROWER drucken ihre Shirts ja sogar selbst und CLUTCH haben unlängst mit „Weathermaker“ ihr eigenes Label gegründet. Ist das auch eine Alternative für euch?

Du meinst zurück zu D.I.Y.? Wir haben schon Anarchos Records am Laufen, wo damals das Album „Dissent“ erschienen ist und aktuell die „Pulling Out The Nails“-CD, die alle unsere Split-Veröffentlichungen enthält. Von uns hat aber keiner vor, sich eine Druckpresse zuzulegen oder das Label professionell zu betreiben. Wir wollen Musik machen, auf der Bühne stehen und die Welt sehen.