Ein Laptop – und sonst nichts. Metal-Alben schreibt Victor Love damit trotzdem. Und zwar in der Regel in absoluter Rekordzeit, während seine Fans im Livestream zuschauen. Wir sprechen mit dem Italiener und selbsternannten „Musik-Hacker“ über sein neues Werk „Personal Computer“.
Du verfolgst beim Schreiben einen völlig spontanen und schnellen Live-Ansatz, während du an den Songs arbeitest, streamst du die Sessions auf YouTube. Blickst du als Musiker nicht hin und wieder auf deine Tracks zurück und denkst: Nun, vielleicht hätte ich mir doch ein wenig mehr Zeit lassen sollen?
Ja, ich habe eine ziemlich instinktive Art zu komponieren. Aber ich habe bislang noch nie im Nachhinein gedacht, dass ein Track mit mehr Zeit besser geworden wäre. Tatsächlich gibt es Tracks, die sehr gut ankamen, obwohl sie in wenigen Stunden geschrieben wurden. Während andere, für die ich länger gebraucht habe, nicht so euphorisch angenommen wurden. Meine ersten vier Releases habe ich in drei Wochen fertig gestellt. Für mein erstes Album habe ich einen Song am Tag geschrieben. Für das neue Album hatte ich mich tatsächlich aber dazu entschieden, etwas mehr Zeit in das Mischen, Polieren und Arrangieren außerhalb der Livestreams zu investieren. Das liegt zum Teil auch daran, dass ich immer versuche, meinen Sound und insbesondere meine Produktion zu verbessern, und das erfordert natürlich mehr Zeit. Andererseits habe ich aber auch den Vorteil, einen Kernsound zu haben, der im Wesentlichen gleich bleibt, so dass selbst beim Komponieren ein großer Teil schon steht und von dort bis zum Endergebnis nur noch die Feinabstimmung erforderlich ist.
Kannst du genauer erklären, wie du beim Schreiben vorgehst? Und hast du eine musikalische Ausbildung?
Als Kind hatte ich einige Klavierstunden, aber ich bin größtenteils Autodidakt. Mein „echtes“ Hauptinstrument ist eigentlich die Gitarre, nicht das Keyboard oder das Piano. Mittlerweile ist aber einfach der PC mein Hauptwerkzeug. Ich habe zudem früher mal einige Zeit als Tontechniker für verschiedene lokale Studios gearbeitet und auch andere Bands aufgenommen, von daher kommt mein Wissen rund um Recordings. Was das Songwriting angeht, mache ich viele Pausen, meditiere. Und wenn ich mich dann aufgeladen und inspiriert fühle, streame ich einfach live und lasse alles los, was mein Unterbewusstsein in meinem Kopf ausgearbeitet hat. Es fühlt sich für mich beim Komponieren eher wie ein Lese-Schreib-Prozess an, fast so, als würde ich einfach alles, was ich bereits in meinem Kopf geschaffen habe, in den Computer übertragen.
Was bedeuten eigentlich die Zahlen in den Songnamen? 80186 ... 80286 ...
Na ja, das sind die Codenamen der verschiedenen Prozessoren der frühen PCs, speziell von Intel. Das Konzept meiner Alben drehte sich schon immer um Retro-Computer, besonders um die aus der DOS- und frühen PC-Ära. Ich selbst habe bis Anfang 2000 als Computer-Techniker gearbeitet und dann bis vor wenigen Jahren als Fachinformatiker und Systemadministrator, so dass ich im Grunde meine Lebenserfahrung in das visuelle und kommunikative Konzept meiner Musik einfließen lasse.
Wie oft hast du dir „Personal Computer“ eigentlich angehört, seit es fertig ist?
Wenn ich ein Album fertig habe, höre ich es anschließend so oft, um es zu mischen, dass ich irgendwann ganz aufhöre, es anzuhören. Und nachdem es veröffentlicht wurde, wird es sogar noch schlimmer. Ich höre kaum meine frühere Musik, es sei denn, es handelt sich um Tracks, die ich live spiele, also höre ich sie mir an und spiele sie natürlich während der Proben. Bei der Veröffentlichung eines Albums oder wenn eine Single rauskommt wird, stelle ich sie oft in eine Endlosschleife, nur um zu verstehen, was zur Hölle ich getan habe, und um mich zu motivieren. Manchmal lege ich etwas beim Training oder im Fitnessstudio von mir auf, aber meistens höre ich lieber andere Musik, haha.
Stichwort Live-Shows: Wie setzt du dein Ein-Mann-Projekt dort genau um?
Tatsächlich ist das etwas anderes – und sehr interessant. Weil wir die Computer-Parts, einschließlich Gitarren-Synthesizer und andere elektronische Elemente zusammenmischen und mit echtem Schlagzeug und zwei Gitarren auf die Bühne gehen. Das verleiht dem Ganzen noch mehr Kraft und Tiefe – und klingt auf einer guten PA ziemlich fett, das ist mal Fakt. Das Schwierigste ist, dass ich dabei gerne alle meine Computer auf die Bühne bringe, wie alte PCs, einen Commodore 64 und Amiga und ein paar CRT-Monitore, das ist nicht immer so einfach. Ein weiteres Hindernis bestand darin, einen Gitarristen zu finden, der tatsächlich in der Lage waren, die sehr schnellen Arpeggien und Soli zu spielen. Das sind ja Parts, die ein „normaler“ Gitarrist so wohl kaum schreiben würde. Aber ich habe einen Typen gefunden, der echt ein absolutes Biest ist. Lasst euch überraschen ...
Du bezeichnest die selber als „Hacker im Musikbereich“ – bist du selbst schon mal gehackt worden?
Ja, das ist etwas, was ich gerne sage, aber das erfordert natürlich einen gewissen Kontext. Natürlich bedeutet es nicht Hacker im Sinne des Fachbegriffs, sondern eher die Tatsache, dass ich gewissermaßen ein Hindernis zu umgehen versuche, um etwas Besseres zu erreichen. In diesem Sinne ist die Art, wie ich speziell den Sound von Gitarren „hacke“, und im Allgemeinen die Art, wie ich Metal komponiere, nur mit synthetischen Instrumenten, vergleichbar mit musikalischem Hacken. Auch dass ich Computer verwende, um Dinge zu komponieren, die ich normalerweise aufgrund ihrer Komplexität nicht schreiben könnte, ist eine andere Form des Hackens. Was tatsächliche Hacker-Angriffe angeht: Nein, ich war noch nie Opfer. Wohl weil ich immer sehr vorsichtig und sehr paranoid gewesen bin und schon immer diesen technischen Background hatte, so dass ich solche Dinge bisher immer vermeiden konnte. Aber es ist natürlich schon vorgekommen, dass jemand versucht hat, mich zu hacken. Aber das passiert heutzutage jedem jeden Tag, obwohl die meisten Menschen es nicht einmal bemerken.
© by Fuze - Ausgabe #94 Juni/Juli 2022 und Anton Kostudis
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