Was als Pandemie-Projekt begann, hat bei MILITARIE GUN in kürzester Zeit eine beeindruckende Entwicklung hingelegt. Nicht nur, dass die zunehmend spannende kalifornische Band um Frontmann Ian Shelton in zwei Jahren bereits eine ganze Menge Musik veröffentlicht hat und das Debüt nun mit Major-Unterstützung erscheint, auch künstlerisch geht es auf „Life Under The Gun“ mit großen Schritten voran. Dabei liebt es Shelton in allen Belangen zu übertreiben, distanziert sich aber von jeder Form der Ironie.
Ihr beschreibt euer neues Album selbst als „eine Sammlung weltbewegender, absurder Punk-Hymnen“. Sorgt die Absurdität für die Raffinesse, wenn der Sound in erster Linie ziemlich geradeaus ist?
Absurdität kann definitiv als Gegenstück zu „in your face“ gelesen werden. Prinzipiell mag ich es aber einfach, einen Filter auf die Dinge zu legen, die ich sagen möchte, und sie unwirklich erscheinen zu lassen. So werden bestimmte Nuancen betont, so dass schließlich nur noch eine extreme Variante der eigentlichen Idee präsentiert wird. Das kann so weit gehen, dass das Gegenteil von dem gesagt wird, was ursprünglich gemeint war. Das reicht von den Instrumenten über die Texte bis hin zur Optik: Es soll alles mutig und absurd wirken.
Ist das Absurde für dich eine Form der Realitätsbewältigung?
Absurdität ist für mich definitiv eine Möglichkeit, mit der Realität fertig zu werden. Schon als ich jünger war, habe ich all das Schlimme, das mir widerfahren ist, verarbeitet, indem ich sie in eine Cartoon-Version des eigentlich Geschehenen verwandelt habe. So entstehen dann Musikvideos, in denen ich ein Baby bin, das in den Weltraum geschleudert wird. Es geht darum, traumatische Dinge zu nehmen und sie als Komödie umzugestalten. Nicht, dass ich als Baby wirklich ins Weltall geschossen worden wäre, es geht darum, den Missbrauch, den ich erfahren habe, neu zu verpacken, es lustig zu gestalten und so für mehr Menschen zugänglich zu machen.
Auch das Video zu „Very high“ versetzt den Zuschauer in eine unerwartete, absurde Umgebung. Als Musiker, der auch als Filmemacher arbeitet, was ist dein Rezept für ein gutes Musikvideo?
Meine eigene Erwartung, was ein gutes Musikvideo ausmacht, kann sich komplett ändern, je nachdem, was der Song verlangt. Letztendlich denke ich, dass man am Ende etwas anderes sehen muss als am Anfang, es muss eine Reise geben. Für „Very high“ wollten wir etwas machen, das sich wie das Album anfühlt und sich mit den zentralen Themen beschäftigt. Das endete schließlich in diesem Zweitausender-Teen-Drama-Intro, in das ich einfach nicht hineinpasse.
Wer ist für das absurd großartige Artwork des Albums verantwortlich? Natürlich sollte man nie zu viel erklären, aber kannst du grob umreißen, worum es geht?
Das Artwork ist von Christopher Leckie. Er ist Art Director bei unserem Label Loma Vista und ich war schon Fan seiner Arbeit, bevor wir dort überhaupt gelandet sind. Es wurde mehrfach überarbeitet, aber ich habe immer darauf bestanden, dass jemand zu sehen ist, der von einem Stein zerquetscht wird, während alle anderen ihr normales Leben führen. Ich denke, das zentrale Thema der LP ist, dass jemand etwas durchmacht, das niemand sonst sieht oder von allen ignoriert wird, und das war für mich das perfekte Bild, um dies zu veranschaulichen.
Wie viel Raum für Humor und Sarkasmus ist in der Musik von MILITARIE GUN? Wie viel für Zerbrechlichkeit und Sensibilität?
Humor und Sarkasmus sind bei MILITARY GUN ist eine große Sache. Ich benutze die Dinge, um offener zu sein und damit die melodramatischste Version einer Idee zu formulieren. „Never fucked up once“ ist offensichtlich ein sehr sarkastischer Titel. Niemand auf der Welt kann sagen, dass er noch nie einen Fehler gemacht hat. Mein Ziel war es, in dem Song etwas über Bedauern zu schreiben und diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Bei all dem möchte ich aber niemals ironisch rüberkommen, denn ich bin kein großer Fan von Ironie. Sarkasmus und Humor sollen dazu dienen, sich dem Publikum zu öffnen und nicht sich von ihm abzuschirmen. Letztendlich möchte ich also, dass der Humor in der Musik eine tiefere emotionale Verbindung mit dem Publikum herstellt, anstatt so etwas wie eine Mauer zwischen uns und ihm zu errichten.
Ist dir aufgefallen, dass „Never fucked up once“ auch ein Song von OASIS sein könnte? Ein absurder Gedanke oder kannst du dir auch vorstellen, dass Liam Gallagher ihn singt?
Ich bringe den Song nicht unbedingt mit OASIS in Verbindung, aber jetzt kann ich tatsächlich auch Liam Gallaghers Stimme hören. Der Gedanke ist absurd, aber ich mag ihn, haha.
Eine überraschende Assoziation, die ein guter Beweis für die rasante musikalische Entwicklung von MILITARIE GUN ist. Wie fühlt sich diese für dich an? Verfolgt ihr ehrgeizige musikalische Pläne oder sind die Fortschritte ganz von selbst passiert?
Wir sind mit der Band gestartet und haben versucht, uns so schnell wie möglich weiterzuentwickeln. Wegen der Pandemie haben wir anderthalb Jahre nichts anderes gemacht als zu proben und zu schreiben. Daher war ein Großteil des Albums bereits geschrieben und existierte als Demos, bevor wir auch nur eine Show gespielt hatten. Was aber am wichtigsten ist: Wir haben so lange damit gewartet, unsere Entwicklung zu präsentieren, bis wir die Gelegenheit hatten, alles vernünftig aufzunehmen und zu veröffentlichen, weil wir wussten, dass wir etwas Besonderes hatten. Und ehrlich gesagt, brauchte ich auch die Zeit, um als Sänger besser und nuancierter zu werden. Ich würde nicht sagen, dass wir uns beim Schreiben jemals ein ehrgeiziges Ziel gesetzt haben, es geht nur darum, das, was uns vorschwebt, auch entsprechend umzusetzen. Wir lieben einfach eingängige Songs mit großen Refrains, also haben wir uns, je mehr wir gelernt haben, auch weiter in die Sache reingesteigert. Für mich ist ein wichtiger Aspekt von Punk, dass man versucht, Musik zu spielen, die außerhalb der eigenen Fähigkeiten liegt. Und ich finde, dass wir einen guten Kompromiss zwischen unseren Ambitionen und unseren tatsächlichen Fähigkeiten gefunden haben.
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