Wer schreibt und liest schon gerne traurige Gedichte? Nun ja, ich. Und Frano hegt dafür auch eine gewisse Leidenschaft, die man deutlich in seiner Musik hört. Ihr Projekt LEONORA POST PUNK begann, als er und Yulian sich nach Jahren bei einem Gig trafen und „Transmission“ von JOY DIVISION spielten, womit wir auch wieder bei trauriger Lyrik wären. Frano erklärt gerne, was die mexikanische Subkultur hat, was wir nicht mehr haben, und warum AutoTune der Tod von allem ist.
Frano, du und Yulian kennt euch schon ziemlich lange. Ihr wart zusammen bei der Indie-Band THE QUEEN IS DEAD. Wie war es für dich, nach langer Zeit ein neues Projekt zu starten?
Das hat mir sehr viel bedeutet. Es war sehr aufregend, wieder mit Yulian zu sprechen, den ich seit vielen Jahren kenne. Wir sind Freunde seit unserer früheren Band THE QUEEN IS DEAD. Es tut mir jedoch leid zu sehen, dass Yulian aktuell zum ersten Mal musikalisch nicht aktiv ist. Corona hat uns viele Schwierigkeiten gebracht, aber wir hoffen, demnächst wieder mehr zusammen unternehmen zu können. All das war seltsam, wobei die Aufregung, dieses musikalische Projekt zu starten, immer noch sehr groß ist.
Viele Bands oder Labels haben sich letztes Jahr entschieden, erst mal keine Alben oder Singles zu veröffentlichen, weil sie wussten, dass es keine Konzerte und Festivals geben würde, um sie zu promoten. Im April 2020, mitten in der Pandemie, ist eure erste Single erschienen. Zufall oder bewusste Entscheidung?
Bewusste Entscheidung. Bis April 2020 war klar, dass es keine Veranstaltungen geben würde, aber es schien dennoch eine gute Idee zu sein, unsere erste Single auf YouTube zu veröffentlichen. Wir haben uns noch nie auf Dritte verlassen, und ich glaube, dass Neuerscheinungen nicht durch eine Pandemie gestoppt werden sollten. Neue Musik sollte unter keinen besonderen Voraussetzungen publiziert werden.
Eure Musik bewegt sich zwischen Poesie und einem klassischen Dark-Wave-Sound. Welche Autoren haben dich am meisten beeindruckt und wie wichtig ist Poesie in deinem Leben?
Welche Schriftsteller mich am meisten beeindruckt haben, ist schwer so spontan zu beantworten. Tatsächlich habe ich den Überblick verloren, und dies hängt auch von der Zeit ab, in der ich die Bücher gelesen habe. Zum Beispiel war es irre, de Sade in der Highschool zu lesen. Edgar Allan Poe hat mich auch in diesen Jahren bereits beeindruckt – obwohl ich glaube, dass ich seine Geschichten erst einige Jahre später wirklich verstanden habe. Autoren wie Charles Bukowski und andere kamen ebenfalls noch während meiner Highschool-Zeit dazu, die ich nach und nach entdeckte. Franz Kafka war einer, der mich mit am meisten geprägt hat, und das ist eigentlich ein bisschen seltsam, weil er ein Schriftsteller ist, über den ich wenig weiß, mit einer Persönlichkeit, die schwer zu begreifen ist. Das Wunderbare ist, wo immer ich seiner Literatur auch begegne, seine Worte klingen für mich immer richtig. Ich weiß nicht, wie ich meine Liebe zu Kafka beschreiben soll. Im Moment habe ich besondere Ehrfurcht vor den Werken von Yukio Mishima. Was die Poesie betrifft, kommt es natürlich darauf an, ob sie ein elementarer Teil meines Lebens ist. Ich habe darüber keinen Zweifel. Poesie existiert nicht nur in den Büchern Rimbauds. Sie ist für alle Menschen von entscheidender Bedeutung, die ihr täglich begegnen, auch wenn es den meisten von uns kaum bewusst ist. Vielleicht hört sich das merkwürdig an, aber ich habe das Wort Poesie lange Zeit verabscheut, weil ich dachte, es hat etwas mit Prahlerei zu tun. Prahlerei hasse ich aber viel mehr.
Die mexikanische Subkultur hat eine sehr reiche Szene, was Bands und Clubs angeht. Europäern erscheint diese sehr roh und authentisch. Was ist uns deiner Meinung nach in Europa verloren gegangen?
Ich denke, dass in Europa immer noch die beste Musik entsteht, daher ist es nicht zwingend eine Frage des Verlustes. Mir ist klar, dass AutoTune Künstlern großen Schaden zufügen kann, die danach streben, viel Gefühl in ihre Songs zu legen. Aber das ist kein europäisches Problem, sondern ein weltweites. Ich habe bis jetzt nicht darüber nachgedacht, aber es kann sein, dass diese Rohheit oder Authentizität, die du ansprichst, auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass es in Mexiko sowieso nicht so eine Überproduktion im Post-Punk und anderen Underground-Musikstilen gibt. Ich meine hiermit diesen kommerziellen Unsinn. Jeder sagt, dass es beim Einsatz von AutoTune kein Zurück mehr gibt. Wenn man darüber nachdenkt, kommt es nicht nur Musikern oder denen von uns zugute, die Musik hören, sondern auch den Soundtechnikern und jenen, die mit der Musik Geschäfte machen. Durch standardisierte Klänge lässt sich Zeit sparen, aber wir sollten Musik nicht so behandeln, als wären wir in einer Ziegelei.
Einige Texte nehmen die Perspektive des Opfers ein. Die wird sowohl in der Literatur als auch in der Musik sehr oft vernachlässigt. Mexiko gilt mit seinem Drogenkrieg und der hohen Zahl an Femiziden als eines der gefährlichsten Länder. Ist Politik und was sie im Alltag bedeutet, wichtig für deine Songs?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe nicht die Absicht, etwas wiederzugeben, das mit Politik oder der Situation in Mexiko zu tun hat. Natürlich sind da unbewusst bestimmte Ideen oder Elemente, da ich mitten in dieser brutalen Realität lebe. Ich stamme aus Sinaloa, hier sind auch häufig Schüsse zu hören, aber ich interessiere mich mehr für die universelle Sprache der Traurigkeit, für Liebe, den Mangel an Liebe, die Opfer einer Tat, die Schuldigen einer anderen Tat. Eben um die Dinge, die auf der ganzen Welt vorkommen und nicht zwingend mein Heimatland repräsentieren.
Welche Pläne hast du in nächster Zukunft?
Ende Januar 2021 ist ein neues Video erschienen, das Teil einer zweiten EP ist – zusammen mit den Songs „Polvo“, „Luna“ und anderen, die noch nicht veröffentlicht wurden. Ich freue mich auch auf das Release von „Eternals“. Ich würde gerne wieder live spielen, obwohl wir erst einmal warten müssen, bis sich die Pandemie-Situation verbessert. Ich hoffe, dass ihr bald wieder von uns hören werdet.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #155 April/Mai 2021 und Johanna Descy