MAVIS

Foto© by Pia Boehl

Das Album, das es fast nicht gegeben hat

Auch wenn die Pandemie mittlerweile aus dem Blick der meisten Menschen verschwunden ist, so war es doch keine einfache Zeit, erst recht nicht für Bands. Damit hatten auch die Stuttgarter MAVIS zu kämpfen und fast hätten sie sich aufgelöst. Wie sie sich dann doch zusammengerauft haben und worum es auf „Grief Is No Ally“ geht, erläutert und Sänger Phil.

Ihr habt euch kurz vor der Pandemie gegründet. Wie habt ihr es geschafft, trotz der ganzen Restriktionen zu Beginn eurer Karriere am Ball zu bleiben und die Energie hinüber in die „Post-Corona“-Zeit zu tragen?

Das ist keine leichte Frage, weil wir es fast nicht geschafft hätten! Bei unserer Gründung 2019 hatten wir schon zwei Jahre lang überlegt, geplant und vorbereitet und als die Pandemie dann los ging, waren wir mitten in unseren ersten Tourdates und Veröffentlichungen. Wir wollten uns erst nicht aufhalten lassen. Wir haben Online-Konzerte gespielt und versucht, uns auf noch mehr neue Musik zu konzentrieren. Je länger die Pandemie aber gedauert hat, desto mehr hat es an uns genagt und verschiedene Mitglieder haben sich leider von ­MAVIS oder sogar ganz davon entfernt, Musik zu machen. Der Tiefpunkt war dann 2022, als ein Konzertsommer endlich wieder zum Greifen nah war, uns dann jedoch der gesamte Proberaum mit allem Equipment abgebrannt ist. Plötzlich waren wir nur noch zwei Mitglieder und dachten wirklich, das war’s ... Aber irgendwie wollten wir noch nicht loslassen. Drei Monate später hatten wir plötzlich wieder eine volle Besetzung und so viel Antrieb wie zuletzt bei unserer Gründung. Wir konnten uns endlich wieder wie eine Band fühlen und zusammen unsere Liebe zur Musik ausleben.

Euer Album trägt den Titel „Grief Is No Ally“ – welche Aussage versteckt sich aus deiner Sicht dahinter?
Das war ursprünglich nur mein Arbeitstitel für das Album, als ein großer Teil der Songs noch gar nicht fertig war. Ich wusste erst selbst gar nicht, wie ich darauf kam, aber wir dachten, darum kümmern wir uns später. Als die Songs dann auch im Studio immer mehr Form angenommen haben, ist mir aufgefallen, wie viel von dieser schwierigen Zeit seit unserer Gründung, dem Verlust von Freunden, der Entfernung von der Familie in den Lyrics und der Musik steckt. „Grief Is No Ally“ hat zu diesem ganzen Kapitel immer besser gepasst. Diese Worte schließen viele innere Konflikte ab und haben für uns sehr viel mit Erkenntnis und Verarbeiten zu tun.

Trauer ist etwas, was die Menschen schon immer begleitet hat. Durch Social Media und die momentanen Konflikte in der Welt wird man momentan sehr damit konfrontiert – wie verhindert man, dass man nicht von abstumpft, wenn man Trauer und Tod so direkt und dauerhaft begegnet?
Trauer ist für mich ein entscheidender Bestandteil des Mensch-seins und hat viele Gesichter. Die Konfrontation ist durch social media sicher sehr viel direkter geworden, aber Trauer reicht vom ganz kleinen Funken tief im eigenen Körper bis hin zur kollektiven Erfahrung von Millionen Menschen. Es zu schaffen, sich Trauer hinzugeben ohne sich in ihr zu verlieren ist etwas sehr Schwieriges. Ich habe das große Glück, das durch unsere Musik und Erfahrungen lernen zu können. So etwas für sich zu finden ist nicht selbstverständlich aber etwas, was ich ausnahmslos jeder Person die Trauer erfährt wünsche.

Ich habe gelesen, dass ihr euch nicht nur als Musiker, sondern als Geschichtenerzähler versteht – was genau bedeutet das in Bezug auf das Album, den Titel und eure Texte?
Wir verstehen „Grief Is No Ally“ nicht als Konzeptalbum. Allerdings hat jeder Song einen ganz eignen Bezug zum Thema Trauer. „Insight“, „Limerent“, „ISOTO“ oder „Closer to the sun“ beruhen zum Beispiel auf sehr persönlichen Erfahrungen. „Calypso“, „Hollow eyes“ und „Reflections“ befassen sich sehr bildlich mit verschiedenen Formen der Trauer und sind am ehesten als Geschichten zu verstehen. „Monsters“ sticht mit seinem politischen Bezug ein wenig heraus und beleuchtet am ehesten globalere Konflikte. „Marcescence“ ist quasi der Titelsong des Albums. Er stammt aus dem Material von unserem Gründer und Ex-Gitarristen Robin Dachtler und hat während der Aufnahmen immer mehr all unser musikalisches Können und meine Texte des Albums zusammengefasst. Ich sehe die Songs oft als Geschichten, die für viele vielleicht etwas ganz anderes bedeuten als für den Erzähler selbst. Das ist für mich eine der spannendsten Seiten von Musik.

Spiegelt sich das auch in euren Musikvideos wider? Inwieweit ist dieses Medium für eure Vision und dessen Umsetzung von Bedeutung?
Unsere Musikvideos sind für uns eine Spielwiese für eine ganz eigene Interpretation der jeweiligen Songs. Manchmal sind das eigene Geschichten, zu denen ein Lied inspiriert hat, manchmal ist es eher eine Visualisierung von dessen Energie. Andere Videos wieder sind sehr nah an meiner gedachten Bedeutung des Textes oder gehen sogar bewusst in eine sehr gegenteilige Richtung. Ich denke, wir versuchen durch die Videos eher dazu anzuregen, unsere Musik auf eine weitere Art wahrzunehmen.