Durch das wirklich exzellente Album "The Betrayal" neugierig geworden, nutzte ich die Gelegenheit, mich am Rande eines "Emo-Core"-Festivals in Monheim mit THE LAPSE-Sänger/Songschreiber/Gitarrist Chris Leo zu unterhalten bzw. von ihm unterhalten zu werden, weil Leo nicht nur ein prima Musiker, sondern auch ein exzellenter Redner und Erzähler ist, so daß ich etwas kürzen mußte!!! Aber lest selbst.
Zuerst mal weiß ich nur daß du in einer Band namens VAN PELT gespielt hast und ihr aus New York kommt.
Richtig. Wir haben hier letztes Jahr schon gespielt. VAN PELT kamen aus Manhattan, THE LAPSE sind aus Brooklyn. Wir sind jetzt auf der anderen Seite vom Fluß.
Was bedeutet das Wort THE LAPSE in eurem Fall?
Ein "Lapse" ist sowas wie eine Lücke, ein Loch. Man benutzt das Wort oft in der Verbindung "Lapse of Reason" oder "Lapse of Thought", was sowas wie ein "Aussetzer" oder "Ausfall" ist. Oder man spricht auch von einer Lücke in der Moral, in der Kultur, oder in der Zeit, eigentlich in jeder denkbaren Hinsicht.
Und für welche Art von Lücke steht das Wort bei euch?
Für jede Art von Lücke, glaube ich. (lacht).
Also nicht unbedingt in dem Sinn, daß die Band nur übergangsweise eine zeitliche Lücke überbrückt, als eine Art Projekt?
Vielleicht auch das, ich hab keine Ahnung. Das ist irgendwie Teil des Spasses, weil bisher alle Bands, in denen ich spielte, eigentlich auf Dauer angelegt waren und sie sich dann doch auflgelöst haben. Mit THE LAPSE zu spielen ist hingegen vielleicht von vornherein etwas Temporäres, aber in der Hoffnung, daß es bestehen bleibt.
THE VAN PELT gibt es also definitiv nicht mehr?
Die sind "kaputt".
Wie mit VAN PELT seid ihr auch mit THE LAPSE auf Gern Blandsten Records.
Waren wir: THE LAPSE sind nicht mehr auf diesem Label. Auf dieser Tour haben wir das Label verlassen. Wir hatten verschiedene "business philosophies". Das nächste Album wird wahrscheinlich auf Southern für Europa erscheinen, und ich weiß noch nicht, wer es in den USA machen wird.
Gibt es denn schon neues Material?
Ein paar Songs, aber noch nicht viele. Ein neues Album könnte schätzungsweise im November diesen Jahres erscheinen.
Du warst mit The Van Pelt ja auch schon mal in Europa auf Tour.
Ja, letztes Jahr haben wir sogar im gleichen Club wie heute gespielt, insgesamt 18 Shows in Deutschland. Wir hatten hier auch die besten Reaktionen, neben England und Italien. Wo anders hat es auch Spaß gemacht zu spielen, aber in diesen drei Ländern war es am Besten.
Glaubt man dem Festivalplakat, handelt es sich bei THE LAPSE um eine Emo-Core-Band...
Ja, das ist seltsam, ich habe keine Ahnung, wie das kommt. Wir spielen heute abend auch mit einer Hip-Hop Band namens DÄLEK aus New Jersey, ich hab keine Ahnung, wie das zustande kommt. Wir werden schon manchmal von Promotern in diese Nische "Emo" gesteckt, oder bekommen die "No Wave"-Etikette, wie SONIC YOUTH oder TELEVISION.
Emo versteh ich ja noch, aber Emo-Core?
Geht mir auch so. Emo ist o.k., aber der Core-Teil trifft auf uns überhaupt nicht zu. Das ist auch das erste Mal, das wir das gesehen haben. Auf dem ersten Teil der Tour gab man uns mehr die "No Wave"-Beschreibung, was irgendwie auch falsch ist, aber wenigstens den Zusammenhang zu New York herstellt, und zu unseren persönlichen Einstellungen passt. Allerdings kann ich mich mehr mit den Werten, der Attitude als mit der Musik des No Wave-Punk identifizieren.
Was sind dann tatsächlich eure Einflüsse? Ich fühlte mich beim Hören der Platte an HALF JAPANESE erinnert.
Vom ethischen, moralischen Standpunkt und Ansatz her haben wir viel gemeinsam, ja, SEHR viel!
Stylistisch aber auch, wie ich finde, auch wenn ihr meist heftiger seid. Vor allem der Vocals wegen.
Meinst du? Cool! Danke, das sehe ich als Kompliment an.
Aber im Gegensatz zu Jad Fair schließt du deine Gitarre an den Verstärker an, oder?
Oh ja, ja. (lacht)
Ich denke auch an THE FALL. Das Fluchen...
Sicher, ja. Ich bin aber nicht sicher, ob das ein Einfluß ist oder ob das eine Verbindung in der Denkweise ist. Das ist nämlich das Gleiche wie mit diesem No-Wave Vergleich, das hängt mit der Art und Weise zu tun, wie ich die Vocals rüberbringe. Man kann da in New York eine Gerade ziehen, die Leute haben immer die Texte mehr gesprochen als gesungen, von VELVET UNDERGROUND bis TALKING HEADS, TELEVISION, SONIC YOUTH... HipHop...ist auch eine New Yorker Erfindung. Ich weiß also nicht, ob dies Einflüsse sind - ich meine, ich liebe alle diese Bands -, aber ich glaube, daß es mehr die Umgebung ist, die uns gleichermaßen in diese Richtung beeinflußt. Ein offensichtlicher Grund dafür ist auch, daß das New Yorker Englisch sehr nach Gosse klingt. Keiner von uns kann singen, selbst wenn wir es wollten, wir können es einfach nicht.
Und Toko, die Frau in der Band?
Ja, sie kann singen, aber sie kommt nicht aus New York. Sie lebt dort, aber sie kommt aus Tokio. (lacht)
O.k., um das mit den möglichen Einflüssen abzuschließen: auch BLUMFELD kam mir in den Sinn. Kennst du die?
Ja, wir sind in New York mit ihnen einmal aufgetreten, mit THE VAN PELT! Deutsche Bands, aber eher die alten, Sachen sind ein großer Einfluß für mich: CAN, FAUST, KRAFTWERK, ich mag sie sehr. Aber es gibt so viele Einflüsse.
Hast du dann eine Riesen-Plattensammlung zu Hause?
Leider nicht. Das hörte auf, als ich selber anfing, Musik zu machen - denn das bedeutet, arm zu sein. Meine Plattensammlung ist ganz interessant, weil ich meine meisten Platten in der Zeit von ´89 bis ´92 gekauft habe. Deshalb ist meine Plattensammlung im Prinzip eine Dokumentation über Grunge. Grunge und No Wave.
Jeder verleugnet heute seine Grunge-Phase, aber es gab doch wirklich großartige Platten, etwa die ersten NIRVANA-Sachen.
Ja, das sind absolut erstaunliche Platten... In der Zeit, wo man musikalisch geprägt wird, also im Alter von 12, 13, Highschool, da hab ich mich für British New Wave interessiert. Dann kam Punk, was mir klar machte, daß JEDER Musik machen kann. Und danach begann ich mich für die New Yorker Bands, No Wave und Grunge zu interessieren, und ich begriff, daß ich nicht nur Musik, sondern auch GUTE Musik machen kann. Ich habe also drei Stufen durchlaufen, glaube ich.
Wie alt bist du denn?
24.
Gibt es in New York zur Zeit eine Szene oder eine Gruppe von Bands, denen ihr euch zugehörig fühlt bzw. mit denen ihr befreundet seid?
Ja. Und zwar hat New York ja diesen fürchterlichen Bürgermeister, Rudolph Giuliani.
Diesen Law-and-Order-Typen.
Ja, genau den. Er hat New York völlig umgewandelt und Manhattan zum Spielplatz für die Reichen gemacht, weshalb es sich viele Künstler, Bands, Musiker etc. es sich nicht mehr leisten konnten, dort zu leben. Leute wie ich waren gezwungen, gegen ihren Willen aus Manhattan abzuhauen. Ich habe Manhattan geliebt, ich lebte dort, seitdem ich 5 bin, aber irgendwann dachte ich: "Fuck it, I can´t live here anymore". Ich konnte es mir dort eigentlich noch nie leisten, es war schon immer teuer, aber jetzt ist es richtig teuer. Also waren tonnenweise Leute gezwungen, nach Brooklyn zu ziehen, und wir wußten damals alle noch nicht, daß der Umzug eigentlich ein "Blessing in disguise" war, ein unvermuteter Glücksfall. Aber es ist ein solcher, es gibt in Brooklyn vielmehr Platz und das Leben ist viel billigert und eben viele coole Leute mit dem gleichen Schicksal und der Herkunft wie wir. Vorher war es halt so, daß wir mit THE VAN PELT als "medium-sized band" irgendwo zwischen den vielen kleinen Bands anzusiedeln waren, die immer für uns die Opener gemacht haben, und den "großen" Bands wie SONIC YOUTH, PAVEMENT, JON SPENCER etc., und es gab irgendwie keine Bands auf unserem Level. In Brooklyn gab es dagegen zu Anfang dieses Vakuum an Bands, und dann viele Bands, die mit THE LAPSE zusammen angefangen haben, um das Vakuum zu füllen. Es gibt also einige "peers" wie diese Girlband namens THE TURN-OFFS, die demnächst ihre erste LP veröffentlichen. Ein Kumpel von mir ist in der Band LES SAVVY FAVS. Dann gibt es noch THE HOLY CHILDHOOD, die sind sehr gut, oder T TURI, eine Band, deren neue Sachen sehr spektakulär sind, hoffentlich auch ihre nächste LP. Und DÄLEK, die Hip-Hop-Band-Band mit der wir touren, ist erstaunlich.
Gibt es noch etwas, was du den Leuten sagen möchtest?
(überlegt lange) Ich würde sagen, nein! Ich weiß nicht.
Eine Message? Die Überschrift zu deinem Leben?
Eine Message? (Lacht)
Irgendwas?
Vielleicht das: wenn es VAN PELT-Fans gibt, die unsere beiden Alben besitzen, dann wissen sie, daß das ganz verschiedene Alben sind, und auch The Lapse sind wieder ganz anders, musikalisch und thematisch, und ich hoffe, daß sich auch in Zukunft jedes Album unterscheiden wird. Also: wenn ihr diese Platte nicht mögt, verliert nicht den Glauben an uns, vielleicht gefällt euch die nächste.
Vielen Dank!
Carsten Pieper
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #35 II 1999 und