LYSCHKO

Foto© by Kalle Stille

Another shade of Schwarz

Dieses Interview ist für mich insofern besonders, als ich es mit einer Band führe, die ich seit mehr als zehn Jahren bei verschiedensten Gelegenheiten in Solingen live gesehen habe. Zuerst unter dem Namen THE CUCKOO, da waren sie noch eine Schüler:innenband, dann als LYSCHKO. Und wie das oft so ist, fand ich das nicht sooo spannend, bis zu einem Konzert ca. 2019 im Waldmeister, wo Uschi und ich uns plötzlich erstaunt ansahen: Oh, wow, was ist hier passiert? Die sind ja richtig gut geworden! Seitdem haben mich LYSCHKO bei jedem Auftritt begeistert, so auch im April 2022 beim OxFest in Düsseldorf. Mit „Brennen“ erscheint Ende Oktober auf My Favourite Chords das Debütalbum der Band, die aus Lina Holzrichter (voc), Jonah Holzrichter (bs), Lukas Korn (gt) und Doris Banovic (dr) besteht. Lina, Jonah und Lukas stellen sich an einem heißen Sommerabend im Garten des Ox-HQ den Fragen von Uschi und mir.

Wann und wo kam bei euch der Punkt, wo ihr sagtet, so, das ist es jetzt wirklich, jetzt haben wir uns gefunden?

Lina: Das war, als wir den Namen geändert haben. Es ist nicht so, dass wir uns für die Sachen, die wir mit 14 gemacht haben, schämen. Wir haben uns neulich ein paar alte Videos angeschaut von Auftritten beim Schüler-Rockfestival. Da waren wir nicht peinlich, aber es war natürlich was ganz anderes. Das war alles schön, wir sind dankbar für alles, was wir gemacht haben, dass wir uns gefunden haben, aber das war dann eben einfach nicht mehr dasselbe. So ein Wendepunkt war, als Lukas dazukam. Die Band gegründet hat Jonah noch in der Schule und ich bin dann dazugekommen. Und als wir so 17 waren, ist Lukas dazugekommen. Und danach hat es noch so ein, zwei Jahre gedauert, in denen wir uns neu sortiert haben und sich herauskristallisiert hat, dass Jonah, Lukas und ich zusammen super funktionieren und Bock haben, zu dritt was zu machen. Das war der Punkt, an dem wir gesagt haben, wir sind ein neues Projekt, auch wenn es nie den Moment gab, wo wir uns neu gegründet haben.
Lukas: Wir wollten uns auch davon lossagen, eben diese Band zu sein, die immer bei diesem Schüler-Rockfestival spielt. Eine Rolle spielte zudem, dass die Band zuvor englische Texte hatte, obwohl Lina auch deutsche Texte schrieb. Irgendwie fand der alte Gitarrist das aber doof, der meinte, das muss englisch sein. Ich fand aber die deutschen Texte viel cooler. Und so kam es, dass wir uns von den englischsprachigen Songs und dem Schülerband-Image lossagen wollten. Und das funktioniert am besten, indem man was unter einem neuen Namen startet.
Jonah: Der Punkt, wo wir uns dann LYSCHKO genannt haben, war auch der, wo wir drei uns gesagt haben, das ist nicht nur ein Hobby –andere damalige Mitglieder haben das anders gesehen. Für uns drei war klar, wir stehen zu 100% hinter der Musik, uns ist das total wichtig, das ist nicht mehr einfach nur nach der Schule treffen und ein bisschen Musik machen.
Lina: Während der Corona-Pandemie ist bei uns viel passiert, weil einfach so viel Zeit war und so viel weggebrochen ist. Wir hatten aber eigentlich eine total schöne Zeit im ersten und zweiten Lockdown, wo wir drei uns noch mehr zusammengerauft und viel reflektiert haben: Was wollen wir eigentlich? Und so sind wir jeden Tag von morgens bis abends im Proberaum gewesen. Wir sind morgens hingefahren, haben uns mittags was zu essen gemacht und sind wieder in den Proberaum. Wir sagten uns, wir haben gerade so Bock, lasst es uns doch mal wirklich versuchen und alles mitnehmen. Dann können wir in drei Jahren immer noch eine Ausbildung anfangen und was anderes machen. Wir drei haben doch uns und das ist ja schon extrem schön, überhaupt jeweils zwei andere Personen zu finden, die Bock darauf haben.
Jonah: So eine Band ist noch mal was ganz Eigenes, es ist etwas anderes als nur eine enge Freundschaft. Es ist in manchen Bereichen vielleicht schon vergleichbar mit einer Paarbeziehung.

Aber Paarbeziehungen kommen und gehen, die Band bleibt ...
Lina: Bei uns jedenfalls.
Jonah: Man hat eben andere Verpflichtungen gegenüber den anderen, ja.
Lina: Die muss man aber auch erst mal bereit sein einzugehen. Das waren Probleme, die wir selber auch erlebt haben im Laufe der Zeit. Vieles war für uns ja eine Selbstverständlichkeit. Als Jonah die Band gegründet hat, war er gerade 13, jetzt ist er 23. Wir feiern dieses Jahr unser Zehnjähriges. Es war uns also wichtig, diese Selbstverständlichkeit nicht mehr als selbstverständlich zu erkennen. Wir kennen viele Menschen, die Musik machen wollen, die aber alle alleine in ihrem Zimmer sitzen und Mucke machen, weil sie keine Leute finden, die so sehr Bock haben wie sie. Es ist also ein großes Geschenk, dass wir einander haben.

Eure Einschätzung zur Corona-Zeit ist ja durchaus anders als die anderer Bands. Für die war das eine Einschränkung, die haben sich zeitweise gar nicht mehr getroffen oder treffen können.
Lukas: Als wir noch unseren alten Schlagzeuger hatten, da waren wir so eine klassische „Probenband“, da haben wir die Songs „erjamt“ und so klangen die dann auch. Aber als Corona kam und wir uns uns nach der Trennung von unserem alten Schlagzeuger zu dritt zusammengerauft haben, da sind wir das Ganze anders angegangen, da mussten wir nicht mehr proben, da haben wir die Songs stückchenweise aufgenommen, uns Sachen hin- und hergeschickt, haben gemeinsam am Rechner was zusammengebastelt. Da war das auf einmal ein ganz anderes Konstrukt.
Lina: Das war ein ganz anderes Commitment während Corona: Während andere Bands, die vielleicht auch Familie, Kinder haben, gesagt haben, meine Kontaktpersonen sind meine Familie und ich gehe nicht raus, haben wir gesagt, wir drei sind unsere Kontaktpersonen und dafür sehen wir auch niemand anderen.

Dann hat das euch als Band durch die neue Arbeitsweise auch weitergebracht und alles effektiver gemacht, beschleunigt?
Lukas: Nicht unbedingt beschleunigt, aber es macht den Prozess hinter dem Songwriting sehr viel detaillierter, weil man sich so nicht nur mit dem eigenen Instrument auseinandersetzt, sondern auch mit dem großen Ganzen und den einzelnen Parts. Wir konnten so viel detaillierter arbeiten, als wenn man im Proberaum ist und jeder spielt irgendwas und irgendwann findet sich das zusammen, aber auch nicht so richtig.
Jonah: Es war auch das erste Mal, dass wir über die Texte gesprochen haben.
Lina: Wir haben einfach alle sehr viel gelernt in dieser Zeit. Vorher war da eben dieses Gejamme und irgendwann hatten wir das Gefühl, jetzt ist das ein Lied und das spielen wir live. In der Corona-Zeit ist gut die Hälfte des Albums überhaupt erst entstanden, die andere Hälfte sind Lieder, die wir zum Teil schon Jahre hatten, die wir aber komplett überarbeitet haben, wo wir über jeden Teil und jedes Instrument gesprochen haben. Dabei war Tobi, unser Produzent, eine Hilfe, indem er uns immer mal wieder Input gegeben hat: „Hey, guckt euch das noch mal an, dieser Part, muss der eigentlich sein, warum macht ihr das?“ Und dann saßen wir da und haben auch gesagt: Ja, warum machen wir das eigentlich?
Lukas: Aber das war auch eigentlich der einzige Input, den Tobi uns gegeben hat: Wir haben ihm Songs geschickt und er: „Ja, nee, das ist es noch nicht so richtig, geht da noch mal ran.“ Mehr hat der nicht gesagt. Und dann haben wir das noch mal überarbeitet.
Lina: Tobi war gut darin, Fragen zu stellen, ohne sich krass einzumischen. Er sagte etwa: Sprecht das noch mal durch, wer wann was warum macht und was man vielleicht auch besser einfach lässt.

Mir kommt da der Unterschied in den Sinn zwischen der Art zu kochen, wie das viele von uns tun, und der professionellen Herangehensweise eines Kochs: Alles in einen Topf schmeißen, etwas würzen, bis es schmeckt, fertig. Oder eben wie es ein Koch macht: exakte Mengenangaben und Maße, genaues Überlegen, welche Gewürze und Zutaten wie zusammen wirken, und wie man das dann reproduzierbar macht.
Lukas: Absolut so ist das: Hier der Chefkoch, da der ambitionierte Hobbykoch. Nudeln, Pesto, auf geht’s.
Lina: Ich würde sagen, insgesamt machen wir natürlich immer noch sehr viel intuitive Musik und aus Emotionen heraus.
Lukas: Von Musiktheorie hat hier keiner eine Ahnung.
Lina: Unsere Kommunikation untereinander ist in dieser Zeit total gewachsen. Also auf emotionaler, freundschaftlicher Ebene. Was wollen wir eigentlich, was erwarten wir voneinander? Aber auch musikalisch.

Was ihr bisher so erzählt habt im Schnelldurchlauf, also wenn LYSCHKO ein Film wären, dann wäre das ein klassischer Coming-of-Age-Film.
Lukas: Wir wären auf jeden Fall eine einzige Person in dem Film.
Jonah: Ich glaube, die ganze Pandemiesituation war sogar hilfreich, wenn es darum geht sich darüber klarzuwerden, was man eigentlich will. Da ist so vieles weggebrochen, dass man sich bewusst geworden ist, welcher Verlust stört mich eigentlich wirklich? Dass wir keine Konzerte spielen können, das tut richtig weh. Nicht in eine Kneipe gehen zu können, ist verschmerzbar. Denn wir haben uns, wir haben unseren Proberaum.
Lukas: Das war unsere Kneipe. So sah der auch teilweise aus, haha.
Jonah: Vorher haben wir die Band halt gemacht über all die Jahre, das war fast so eine Selbstverständlichkeit. Warum aufhören? Funktioniert ja alles und macht Spaß. Und auf einmal wurde einem klar, das tut richtig weh, wenn das weg ist.
Lukas: Als die Pandemie anfing, waren wir gerade an dem Punkt, wo wir merkten, da passiert gerade was. Da hatten wir gerade auf diesem Popkultur Festival in Berlin gespielt und Tobi kennen gelernt und Max von DRANGSAL, der uns bei dem Konzert gesehen hat und das so megageil fand, dass er sagte, er wolle uns als Vorband mitnehmen, wenn er das nächste Mal auf Tour geht. Da dachten wir, okay, jetzt passiert was, jetzt hat sich das endlich mal ausgezahlt, dass wir die ganze Zeit drangeblieben sind. Jetzt können wir nach vorne blicken. Und dann kam Corona ... Am Anfang dachten wir noch, okay, dann verschiebt sich das eben ein Jahr, dann wurden es zwei Jahre, und jetzt ist allen klar geworden, dass es auf jeden Fall nicht mehr so wird wie früher, denn Konzerttickets kauft gerade kein Mensch mehr. Und man muss sich überlegen, wie man damit umgeht. Bei Bands, die früher auf dem Level waren, auf dem wir jetzt sind, also dass sie gerade ihr erstes Album rausbringen, so wie wir das im Oktober machen, da war klar und normal, dass die auch gleich eine Tour dazu spielen. Aber wir haben uns jetzt die Frage gestellt, macht das überhaupt Sinn? Steht da überhaupt irgendwer im Club vor der Bühne? Das ist irgendwie alles schwierig und man muss sehen, wie das jetzt weitergeht, ob im Herbst wieder Konzerte nicht stattfinden können oder nur im begrenzten Rahmen.
Jonah: Für uns ist das schwierig, weil wir schon eine Live-Band sind. Es gibt ja auch Künstler:innen und Bands, für die funktioniert das total gut, Leute über Social Media zu erreichen, und die können auch in einer Pandemiesituation eine Platte raushauen, die läuft und gehört wird.
Lukas: Solche Bands sind gut darin, Content zu generieren. Für uns ist Content generieren aber Konzerte spielen. Darüber können wir die meisten Leute bewegen, weil es, glaube ich, Musik ist, die besonders gut live funktioniert. Noch besser als auf Platte, weil man diese Energie live besser rüberbringen kann.

Ich fand es erstaunlich, wie gut ihr als Opener beim OxFest in Düsseldorf im April 2022 angekommen seid. Die allerwenigsten Besucher:innen dürften euch gekannt haben, dennoch war es recht voll und viele waren positiv überrascht. Zudem fand ich es erstaunlich, wie souverän ihr auf einer so ungewohnt großen Bühne gewirkt habt.
Jonah: Wir waren sehr froh, wie der Abend für uns lief. Wir hatten vorher ein bisschen Bedenken, ob wir da so gut reinpassen und ob so viele Leute Bock auf uns haben.

Lukas: Wir haben ja schon wirklich jede Shit-Show gespielt, die man sich vorstellen kann. Also Ochsentour mal fünf auf jeden Fall. Ich glaube, da lernt man irgendwann, dass es eigentlich egal ist, wie viele Leute vor der Bühne stehen oder wie vielen Leuten das gefällt. Man macht es auch für sich und spielt die Show, damit man am Ende sagen kann: Okay, wenigstens haben wir eine gute Show gespielt.

Lina, wir kennen uns schon eine Weile aus diversen Musikkontexten hier in Solingen. Und da finde es spannend zu sehen, wie bei anderen befreundeten Musiker:innen auch, wie sich die Person auf der Bühne von der Person hinter der Bühne, dem Menschen im Alltag unterscheidet. Bei dir finde ich es total verblüffend zu sehen, was für eine ganz andere Person du vorne auf so einer Bühne bist oder sein kannst, schon von der Kleidung her. Was macht das mit dir und was reizt dich daran, in diese andere Rolle zu schlüpfen?
Lina: Ach, ich glaube, so eine richtige Rolle ist das nicht für mich. Wir als Band haben uns überlegt, dass wir uns für die Bühne ganz bewusst anders anziehen, also bewusst over the top. Wir machen uns backstage zusammen fertig, wir schminken uns gegenseitig vor der Show. Das ist ein gutes Ritual, unser „family moment“.
Lukas: Soll ich jetzt den Lidschatten nehmen oder den anderen? Jonah, hilf mir mal!
Lina: Wenn wir alle vier zusammen in der Garderobe sind, vielleicht noch mit unseren zwei besten Freund:innen, das ist besonders. Wir besprechen auch vorher schon, was wir für welches Konzert anziehen, welche Farben erlaubt sind.

Also welche Shades of Schwarz?
Lukas: Dunkelgrau, Schwarz.
Jonah: Ein bisschen Rot oder Grün ist manchmal noch erlaubt.
Lina: Aber nur abgesprochen. Wir haben auch unseren LYSCHKO-Lippenstift, da gibt es nur einen, den wir rumgeben.

Unter welchem Namen wird der bei dm verkauft?
Lina: NYX Copenhagen Suede. Natürlich vegan und tierversuchsfrei. Beste Marke: schön, billig und trotzdem okay. Wichtig ist uns dieses Zusammenkommen, sich in Ruhe fertig zu machen für den Auftritt. Aber ich überlege mir nicht bewusst, was ich da tue, das ist alles total natürlich. Ich glaube, dass wir alle mit der Zeit gelernt haben, mit unserer Persönlichkeit und wie wir so sind umzugehen. Auch damit, dass wir eigentlich nicht so die krassen Rampensäue sind. Und auf der Basis überlegen wir uns, wie wir auf der Bühne trotzdem funktionieren können. Uns ist wichtig, dass wir nicht aussehen wie vier zufällig aus dem Publikum ausgewählte Leute, die du gerade auf die Bühne gestellt hast. Wir finden es schön, wenn man sehen kann, dass wir vier sichtlich zusammengehören und eine Band sind.
Lukas: Und dass man sich ein bisschen vom Publikum abgrenzt, damit man sieht, das hier ist die Band und nicht irgendwer.
Lina: Ich habe als Jugendliche oft gespiegelt bekommen, ich sei so in mich gekehrt auf der Bühne, ich hätte die meiste Zeit die Augen zu und würde nie ins Publikum blicken. Das habe ich reflektiert und weiß, so bin ich halt, und ich bin auch immer vorher scheiße aufgeregt. Wie also kann man das umkehren, so dass es spannend ist, uns auf der Bühne zu sehen? Ich möchte nicht, dass die Leute nach Hause gehen und keinen Plan haben, wer die Opener-Band war, und das muss man nicht nur musikalisch schaffen, sondern auch visuell.
Lukas: LYSCHKO? Ach ja, das waren die, die so komisch angezogen waren.

Ihr habt da jetzt diverse popkulturelle Theorien und Themen angerissen, Inszenierung, Rituale, und so weiter. Läuft das bei euch bewusst oder unbewusst?
Jonah: Das ist eher so gewachsen. Ein Fotoshooting war ausschlaggebend, wo wir uns das erste Mal gesagt haben, wir setzen uns jetzt nicht auf eine Bank und machen drei Fotos. Und das war auch das erste, das wir zu dritt gemacht haben.
Lukas: Auf den Fotos vorher waren wir noch mit den Leuten drauf, bei denen sich herauskristallisiert hat, dass sie nicht so dahinter her sind wie wir. Und dann brauchten wir Fotos, aber hatten niemanden am Schlagzeug, also machten wir jetzt einfach zu dritt welche. Wir drei sind jetzt die Band!
Lina: Wir wollen nicht wieder Fotos, die aussehen, als habe die irgendwer vor dem Konzert mit dem Handy gemacht. Also haben wir uns hingesetzt und uns das so ein bisschen überlegt. Da ist ganz viel intuitiv passiert. Bei uns ist das nicht so, dass wir uns ständig mit Popkulturtheorie beschäftigen, aber wir sind schon Popkultur-Nerds, weil wir uns schon immer für alles mit Musik, Musikphänomenen und -filmen interessiert haben. Das spielt natürlich bei allem, was wir selber an Musik oder Videos machen, mit rein.
Lukas: Die BEATLES-Frisuren, die Anzüge bei den TALKING HEADS oder so, das hat Wiedererkennungswert. Ich finde es cool, wenn man eine Karikatur von Leuten erstellen kann, wenn es einfach ist, Leute zu zeichnen.
Jonah: Mir ist wichtig, dass wir uns nicht verstellen. Ich würde deshalb auch nicht sagen, dass ich mich auf der Bühne verkleidet fühle, weil dann würde ich mich nicht wohl fühlen. Es ist einfach irgendwie 20, 30, 40% „drüber“.
Lina: Das ist wie beim Theater. Auch wenn du in deiner Rolle „normal“ aussiehst, umrandest du trotzdem deine Augen und malst deine Lippen nach, damit man die einfach besser erkennt. Und irgendwie so ist es für uns auf der Bühne und in den Videos, da wollen wir das, was wir zu sagen haben, auch noch visuell ausdrücken.

Macht das einen Unterschied, hier in Solingen ein Heimspiel zu haben oder anderswo auf die Bühne zu gehen? Hier kennt euch jeder als „normale“ Menschen, anderswo nur die Leute von der Bühne?
Lukas: Da habe ich noch nie drüber nachgedacht, das ist eben unser Ding und das machen wir, egal wo wir sind. Ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet, ob das irgendwer komisch finden könnte. Wir finden das gut, so wie es ist. Und wenn das jemand komisch finden will, dann bitte.
Lina: Ich glaube, dass wir auch hier in einer Bubble funktionieren und diese Leute das so wahrnehmen und verstehen wie wir. Die mit uns befreundeten Personen finden das auf jeden Fall auch geil, das sagen die uns ja. Wir spielen ja nicht auf einem Stadtfest in Solingen.
Lukas: Oder zumindest nicht mehr ...
Lina: Trotzdem scheißen wir uns natürlich alle krass in die Hose, bevor wir im Waldmeister spielen. Das ist schlimmer, als wenn wir als DRANGSAL-Support vor fünfmal mehr Leuten spielen. Vor Waldmeister-Konzerten passiert es mir immer noch, dass ich die Nacht vorher nicht gut schlafe, was ich früher vor jedem Konzert hatte. Das liegt natürlich auch an der Doppelrolle, dass wir auch Veranstalter sind, die Vorband einladen und uns um alles kümmern.

Und die Vorsitzende des Vereins bist du auch noch.
Lina: Das auch noch. Man kennt da alle, man steht direkt vor den Leuten. Bei Leuten, die man nicht kennt, kann man eher diese Scheißegal-Haltung haben. Das ist schwerer, wenn ich weiß, da stehen meine zwanzig besten Freundinnen, und bei denen ist es mir wirklich nicht scheißegal, wie die unser Konzert finden.

Sprechen wir mal über eure Musik. Ich erinnere mich an ein Konzert vor ein paar Jahren, wo ich mir dachte, dass da eine Menge guter Ansätze vorhanden sind, aber irgendwie war es nicht stringent, da war so ein seltsamer funky Einschlag. Und dann, ein, zwei, drei Jahre später war das anders, das war fast wie der Raupe-Schmetterling-Effekt. Wie erinnert ihr diese Entwicklung?
Jonah: Als wir jünger waren, war das eine riesige Ausprobierphase. Wir haben alle einen sehr diversen Musikgeschmack und hören ganz verschiedene Sachen.
Lukas: Und das musste dann alles da rein.
Jonah: Man muss natürlich alles mal ausprobieren, plus verschiedene Bandmitglieder mit eigenen Einflüssen, diese funky Elemente kamen zum Beispiel von unserem alten Gitarristen, dem vor Lukas. Der heutige Sound hat sich dann irgendwann gefunden. Als Lukas dazugestoßen ist, haben wir auch noch viel experimentiert, es war ein bisschen Stoner-Rock mit drin, etwas RAGE AGAINST THE MACHINE.
Lina: Wenn ich mir unsere alten Aufnahmen anhöre, kann ich gut erkennen, welche Mucke wir da gerade gehört haben. Ah, da waren wir 13, ja, da war es Indierock. Dann haben wir mehr Reggae gehört, dann kam unsere Antifa-Punk-Phase, und, okay, dann haben wir wohl RAGE AGAINST THE MACHINE entdeckt, und hier kommt die erste PJ Harvey-Platte ins Spiel, hahahaha. Wir haben super viel live gespielt, mit 15, 16 waren das schon siebzig, achtzig Shows im Jahr. Wir haben ja wirklich überall gespielt, ob bei Demos oder irgendwelchem Jugend-Pop-Kram. Sobald irgendwie ein Lied halbwegs fertig war, so dass wir es am Stück spielen konnten, sind wir damit aufgetreten. Ein Stunde Set? Machen wir. Wir wollten Mucke machen, wir wollten im Proberaum abhängen und wir wollten Konzerte spielen und haben bei jeder Anfrage zugesagt.

Damit habt ihr jetzt das Narrativ versaut, das Bands gerne pflegen. Etwa dass sie von Anfang an wussten, was sie wollten, und nur die besten Vorbilder hatten, blablabla ... Dass man eine verpeilte Schüler:innenband war, klingt nur halb so geil.
Jonah: Ich stehe da total hinter, weil ich das wichtig finde und fand, wie es bei uns war. Und jeder jungen Band würde ich immer raten, einfach zu machen und auszuprobieren. Und das hat uns geholfen, irgendwann an den Punkt zu kommen, wo das alles dichter und stimmiger wurde und wir dann vielleicht auch mehr Musik zusammen entdeckt haben. THE CURE waren übrigens so eine Band, auf die wir seit der Kindheit durch unseren Vater geprägt wurden. Die haben wir schon mit zwölf gehört, neben ganz anderem Kram. Unser Vater ist durchaus auch ein Musik-Nerd, der aber einen bunt gemischten Geschmack hat. THE CURE waren aber immer schon seine Lieblingsband. Als wir dann Lukas kennen gelernt haben, haben wir die wiederentdeckt für uns.
Lukas: Ich kannte bis dahin nur die Hits und habe dann jedes Album komplett durchgehört, und das war das Geilste, was ich jemals gehört habe. Und ich sagte dann, los, lasst uns mal so was machen, und dann haben wir halt solche Songs gemacht.
Lina: Als wir Lukas kennen gelernt haben, entstand zwischen uns dreien eine Freundschaft, die auch eine musikalische Freundschaft wurde. Wir haben uns immer mehr zusammen in neue Musik reingefuchst. Und so kamen wir auch auf dieses ganze NDW-Zeug, also auch die eher nischigen und härteren NDW-Bands. Ich habe schon immer viel auf Deutsch geschrieben, aber bis zu diesem Wechsel bei LYSCHKO nie auf Deutsch gesungen, weil mir irgendwie Vorbilder gefehlt haben, wie man deutsche Musik abseits von Radio-Pop und Schlager machen kann. Gerade weibliche Stimmen fehlten mir da. Die weibliche Sängerin schlechthin war für mich bis dahin immer Kate Nash, aber das war eben auf Englisch. Was wir an deutschen Musikanten kannten, das war Deutschpunk oder etwa auch LOVE A, worin ich mich selber aber nicht so gefunden habe: Das bin ich nicht, wie soll ich das reproduzieren? Durch diese-Beschäftigung mit NDW kamen wir dann auf IDEAL und generell die Humpe Schwestern, und haben nach und nach mehr entdeckt, etwa MALARIA!, BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, Nina Hagen, X-MAL DEUTSCHLAND und so weiter. Wir lernten dann auch immer mehr Wave-Musik kennen, und dadurch habe ich für mich auf einmal ganz andere Optionen gesehen.

Interessant daran finde ich, dass ein Begriff wie NDW ganz unterschiedlich gesehen wird – über die „Neue Neue Deutsche Welle“ reden wir nachher noch. Wer das Anfang der Achtziger mitbekommen hat, wie aus einer neuen, spannenden musikalischen Bewegung durch die Musikindustrie auch unfassbar viel Müll nach oben gespült wurde, der sieht das sicher anders. Speziell eine Sängerin beziehungsweise Band aber aus jener Zeit kam Uschi und mir angesichts deiner Stimme immer wieder in Sinn: neben X-MAL DEUTSCHLAND ist das Ina Deter – „Neue Männer braucht das Land“ kennt ja wohl jede:r ...
Lina: Über all diese Bands haben wir natürlich viel geredet, auch mit unseren Eltern. Wir fanden – damals noch – auch Nena geil, und unsere Eltern, die das ja noch aus einer anderen Perspektive mitbekommen hatten, meinten nur: „Oh mein Gott, Nena ...“ Aber für uns, die dazu ja gar keinen Bezug hatten, außer „99 Luftballons“, war das neu und spannend.
Jonah: Jeglicher Beigeschmack fällt eben weg, wenn du nicht den Kontext hast, wofür die Band damals vielleicht stand oder auch nicht. Die Leute, die das damals gehört haben, fand man vielleicht scheiße, aber das fällt ja alles weg, wenn man die Musik viele Jahre später unbefangen hört. Man hat einfach nur den Song.
Lina: Für uns hat sich mit NDW eine ganz neue Welt aufgetan. Wir fanden THE CURE und THE SMITHS und all diese Wave-Bands cool, und auf einmal kamen wir auf das, was damals in Deutschland passiert ist, DAF und all dieses krasse Zeug. Da hat sich für uns wirklich ein neues Universum aufgetan.

Aber jetzt mal ehrlich, was läuft falsch bei euch, dass ihr auf so alten Scheiß steht? Und wieso macht ihr nicht einfach mal was Cooles, so mit Trap, Emo, Rap und noch ein bisschen irgendwie komischen R&B mit drin? Das ist doch zeitgemäße junge Musik.
Jonah: Ich glaube, wir sind dem gegenüber auch gar nicht abgeneigt. Du zuckst jetzt vielleicht zusammen, aber wir hören nicht nur den alten Kram. Und das war uns bei unserer eigenen Platte auch wichtig. Es sollte jetzt nicht genau klingen wie aus den Achtzigern, denn wir hören natürlich auch aktuelle, moderne Musik, und an deren Produktionsstandard muss es heranreichen. Ein Song muss sich mit einem Haftbefehl-Song messen lassen, weil das jetzt unser Maßstab ist in Sachen „Wie fett kann etwas sein?“.
Lina: Ja, unsere Referenz-Mixe im Studio waren auch so etwas, weil wir so was ja auch geil finden. Wir wollen die Wurst! Wir sind Popkultur-Nerds und finden vieles total spannend, was da so läuft. Unsere Musik ist einfach so passiert, das haben wir uns nie bewusst ausgedacht auf Basis eines Konzepts, wir haben einfach gemacht und uns dann überlegt, was fangen wir jetzt damit an.
Jonah: Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass wir eine klassische Band-Instrumentierung haben mit Schlagzeug, Bass, Gitarre, Gesang. Wir hatten nie jemand dabei, der Synthie gespielt hat. Und da wir bis vor kurzem auch ein festen Schlagzeuger hatten, kam uns auch nie die Idee, da jetzt einen Trap-Beat aus dem Computer drunterzulegen.
Lukas: Wir haben auch kein Album geschrieben, sondern wir haben Lieder geschrieben, die jetzt auf einem Album kompiliert sind.

Das sind 13 Songs, und das Album ist fast eine Stunde lang ...
Jonah: Deshalb musste es auch eine Doppel-LP werden, hahaha.
Lina: Wir hatten diese Songs und dann haben wir überlegt, was machen wir jetzt damit. Was sind die gemeinsamen Nenner für uns? Wie können wir das zusammenkriegen, so dass ein schlüssiges Bild entsteht? Für uns ist das schlüssig, eben weil wir das sind, aber wie wirkt das auf andere? Wir sind keine Konzept-Band, weil wir auch keine Konzept-Menschen sind, sondern musikalisch eher intuitiv vorgehen. Vielleicht ändert sich das irgendwann mal, aber gerade sind wir eben so.
Lukas: Das einzig Konzeptionelle an dem Album ist der letzte Song „Brennen“.
Jonah: Das sollte zuerst nur eine halbe Minute Outro werden, einfach was Ruhiges. Dann wurde daraus aber noch ein eigener, für mich total wichtiger Song, denn es war das erste Mal, dass wir einen Song geschrieben haben ohne einen festen Schlagzeuger oder eine Schlagzeugerin in der Band. Wir merkten, wir können auch einen Song schreiben, wo fast keine Drums drin sind.
Lukas: Da war es egal, ob man das live umsetzen kann, weil so einen Song würden wir sowieso niemals live spielen. Deshalb machten wir alles darin, was wir machen konnten, Streicher, Bläser dazu, Jonah spielt den Bass mit einem Geigenbogen ... Das ist losgelöst vom Rest des Albums, damit entlassen wir die Leute nach einer Stunde Musik.
Jonah: Wegen unserer ganzen Arbeits- und Herangehensweise finde ich den Begriff Post-Punk für uns irgendwie treffend. Gar nicht mal unbedingt, weil alle unsere Songs prototypische Post-Punk-Songs sind. Sondern weil wir Leute sind, die aus einer Art punkiger Attitüde heraus angefangen haben, Musik zu machen, und uns von da aus jetzt weiterentwickeln.
Lina: Weil wir über zehn Jahre gelernt haben, wie man irgendwas macht.
Lukas: Zum Beispiel ein Laptop bedienen.
Lina: Nichts, was wir können, beherrschen wir, weil uns das irgendwer beigebracht hat oder weil irgendwer von uns irgendwas in die Richtung studiert hat. Wir können alle nicht mal richtig Noten lesen.
Lukas: Ich korrigiere: „nicht mal richtig“ trifft es nicht. Es muss heißen: nicht.
Lina: Wir haben alles durchs Machen gelernt, in allen Bereichen. Wir fühlen uns weder dieser Post-Punk- noch der DIY-Szene zu 100% zugehörig. Aber das ist der Hintergrund, vor dem wir gelernt haben, wie wir Sachen machen. Wie wir Shows gespielt haben, was wir für Shows gespielt haben, dass wir selber immer Konzerte organisiert haben, seitdem wir noch in der Schule waren, dass wir auf Schüler-Rockfestivals gearbeitet haben und damit Leuten das zurückgeben wollten, was wir damals bekommen haben – das ist die Art, wie wir da reingewachsen sind. Was vielleicht auch wieder an Solingen liegt, weil es hier viele Strukturen nicht gibt. Wir sind nicht in Mannheim, wo es natürlich ist, an die Popakademie zu gehen, wenn man Bock auf Mucke hat. Für uns war die Situation eben die: Wir wollten auf Konzerte gehen, es gab keine Konzerte, also organisierten wir die eben selbst. Erst im Schulkeller und dann lernten wir das Waldmeister kennen.

Du erwähntest eben schon Solingen. Ein gemeinsamer Bekannter hielt euch, als wir über euch sprachen, für eine Berliner Band. Ihr seid dort mittlerweile auch ganz gut vernetzt. Wie kam das? In der Band-Bio zum Album wird aber nun etwa konkret auf eure Verbindung mit dem Solinger Kulturverein Waldmeister verwiesen.
Lina: Mittlerweile sind wir in der Musikszene eher verwoben mit Berlin als hier in NRW. Wir sind hier in NRW nie so recht angekommen, das beschränkte sich immer nur auf unsere Blase. Klar, wir hätten uns auch eine Story ausdenken können, wie die Band entstanden ist und wo wir herkommen. Aber man kann ja nichts dafür, dass es so war.
Jonah: Unsere Herkunft aus Solingen ist einfach ein wichtiger Grund, dass wir sind, was wir sind. Wir hatten nicht großartig was anderes zu tun, als im Proberaum abzuhängen und Mucke zu machen.
Lina: Wir sind eben nicht die coolen Indie-Kids aus Berlin, sondern wir kommen von hier. Und wir haben das gemacht, was wir gemacht haben, weil wir von hier kommen und es hier nicht so viel gab. Und wir sind dann in Strukturen reingerutscht mit Leuten, die Bock haben, was zu machen, und haben so ganz früh gelernt, dass du es selbst machen musst, wenn es kein anderer macht.
Lukas: Wir waren vor einer Weile mal auf so einem Netzwerktreffen für junge Musiker:innen in Berlin mit Workshops, Jam Sessions und so weiter. Aber das war alles so absurd, wir saßen da fast die ganze Zeit in einer Ecke und fühlten uns nicht dazugehörig und unwohl, und haben vor uns hin gestarrt.
Lina: Wir haben uns noch nie so richtig zu irgendwas zugehörig gefühlt. Wir hatten immer schon uns und das war und ist gut, das ist unsere sichere Bank.

Das ist die Essenz von Punk, oder? Sich in Gesellschaft anderer erst mal nicht zugehörend zu fühlen. Das war in den Achtzigern schon so.
Lukas: Wir wissen gar nicht, wie das bei anderen ist. Ich weiß bis heute nicht, wie andere das handhaben, wie andere an ihre ersten Gigs gekommen sind. Wir sind da rangekommen, indem wir es selber gemacht haben.

Eigentlich erzählen die DONOTS die gleiche Geschichte, da war es nicht Solingen, sondern Ibbenbüren.
Jonah: Ich verstehe total, dass so viele Leute nach Berlin abhauen, um da in der Szene zu sein und stattzufinden, aber andererseits ist es auch total traurig, dass sich daran nichts ändert, dass alle Leute immer abhauen aus den kleineren Städten.
Lukas: Von hier aus wirkt das immer alles so cool. Aber wenn man dann mal da ist, ist es irgendwie auch nur so okay.
Jonah: Eine Stadt wie Berlin hat natürlich auch total geile Aspekte, aber irgendwie kann es das auf Dauer auch nicht sein.
Lina: Mit Max Gruber haben wir da viel drüber geredet. Für den war es wichtig, nach Berlin und Leipzig zu gehen, um da überhaupt erst „seine“ Leute zu finden. Wir dagegen hatten ja schon immer uns. Er sagte, er finde das cool an uns, dass wir so eine richtige Band sind. Dieses Coming-of-Age-Filmklischee von irgendwelchen Dullies, die sich finden und dann zusammen Mucke machen, das trifft auf uns zu.

Mit Max seid ihr mittlerweile gut befreundet, Lukas spielt in dessen Tourband, er hat einen Song auf dem Album mitgeschrieben. Wie ist die Story dazu?
Jonah: Das kam durch das Popkultur Festival 2019 in Berlin, wo wir im Rahmen von so einem Newcomer-Ding da gespielt haben.
Lukas: Wir waren von allem total überwältigt, weil wir da so viele Leute gesehen haben, die wir bislang nur aus dem Internet oder aus Musikzeitschriften kannten. Wir sind da rumgelaufen und Max hat mich einfach angequatscht und meinte, du siehst aus, als würdest du in einer Band spielen, was machst du hier? Und ich: Ja, ich spiele tatsächlich morgen. Er: Alles klar, ich komm vorbei. Er hat sich das angeguckt und uns danach per Instagram kontaktiert – er war total geflasht. Das sei das Beste gewesen, was er je gesehen habe. Wie X-MAL DEUTSCHLAND, aber geiler. Wir müssten unbedingt bei ihm als Vorband mit auf Tour kommen. Wir sind in Kontakt geblieben und irgendwann brauchte er einen neuen Bassisten, da hat er mich gefragt. Ich antwortete, ich hätte noch nie Bass gespielt, aber ich probier’s mal, und dann habe ich mir erst mal den Bass von einem Kumpel geliehen und geübt. Max hat mir die Songs gezeigt und so ist es zusammengewachsen.

Also es ist schon hilfreich, einen Fürsprecher zu haben, jemanden, der einem Türen öffnet, der einen mit Leuten bekannt macht, dessen Name dann auch Namedropping-mäßig hilft, an bestimmten Stellen.
Lina: Max ist für uns super wichtig. Wir haben immer gehofft, dass wir mal andere Bands aus NRW hätten, mit denen wir befreundet sind, mit denen man was zusammen machen kann, zusammen tourt und so. Das hatten wir hier aber nie. Und durch Zufall ist es dann mit diversen Berliner Leuten passiert, über Max.
Jonah: Aber auch die Zeit 2019, als wir viele Konzerte im Waldmeister veranstaltet haben und uns Bands, auf die wir selber Bock hatten, einfach dahin eingeladen haben, war wichtig. Mit den meisten haben wir uns menschlich total gut verstanden, KAUFMANN FRUST aus Stuttgart zum Beispiel, oder LEVIN GOES LIGHTLY.
Lina: Oder SWUTSCHER aus Hamburg. So kam der Kontakt zu Velvet von SWUTSCHER zustande, der das La Pochette Surprise-Label macht, wo unsere erste EP erschienen ist. Darüber ergaben sich wieder viele andere Kontakte, das war schön.
Jonah: Man hat die romantische Vorstellung, dass geile Musik alleine reicht, aber am Ende ist es nicht so.
Lina: Wir haben schnell gemerkt, wie gut das funktioniert, wenn man für andere Bands Konzerte klarmacht. Und wir haben, nachdem wir anfangs nur befreundete Bands eingeladen hatten, auch mit Booking-Agenturen Kontakt aufgenommen. Und dann „passierte“ das irgendwie von allein.
Lukas: Für uns war das total cool, dass jemand aus der Szene wie Max gesagt hat, dass es gut ist, was wir da machen, das hatte was von einem Ritterschlag.
Jonah: Wertschätzung ist total wichtig, um das durchzuziehen, worauf man Lust hat. Wir hatten in unserer ganzen Laufbahn immer Glück und haben viel positiven Zuspruch bekommen. Ich weiß nicht, ob ich das all die Jahre weitergemacht hätte, wenn immer alle scheiße gefunden hätten, was wir machen.

Ich muss auf diesen Begriff „Neue Neue Deutsche Welle“ zu sprechen kommen. Habt ihr das erfunden?
Lukas: Wir haben uns das mal im Proberaum zusammen überlegt. Dann wurde uns unser Kind quasi entrissen.
Jonah: Wenn man wie wir Spaß an dummen Wortspielen und ein bisschen stumpfem Humor hat, kommt man auf so was.
Lina: Es ist mit dem Wechsel des Bandnamens entstanden. Mit dem neuen Projekt LYSCHKO haben wir versucht, ein bisschen mehr ästhetisch zu denken. Was schreiben wir ins Bandinfo? Ich glaube, der Begriff „Neue Neue Deutsche Welle“ stand schon, bevor wir LYSCHKO als Bandnamen hatten. Lasst uns das doch als unser Genre branden, dachten wir.
Lukas: Das ist so uncatchy, dass es schon wieder catchy ist.
Lina: Auf unseren allerersten Aufklebern stand das drauf. Wir wollten auch nicht mit diesen hundert neuen Post-Punk-Bands in einen Topf geworfen werden, weil das so eine Männerszene war, und „New Wave“ als Bezeichnung fanden wir auch nicht so richtig passend.
Jonah: Der Begriff ist eigentlich recht offen. Wenn man die Neue Deutsche Welle in Genres aufdröselt, war das ja sehr divers, viele Leute haben da mit Reggae und generell mit amerikanischer Musik und auch mit schwarzer Musik gespielt. Das waren punkige Leute, die irgendwann Bock hatten, auch ein bisschen Popmusik zu machen. Der Begriff ist recht frei und lässt zu, dass man herumexperimentiert.
Lukas: Und dann hat irgendwer bei Edwin Rosen unter einem Video kommentiert „Das ist Neue Neue Deutsche Welle“, und dann dachte sich Edwin, okay, dann nenne ich meine Musik jetzt so. Edwin ist sehr erfolgreich damit, ich gönne dem alles, was er an Erfolg hat, weil er ein super lieber Mensch ist. Und er kam dann bei einem Festival, wo ich mit DRANGSAL gespielt habe, backstage zu mir und sagte, er habe mitgekriegt, dass wir das zuerst hatten, das tue ihm total leid.
Jonah: Aber wie wir mittlerweile erfahren haben, wurde der Begriff im Kontext mit JULI Mitte der Zweitausender auch schon mal verwendet. Das hatte sich also schon mal irgendwer vor uns überlegt.

Für die nächste Frage zitiere ich einen DIE GOLDENEN ZITRONEN-Song: „Doris ist in der Gang“. Ich erinnere ein Konzert von euch im Waldmeister, wo ich mir dachte, was geht da denn am Schlagzeug? Was für ein Wumms! Wie kam Doris in das LYSCHKO-Universum?
Lukas: Doris hat irgendwann eine Mail an den Waldmeister geschrieben, ob sie da spielen könnte mit ihrem Projekt BADISON. Jonah hat damals die eingehenden Booking-Mails für das Waldmeister betreut und als wir dann Schlagzeuger:innenlos waren, erinnerte er sich an diese Mail, konnte sich aber weder an den Namen noch sonst was erinnern, nur: Die hatte braune Haare. Dann habe ich wirklich einen Tag lang das ganze Internet durchforstet und habe die tatsächlich gefunden. Ich habe ihr geschrieben, stellte uns vor – und von ihr kam nur: Ich spreche kein Deutsch.
Lina: Du hast dann noch mal auf Englisch geschrieben. Und sie: Also eigentlich habe ich keinen Bock auf Bands, weil alle Bands sind scheiße und ich mag auch keine deutsche Musik, aber ich würde es mir wohl mal anhören. Und dann hat sie sich die Sachen angehört und schrieb, okay, ich komm doch mal in den Proberaum. Und dann fand sie es total cool. Die hatte einen Song geübt und den direkt perfekt gespielt.
Jonah: Die Vorgeschichte war, dass unser alter Drummer kurz vor unserem Studiotermin ausgestiegen ist. Es gab schon vorher eine Phase, wo er nicht mehr so richtig involviert war und wo wir angefangen hatten, ohne ihn Songs zu schreiben. Er sagte dann irgendwann, dass er keinen richtigen Bock mehr habe. Wir hatten aber den Studiotermin und wollten uns diese Chance nicht entgehen lassen. Wir haben über einen Freund dann einen Sessionmusiker gefunden, der für uns die Schlagzeugparts des Albums eingespielt hat im Studio, wobei aber klar war, der ist zu busy, um weiterhin mit uns zu spielen.
Lina: Dann haben wir Doris kennen gelernt und deswegen gibt es immer diese Verwirrung, warum wir mal zu dritt, mal zu viert auftauchen, warum nur wir drei auf den Bandfotos sind. Wir haben Doris gefragt, ob sie mit auf die Fotos will, aber sie sagte, wir seien die Band, wir hätten das Album eingespielt, sie spiele nur bei einem Song Schlagzeug. Doris ist mittlerweile eine enge Freundin und sehr wichtig. Sie wohnt in Düsseldorf, kommt aber aus Kroatien.

Mit Doris und dir, Lina, sind LYSCHKO eine Band mit 50% Frauen auf der Bühne. Das ist durchaus ein Thema.
Lina: Es ist schön, nicht immer die einzige Frau zu sein backstage, auch wenn Jonah mein Bruder und Lukas mein bester Freund ist, und ich kein Problem habe, mit den beiden eng rumzuhängen. Aber ja, wie viele Konzerte haben wir gespielt, wo keine andere weiblich gelesene Person war, außer Doris und mir? Ansonsten sind da nur Männer oder zumindest Personen, die ich männlich lese oder wahrnehme. Auf der Bühne. Hinter der Bühne. Vor der Bühne. An der Technik. Veranstalter. Booker. Es war ein guter Zufall, dass wir auf der Suche nach einer neuen Person für die Position am Schlagzeug auf Doris gestoßen sind.
Lukas: Sollte sie mal nicht mehr mit uns spielen können, weil es für ihr eigenes Projekt so gut läuft, wird das schwer für uns, weil sie einfach so geil Schlagzeug spielt, dass alles, was da drunter ist, einfach nicht mehr funktioniert. Wir wollen die gute Live-Band, die wir jetzt sind und – was ich auch aus Überzeugung sagen kann – bleiben. Das geht nur, wenn man am Schlagzeug jemanden hat, der krass gut spielt, denn damit steht und fällt am Ende alles. Ob ich mich mal verspiele oder Jonah, scheißegal, solange der Beat da drunter ballert. Dann funktioniert es.