Im Dezember letzten Jahres gastierte ich im südfranzösischen Rorthais. Das Streetpunk-Festival war definitiv mein persönliches musikalisches Highlight in der noch recht kurzen Karriere als Schlagzeuger der STAGE BOTTLES. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, trifft man auf Leute mit ganz klarer politischer Ausrichtung: Anarchisten, Pazifisten, Punks, R.A.S.H.- und S.H.A.R.P.-Skins. Unter den Bands begeisterten mich LES SKORSONERS aus dem benachbarten St. Aubin de Baubigné, deren Mitglieder zudem Veranstalter des Festivals und Mitglieder der Organisation Les Graillouteurs sind. Mit diesem Beitrag schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe, denn es lohnt sich, sowohl diese Band als auch die Veranstalter kurz vorzustellen. Sänger Dom stand mir nach dem Konzert Rede und Antwort und ließ mir via E-Mail diverse weitere Hintergrundinfos zukommen. Wenn dieser Text erscheint, sind LES SKORSONERS aber leider schon Geschichte.
Im Dezember 2008 spielten sie nach fünf Jahren Bandaktivität ihr letztes Konzert. Aus beruflichen Gründen wurde es immer schwieriger, Zeit zum Proben und für Konzerte zu finden. Mit einer letzten kleinen Tour verabschiedete man sich vom französischen Publikum. Benannt nach einem einheimischen Gemüse, einer Art Schwarzwurzel („scorsonère“), erfanden sie 2003 das Genre „Rural Punk“. „Ländlich, rein, natürlich“, fügt Dom einige Adjektive als Erklärungsversuch hinzu. „Direkt aus der Erde. Unsere Eltern sind Bauern und wir stehen auf Punk. Also spielen wir keinen Street-Punk, sondern Rural Punk!“ Neben der typischen (Punk-)Rock-Besetzung und den Texten, die sich hauptsächlich mit Rebellion und politischen Problemen auseinandersetzen, sind weitere „Rural“-Faktoren die später hinzugekommenen regionaltypischen Instrumente: das Akkordeon und die Drehleier. „Wir spielen einen sehr eigenwilligen, aber eingängigen Mix aus Punk, Ska und Walzer, ähnlich wie ihn in den achtziger Jahren die Pariser Punkband LES GARÇONS BOUCHERS spielte. Aber in erster Linie geht es bei ‚Rural Punk‘ darum, seine Wurzeln nicht zu vergessen. Dann erst kommen Musik, Spaß und der stets damit verbundene Kampf.“
LES SKORSONERS sind/waren absolut was Eigenes mit Wiedererkennungswert. Über diesen musikalischen Aspekt hinaus erwähnenswert sind die gemeinsamen politischen Aktivitäten der Bandmitglieder. „Es ging uns nie nur um Musik, auch wenn die Beteiligung an politischen Aktivitäten unterschiedlich ausfiel. So sind einige von uns Mitglieder der CNT, der Confédération Nationale du Travail – das ist eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft –, andere von uns arbeiten als Lehrer. Wir betrachten uns auch nicht unbedingt als Punks oder Skinheads. Wichtiger in diesem Zusammenhang ist es, einen unabhängigen Weg mit eigenem politischem Bewusstsein zu finden. Punk heute dreht sich um das alltägliche Leben und wie ich die richtige Wahl in politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen treffe.“
Was aber hinterlassen LES SKORSONERS? „Es gab lediglich ein Live-Demo mit zehn Liedern unseres ersten Auftritts mit dem Titel ‚Live At St. Aub’ 20/12/03‘. Das ist mittlerweile vergriffen. Aber exakt fünf Jahre später spielten wir genau an diesem Ort unser letztes Konzert. Da war die Idee nahe liegend, dass wir diesen Gig mitschneiden würden, um unsere musikalische Entwicklung festzuhalten. Und der Titel lautet natürlich ‚Live At St. Aub’ 20/12/08‘.“ Für Studioaufnahmen fehlte immer Geld, die richtigen Leute, mit denen man zusammenarbeiten wollte, und das Quentchen Selbstbewusstsein. „Wir fanden uns dafür immer viel zu unprofessionell.“
Kaum zu glauben, angesichts der Lawinen von Veröffentlichungen irgendwelcher schlechter Kopisten. Da hat man nun mal eine Band, die was Eigenes macht, und dann so eine verquere Selbsteinschätzung. Bis Ende Februar waren die Live-Aufnahmen noch nicht erhältlich, das Coverartwork und Mastering lässt noch auf sich warten. Dafür sind die Jungs musikalisch anderweitig in den Bands YUKA (Punk), PITCHOUTCOULEX (Freerock), OUR FIGHT (Streetpunk), PAPYPION (Cover) oder als Sound-System EL DOCTOR BOOGALOO Y SUS PACIENTES tätig.
Musik zu machen ist das eine, das andere ist es, für die Szene über Jahre hinweg aktiv zu sein, um jetzt zum Veranstalteranteil dieses Beitrags und zu Les Graillouteurs zu kommen. „Als wir vierzehn oder fünfzehn Jahre alt waren, traten hier in der Gegend Bands wie LUDWIG VON 88 oder LES SHERRIFS auf. Eines Tages entschieden sich etwa zwanzig Leute aus unserer Clique, selbst Konzerte zu veranstalten. Das erste Konzert fand im April 1998 statt. Heute sind wir fünfzig Leute, die hauptsächlich aus St. Aubin kommen.“ Erwähnenswert ist hierbei, dass dieser Ort gerade mal 1.200 Einwohner zählt. „Früher gab es meistens Punk-Konzerte, heute organisieren wir alle Arten von Musik bis hin zu Theatervorstellungen. Wichtig dabei sind uns Unabhängigkeit in allen Belangen und Aussagen hinter den Veranstaltungen. Wir sind hundert Prozent D.I.Y. Es gibt keine Sponsoren und keine Werbepartner. Wir blicken auf mittlerweile über vierzig Veranstaltungen zurück, vom Gig in der kleinen Bar bis hin zu Festivals mit internationalen Größen. Da kann man mal sehen, wie sich langjährige Freundschaft entwickeln und auswirken kann.“
Dass Redskins und Punks irgendwann gemeinsame Sache machten, kam nicht von ungefähr. „In der benachbarten Stadt Le Temple begann in den Neunzigern die Front National eine große Rolle zu spielen. Bei den Wahlen bekamen die mehr als zwanzig Prozent Stimmenanteile. Mit Antifa-Aktionen begannen wir dagegen zu protestieren und unterstützen damit die französische Antifa-Bewegung Section Carrément Anti Le Pen (S.C.A.L.P.). Unsere radikale antifaschistische und antikapitalistische Einstellung ergänzte sich bestens mit der Gesinnung der Redskins.“
Mittlerweile aber durchlebt die Skinhead-Szene in Frankreich eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland. „Mit den Bands BRIGADA FLORES MAGON oder BOLCHOI! ging in der Redskin-Szene richtig was voran. Heute jedoch befürchte ich, dass sich immer mehr faschistisches und rassistisches Gedankengut verbreitet. Viele Skinheads wollen nicht in politische Lager gesteckt werden. Wenn man mal von den wenigen S.H.A.R.P.-Skins absieht, bezeichnet sich der Rest als anti- oder nicht-politisch, haben aber doch meistens mit rechtsextremer Politik oder nationalistischer Gesinnungen zu tun.“ Nichtsdestotrotz, bestätigt mir zu guter Letzt Dom, findet man in den meisten französischen Großstädten eine R.A.S.H.-Sektion vor, mit der Bands und Gleichgesinnte solidarisch zusammenarbeiten können.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #83 April/Mai 2009 und Simon Brunner