Ein Münchener und ein Salzburger haben das eigentlich Unmögliche geschafft! So oder ähnlich müsste es uns eine fette Schlagzeile auf der Titelseite der Bild-Zeitung entgegen schreien. Was bitte soll da jetzt noch nachkommen? Neben den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN die einzige deutsche Band, die auf dem renommierten Mute-Label veröffentlichen darf und die mal eben zum Videodreh nach Las Vegas geflogen wird. Im deutschen Untergrund brodelt es, der „Generationenwechsel“ ist vollzogen, und als MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER sind Florian Zwietnig und Gerald Mandl, da sind sich Fachzeitschriften und Feuilleton endlich mal einig, der zur Zeit begehrteste und innovativste Elektrorock-Club-Act Deutschlands. Es antwortete uns: Florian Zwietnig.
MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER, ein sehr angestaubter Name für innovative Elektronik-Musik aus der Gegenwart, oder ist das bewusst retro gemeint?
„Der Name ist nicht bewusst retro gewählt, nix an uns ist retro. Er entstand aus der Idee, medienübergreifend zu arbeiten, also so viele unterschiedliche Medien wie möglich in unsere Musik einfließen zu lassen. ‚Telekommander‘ bezieht sich auf unser Logo, die ‚brennende Fernbedienung‘, und wurde ursprünglich von Gerald aus einen Italienurlaub mitgebracht – ‚comando de tele‘ oder so ähnlich hieß das Teil da.“
Wie funktioniert und koordiniert sich die Mediengruppe? Ihr lebt ja in unterschiedlichen Städten/Ländern. Spielt das eine überhaupt noch eine Rolle?
„Wir leben inzwischen beide in Berlin. Früher war es jedoch so, dass Gerald in Wien und ich in Berlin lebte. Zu dieser Zeit sind wir viel zwischen den Städten hin und her gefahren, haben uns kleine Loops oder Texte über das Internet zugeschickt und die dann ausgearbeitet, wenn wir zusammengekommen sind.“
Warum singt ihr in Deutsch, wo doch heute jeder „international“ sein möchte?
„Wir singen deutsch, weil es unsere Muttersprache ist, und wir so am besten ausdrücken können, was wir sagen wollen. Deutsche, die Englisch singen, klingen meist peinlich! Es macht uns einfach am meisten Spaß, deutsch zu singen.“
Ist das nur meine subjektive Wahrnehmung, oder gibt es wieder mehr deutschsprachige Bands, die einen neuen, frischen Klang in unserem Land verbreiten?
„Deutschsprachige Musik bekommt nur im Moment mehr mediale Aufmerksamkeit. Aber geben tut es die Bands eigentlich ständig. Der deutschsprachige Hip-Hop hat mit Sicherheit einen großen Teil zu einem neuen Sprachverständnis, bzw. einem neuen sprachlichen Selbstbewusstsein beigetragen.“
Kommt da eine zweite NDW auf uns zu? Liegt das vielleicht auch daran, dass die Produktionsmittel, also Computer, für jeden verfügbar und auch bedienbar geworden sind?
„Die Produktionsmittel beeinflussen sicher keine ‚Welle‘ neuer deutscher Musik, sollte es die überhaupt geben. Die Leute könnten ja genauso gut Englisch singen. Ob da eine zweite NDW auf uns zukommt, wissen wir nicht. Wir hoffen es jedenfalls nicht, da die NDW eine scheußliche kommerzielle Ausschlachtung deutscher Musik war, die oft an Qualität zu wünschen übrig ließ.“
Passiert das nicht schon? Überall tauchen auf einmal Bands mit Frontfrauen auf, die zur besten Sendezeit ihr Gesicht in jede Kamera halten.
„Das mag wohl sein, da hast du in gewisser Weise Recht. Insgesamt wird deutsche Musik im Moment jedoch nicht so gepushet wie damals. Man betrachte nur die BMG, die gerade alle deutschsprachigen Bands rausgeschmissen hat, die nicht eine bestimmte Anzahl von Platten verkaufen. Das wäre in den 80er Jahren nicht der Fall gewesen, weil es der Industrie einfach noch viel besser ging. Und wo siehst du heute etwas wie ‚99 Luftballons‘ oder ‚Amadeus‘, die beide weltweit Nummer 1 waren? Es gibt sie nicht!“
Wie wichtig ist es für euch, auf Mute zu sein? Dieses Label hatte ja einen nicht unwesentlichen Anteil daran, dass elektronische Musik überhaupt so populär wurde?
„Der Name Mute ist uns nicht sehr wichtig. Als wir mit denen erste Gespräche hatten, wussten wir nicht einmal, was Mute genau macht, da wir uns nicht sehr viel mit Labels auseinandergesetzt hatten. Wir haben uns aber bei denen sehr wohl gefühlt. Die haben sofort verstanden, worum es uns ging, daher haben wir uns für Mute entschieden.“
Nach Punk und Electro-Clash, ist die elektronische Revolution also endlich im 21. Jahrhundert angekommen?
„Welche elektronische Revolution? Die kam doch vor mehr als 15 Jahren mit Techno ... Und Techno war definitiv eine musikalische Revolution! Man betrachte nur die moderne Klubkultur, ohne Techno wäre die nicht möglich gewesen. Die gesamte Produktionstechnik hat sich mit Techno verändert. Diese Art, Techno zu produzieren, war ebenso eine musikalische Revolution, wie die Erfindung der E-Gitarre und dem daraus resultierenden Rock, und alles was danach kam. Wir denken jedoch nicht, dass elektronische Musik unbedingt ein Umdenken auf ‚breiter Front‘ erfordert. Es handelt sich ja nach wie vor um Musik. Manche Musik mag vielleicht so etwas wie Revolution erfordern, oder ‚einen revolutionären Geist‘ in sich tragen. Eine Revolution auslösen, wird sie jedoch nie und hat sie nie! Musik ist wie gesagt nur Musik, und wird es auch immer bleiben. Und in diesem Zusammenhang wird sie höchstens der ‚Begleitton‘, oder die ‚Filmmusik‘ zu einer Revolution sein.“
Wie wichtig ist es für euch live vor Publikum zu spielen?
„Sehr wichtig. Das ist ja einer der Gründe, warum es die MEDIENGRUPPE gibt. Weil wir endlich wieder auf die Bühne wollten, um unsere Musik live zu präsentieren.“
Wen würdet ihr mal gerne remixen, bzw. von wem würdet ihr gerne remixt werden?
„Wir haben gerade einen Remix der von uns sehr geschätzten VON SPAR gemacht. Das wollten wir auch immer mal machen, und die haben einen Remix von ‚Bis zum Erbrechen schreien‘ gemacht, das wollten wir auch immer schon mal. Wir haben uns quasi gegenseitig neu interpretiert.“
Sind Remixe genauso wichtig wie neue Songs oder nur ein netter Zeitvertreib? Manche Remixe sind ja auch nicht mehr als Füllmaterial, um die CDs vollzustopfen, weil der Käufer es erwartet und möglichst viel Spielzeit für sein Geld will ...
„Das sehen wir so ähnlich. Hinzu kommt noch der Aspekt, dass Remixe oft nur als Marketing-Tool verwendet werden, um eine andere Zielgruppe anzusprechen, und dabei leider oft die Qualität oder der eigentliche musikalische Background verloren geht. Remixe sind uns jedoch sehr wichtig. Wir wollen in Zukunft lieber weniger, aber dafür erlesenere Remixe auf unsere Releases packen.“
Was versteht ihr unter Anarchie, oder ist es nur eine plakative Schlagzeile?
„Es ist nur eine plakative Schlagzeile oder ein volksfestähnliches Spektakel wie z.B. der 1. Mai in Berlin-Mitte. Man läuft vor zum Mauerpark, um gesehen zu werden und dabei zu sein, wenn die ersten ihre Flaschen werfen. Danach geht‘s dann ab in den Club, um zu feiern. Der politische Inhalt ist auf der Strecke geblieben. Gesetzlos oder chaotisch ist man heute in der Freizeit. Man ist Hobby-Anarchist. Ist das nicht schick?“
Seid ihr politisch aktiv? Und muss man überhaupt noch politisch aktiv sein, oder ist das im Medienzeitalter überholt?
„Man muss nicht politisch aktiv sein, aber es spricht auch überhaupt nichts dagegen. Überholt wird es wohl nie sein. Wir sind jedoch nicht politisch aktiv. Viele politische Gruppierungen organisieren sich über die neuen Medien bzw. verbreiten ihre Botschaften über diese Kanäle und Strukturen. Insofern hat das Medienzeitalter ja ganz neue Möglichkeiten für politischen Aktivismus eröffnet, die sich die Leute zu Nutze gemacht haben. Aber da solltest du besser Politiker fragen – wir sind Musiker.“
Reicht das in der heutigen Zeit wirklich? Sich in seine „geschützte Szene“ zurückzuziehen? Wenn man sich die letzten Wahlen anschaut, sollte man vielleicht doch wieder verstärkt politisch aktiv werden. Wir wissen doch, wo das hinführt, und die Auswirkungen spürt man doch täglich.
„Ehrlich gesagt spüren wir diese Auswirkungen nicht. Aber wie gesagt, es fällt uns schwer, mit dem Begriff ‚politisch‘ umzugehen. Wir waren nie gezielt politisch aktiv. Wir machen Musik und nicht Politik – es ist uns wichtig, das zu betonen. Wir stehen auf der Bühne, um unsere Message rüberzubringen und die ist grundsätzlich kritisch! Medienkritisch, gesellschaftskritisch, konsumkritisch, mit jeder Menge Selbstironie drin. Ist das politisch? Ich denke nicht, andere sehen das vielleicht schon so und das ist dann auch gut so. Wir hören es sehr gerne, wenn die Leute durch unsere Texte zu kritischem Denken angeregt werden. Ist das politisch? Zieht man sich dadurch in eine ‚geschützte Szene‘ zurück? Nein!“
Vinyl oder CD? Die Gewissensfrage! Ihr veröffentlicht ja noch beide Formate ... Die CD über Mute und das Vinyl über Enduro.
„Gewissensfrage? Die stellt sich für uns gar nicht. Wir finden, beide Formate haben ihre Reize und Vorteile. Vinyl, weil man ehrlicheren Sound hat und geileres Design machen kann. CD, weil man noch visuelle Extra-Features wie z.B. Videos draufpacken kann. Bei ‚Bis zum Erbrechen schreien‘ ist es z.B. so, dass wir auf der CD ein Live-Video von ‚Panzer‘ haben, und das Vinyl in ein richtig schickes Plastiktütendesign gepackt haben. Beides ist sehr gelungen!“
Für das Design all eurer Veröffentlichungen ist ja Ella Hering zuständig. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit, was macht sie sonst?
„Sie kennt uns einfach schon seit den ersten Tagen und war immer begeistert dabei, wenn es darum ging, einen passenden Look für uns kreieren. Sie macht ja wirklich alles, vom Logo, über die Website bis hin zum Cover-Artwork, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Sonst ist sie freischaffende Kreativ-Direktorin.“
Auch sonst versucht ihr, unterschiedliche Künstler, Konzepte und Techniken zusammenzuführen. Früher habt ihr auch Sounddesign für Video und Kurzfilme gemacht. Was darf man da in naher Zukunft erwarten?
„Wir arbeiten an der Ausweitung unseres Live-Konzepts, das derzeit von einem Überwachungskameraset begleitet wird, und werden eventuell Anfang nächsten Jahres eine DVD mit Live-Zusammenschnitten und unserer Las Vegas-‘Rockumentary‘ veröffentlichen. Projekte neben der MEDIENGRUPPE sind zur Zeit nicht in Planung.“
Macht es euch eigentlich Angst, dass die Medien übereinstimmend ein durchweg positives Urteil über eure Arbeit fällen? Zur Zeit seid ihr ja so was wie Feuilleton-Lieblinge oder die „Retter der deutschen Gegen-/Popkultur“ ...
„Es hat uns selbst sehr überrascht, dass unser Krach und Geplärre auch in kommerzieller orientierten Medien so angenommen wurde. Angst macht uns das nicht. Wir werden wahrgenommen, und wissen dieses Interesse für uns zu nutzen.“
Beeinflusst dieser Medienrummel eure zukünftige Arbeit? Merkt ihr persönlich eine Veränderung?
„Die größte Veränderung, die eingetreten ist, ist die, dass wir im Moment praktisch keine Zeit haben, um neue Stücke zu schreiben. Deshalb werden wir auch nach unserer Mega-Tour erst mal eine mehrmonatige Auszeit nehmen.“
enduro-disks.de
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