LIONHEART

Foto© by John Gyllhamn

Deutsch-amerikanische Freundschaft

Unser letztes Interview mit der kalifornischen Hardcore-Band LIONHEART ist Jahre her und im November 2018 sah die Welt noch ein wenig besser aus: keine Corona-Pandemie, kein Krieg in Europa und das Einkaufen machte noch Spaß. Sänger Rob klärte uns damals am Telefon über die inhaltliche Ausrichtung des Vorgängers „Valley Of Death“ und seine Lieblingsdinge aus Deutschland auf. Auch 2022 hat sich wieder viel bei der Band aus Oakland getan, so spielte sie sowohl eine erfolgreiche Festivalsaison im Sommer als auch eine nahezu ausverkaufte Clubtour im Herbst. Zudem ist sie mit ihrem neuen Album „Welcome To The West Coast III“ auf zahlreichen Playlisten vertreten. Dieses Mal wollten wir von Gitarrist Walle Etzel erfahren, wie man es schaffte, dass Großmeister Ice-T auf der neuen Platte einen Gesangspart beisteuerte oder welche Schwierigkeiten man beim Songwriting mitten in der Corona-Pandemie hatte. Walle Etzel entpuppt sich während des Interviews beim Abendessen im Café Nord in Essen als bodenständiger und interessierter Musiker, der auch mal Gegenfragen stellt.

Walle, stell dich doch mal kurz vor. Ich weiß nur, dass du sowohl bei FALLBRAWL aus Essen als auch bei den Kaliforniern LIONHEART Gitarre spielst. Aber das ist noch nicht alles, oder?

Ja, das stimmt. Außerdem habe ich noch meine eigene Firma, mit der ich Künstler betreue. Hauptsächlich bin ich als Tourmanager oder Produktionsleiter tätig, kümmere mich aber auch um andere Sachen. Das hat schon früh angefangen, dass ich mit Bands unterschiedlichster Stilrichtungen von Punk über HipHop bis Reggae unterwegs war und für sie gearbeitet habe. Über die Zeit habe ich mir so einen großen Erfahrungsschatz rund um das Musikgeschäft aufgebaut, dass ich heute andere Künstler umfassend betreuen kann. Natürlich erfordert dieses zweite Standbein neben der aktiven Musikerkarriere auch einiges an Zeitreserven. Aber ich bin ein Typ, der sich schnell langweilt, wenn ich nichts zu tun habe. Vor einigen Tagen bin ich erst von einer mehrwöchigen Tour mit DISARSTAR zurückgekommen. Klar bin ich dann ein paar Tage chillig unterwegs und versuche runterzukommen, da freue ich mich natürlich, im eigenen Bett zu schlafen oder meine Freunde hier zu treffen. Aber auch dann gibt es genügend Sachen, die ich nebenbei noch mache. Oft lege ich Interviews in diese Zeitfenster. Jetzt könnte ich aber auch schon wieder loslegen und auf Tour gehen.

Verliert man nicht auch mal schnell den Bezug zur Realität, wenn man auf Tour immer hofiert wird, sprich Essen, Unterkunft und Geld zur Verfügung hat?
Ich bin ein einfacher Mensch und dahingehend nichts Krasses gewohnt. Natürlich erleichtern die Sachen, die du angesprochen hast, unser Musikerleben auf Tour, aber es ist kein Muss. Es ist immer cool, wenn man etwa beim Catering einigermaßen auf seine Kosten kommt. Da ich viel Sport treibe, freue ich mich immer über Hähnchen mit Gemüse oder Reis. Aber genauso gut kann ich mich auch wochenlang von irgendwelchem selbst bezahlten Fastfood ernähren und im Van pennen. Das Einschlafen dauert dann zwar länger, da ich seit Jahren keinen Alkohol trinke, aber ich wache zum Glück nicht mit dicker Birne auf. Dann würde ich keine Tour überleben.

Du hast eben erwähnt, dass du Interviews immer in bestimmte Zeitfenster legst: Hast du viele Interviews zur neuen Platte gegeben? In welcher Form haben dich die Journalisten kontaktiert?
Ja, das Interesse war schon groß. Es gab viele Anfragen per Telefon, und Phoner mache ich eigentlich ganz gerne. Über meine Vielzahl an Beschäftigungen haben wir eben schon gesprochen, so dass ich diese Form des Interviews schätze. Da geht zum einen nicht viel Zeit drauf und zum anderen muss ich nichts tippen, hehehe. Aber diese Atmosphäre gerade, wo man sich direkt gegenübersitzt, ist natürlich die beste Form für ein Interview. Und wenn man dann nicht zum tausendsten Mal gefragt wird, wie es ist, in einer amerikanischen Band zu spielen, ist das auch sehr erfreulich.

Lass uns über das neue LIONHEART-Album „Welcome To The West Coast III“ sprechen. Hater könnten hier gleich aus allen Rohren feuern und euch mangelnde Kreativität vorwerfen. Beim Namen eures Eröffnungssongs „The trilogy intro“ kann man die Idee schon erkennen, oder?
Ja, definitiv. Schon als wir den zweiten Teil von „Welcome To The West Coast“ veröffentlicht haben, sprachen wir oft darüber, dass es irgendwie cool wäre, noch einen dritten Teil zu machen. Beim Vorgänger „Valley Of Death“ passte der Titel nicht zur inhaltlichen Ausrichtung. Dieses Mal war der richtige Zeitpunkt gekommen, die Geschichte mit Teil 3 weiterzuerzählen. Ist doch auch bei Filmen oder Büchern oft so, dass eine gute Story mehrere Teile hat. Und vielleicht ist die Sache mit der West Coast auch noch nicht zu Ende, wer weiß ...

Auf „Valley Of Death“ hat euer Frontmann Rob ziemlich offen seine psychischen Probleme angesprochen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Texte, so dass es fast schon ein Konzeptalbum ist. Habt ihr diesmal wieder ein Thema besonders in den Vordergrund gestellt?
Na ja, vielleicht nicht ganz so krass, aber wenn du dir generell die Lyrics von LIONHEART anschaust, findest du auf jedem unserer Alben ähnliche Anknüpfungspunkte. Vieles hat mit den alltäglichen Lasten, Problemen oder Dingen zu tun, die man als Mensch zu tragen hat oder denen man ausgesetzt ist. Frag dich doch mal selbst, was du für ein Ventil für die ganze Scheiße hast. Wir können rausgehen und unseren Frust mit der Musik weghämmern. Andere haben vielleicht solche Möglichkeiten nicht und werden immer frustrierter. Bis es mal richtig knallt. Da sind wir als Band schon sehr privilegiert und das ist möglicherweise auch ein Grund dafür, warum wir live so gut zusammen funktionieren.

Als Band seid ihr auf der Bühne vereint, aber abseits des Tourlebens stelle ich mir Sachen wie Songwriting, Proben oder andere Aktivitäten ziemlich schwierig vor. Du lebst in Europa, der Rest in Amerika. Ein Hoch auf die digitale Technik, oder?
Das wäre ohne gar nicht möglich, denn auch die anderen Jungs wohnen ja alle weit auseinander. Die Platte ist zudem unter den restriktiven Corona-Bedingungen entstanden mit zwei Jahren Einreiseverbot und so weiter. Wir haben einige Ideen entwickelt, wie man es schafft, unter diesen Umständen ein Album zu schreiben und aufzunehmen. Eine Idee war es auch, das Album in Mexiko einzuspielen. Dort hätten wir uns relativ einfach treffen können. Aber zu der Zeit galten auch in Mexiko Kontaktbeschränkungen, die zu Problemen hätten führen können. Außerdem hätten wir einen Produzenten mitnehmen müssen, der die ganze Sache aufnimmt. Auch das wäre schwierig geworden. Letztendlich haben wir diese Überlegungen alle über den Haufen geworfen.

Was sind deine Lieblingsstücke auf der neuen Platte?
Mein Highlight ist auf jeden Fall „Live by the gun“. Hier haben wir mit Ice-T als Gastsänger eine richtige Legende am Start. Das Surreale ist, dass ich ihn schon von kleinauf immer gehört habe. Sowohl seine HipHop-Sachen als auch die Scheiben mit BODY COUNT. Ich fand ihn in seiner Funktion als Brücke zwischen den Genres überragend. Wenn man dann Mails von ihm bekommt, dass er unsere Sachen richtig gut findet oder auch Videos von uns teilt, fühlt sich das schon unglaublich an. Für mich ist das etwas ganz Besonderes. Das war auch kein klassisches Feature, wo man einen Gastmusiker gegen Bezahlung anheuert. Der Kontakt kam über unseren New Yorker Produzenten Will Putney zustande. Er produziert auch Sachen von Ice-T, wenn dieser dort seine Serie „Law & Order“ dreht. Will hat ihm Sachen von uns vorgespielt und ihn einfach gefragt, ob er da vielleicht ein kleinen Part machen will. Er hat sofort eingewilligt, hatte aber einen ziemlich vollen Terminkalender. Das Album hätten wir schon früher ohne seinen Beitrag veröffentlichen können, aber es hat sich definitiv geloht zu warten. Gegenfrage: Welcher Track hat dich besonders abgeholt?

Mich hat „Stories from the gutter pt. II“ mit Anthony Martini von E-TOWN CONCRETE sofort überzeugt. Von denen hatte ich schon lange nichts mehr gehört, die haben mich mit ihrem Stil und seiner Stimme aber immer total umgehauen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ja, in Europa waren die schon länger nicht mehr. In den USA gehen die immer wieder mal auf Tour. Wir haben vor knapp zwei Monaten zwei Shows mit denen gespielt, da habe ich Anthony das letzte Mal gesehen. Unser Sänger Rob hat mal eine Zeit im Süden von Connecticut an der Grenze zu New York gewohnt und dadurch ergab sich der Kontakt zu Jamey von HATEBREED. Jamey Jasta hat uns die Chance gegeben, in seinem Studio die Vocals für die neue Platte aufzunehmen. Anthony geht da auch ein und aus und so kam es, dass Rob ihn über Jamey nach einem Gastbeitrag gefragt hat. So kamen übrigens auch die Features mit Jamey bei „Death comes in 3’s“ und „Deathbed confession“ zustande.

Okay, ich dachte, dass Jamey es so cool fand, dass ihr während eurer Shows häufig den HATEBREED-Klassiker „Last breath“ spielt.
Ehrlich gesagt war das eher eine spontane Entscheidung. Wir arbeiten ja immer wieder mit Coversongs, vor allem wenn man während der Festivalsaison vor einem gemischten Publikum spielt. Wir wollten etwas, das die alten Metal- und Hardcore-Fans auf jeden Fall kennen. Die Reaktionen waren auf jeden Fall Bombe. Das Witzige dabei ist ja auch, dass HATEBREED diesen Song selber gar nicht mehr oft auf der Setlist haben. Auf der letzten Tour haben wir ihn aber gar nicht mehr gespielt. Man hat ja auch nicht unendlich Spielzeit.

Du meinst die Tour mit TERROR, GET THE SHOT und DYING WISH. Das war schon ein ganz schön hartes Package. War das Publikum nach diesen Supportbands bei euch nicht schon ein bisschen müde?
Nein, überhaupt nicht. Bei DYING WISH waren die Gäste noch verhalten, bei GET THE SHOT haben sie sich dann schon mal ein bisschen warmgemacht, TERROR sind richtig krass abgegangen und waren intensiv wie immer. Bei uns war dann im Publikum richtig was los und die Leute haben die Bude abgerissen. Bis auf zwei Shows waren alle Läden ausverkauft. Das Package war großartig. Für jeden Geschmack was dabei, finde ich. Leider kam „Welcome To The West Coast III“ aber erst nach der Tour raus.

Mit Rob habe ich am Ende des letzten Interviews noch Ping-Pong gespielt. Dabei habe ich ihm zwei Begriffe genannt, von denen er sich einen aussuchen konnte. Los geht’s! In diesem Jahr habe ich sowohl CRO-MAGS als auch AGNOSTIC FRONT gesehen. Welche Legende würdest du dir lieben ansehen?
Welche CRO-MAGS? Ist aber egal, denn ich würde AGNOSTIC FRONT nehmen. Einfach deshalb, weil ich finde, dass sie insgesamt noch prägender für die Hardcore-Szene stehen. Sie haben jahrelang Bands und deren Stilrichtung beeinflusst.

Das neue Album kommt sowohl als CD als auch als LP raus. Was würdest du bevorzugen?
Von meiner Sozialisation her würde ich eher die CD wählen, mir aber auch das Vinyl kaufen. Das würde ich einfach ungeöffnet als Sammlerstück ins Regal stellen. Da steht noch nicht so viel, fast nur Sachen von FALLBRAWL oder LIONHEART.

Bei den alkoholischen Getränken hat Rob Schnaps statt Bier gewählt. Bei dir erübrigt sich diese Frage, oder?
Hatten wir eben schon, ich nehme ein alkoholfreies Bier. Als ich zwanzig war, habe ich mit dem Trinken aufgehört, weil mir die Schattenseiten des Saufens, vor allem die leere Geldbörse nach dem Wochenende, irgendwann zu viel wurden.

Stagedives oder Circle Pits?
Beides! In Clubshows auf jeden Fall Stagedives, weil das einfach zum Hardcore dazugehört. Wenn man aber auf einer großen Festivalbühne spielt, sieht ein großer Circle Pit von da oben echt gut aus.

Als ich Rob zu den drei liebsten Dingen befragte, die er mit Deutschland verknüpft, kam „Kebap, Kebap, Kebap“. Wie sieht’s bei dir mit Assoziationen aus, die du mit Amerika in Verbindung bringst?
Auf jeden Fall Denny’s Diner. Das ist eine amerikanische Kette, bei der du rund um die Uhr alle drei Mahlzeiten zu dir nehmen kannst. Wenn du willst, kannst du da auch abends frühstücken. Viele Leute sagen, dass man sich wegen des billigen Essens dort üble Magen-Darm-Infekte holt, aber ich fand das immer geil. Diese Kette ist mit der Hardcore-Geschichte vor allem in Kalifornien eng verknüpft. Wenn man auf einer Show war, ist man anschließend immer noch ins nächste Denny’s gegangen und hat da zusammen abgehangen. Es gab sogar schon Shows in einigen von diesen Restaurants. Auch wenn man die langen Strecken in den USA mit dem Van fährt, hält man fast immer an einem Denny’s. Ansonsten gefällt mir auch diese Hang-loose-Einstellung der Kalifornier. Einfach mal Fünfe gerade sein lassen und nicht immer nur ernst durchs Leben zu gehen. Das hat man in Deutschland so gut wie gar nicht.

Walle, vielen Dank für das Interview und wie immer gehören die letzten Worte dir.
Hat mich sehr gefreut, dass wir zusammen gequatscht haben. Da ich immer viel in der Welt unterwegs bin, habe ich doch vielleicht eine Abschlussfrage an dich: Glaubst du, dass Printmedien in der Zukunft noch viel gelesen werden? Ich frage dich, weil ich mir selber schon lange keine Zeitschrift gekauft habe und oft sehe, dass die in den Clubs erhältlichen kostenlosen Magazine häufig liegenbleiben.

Gegenfrage: Warum habt ihr das neue Album physisch veröffentlicht? Ich habe mir schon lange keine CD mehr gekauft und auch beim Vinyl schaue ich genau, was ich mir kaufe. Streamen ist einfacher. Genau wie im Internet was zu lesen, zu hören oder sich anzusehen. Trotzdem denke ich, dass Printmedien immer noch von vielen Leuten gelesen und geschätzt werden. Wahrscheinlich eher von tendenziell älteren Semestern, aber ich glaube, dass diese Personen ihr Medium gefunden haben. Daher denke ich, dass sich der Printsektor weiter in Richtung Abonnement verlagern und der Direktverkauf zurückgehen wird. Dass man nicht mehr die Verkaufszahlen früherer Jahre hat, liegt auf der Hand. Für das jüngere Publikum wird es andere Medienformate geben, aber dafür bin ich zu alt und zu wenig visionär.