Der Drumsound war über die Jahrzehnte hinweg immer ein charakteristisches Merkmal in der Musik von NEW MODEL ARMY. In den ersten knapp zwei Jahrzehnten der Bandgeschichte geprägt von Robert Heaton und nach dessen tragischem Krebserkrankung seit 1998 von seinem langjährigen Techniker und Freund Michael Dean. Mit ihm wird der Sound der Band noch mehr durch vielschichtige Tom- und Floortom-Rhythmen beeinflusst und auch am Songwriting der Band hat er von Album zu Album einen immer stärkeren Anteil. Das Interview fand in sehr relaxter Atmosphäre vor einem Konzert im Amsterdamer Melkweg statt.
Michael, hast du eigentlich als kleiner Junge zu Hause bei deinen Eltern schon auf irgendwelchen Dingen herumgetrommelt?
Tatsächlich habe ich als kleiner Junge die Kissen auf dem Sofa meiner Eltern als Schlagzeug angeordnet und darauf herumgetrommelt. Meine erste Snaredrum habe ich bekommen, als ich gerade mal fünf Jahre alt war. Meine Eltern hatten die in einem Musikshop in Leeds gekauft, damit ich etwas zum Herumtrommeln hatte. Natürlich stellten sie ziemlich schnell fest, dass die Snaredrum sehr laut war, und meine Eltern fragten mich tatsächlich, ob ich die Trommel leiser drehen könnte. Da das natürlich nicht möglich war, musste ich zum Spielen immer ein Handtuch über die Trommel legen und dann war die Trommel fast leiser, als es die Kissen vorher gewesen waren.
Haben deine Eltern dich bei dem Wunsch, Schlagzeuger zu werden, unterstützt?
Oh ja, meine Eltern haben mich da immer unterstützt und sie haben über Jahre hinweg den permanenten Krach bei uns zu Hause ertragen, ohne sich groß zu beklagen. Als ich Jahre später, so ungefähr mit 14, mein erstes richtiges Schlagzeug bekam, durfte ich es hinter dem Sofa im Wohnzimmer meiner Eltern aufbauen und habe da mit Kopfhörern zu THE CLASH getrommelt. Für das Schlagzeug hatte ich lange gespart, ein paar Gelegenheitsjobs gemacht und den Rest haben dann meine Eltern dazugegeben.
Welche Drummer haben dich als Jugendlicher damals besonders fasziniert?
Natürlich Topper Headon von THE CLASH, und schon damals war ich großer Fan von Robert Heaton von NEW MODEL ARMY. Außerdem noch Mark Brzezicki von BIG COUNTRY, der zwar aus einer ganz anderen musikalischen Richtung kommt, aber ein großartiger Drummer mit einer ganz besonderen Technik ist.
Hast du jemals Unterricht gehabt oder hast du dir alles selbst beigebracht?
Nein, ich hatte niemals Unterricht und habe mir tatsächlich alles selbst beigebracht. Ich bin aber einmal zu einer Unterrichtsstunde gegangen, nur um zu sehen, wie das wäre, aber es hat mir nicht gefallen. Der Lehrer hat mir versucht beizubringen, wie man Musik liest, und das wollte ich auf keinen Fall. Das war einfach nicht mein Ding, denn ich wollte die Musik fühlen, hören und erinnern, aber nicht auf Papier lesen. Ich sehe so viele technisch brillante Drummer, die jede noch so komplizierte Figur spielen können, aber meistens langweilt mich das. Dabei geht so viel Gefühl verloren, und eben das versuche ich in mein Spiel hineinzulegen. Ich bin bestimmt kein technisch großartiger Drummer, aber ich spiele meine Rhythmen so, wie ich sie fühle. Manche würden bestimmt sagen, ich könnte dieses oder jenes anders spielen, aber so fühle ich es eben und versuche, so leidenschaftlich wie möglich zu spielen.
Ab welchem Alter bist du losgezogen und hast dir Bands live angeschaut?
Ich bin als Jugendlicher gar nicht bei vielen Gigs gewesen, aber ich hatte das Glück, immer älter auszusehen, als ich wirklich war. Sonst hätte mich mit 14 oder 15 niemand bei irgendwelchen Gigs hineingelassen. Aber da ich älter aussah und mit älteren Freunden unterwegs war, kam ich meistens auch rein. Da ich aber auf dem Land in Yorkshire aufgewachsen bin, war es ziemlich schwierig, überhaupt in die weit entfernte Stadt zu kommen, um Bands live sehen zu können. Viel mehr als bei Live Shows habe ich mir Bands aber im Fernsehen angesehen und als meine Eltern ihren ersten VHS-Videorekorder hatten, habe ich Bands aufgenommen, um von ihnen zu lernen. Da habe ich immer und immer wieder geschaut, wie die Schlagzeuger spielen, was sie machen und wie sie die einzelnen Trommeln anschlagen. Das hat für mich gut funktioniert und außerdem habe ich damals die alten Musikbox-Singles – die mit dem großen Loch in Mitte – gesammelt, die ein lokaler Zeitungsladen damals verkaufte. Da habe ich am Wochenende immer mein letztes Taschengeld ausgegeben und kam so an ich immer neue Musik heran. Meine Eltern haben sehr früh mitbekommen, dass ich mich für Musik begeisterte, und ich habe schon als kleiner Junge immer wieder den Tonarm des Plattenspielers meiner Eltern auf die Platte gelegt und dann habe ich solange die Platten gewechselt, bis ich irgendwann beim Musikhören eingeschlafen bin. Ich habe einfach alles von Elvis über Sinatra bis zu den EVERLY BROTHERS gehört, solange es nur Musik war.
Wann hast du angefangen, mit anderen Musikern zusammen zu spielen?
Das war in der Schule, obwohl ich einen Musiklehrer der alten Schule hatte, der sich nur für Klavier und überhaupt nicht für moderne Musik interessierte. Fürs Schlagzeug hat der sich schon gleich gar nicht interessiert, weil es ihm sicherlich viel zu laut war. Glücklicherweise spielte mein Kunstlehrer Gitarre und als ich mein Schlagzeug bekam, hat er gleich zu mir gesagt, ich solle es mit zur Schule bringen. Also brachten meine Eltern das Schlagzeug in die Schule und dann haben wir in der Mittagspause im Kunstraum zusammen geübt. Mein Kunstlehrer war ein cooler Typ, spielte gut Gitarre und so hat er mich vorwärts getrieben. Wir spielten Rocksongs von Bryan Adams und so was, aber wir hatten viel Spaß, und als dann noch ein Mitschüler am Bass dazu kam, hatten wir unsere erste Band zusammen. Die zweite Band, in der ich als Schüler spielte, war eine Tanzkapelle, die bei Feierlichkeiten im örtlichen Gemeindehaus auftrat. Ein Freund meines Onkels spielte Akkordeon, dann kam noch ein Typ mit akustischer Gitarre und ein Bassist dazu, und auch ein Geiger war mit am Start. Mein Schlagzeug haben wir in der Ecke neben einem alten Billardtisch aufgebaut und dann habe ich mit diesen Typen Tanzmusik gespielt. Das war ein großartiger Spaß und es war völlig egal, dass ich nicht mal halb so alt war wie der Rest der Musiker. Die tranken einfach ein paar Pints und waren mit echter Leidenschaft bei der Sache.
Wie bist du später zum Punkrock gekommen?
Als ich mit der Schule fertig war, wohnte ich immer noch zu Hause. Und ich hatte eine Anzeige im New Musical Express gelesen, dass ein Drummer für eine Band gesucht wird. Man sollte nur eine Kassette einschicken, um ein Vorspielen zu bekommen. Das habe ich gemacht, denn ein Tape von mir hatte ich schon mal aufgenommen, und prompt wurde ich zum Vorspielen eingeladen. Der Zufall wollte es so, dass das Demotape dieser Band von NEW MODEL ARMY-Drummer Rob produziert wurde, und so lernte ich Rob dann kennen. Ich bekam den Job, bin nach Bradford umgezogen und habe dann mit der Band viele Gigs im Raum Bradford gespielt. Rob kam natürlich bei vielen Gigs vorbei und so wurden wir im Laufe der Zeit Freunde. Irgendwann kam Rob dann zu mir und sagte mir, dass er mich eigentlich nicht meiner Band ausspannen möchte, aber selbst dringend einen guten Drum-Techniker für die Touren von NEW MODEL ARMY bräuchte. Er fragte mich, ob ich daran interessiert wäre. Was für eine Frage, natürlich wollte ich das machen. Und ich hatte ja zwischen den einzelnen Touren immer noch genug Zeit, mit meiner eigenen Band zu spielen.
Hast du nach der Schule gleich gewusst, dass du professioneller Drummer werden willst, oder hast du erst mal einen normalen Beruf gelernt?
Als ich nach der Schule zum College ging, wollte ich Koch werden. Mein erstes Geld – so im Alter von 14 – habe ich mit einem Job als Kellner in einem Café verdient, und später auf dem College habe ich dann in so einem dualen System gelernt, dem so genannten „Youth Training Scheme“, wo man einen Tag auf dem College war und fünf Tage im Restaurant gearbeitet hat. Aber viel Geld konnte man bei dieser dualen Ausbildung nicht verdienen und ich habe nebenbei immer versucht, viele Gigs mit der Band zu spielen. Auf der „Love Of Hopeless Causes“-Tour 1993 war ich dann das erste Mal als Drum-Techniker mit NEW MODEL ARMY auf Tour und seitdem bin ich mit der Band unterwegs.
Hast du zwischen den Touren noch Zeit und Lust, zu Hause für dich selbst zu üben?
Zu Hause übe ich eigentlich nicht besonders viel. Auf Tour hatte ich immer viel Zeit, auf Robs Drumset zu spielen und im Laufe der Zeit gewann der Drum-Tech in mir die Oberhand gegenüber dem Drummer selbst. Ich lernte auf Tour so viele andere Drummer kennen und habe zum Beispiel für Rat Scabies auf seiner letzten Tour für THE DAMNED gearbeitet, so dass mein eigenes Trommeln etwas ins Hintertreffen geriet. Ich war auch mit Kirsty MacColl unterwegs, denn damals war Dave Ruffy von THE RUTS ihr Schlagzeuger und ich war sein Techniker. Und Simon Wright, den Drummer von DIO, nicht zu vergessen, für den ich auf einer Tour gearbeitet habe. Von all diesen Typen habe ich so viel über Technik und Stimmen des Drumsets gelernt und alle Einflüsse wie ein Schwamm in mich aufgesogen. Insbesondere Dave Ruffy war für mich ein großer Einfluss, weil er mit unglaublich viel Hingabe spielte.
Und dann begannen gegen Ende der Neunziger Roberts gesundheitliche Probleme ...
Ja, es begann damit, dass er 1997 diesen Hirntumor hatte, und als ich ihn eines Tages im Krankenhaus besuchte, hatte er die Entscheidung getroffen, dass er – nach nunmehr 17 Jahren in der Band – aufhören würde zu trommeln, um sich um seine Gesundheit zu kümmern. Als er mich fragte, ob ich seinen Platz einnehmen würde, war das für mich eine absolute Ehre, anderseits natürlich auch ein wenig beängstigend, weil die Band ja schon sehr groß war und auch weil Robert selbst ein so fantastischer Drummer war. Ich bin heute immer noch stolz, dass ich in der Band sein und seine Songs spielen darf. Natürlich schreibe ich heute auch meine eigenen Songs, aber Roberts Stücke zu spielen, ist mir wirklich eine Ehre.
Musstest du lange überlegen, bevor du das Angebot angenommen hast?
Nein, überhaupt nicht. Und vor allem war es für Robert klar, dass ich den Job machen würde, weil er ja wusste, dass ich es konnte. Ich musste natürlich noch ein paar Dinge, insbesondere stilistischer Art, ausarbeiten, um einspringen zu können, aber die Songs kannte ich natürlich schon jahrelang.
Inwieweit bist du auch in das Songwriting der Band involviert?
Es ist so, dass Justin sehr gern mit Schlagzeugern zusammen Songs schreibt. Er und Robert arbeiteten schon großartig zusammen, was das gemeinsame Schreiben von Song betraf und bei Justin scheint es so zu sein, dass er einen neuen Song sehr gern mit dem Drumbeat beginnt. Das war schon immer so und scheint ihn sehr zu inspirieren. Justin schreibt zwar ständig irgendwelche Texte, aber manchmal starten wir einfach mit einem Beat und dann spielt er ein Gitarrenriff dazu. So entstehen viele unserer Songs. Ich glaube, Justin wollte eigentlich Schlagzeuger werden, aber er kann es einfach nicht. Aber er liebt eben, was wir Drummer spielen.
Hast du jemals versucht, noch ein anderes Instrument zu lernen?
Als ich noch jünger war, hätten meine Eltern es gern gesehen, wenn ich Klavier gelernt hätte. Aber für mich war das nichts und so habe ich ihnen gesagt, dass ich ausschließlich Schlagzeuger werden wollte. Jetzt habe ich ein Klavier bekommen und versuche, mir selbst das Pianospielen beizubringen. Heute liebe ich es, aber ob ich es wirklich schaffe, musst du mich fragen, wenn wir uns das nächste Mal treffen. Ich nehme keine Unterrichtsstunden, aber ich schaue sehr viele Videos auf You Tube und versuche von den Pianisten zu lernen. Wahrscheinlich wird das Lernen heute etwas länger dauern als damals, als ich mit 14 mit Hilfe von VHS-Videos Trommeln gelernt habe.
Gibt es Unterschiede zwischen deinem Live- und deinem Studio-Drumming?
Oh ja, live zu spielen macht einfach viel mehr Spaß. Studioarbeit ist jetzt nicht wirklich langweilig, kann aber manchmal schon sehr monoton werden. Ich versuche, im Studio immer gut vorbereitet zu sein, aber es kann schon vorkommen, dass ich für einen Song mehrere Anläufe brauche, und je länger sich ein Studiotag hinzieht, desto müder wird man natürlich auch. Also klingen Stücke einfach frischer, wenn man sie in möglichst wenig Takes eingespielt hat. Aber mit NEW MODEL ARMY live zu spielen, ist für mich das Größte. Ich liebe einfach die Energie und das Feedback unseres Publikums.
Hast du unter den vielen Alben, die du aufgenommen hast, eine Lieblingsplatte, egal ob sie dir wegen der Songs oder deines Sounds am besten gefällt?
Ich habe natürlich viele Lieblingssongs, aber von den Alben gefällt mir „Between Dog And Wolf“ am besten. Den ersten Track, „Horseman“, hatten Justin und ich eigentlich für ein Album der Poetin und Sängerin Joolz Denby geschrieben, und von diesem ersten Song bis hin zum letzten Track „Ghosts“ ziehen sich sehr vielschichtige Drum-Rhythmen durch das Album. Justin und ich hatten die Idee, diese Drums als Konzept für das ganze Album zu nehmen, und das Ergebnis liebe ich wirklich sehr. Man kann also sagen, dass auf diesem Album sehr viele meiner Einflüsse zu hören sind. Auch auf dem neuen Album ist mit „Born feral“ ein Song drauf, der genauso gut auf „Between Dog And Wolf“ hätte erscheinen können, weil er durch die Vielschichtigkeit der Drums, mit vielen Toms und Floortoms, eine ähnliche Art von Song geworden ist.
Hast du in den Tourpausen von NEW MODEL ARMY eigentlich noch Zeit für andere musikalische Projekte?
Nein, wir sind mit der Band einfach viel zu beschäftigt, so dass ich in den wenigen Wochen, die ich zu Hause bin, ganz für meine Familie da sein möchte. Ich habe zwei Kinder, elf und dreizehn Jahre alt, die mich gut auf Trab halten. Mein jüngerer Sohn hat zu Hause ein Schlagzeug und übt fleißig, während mein ältester Sohn sich selbst beibringt, Akustikgitarre zu spielen. Die musikalischen Gene scheinen sich also weitervererbt zu haben, und da bleibt mir für andere Projekte wirklich keine Zeit.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #130 Februar/März 2017 und Christoph Lampert