MASTER sind schon seit 1983 dabei, aber immer Underground geblieben und vor allem eines: das Baby Paul Speckmanns. Der Mann ist ein Unikat, das sich nie verbogen hat, nie Mörder- oder sonstiges Todesgedöns verzapft hat, sondern immer provozierend klare politische Zustandsbeschreibungen abgeliefert hat. Speckmann ist Metaller mit Leib und Seele, agiert im positiven Sinne professionell, scheut aber auch eine Sprache nicht, die neudeutsch „explizit“ genannt wird. Amerikanischer Death Metal und Crust mögen nun sicher nicht jedermanns Sache, aber manchmal kann der Blick über den Tellerrand durchaus hilfreich sein, um festzustellen, dass kritisch denkende Menschen nicht nur im Punk- und Hardcore-Bereich zu finden sind.
Paul, wie geht es dir damit, dass du als Mitbegründer amerikanischen Death Metals gehandelt wirst. Belastet es dich?
Als ich diesen aggressiven Scheiß zu spielen begann, der dann mal von irgendwem Death Metal genannt wurde, gab es diese lächerlichen Kategorien und Subgenres zum Glück noch nicht. Es ging mir besser, als wir einfach Metal gespielt haben. Keine der damaligen Bands wollte in irgendeine Schublade hineingepresst werden. Wir wollten heavy sein und andere Musik machen, als üblich war. Wenn es mir bei meiner Musik um etwas geht, dann um Lebensumstände und darum, die Fesseln abzulegen, die die Regierungen fast allen Menschen auf dieser Erde verpassen. Aber warum sollte es mich belasten, so bezeichnet zu werden? Ich mache mit MASTER Musik, die aus meinem Herzen und meiner Seele kommt. Im Gegenteil, ich konnte und kann meine Kreativität ausleben, statt wieder in schlechte Angewohnheiten alter Zeiten zu verfallen, wie mit Drogen zu dealen und dafür verknackt zu werden. Es ist großartig, meine Gedanken und Ideen mit den Leuten aus dem Metal-Untergrund über all die Jahre auszutauschen. Das würde ich für nichts in der Welt eintauschen.
Im deutschen Wikipedia-Eintrag über MASTER steht, dass du die USA 2001 verlassen hast, weil du Probleme mit dem Patriot Act befürchtet hast. Ist es in Europa jetzt wirklich so viel besser?
Ich habe mich damals entschieden, genau das herauszufinden. Als Präsident Bush Jr. an die Macht kam, waren die neuen Gesetze einfach angsteinflößend. Während 9/11 war ich gerade hier in Tschechien und die Würfel waren gefallen. Freiheit kannst du in Amerika getrost als Vergangenheit ansehen, solange du dort nicht nur Gast bist. Die Leute, die dort gefangen sind und beispielsweise nie auf Tour außerhalb der USA waren, haben ja nicht die leiseste Ahnung, was außerhalb ihres Landes passiert, und nur deshalb lieben sie Amerika. Ich kenne inzwischen die Sicht von außen und scheiße auf die USA. Betrachtet man die Amerikanisierung unseres Lebens, leben wir ja alle irgendwie dort, aber die Ketten sind in Europa noch nicht ganz so kurz. Klar gewinnt der Große Bruder auch hier immer mehr an Einfluss, aber ich glaube, dass ich in Europa Zeit meines Lebens genug Freiheit für mich finden werde.
Trotz allem hast du in einem Interview mal gesagt, dass du stolz drauf bist, Amerikaner zu sein. Wie darf ich das bei deinen kritischen Texten genau verstehen?
Jetzt wird es spannend. Meine Songs sind ganz klar gegen das Establishment, und die Aussage geht in die Richtung, als Amerikaner beinahe alles äußern zu dürfen. Bei all meiner Kritik ist das ein Fakt. Wer wäre darauf nicht stolz? Ich bin glücklich genug, in den USA geboren zu sein und diese Vorteile nutzen zu können. Ich äußere mich trotzdem eindeutig über politische Tyrannei und Ungerechtigkeiten, die den Kleinen Mann täglich treffen. Und vieles davon kommt ausgerechnet aus dem mächtigsten Land der Welt.
Ist Tschechien wirklich so viel liberaler?
Klar. Ich kann hier den ganzen Tag mit Bier in der Hand herumlaufen und die Polizei interessiert es nicht. Hier wird beinahe allen großer Respekt gezollt, außer vielleicht den Zigeunern, die hier wie die Schwarzen in den USA behandelt werden. Aber zum Teufel, dort hat man einen Schwarzen zum Präsidenten gewählt, vielleicht schaffen die Zigeuner das hier ja irgendwann einmal. Hier können Kiffer, wie einige meiner Freunde, genug für den Eigenbedarf mit sich herumtragen und sogar Auto fahren. Gerade habe ich übrigens den Zeugen Jehovas die Tür vor der Nase zugeknallt. Das würde ich ja wohl liberal nennen, oder?
Du ziehst ja seit Jahrzehnten ohne Rücksicht auf Verluste dein Ding durch, aber Death Metal macht ja meist nicht reich. Was würdest du deinen Kindern sagen, wenn sie dich fragen würden, ob sie lieber Musiker werden oder einen normalen Job ergreifen sollten?
Ganz klar: Werde Musiker. Musik hat mich um den ganzen Globus geführt. Welcher normale Job kann dir Jack Daniels, gelegentlich gutes Essen und Drogen geben, falls du daran Interesse hast? Letztere interessieren mich inzwischen aber nicht mehr. Wer würde sich bei dieser Wahl für einen täglichen Sklavenjob entscheiden wollen? Ich arbeite ungefähr 100 Tage im Jahr sehr hart, der Rest ist viel Zeit, um mit den Hunden rauszugehen, zu angeln, zu kochen oder Nachmittagsschlaf zu halten.
Kommen wir mal zu eurem letzten Album „The New Elite“. Es ist für mich die perfekte Symbiose aus Death Metal und Crust. Du nennst oft G.B.H und DISCHARGE als frühe musikalische Einflüsse. Wie intensiv ist deine Verbindung zu Punk heute?
Genau genommen höre ich mir auch heute diese Bands noch an. Auch THE EXPLOITED, BATTALION OF SAINTS, MDC, MINOR THREAT und andere Killerbands dieser Zeit laufen gelegentlich in meiner Anlage. Offenbar hast du aber „Four More Years Of Terror“, „Slaves To Society“ und „The Human Machine“ von uns verpasst, da spielen wir diesen Stil auch schon. Wenn ich darüber nachdenke, spielen wir das aber schon seit „The Seventh Day“ von 1991. Ich schreibe einfach die Musik, die ich als Fan hören wollen würde, und diesmal ist es uns wirklich gelungen, dieses Gefühl einzufangen.
Der Hauptunterschied zwischen einer „echten“ Death-Metal-Band und MASTER sind ja deine politischen Texte. Aber du beschränkst dich auf Beschreibungen und verzichtest auf Lösungen.
Stimmt, ich biete keine Lösungen an, MASTER geben Denkanstöße. Die Lösungen müssen die Leute selber finden. Die Jugend von heute muss selbst herausfinden, was falsch läuft, dass sie revoltieren und sich gegen den Dreck anstemmen muss, der jeden Tag in sie hineingestopft wird. Ich bin ein alter Mann mit klaren Ideen, die ich auch weiter verbreiten werde, aber mit 49 ist man zu alt, um eine Revolte anzuführen. Dabei sind für mich selbst die Lösungen offensichtlich.
Sind dir deine Texte wichtiger als die Musik? Hast du mal über softe Musik nachgedacht, um mehr Leute mit deinen Texten zu erreichen?
Mir persönlich sind gute Texte und gute Musik wichtig. Zumindest wirst du bei MASTER nicht nur das eine oder andere bekommen. Softere Musik könnte eine Möglichkeit für die jüngere Generation sein, ihre Ideen zu verbreiten. Aber ich bin pessimistisch, da Videospiele und Computer das Leben der Jugend bestimmen. Es gibt keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft, bis sich die Jugendlichen organisieren und gegen das System angehen. Sie müssen die Schweine entmachten, um in einer wirklich freien Gesellschaft zu leben. Die Zukunft ist düster, aber ich werde eines Tages sterben und dieses Chaos weit zurücklassen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #107 April/Mai 2013 und Ollie Fröhlich
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