Oi!-Punk muss zwingend aus England kommen und Working Class, Boots und Braces zum Thema haben? Humbug! Überholt! Blödsinn! Um das zu erkennen, muss man sich nur mal LION’S LAW anschauen: Die kommen aus Paris, singen mitunter sogar auf Französisch – und das eben auch über Dinge abseits des Oi!-08/15-Einheitsbreis. Zu hören ist das einmal mehr auf ihrem famosen neuen Album „The Pain, The Blood And The Sword“. Frontmann Wattie und Gitarrist Louis erklärten uns, warum dessen Artwork eher nach Metal denn nach Oi! aussieht, was wie von Songs in ihrer Muttersprache halten – und warum ihre Heimat Paris nicht zwangsläufig die oft beschworene „Stadt der Liebe“ ist.
Wattie, Louis, das Cover eures neuen Albums zeigt diverse mittelalterliche Elemente. Sarkastisch gefragt: Hast du den Eindruck, dass diese Welt, in der wir leben, derzeit ins Mittelalter zurückfällt?
Wattie: Sicher! Es geht gerade zurück in die Zeit der schwarzen Pest, haha! Aber um ehrlich zu sein: Wir lieben mittelalterliche Kunst. Gravur. Glasmalerei. Denn es ist sehr leicht, deren Bedeutung zu erfassen, weil gerade diese Kunst eine starke Wirkung besitzt. Nichtsdestotrotz hast du recht, die Dekadenz unserer Gesellschaft ist eine Tatsache, über die wir uns alle einig sind.
Was ist die Geschichte hinter diesem Cover, auf dem wir Schwerter, angekettete Menschen auf dem Scheiterhaufen und eine Art Gral sehen? Und was steckt hinter dem sehr seltsamen Namen „The Pain, The Blood And The Sword?“ So was verortet man ja doch eher im Metal, wie er beispielsweise in eurem neuen Song „Destined to fall“ ein wenig zu erkennen ist.
Wattie: „The Pain, The Blood And The Sword“ ist eine ikonographische Darstellung jener Hürden, denen wir uns im Leben stellen und die wir zu überwinden haben. Es geht darum, welche Opfer wir bringen müssen – und um wie viel stärker wir danach wieder aufstehen können. Wir als LION’S LAW sind auf jeden Fall dazu da, um zu beweisen, dass das Schreiben guter Songs mit schöner Poesie als Text nicht nur Sache der Metal-Bands ist, sondern auch Sache des Oi!-Punk.
Ein gutes Stichwort: Ihr seid eine Oi!-Band und spielt auch die entsprechende Musik. Aber viele eurer Texte drehen sich eben nicht um diese Oi!-Klischees und Slogans wie „Wir sind die Working Class!“ Ist dieses Genre zu eng gefasst für LION’S LAW?
Wattie: Wir haben immer versucht, so weit wie möglich von diesem Klischee des „Oi! Oi! Oi! Stiefel an für die Arbeiterklasse“ entfernt zu sein. Unsere Texte sind seit jeher dunkler und persönlicher, mit einem wirklich pessimistischen Blick auf die Gesellschaft und die Art, wie sich diese Welt dreht und was in ihr vorgeht. Wir haben eindeutig die Nase voll davon, dass sich der Oi! immer nur um die gleichen dummen Themen dreht. Ich denke, das ist für uns eine natürliche Entwicklung. Ja: Wir spielen immer noch Oi! – auch weil wir Skins sind und der Sound roh ist. Aber textlich sind wir eben anders. Da ist der Unterschied gesetzt.
Louis: Ich denke, einige sehen uns als Oi!-Band, andere als Punkrock-Band. Letztlich ist es so: Wir sind Skins. Aber wir haben viele verschiedene Einflüsse. Und ich glaube, man spürt das, wenn man uns zuhört. Es ist jedenfalls immer gut, weit weg von Klischees zu sein.
Ihr singt „We stay together to fight the enemy“. Wer ist unser Feind?
Wattie: Der Feind ist jeder, der einen zu Fall bringen will. Der einen am Boden sehen will. Vom System, der Regierung angefangen bis zu einigen Leuten, die einem schaden wollen und die versuchen, einen am Erreichen seiner Ziele zu hindern. Es geht um jeden, der einem diktieren will, wie man zu leben, was man zu sagen hat. Feind ist jeder, der die Freiheit verletzen will.
Louis: Entsprechend geht es in dem erwähnten Song, „The enemy“, auch um Korpsgeist. Um einen Gemeinschaftssinn. Um das Zusammenstehen gegen den Feind.
Solch martialische Texte werden gerne verwendet in Genres, die irgendwie mit Punk zu tun haben. Aber meiner Meinung nach fragen stets nur wenige Leute, wie weit man wirklich in solch einer Auseinandersetzung gehen würde. Ein Kampf kann ja physisch und nicht-physisch vonstatten gehen. Also körperlich oder verbal. Wie weit würdet ihr gehen?
Wattie: Wir sind und waren immer bereit, so weit zu gehen, wie es nötig ist. Wir haben schon viele auch physische Kämpfe ums Überleben unserer Bewegung geführt. Und wir sind noch lange nicht bereit, damit aufzuhören.
Ihr habt ja mit englischen Liedern begonnen. Vor einigen Jahren kamen dann die ersten Songs auf Französisch hinzu. Jetzt, auf dem neuen Album, sind vier von vierzehn Stücken in eurer Muttersprache. Wird sich dieser Anteil in Zukunft noch erhöhen?
Wattie: Ich beginne mal so: Wir haben LION’S LAW seinerzeit gegründet, nachdem Louis und ich schon in Bands mit französischen Songs gespielt hatten. Wir kannten das also. Zudem wünschten sich die Fans hier in Frankreich auch mal Oi!-Songs mit französischen Texten. Deshalb veröffentlichten wir 2018 eine komplette EP auf Französisch mit dem Titel „Zonard“. Und die Leute waren wirklich glücklich darüber. Aber es ist letztlich so: Das Schreiben auf Französisch ist wirklich etwas ganz anderes. Es ist eine andere Ebene der Poesie.
Wie meinst du das?
Wattie: Französisch ist eine Sprache, die nur schwer zu manipulieren ist, da sie dann schnell wirklich dumm klingt. Nur wenn man sie mit der nötigen Sorgfalt benutzt, klingt sie gut. Dann ist sie wunderschön. Sie kann sehr roh und wütend und gleichzeitig sehr poetisch klingen. Und deshalb ist es definitiv wesentlich schwieriger, ein gutes Lied auf Französisch zu schreiben als eines auf Englisch. Um auf deine Frage zurückzukommen, ich bin mir nicht sicher, ob wir die Anzahl der französischen Lieder in Zukunft erhöhen werden. LION’S LAW werden immer hauptsächlich eine englischsprachige Band sein. Abe ich denke, vier Songs von vierzehn – das ist schon eine gute Anzahl, um die Leute daran zu erinnern, dass wir Franzosen sind! Baguette! Haha!
Ihr kommt aus Paris. In einer großen Stadt wie dieser hat man quasi die ganze Welt komprimiert vor sich. Es leben Menschen aller Ethnien, Religionen, politischen Orientierungen und sozialen Gruppen auf engstem Raum zusammen. Das führt häufig zu Auseinandersetzungen, etwa in den Banlieues, den Stadtrandsiedlungen. Es ist nicht alles schön in Paris und das hört man aus euren Songs deutlich heraus. Um es aber auch hier noch mal auf den Punkt zu bringen: Wie lebt es sich derzeit in der „Stadt der Liebe“?
Wattie: Paris ist ein rauhes Pflaster. Hinter den schönen Gebäuden, hinter der Geschichte versteckt sich eine Menge Gewalt... Und darüber sprechen wir. Wir sprechen über die Realität des Lebens. Wir schreiben keine musikalischen Postkarten darüber, wie schön das alles ist. Wie es nach Blumen riecht und wie die Vögel singen. Nein. Denn es riecht nun mal eher nach Pisse. Es gibt Kämpfe und Armut. Paris ist wie ein Ameisenhaufen – mit mehr als zwölf Millionen Menschen, die von überall her kommen und um ihr tägliches Brot kämpfen. Und wenn die Lebenshaltungskosten steigen, streben die Menschen eben vor allem nach dem Überleben. Und wenn das Leben so hart ist, werden auch die Menschen hart. Das führt dann zu Zusammenstößen. Die Leute hier sind zudem wütend auf die Regierung, die sie alleine lässt. Die Folge: Heutzutage gibt es eigentlich keine Woche mehr ohne irgendwelche Unruhen.
Zum Schluss noch ein kurzer Rückblick: Euch gibt es nun im achten Jahr. Was hat sich seit dem Anfang am meisten verändert für LION’S LAW?
Wattie: Eine Menge, musikalisch und technisch. Wir haben damit begonnen, dass wir mit dem Auto meines Vaters, das keine richtige Gangschaltung hatte, durch Europa tourten. Wir haben die Band viele Jahre lang mit unseren eigenen Mitteln, unserem Ersparten finanziert. Unsere Shows selber gebucht. Mittlerweile sind wir aber in der glücklichen Lage, einige wirklich gute Leute zu haben, die uns helfen und auf die wir uns verlassen können. Dank ihnen läuft alles reibungslos und wir haben mehr Zeit, um uns auf die Musik zu konzentrieren. Und apropos Musik: Auch die hat sich eben entwickelt. Der Stil. Das Können. Und sie ist so, wie sie derzeit ist, perfekt.
Louis: Das würde ich auch sagen. Wattie hat absolut recht. Ich bin dankbar für alles bisher. Die Jahre waren eine großartige Erfahrung Das sollten wir genießen, solange es geht, und sehen, was die Zukunft für uns noch so bereithält.
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