MELONBALL

Foto© by Michael Fasching

Das Aushalten von Gleichzeitigkeiten

MELONBALL aus Nürnberg ziehen seit 2019 erfolgreich durch die europäischen und demnächst auch kanadischen Lande, spielen auf Festivals und in zahlreichen Clubs und haben dabei druckvoll produzierte Skatepunk-Songs im Gepäck. Im Rahmen des Mission Ready Festivals war es daher an der Zeit, mit Sängerin Oli und Gitarrist Basti zu klären, was die Band antreibt.

Wir fangen mal mit dem besten Dislike an, den ich über euch im Netz gefunden habe. „MELONBALL klingen, als ob Christina Aguilera bei RISE AGAINST sänge.“ Würdet ihr da inhaltlich mitgehen?

Oli: Haha, den kennen wir noch nicht. Ich bin ja ein Kind der 1990er und 2000er Jahre und Christina Aguilera ist, abgesehen davon, was sie verkörpert, rein objektiv betrachtet eine sehr gute Sängerin.
Basti: Gegen RISE AGAINST ist aber auch nichts zu sagen. Die gehören zu den Bands, von denen ich mich inspirieren lasse, neben MILLENCOLIN oder auch BAD RELIGION.
Oli: Ich finde es interessant, dass die Menschen bei nicht männlichen Stimmen immer sofort nach einem konkreten Vergleich suchen. Das zieht sich durch mein Leben, seitdem ich singe.

Da können wir an die Diskussion um die Etikettierung von Bands als „female-fronted“ und die Gegenaktion „Female-fronted is not a genre“ anknüpfen. Ich selbst mag Punk mit weiblichem Gesang sehr gerne und teste Bands auch schneller an, wenn ich das lese.
Oli: Es ist schön, dass immer mehr Leute sich des Themas bewusst sind. Und wenn sie eine Band noch nicht kennen, brauchen manche Menschen offenbar diese Einordnung, um zu wissen, dass da eine weibliche Person singt. „Female-fronted is not a genre“ haben wir aber auch deshalb mehrfach proklamiert, weil wir uns eine Entwicklung wünschen, an deren Ende es keine Rolle mehr spielt. Entweder du magst eine Band oder nicht. Ob da eine männlich oder weiblich gelesene Stimme singt, sollte dann irrelevant sein. Nachdem wir da aber noch nicht sind, ist es ein Label, das manche Menschen noch brauchen und das der Awareness und den Booker:innen noch weiterhilft. Für mich als Musikerin ist es anstrengend, immer wieder damit konfrontiert zu sein, weil ich mir denke: Okay, ich bin eine Frau in einer Band, aber das ist doch nicht das Einzige, um das es gehen soll und was uns als Band und unseren Sound definiert. Ein zweischneidiges Schwert.

Wenn man sich das Billing heute auf dem Festival anschaut, dann spiegelt sich auch die Tendenz wider, dass Frauen bevorzugt die Gesangsrolle innehaben und es wenige Instrumentalistinnen gibt. Bei euch, BLOOD COMMAND und SVETLANAS ist das der Fall. Woran kann das liegen?
Oli: Oh, ich habe ganz viele Erklärungen dafür und zum Glück ändert sich das langsam. In der überschaubaren europäischen Skatepunk-Bubble, in der wir uns bewegen, wird es schon immer mehr. Ich bin jetzt Mitte dreißig und in meiner Generation haben die Mädchen, überspitzt gesagt, Klavierunterricht bekommen oder Geige gelernt. Und die Jungen andererseits hatten dann Schlagzeug- und Gitarrenunterricht. Das hat natürlich auch strukturelle Gründe, die zum Teil in den Familien durch traditionelle Rollenbilder weitergegeben werden. Ganz plakativ gesagt: Der Junge darf auf die Kacke hauen und das Mädchen muss brav sein. Diese Strukturen brechen aber gerade auf und vielleicht müssen wir einfach noch ein paar Jahre Geduld haben. Es gibt ja bereits gute Beispiele dafür wie MAID OF ACE. Es werden immer mehr und das ist gut.
Basti: Aus meiner Perspektive würde ich noch ergänzen, dass es auch an Berührungsängsten liegen könnte, ein Instrument auszuprobieren, das mehr auf Körperlichkeit angelegt ist. Schlagzeug und Gitarre sind Instrumente, die man sehr dynamisch spielt und ich kann mir vorstellen, dass männliche Instrumentalisten in dieser Hinsicht auch einschüchternd wirken können und nicht als Vorbild taugen.
Oli: Du wirst als weibliche Instrumentalistin auch mehr kritisiert, finde ich. Da hast du das Gefühl, immer 200% abliefern zu müssen, um ernst genommen zu werden.
Basti: Und das führt wieder dazu, dass nur wenige Lust haben, sich dem auszusetzen. Inklusive Sprüchen wie: „Für eine Frau machst du das aber gut.“ Ein absolutes No-Go.
Oli: Auch mir wurde in der Vergangenheit gesagt, ich hätte ja eine schöne Stimme, aber zu Punk würde die doch nicht passen, dafür sei sie nicht laut oder rotzig genug. Und ich habe jahrelang geglaubt, in diesem Genre nicht stattfinden zu können.

Außer über Ausgrenzung sprechen Frauen auch teilweise von einer Vereinnahmung ihrer Weiblichkeit. Jen Razavi von den BOMBPOPS sagt zum Beispiel, sie bekäme Vorwürfe, dass sie als Frau keine feministischen Themen behandele. Dabei wolle sie doch einfach nur in einer Punkband Musik machen, unabhängig von ihrem Geschlecht.
Oli: Dafür habe ich aus den eben genannten Gründen Verständnis, auch für sie gilt „Female-fronted is not a genre“. Genauso legitim ist es aber, wenn andere den Wunsch haben, den Finger in die Wunde zu legen und diese Themen aufs Tapet zu bringen. Wir als Band sind auch intern sehr diskussionsfreudig, sei es bezogen auf gesellschaftskritische oder politische Themen, und das ist natürlich eines davon. Explizit spreche ich dieses Thema in unseren Texten bisher nicht an, das kommt aber sehr sicher noch.
Basti: Aber du strahlst es auf der Bühne aus. Es kommen etliche Leute nach den Shows zu dir und fühlen sich von dir inspiriert. So nehme ich das als Beobachter wahr.

Rund um das Booze Cruise Festival, auf dem ihr auch gespielt habt, gab es eine große Kontroverse, zu der ihr auch auf eurer Facebook-Seite ein langes Statement abgegeben habt. Dem Veranstalter wurde seitens der Band TRIPSUN vorgeworfen, er sei ein Rassist, weil er auf einem privaten Social-Media-Account Seiten folgt, die sich gegen Antisemitismus aussprechen und die Verbindungen zwischen der Hamas und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNWRA dokumentieren. Es kam zu heftigen Diffamierungen und Boykottaufrufen. Bands und Veranstalter wurden zum Teil bedroht. Der Veranstalter hat sich – meiner Meinung nach völlig zu Recht – gegen die Vorwürfe gewehrt und das Festival trotzdem stattfinden lassen. Mehrere Bands aus dem UK und den USA sind daraufhin – teils aus Überzeugung, teils aus Angst vor Repressionen – abgesprungen. Seid ihr im Vorfeld auch in Mitleidenschaft gezogen worden?
Oli: Glücklicherweise standen wir relativ weit unten auf dem Billing und die Kritik ist eher von oben nach unten gerieselt. Diese harten Beleidigungen, Anfeindungen und Drohungen haben wir zum Glück nicht bekommen, aber es war durchaus so, dass wir darauf angesprochen wurden. Wir sind auf einem Label in UK und auf einem in Kanada, unsere Skatepunk-Bubble ist international sehr weit vernetzt. Darum haben wir auch aktiv den Austausch gesucht mit Bands und Musiker:innen, die wir gut kennen, weil ich finde, dass wir als deutsche Punkband noch mal einen anderen Blick auf die Sache haben sowie Verpflichtungen, die damit einhergehen. Die Berichterstattung über den Nahostkonflikt in den Medien ist auch von Land zu Land völlig unterschiedlich. Wir haben es uns mit dem Statement wirklich nicht einfach gemacht. Im Vorfeld haben wir viele Gespräche geführt und viel recherchiert, um unsere Meinung zu festigen. Natürlich kann das, was wir da geschrieben haben, auch später wieder obsolet werden, wenn die Sachlage sich verändert. Es ist insgesamt schwierig, sich auf eine Sichtweise festzulegen, weil es immer neue Informationen geben kann, die deine Einstellung verändern.
Basti: Das Wichtigste ist, dass man stetig im Austausch bleibt und bereit ist, seine aktuelle Einstellung zu reflektieren. Wir haben das nicht nur mit unseren Freunden in UK und Kanada gemacht, sondern auch in Nürnberg, wo es eine sehr vitale Deutschpunk-Szene gibt. Der Austausch ist zentral. Es sollte bei diesem komplexen Thema nicht darum gehen, sich eine starre Meinung zu bilden und andere Leute dann zu brandmarken und im Internet als Zionist oder Fascho zu diffamieren, um sich auf die eigene Schulter klopfen zu können. Das kann es doch nicht sein.
Oli: Und den Anspruch auf eine ultimative Meinung zu dem Thema halte ich nach wie vor für nicht umsetzbar. Ich glaube nicht, dass jemand über entscheidende Infos zu dem Thema verfügt, um mit absoluter Gewissheit sagen zu können, er habe den völligen Durchblick bei diesem Konflikt. Als gäbe es zu 100% das Richtige oder das Falsche. Das hat uns an dem Konflikt um das Booze Cruise auch ziemlich getriggert.
Basti: Es geht auch darum, Gleichzeitigkeiten auszuhalten. Ich kann die eine Seite in einem Anliegen unterstützen, kann sie aber in anderen Punkten auch scheiße finden. PROPAGANDHI haben zum Beispiel in Kanada Aktionen gemacht, in denen sie israelischen und palästinensischen Stimmen einen Raum gegeben haben, das fand ich sehr gut.
Oli: Absolut! Das haben wir im Statement auch so geschrieben. Ich finde das aber absolut okay, wenn man einseitig aktivistisch ist, wie zum Beispiel eine Band in diesem Kontext, deren Mitglieder palästinensische Wurzeln haben. Nur finde ich es nicht okay, diesen Anspruch auf alle anderen zu übertragen und Feindbilder zu schaffen, ohne einen Diskurs zuzulassen und ohne danach zu fragen, welchen Hintergrund die Gegenseite hat. Ich respektiere die einseitige Herangehensweise, erwarte aber auch Respekt davor, dass man diese nicht eins zu eins übernimmt. Es gibt natürlich für mich auch rote Linien, wie offenen Antisemitismus und Rassismus zum Beispiel.

Wir haben jetzt die Vernetzung der Szene und PROPAGANDHI angesprochen, die einige Platten auf Fat Wreck Chords rausgebracht haben. Warum hat sich in Europa eurer Meinung nach nie ein Label etabliert, das schwerpunktmäßig diesen Sound bedient? Potenzial ist da, es existiert eine vitale Szene, aber die Infrastruktur ist ein ziemliches Stückwerk.
Oli: Als einzelne Band sind wir vielleicht die Falschen, die du das fragen kannst. Aktuell ist Skatepunk vielleicht nicht die angesagteste Musik und wenn jemand ein großes Label plant, würde ich ihm nicht raten, sich in der Skatepunk-Welt zu etablieren. Allerdings hat sich Fat Wreck auch erst mit der Zeit entwickelt.
Basti: Es gibt aus meiner Sicht keine deutsche Skatepunk-Szene per se, aber es gibt eine internationale europäische Szene. In Österreich zum Beispiel gibt es so viele krass gute Bands. Das ist von uns aus gesehen gleich ums Eck. Es gibt zig Bands in Spanien, Frankreich, Italien. Oder oben in den nordischen Ländern. Und es gibt im UK bereits Lockjaw Records, es gibt in Kanada Thousand Islands. Das sind auch die Labels, mit denen wir zusammenarbeiten. Und die vernetzen sich untereinander. Wenn DRUNKTANK eine Platte rausbringen, dann stehen zig Logos hinten auf der Platte. Und das ist das Paradebeispiel dafür, dass jedes Label seinen Teil beiträgt und das tut, was es kann.

Altersmäßig bin ich späte Generation X, ihr dürftet frühe Millennials sein. Aktuell wird viel über die TV-Dokureihe „Millennial Punk“ gesprochen. Gibt es eurer Meinung nach so etwas wie ein Mindset der Generationen? Im Sinne einer größeren Offenheit der Millennials gegenüber der Pop- und Trash-Kultur? Oder einer größeren Gatekeeper-Mentalität der Gen X?
Basti: Es gibt eine Sache, die den Punk generationsübergreifend immer einen wird. Und das ist – etwas pathetisch gesagt – das Dagegensein. Nicht im Sinne von „Ich bin dagegen, weil meine Eltern das gemacht haben“, sondern politisch. Der Elefant im Raum ist der Rechtsruck in ganz Europa, das eint uns ja. Wir versuchen ein Mindset zu schaffen, in dem niemand ausgegrenzt wird. Das eint uns schon. Aber ich glaube, dass jede Altersgruppe aus Punk etwas anderes mitnimmt. Die 1980er-Punks zum Beispiel gehen auf ein Konzert und ziehen ihr T-Shirt aus. Das kotzt mich an, muss keiner machen. Und das ist ein Wandel im Mindset.
Oli: Aber du setzt jetzt auch voraus, dass alle aufgrund ihres Alters geschlossen dieser oder jener Meinung sind. Wir sind jetzt hier auf dem Festival und da werden auch Leute ohne Shirt rumlaufen und die sind jünger. Will sagen, ich glaube, das ist ein Trugschluss, bei dem es auch viel um Nostalgie geht. Wir haben die Doku gesehen und ich habe mich sehr gefreut, einige unserer Freund:innen darin zu entdecken. Aber eine abgrenzbare Mentalität der Generationen sehe ich nicht. Du hast einerseits Zwanzigjährige, die super aware sind, aber auch Zwanzigjährige, die scheiße drauf sind. Und andererseits Leute, die in den 1970er Jahren geboren wurden und schon damals ein Bewusstsein für solche Dinge hatten und aufmerksam und flexibel im Kopf sind.