MANTAR

Foto© by Matthis Van der meulen

No pain, no gain

MANTAR sind 2014 eingeschlagen wie eine Arschbombe im Freibad: Keine:r hat damit gerechnet, dass da auf einmal diese zwei Typen kommen, die ein solches Brett abliefern. Bei ihren Konzerten haben Hanno und Erinc regelmäßig offene Münder hinterlassen und erstaunte Fragen: Wie können zwei Dudes so viel Power erzeugen? Und wo kommen MANTAR jetzt eigentlich her? Aus welcher Szene, aus welcher Stadt und wohin soll die Reise noch gehen? Sänger und Gitarrist Hanno lebt mittlerweile in den USA. Nachdem sein Nachbar die Internetleitung der Gegend erst stillgelegt und dann wieder repariert hat, kann ich ihn digital in seinem Arbeitszimmer in Gainesville befragen. Auch dazu, warum das neue Album „Pain Is Forever And This Is The End“ fast auch das Ende von MANTAR bedeutet hätte.

Hanno, MANTAR sind innerhalb von zehn Jahren von der AZ-Band zum festen Bestandteil in gut sortierten Metal- und Punk-Plattensammlungen geworden. Wie habt ihr das geschafft?

Richtige Zeit, richtiger Ort und eine militärisch organisierte Arbeitsmoral. Als Erinc und ich MANTAR gegründet haben, war ich schon fast dreißig und er sieben Jahre älter, da haben wir gesagt: Ey, wir machen beide seit 25 Jahren Mucke, dieses Mal machen wir erstens ohne Kompromisse nur das, worauf wir Bock haben und zweitens stehlen wir uns gegenseitig keine Zeit, weil zum Beispiel eine Probe ausfällt, weil der Hund der Schwester Geburtstag hat. So haben wir das die ersten Jahre beinhart durchgezogen, wir haben im Freundeskreis jeden Geburtstag, jede Hochzeit verpasst, weil wir hart am touren waren. Das war auch so ein soziales Experiment: Wir haben wegen der Band beide unsere Jobs verloren, Erinc hat ein billiges WG-Zimmer angemietet, ich war wegen MANTAR sogar zeitweise obdachlos. Wir haben die ersten anderthalb Jahre nur in Konzertvenues, dem Bandbus oder Hotels übernachtet.

Hattest du keine Angst davor, dass das Projekt MANTAR scheitert?
Doch, natürlich! Aber das hat ein paar Jahre gedauert, und Angst wird dir ja auch von Eltern oder Versicherungsbüros eingeredet. Bis dahin waren wir in einem Vollrausch. Wenn du mit 15 Jahren deinen ersten Biersuff hast, denkst du auch: Boah, ist das geil, ich will für immer besoffen sein! Mit dem Alter lernst du aber, dass das nicht unbedingt gesund ist. Wir haben uns mit MANTAR ja auch ein Monster geschaffen: Wenn wir vom Konzert nach Hause gekommen sind, haben wir die noch vorhandene Energie genutzt und direkt weitergeprobt, während andere schon geschlafen haben. Wir waren von MANTAR besessen und haben immer 110% gegeben. MANTAR steht auch immer noch an erster Stelle, aber wir haben es schon etwas zurückgefahren. Und wenn das Projekt MANTAR irgendwann mal scheitert oder einfach zu Ende ist, dann gehe ich mir eben wieder einen Job suchen und gut is. Und der Tag wird vermutlich irgendwann auch kommen.

In was für einem Job hast du vorher gearbeitet?
Ich war bei einer Promo-Agentur und habe mich darum gekümmert, dass Bands und Künstler:innen zum Beispiel eine Rezension im Ox bekommen haben.

War das nicht auch ein beruflicher „Heimvorteil“ in der Branche?
Ja, weil ich weiß, wie da der Hase läuft. Als ich die ersten Demotapes von MANTAR verschickt habe, habe ich aber einen anderen als meinen Namen als Absender auf die Briefe geschrieben, weil ich nicht wollte, dass mich jemand erkennt und uns deswegen bevorzugt oder benachteiligt.

Mittlerweile bist du in den USA sesshaft geworden.
Ja, auf Tour habe ich meine jetzige Frau kennen gelernt und lebe jetzt in Gainesville, Florida. Ich war aber auch durch mit Hamburg, Bremen, Deutschland und dem beschissenen Wetter da.

Hamburg, Bremen, Gainesville – wo kommen MANTAR denn jetzt her?
Gegründet wurde MANTAR, als wir beide in Hamburg gelebt haben. Kennen gelernt haben Erinc und ich uns aber 1997 im legendären Club Wehrschloss in Bremen und da kommen wir auch her. Im Lagerhaus haben wir auch unser erstes Konzert gespielt: Eigentlich sollten wir auf einem Umsonst-und-draußen-Event spielen und da sind auch echt viele Leute wegen uns gekommen. Also haben wir auch heftig rasiert und alle sind ausgerastet. Dann hat es aber angefangen zu gewittern und wir mussten das Konzert abbrechen. Das haben wir dann im Bremer Lagerhaus nachgeholt – natürlich umsonst – und da haben wir gemerkt: Okay, da passiert was, woraus etwas Großes wird.

Wie kam es überhaupt zu MANTAR?
Erinc wollte unbedingt mit mir damals 15-jährigem Bengel eine Band gründen und hat mir Tapes zusammengestellt und zugesteckt. Darauf waren dann auch viele Bands wie L7, MUDHONEY und THE JESUS LIZARD.

Und auf dem Coveralbum „Grungetown Hooligans II“ habt ihr euch vor Bands wie diesen verneigt. Das habt ihr „hybrid“ aufgenommen, also auf zwei Kontinenten. Wie lief es beim neuen Album „Pain Is Forever And This Is The End“?
Die kurze Geschichte: Ich habe die Songs hier in den Staaten geschrieben, Erinc hat die Drums dazu in Deutschland eingeübt und wir haben das Ganze zusammen eingespielt.

Und die lange Geschichte?
Eine gute Punkband bestimmt selbst, wann es für sie vorbei ist und nicht die Fans oder die Industrie. Das Ende setzen wir uns selbst, ihr wisst Bescheid. Ich habe Erinc angerufen und gesagt: Ich habe ein paar Riffs zusammen, hast du Bock? Und er sagte: Ja, klar! Dann habe ich gesagt: Okay, ich packe die Riffs in den Rucksack und komme rüber. Dann bin ich nach Deutschland geflogen, um mit Erinc Mucke zu machen. In der Zeit hat er aber auch geheiratet und auf der Hochzeitsfeier habe ich mich dann hingekniet, um ein Foto zu machen und habe mir dabei den Meniskus gerissen. Total dämlich, das tat unfassbar weh und musste operiert werden. Und weil ich in den USA lebe, kannst du dir denken, ist das mit der Versicherung auch nicht so geil. Zwei Monate später haben wir den zweiten Versuch gestartet, ich bin wieder nach Deutschland gejettet und am Abend der ersten Probe bin ich im Supermarkt ausgerutscht und habe mir im selben Knie das Kreuzband gerissen. Wieder nicht krankenversichert, weil wem passiert so was denn zweimal? Aber hey, no pain, no gain. Dann haben wir so eine Art Krankenbett im Proberaum aufgebaut, damit ich den Kram einspielen kann, aber die Schmerzen waren einfach zu heftig und wir haben erst mal hingeschmissen.

Das klingt hart für eine Band, die sonst immer Vollgas gibt.
Ich gehe mit dem Begriff auch nicht inflationär um, aber das war echt deprimierend. Das war auch das erste Mal, dass wir dachten, hier ist die Luft raus. Dann bin ich unverrichteter Dinge wieder in die USA geflogen, mit Schmerzen im Knie und einem Arsch voll Schulden. Auch zwischen Erinc und mir war dann erst mal Sendepause, weil wir das Geschehene verarbeiten mussten.

Wie kam es aber dann doch zum Album?
Ein paar Monate später habe ich ihm noch mal eine Mail geschrieben und gesagt: Ich kann nicht hinnehmen, dass diese beschissene Verletzung unser Schicksal bestimmt, das tun wir gefälligst selbst. Also habe ich mich mit seinem Einverständnis hingesetzt, habe die Songs hier eingespielt und die Drums dazu programmiert und ihm die Takes geschickt. Die haben wir dann via Skype besprochen und als es wieder ging, im Sommer 2021 dann auch gemeinsam eingespielt.

Und gemischt wurde die Platte von Ryan ...
... dem Mischer von HOT WATER MUSIC, ja. Die kommen ja auch hier aus Gainesville. Das ist ein verdammtes Musikdorf: AGAINST ME! sind von hier, Tom Petty und LESS THAN JAKE ... Man kennt sich eben.

Wenn so viel schiefgeht, passt der Albumtitel „Pain Is Forever And This Is The End“ ja ganz gut.
Das Album ist zum Prüfstein für die Existenz der Band geworden, weil so viel schiefgelaufen ist. Das war daher eigentlich eher so als zynischer Arbeitstitel gemeint, aber irgendwann haben wir dann gesagt: Ey, lass uns die Platte wirklich so nennen.

Dem neuen Album liegen in manchen Versionen zum ersten Mal auch die Texte bei. Sind euch die plötzlich wichtig?
Na ja, die waren uns schon immer wichtig, aber an erster Stelle standen die Musik und die Lautstärke und das Verlangen danach, Wut und Aggressionen rauszubrüllen, sich durch die Musik abzureagieren. Das kann man fast mit Sport vergleichen. Nach so einer Show sind wir auch fix und fertig. Auf dem neuen Album haben die Lyrics tatsächlich mehr tragende Bedeutung. „Of frost and decay“ zum Beispiel stellt Gottheiten und Religionen in Frage und „New age pagan“ wendet sich gegen den ganzen Verschwörungs- und Querdenken-Schwachsinn. In Anlehnung daran hat das Cover ja auch die Optik eines Zeugen Jehovas-Flyers: nicht mehr nur in Schwarz, sondern in bunten Himmelsfarben auf weißem Untergrund.

Zeigt ihr jetzt plötzlich offensiv Haltung?
Viele verlangen von uns, dass wir uns persönlich oder in unserer Musik positionieren. Dabei sollte jedem und jeder klar sein, dass Erinc und ich zum Beispiel keinen Bock auf rassistische oder homophobe Scheiße haben. Die Band MANTAR an sich ist aber ein Kunstobjekt, da habe ich keinen Bock auf politische Positionierung. Das muss ja auch nicht, die Typen dahinter, in diesem Falle Erinc und ich, sind ja korrekt.

Das neue Album kommt jetzt auf Metal Blade raus. Das Debüt erschien auf dem kleinen Label Svart, die beiden Nachfolger auf Nuclear Blast und das schon genannte Cover-Album habt ihr auf eurem eigenen Label veröffentlicht. Wie seid ihr zu den großen Labels gekommen?
Ohne jetzt prollig klingen zu wollen, aber die sind auf uns zugekommen. Für unser Debüt hatten wir eine Anfrage von einem Label, die irgendwie alles abgrasen wollten, was sich gerade als Band verstanden hatte. Der Vertrag hat sich aber gelesen wie ein Beipackzettel für ein AIDS-Medikament. Den haben wir dann freundlich abgelehnt. Von Svart kam dann ein halbseitiger Wisch, mit dem wir vollkommen zufrieden waren. Und nach Veröffentlichung von „Death By Burning“ ist Nuclear Blast auf uns zugekommen. Da haben wir aber auch für nur zwei Platten unterschrieben. Unter anderem, weil Menschen, mit denen wir da direkt zu tun hatten, nicht mehr da arbeiten, haben wir den Deal dann auch auslaufen gelassen. Jetzt fühlen wir uns bei Metal Blade ganz wohl.

Und was ist mit eurem eigenen Label?
Darauf haben wir „Grungetown Hooligan II“ veröffentlicht und jetzt auch die Tape-Sammlung all unserer Alben. Wir haben aber – und da ist das Monster wieder – festgestellt, wie anstrengend es ist, Platten und T-Shirts aus dem eigenen Wohnzimmer zu verschicken. Da sind auch Agenturen oder Verlage an uns herangetreten und haben gesagt, dass sie unseren Merch vertreiben wollen. Aber nö, das machen wir bis heute aus dem Wohnzimmer. Und ein Verlag kassiert 40% dafür ein, dass die uns bei der Gema anmelden. Das können wir aber auch selbst machen und kriegen 100%!

Ist DIY bei euch gescheitert?
Ach, wir machen ja weiterhin, was wir schaffen. Und den Ausverkaufvorwurf haben unsere Kumpels von KADAVAR schon abgekriegt, die mit ihrem Debüt auf This Charming Man super erfolgreich waren und dann zwei Jahre vor uns bei Nuclear Blast unterschrieben haben.

„Pain Is Forever And This Is The End“ – wann ist denn Ende?
Das weiß ich wie gesagt noch nicht. Aber erst mal nicht, schließlich sind ein paar Konzerte geplant und die wollen wir auch spielen.

Ich frage mich ja schon, seit es euch gibt: Eine Gitarre, ein Drumset, ein Gesang – wie schafft ihr es, live wie eine Wand zu klingen?
Das ist ganz einfach: Wir spielen einfach fürchterlich laut, so dass die Details und die Raffinesse verschwimmen. Daneben spiele ich über eine tiefe Bariton-Gitarre und insgesamt vier Verstärker, dazu noch entsprechende Effektgeräte und einen Bass-Amp und so kommt unser Sound zustande.

Songs wie „Grim reaping“ oder „Orbital pus“ klingen, als wäre mindestens eine weitere Gitarre dabei.
Das stimmt. Auf der neuen Platte sind auch Overdubs drauf. Das war aber ganz bewusst so gemacht. Auf den bisherigen Alben haben wir die Verstärker einmal eingestellt und damit durchgespielt und das so, dass die Songs auch live funktionieren. Bei „Pain Is Forever ...“ habe ich bewusst für jeden Song neue Einstellungen benutzt und mir gesagt: Wenn da ein Riff drüber passt, dann spiele ich das auch drüber. Ob und wie das später live funktioniert, müssen wir mal schauen. Ich finde es auch gut, wenn eine Live-Version anders klingt als auf dem Album.

Werden wir denn auf der Tour auch noch alte Songs hören?
Du wirst auf der Tour von jedem Album Minimum drei Songs hören.