LORD JAMES

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Cottbus calling

Das Quintett aus Cottbus hat mich seit der LP „The Fast, The Fuked And The Furious“ schwer am Wickel. Das konnte sich für Streetpunk-Fans doch nun wahrlich hören lassen! Nun ist schon seit geraumer Zeit das Nachfolgealbum „Only Good For Boozin’“ raus, abermals auf Contra Records, und es ist nun wirklich an der Zeit, Gitarrist Krumse zum Gespräch zu bitten.

Es ist dir doch recht, wenn ich euch nicht die langsam nervige Frage stelle, wie ihr die Pandemie überstanden habt? Oder brennt dir in dieser Hinsicht noch etwas auf den Nägeln?

Ja, danke für die Nachsicht zum Thema Lockdown. Wir sind einfach nur froh, dass das Leben in die Live-Kultur jeglicher Art zurückgekehrt ist.

Als Band seid ihr ja 2012 mit einer Vinyl-Single gestartet, die zudem bei Szene-Urgestein Tom Schwoll aufgenommen wurde. Wie erinnert ihr euch an diese aufregenden Tage zurück?
Genau genommen waren wir 2008 zum ersten Mal so richtig im Studio. Damals haben wir bei Smail Shock auf Bandmaschine in seinem damaligen Studio hinter einer Autowerkstatt im Wedding aufgenommen. Es war ein wuseliges Durcheinander von fünf unkonzentrierten und ständig besoffenen Recording-Grünschnäbeln. Dass dabei überhaupt ein verwertbarer Tonträger herausgekommen ist, haben wir nur Smails endloser Geduld und seiner herrlich trockenen Art zu verdanken. Genauso lief es mit Tom in der Nalepastraße weiter. Das Schaltraum-Studio hatte schon ein einzigartiges Flair. Wir waren damals in der Kreuziga, quasi bei Tom zu Hause, untergebracht und haben ihn nach den Studiotagen mit nächtlichen Rum-Cola-Kneipentouren so sehr gequält, dass er die Band in „Havana Head Club“ umtaufte. Da gibt es tausend schöne Erinnerungen. Zum Beispiel die Roller-Rennen zum Klo ... Viel ist bei uns auch hängengeblieben durch Toms Erfahrung als Studiomusiker, von der er uns wirklich profitieren ließ.

In einem Lied der neuen LP namens „The candle“ heißt es so schön: „Try to walk in your shoes“. Ist es nicht generell ein Hauptproblem unserer Ego-Welt, dass wir uns offenbar nur schwer in andere Menschen hineinversetzen können?
Grundsätzlich sehen wir das in unserem Kreis eigentlich nicht. Wir haben gemerkt, dass es mit dem Älterwerden sogar besser klappt sich einzufühlen. Wir gehen alle arbeiten, haben Familie, wollen proben und am Wochenende mit der Band unterwegs sein. Wir versuchen es so abzustimmen, dass keiner zu kurz kommt und auch die Kinder und Familienmitglieder davon partizipieren. Das ist auch der große Vorteil einer Kleinstadt: Wir können ruhigen Gewissens behaupten, dass sich jeder um jeden kümmert. Weil er es verdient hat oder eben gerade braucht. Das mögen wir wirklich sehr an Cottbus.

Eure letzte LP „The Fast, The Fuked And The Furious“ ging mir schneller in Mark und Bein. Weshalb ist die neue Scheibe dennoch besser?
Also wir meinen, dass der jeweils letzte Release in der Regel den musikalischen „Status quo“ einer Band widerspiegelt. Bei uns differieren die musikalischen Einflüsse und Vorlieben trotz gleichem Hauptnenner. Das sehen wir schon immer als Stärke, um das Repertoire möglichst breit zu gestalten. Wir haben uns auf „Only Good For Boozin’“ zum Beispiel zum ersten Mal an einer an Oldschool-Hardcore orientierten Nummer versucht. Normalerweise braucht bei uns ein Song nach der Idee höchstens ein bis zwei Proben und das Ding steht. An „21st century“ haben wir knapp drei Monate herumgewerkelt. Wir meinen, dass ein Album immer noch ein stimmiges Gesamtbild haben sollte, und bei „Only Good ...“ hieß das Ziel vor allem Vielfalt.

Das Wurzener Label Contra Records ist für euch sicher inzwischen wie eine Heimat. Ist es das erst geworden oder war es das von Anfang an?
Wir haben von Beginn an bei Contra Records veröffentlicht und auf allen „Contra Bashes“-Festivals gespielt, bis auf das diesjährige. Das kam daher, dass wir das uns sehr wichtige „Mosh gegen Krebs“ am selben Termin unterstützen durften. Contra hat uns schon viel ermöglicht, und weil Hechti, Michi, Ecke und „die Rotzer“ so sind, wie sie sind, passte die Chemie einfach sofort.

Seid ihr Freunde, die zusammen auch Musik machen, oder ein Bandprojekt, wo jede:r gehen muss, der sich nicht einreiht?
Unsere absolute Basis – lange vor dem ersten gespielten Ton – ist, dass wir die Band und eine ganze Reihe von neuen und langjährigen Freunden, Unterstützern und Wegbegleitern mit der eigenen Familie gleichstellen. Es gibt Kompottverbot, wenn jemand nicht rund läuft, und „hot kisses“, wenn das Böckchen wieder weg ist. Wir sind also eine Art KELLY FAMILY mit größerem Genpool.

Aktuell seid ihr auch auf dem „Tape’s Not Dead“-Sampler vertreten. Wie schätzt ihr die Chancen ein, das Medium MC wieder größer zu machen?
Durch die knappen zehn Jahre an Altersgefälle in der Band gehen die Meinungen und Erfahrungen mit MCs ziemlich auseinander. Tatsache ist, dass alle drei Releases auf TapeOrDie und sicher auch der „Tape’s Not Dead“-Jubiläumssampler schnell unter die Leute gebracht waren. Von „Steady Numbers“, das unter anderem die Smail Shock-Aufnahmen beinhaltet, und „Only Good ...“ gab’s jeweils sogar eine zweite Auflage. Als Gimmick funktionieren Tapes auf jeden Fall. Wenn wir an unsere ersten Autoradios und unsere Kids denken, sieht die Zukunft der Kassette aber nicht so rosig aus.

Der Song auf dem Sampler heißt „I never saw the Ramones“. Meine Güte, da bin ich peinlich berührt, weil ich das inhaltlich auch singen könnte. Wie geht’s euch mit alten Helden, die man womöglich verpasst hat?
Es war bei André, der den Text verfasst hat, tatsächlich so, dass ein RAMONES-Tape ihn zum Punkrock gebracht hat. Mir ging es mit THE CLASH ebenso. Johnny, Karo und Woody können da ebenfalls genügend Beispiele nennen. Hören wir heute vereinzelt Sprüche über „Yesterday’s Heroes“, erscheint uns das nicht besonders selbstreflektiert. Die alten Helden sind genauso ein wichtiger Bestandteil unserer Subkultur wie die jungen Wilden, die alles aufs nächste Level heben. Deshalb sind wir gleichermaßen glücklich, alte Halunken wie Kevin K oder jüngst G.B.H. kennen gelernt zu haben, wie auch darüber, wirklich junge Leute bei einer Show Spaß haben zu sehen. Dabei ist doch wohl egal, wie alt Song und Interpret sind. Wie es zum Publikum transportiert wird, das ist der Punkt.

Eure Heimatstadt Cottbus wird in den Medien stets so dargestellt, als würden dort fast nur Nazis und Hools herumlaufen. Wie sieht es real aus? Und es wäre interessant, von euch zu erfahren, was richtig cool an eurer Stadt ist.
Es ist schade, dass unsere eigentlich bunte und vielfältige hassgeliebte „Hauptstadt von West-Polen“ so wahrgenommen wird. Ja, es gibt hier wohl auch einige braune Hirnis in irgendwelchen Löchern, aber man kann deswegen nachts beschwipst allein nach Hause laufen. Das sieht in nahegelegenen Metropolen ganz anders aus. Richtig cool an Cottbus ist einfach, dass es unsere Heimatstadt ist.

Wir beim Ox stellen fest, dass bei Konzerten die alten Stammzuschauer oft ausbleiben. Ich schließe mich da sogar ein, aufgrund von Entwöhnung und Bammel vor Corona bei Indoor-Gigs. Wie seht ihr die Zukunft, erhöhte Preise sind ja auch nicht so verlockend? Wie ist das in den Griff zu bekommen?
Zumindest in Venues, in denen wir immer mal wieder spielen dürfen, ist uns der „harte Kern“ durch die Lockdowns eigentlich nicht verloren gegangen. Allgemein, auch als Gast gesehen, scheint es eher so, als ob die Hütte entweder total voll oder komplett leer ist. „Normal gefüllt“ scheint es nicht mehr zu geben. Die Preisdebatte ist zu vielschichtig, um in zwei Sätzen verhandelt zu werden. Vom Veranstalter, dem wirklich von allen Seiten ohne eigenes Zutun die Kosten um die Ohren fliegen, bis zum schlitzohrigen Fördertopfabstauber hat sich da einiges gezeigt. Wir schauen schon, was an der Abendkasse auf dem Schildchen steht. Bisher gab es diesbezüglich bei unseren Konzerten aber noch keine Desaster.

Was ist euch lieber, auf einem großen Festival um 16 Uhr in der prallen Sonne zu spielen oder als Hauptact um 23 Uhr in einem kleinen verrauchten Club?
Am liebsten ist uns, wenn der Veranstalter die Running-Order im Vorfeld festlegt und damit der Drops gelutscht ist. Die Locals kennen ihr Publikum schließlich am besten und haben in der Regel schon ein Gesamtkonzept für den Abend oder das Festival. Befindlichkeiten gibt es da unsererseits nicht. Ob Lose ziehen oder Herausforderungen zum Schwanzvergleich, wir sind dabei. Und vorbereitet.