„La Marcha Zapatista“

„La Marcha Zapatista“ - eine Karawane für einen würdigen und gerechten Frieden in Chiapas, ein historisches Ereignis mit Höhen und Tiefen, eine gigantische Dauerdemonstration mit mexikanischer und internationaler Beteiligung, ein prominentenfixiertes Medienspektakel und ...zahlreiche Geschichten mit offenen Enden. Seit Dezember 2000 mobilisierte die EZLN für ihren Plan, den chiapanekischen Urwald sieben Jahre nach Beginn ihres Aufstandes zu verlassen und sich auf den Weg durch zwölf mexikanische Bundesstaaten bis in die Hauptstadt zu machen, um für ihre Vorschläge zu werben, die neue Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla ermöglichen sollen: Rückzug der Armee aus sieben von 259 Militärbasen in Chiapas, Freilassung aller zapatistischen Gefangenen sowie Umsetzung der Abkommen von San Andrès über indigene Rechte, Kultur und Autonomie.

Die EZLN betrachtet diese drei Punkte als leicht umsetzbare „Signale“, deren Erfüllung sie von der Regierung verlangt, bevor sie zu Friedensverhandlungen bereit ist. Der Friedensmarsch, an dem die 24-köpfige Comandancia der EZLN unbewaffnet teilnahm, richtet sich vor allem an die Zivilgesellschaft, die so in den politischen Prozess eingebunden werden soll, um die mexikanische Linke und die Indìgena-Bewegung zu stärken. An zweiter Stelle sollen die verantwortlichen Parlamentsabgeordneten dazu bewegt werden, eine Änderung der mexikanischen Gesetzgebung zugunsten der noch immer stark benachteiligten IndÌgenas umzusetzen.

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen und die Sicherheit der EZLN-Delegation zu gewährleisten, wurde die mexikanische und internationale Zivilgesellschaft aufgerufen, sich an der zweiwöchigen Karawane zu beteiligen.

Die Karawane

Wir brechen am 22. März hier auf, um zwei Tage später an der großen Auftaktkundgebung in San Cristûbal De Las Casas, der zweitgrößten chiapanekischen Stadt, nahe des lakandonischen Urwaldes, teilnehmen zu können. Vom Flughafen reisen wir mit dem Bus weiter durch die Bundesstaaten Yucatan, Quintana Roo und Tabasco und können im Vorbeifahren sowohl „attraktive“ touristische Städte und große Fincas (Ländereien der Großgrundbesitzer) als auch starke Armut beobachten, denn in Mexiko müssen etwa 50 % der Bevölkerung in Armut leben.

In San Cristûbal angekommen, akkreditieren wir uns beim Koordinationskomitee des „Marsches der Würde“, welches von regionalen AktivistInnen und Internacionalistas organisiert wird und bezahlen etwa 250 DM für unsere Busplätze nach Mexiko-Stadt und zurück (ca. 6.000 km). Zunächst gilt es jedoch, mit einer begeisterten Menge von über 10.000 Einheimischen, hunderten TouristInnen und einem riesigen Presseaufgebot die 24-köpfige Comandancia der EZLN zu begrüßen, ihren Worten zuzuhören und sie für ihren weiteren Weg zu verabschieden. Mit der Delegation treffen über 5.000 vermummte Indìgenas aus den zapatistischen Unterstützungsbasen ein, woraufhin der Versammlungsplatz völlig überfüllt ist und die Menschen in die Nebenstraßen ausweichen müssen. Es ist für uns ungewohnt und sehr angenehm, dass während der gesamten Veranstaltung keine Aggressivität zu spüren ist und staatliche „Sicherheitskräfte“ kaum zu sehen sind - unvorstellbar in Europa.

Die Veranstaltung dieser Nacht wird deutlich länger als die der folgenden Tage dauern, denn neben den solidarischen Reden von VertreterInnen der regionalen Zivilgesellschaft und den Erklärungen der Delegation werden hier zudem Rituale zelebriert, mit denen die EZLN-Delegation von ihrer Basis verabschiedet wird: Der Comandancia werden die mexikanische Staatsflagge und die schwarz-rote „Fahne des Kampfes“ der Zapatistas überreicht, die sie im weiteren Verlauf der Karawane stets während jeder gesamten Kundgebung halten werden. Zum Abschluss des Abends werden dementsprechend die „Himno Zapatista“ und die mexikanische Nationalhymne gesungen, was uns als Linke aus Deutschland eher unangenehm ist. Im Hinblick auf Geschichte und Gegenwart Mexikos sollten derartige Gesten jedoch differenziert betrachtet werden, denn ein wichtiges Ziel der Zapatistas ist die Gleichberechtigung der IndÌgenas in Mexiko. Sie wollen Teil der Gesellschaft sein, ohne dass sie dabei ihre Einzigartigkeiten aufgeben müssen. Es geht den Zapatistas nicht um eine indigenistische - und somit ethnisierende - Reconquista (Rückeroberung), sondern um „eine Welt, in der alle Welten Platz finden“, wie Subcomandante Marcos, Sprecher der EZLN, es einmal ausdrückte. Die EZLN fordert immer wieder die Gleichberechtigung aller Marginalisierten und solidarisiert sich dabei z.B. mit Homosexuellengruppen, Gewerkschaften oder auch studentischen AktivistInnen.

Die folgende Nacht wird wie alle Nächte während der Karawane sehr kurz und nach 4 Stunden Schlaf klingelt der Wecker. Wir benötigen etwa eine Stunde Fußmarsch, um den Treffpunkt am Rande der Stadt zu erreichen. Im Morgengrauen bietet sich eine wunderschöne Szene, denn links und rechts der gesperrten Hauptstraße verweilen die Compañerós der zapatistischen Basen und grüßen uns solidarisch und bewegt. Der Aufbruch eine Stunde später durch das „Spalier“ der GenossInnen gibt uns ein nahezu euphorisches Gefühl und belegt, dass die Bewegung sehr lebendig ist.

Für indigene Autonomie - gegen Neoliberalismus

Die erste Station ist Tuxtla Gutièrrez, die Hauptstadt von Chiapas mit über 300.000 EinwohnerInnen, wo bereits ab den ersten Behausungen viele Menschen am Straßenrand die über ein Dutzend Busse und etwa 2.000 TeilnehmerInnen der Karawane begrüßen. Der überwiegende Teil wirkt sehr freundlich und einige erheben ihre Faust und senden uns zustimmende und aufmunternde Blicke zu. Es gibt auch distanzierte Menschen am Straßenrand und neben den hunderten Solidaritätsbekundungen sind auch ein oder zwei „Fuck off!“-Rufe auszumachen. In den Zeitungen ist zu lesen, dass es mehrere Todesdrohungen gegen Subcomandante Marcos sowie die gesamte Comandancia gibt.

Nachdem wir auf dem mit mindestens 10.000 Menschen gefüllten Platz angekommen sind, hat die Comandancia schon die Bühne erklommen, und die Veranstaltung beginnt. Die längste und sehr flammende Rede hält eine Vertreterin der regionalen Zivilgesellschaft, die das Ende der Unterdrückung der Indìgenas und der Armen und die Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik generell fordert und sich positiv auf die EZLN, die internationale kritische Zivilgesellschaft und die Aktionen gegen die rücksichtslose ökonomische Globalisierung bezieht. Dieser Bezug konkretisiert sich in den folgenden Tagen, denn in Cancun/Mexiko, wo das Weltwirtschaftsforum (WEF) am selben Wochenende tagt, kommt es im Rahmen friedlicher Demonstration zu erheblichen Brutalitäten der örtlichen Polizei, die sogar Präsident Fox kritisiert, der sich seit seinem Amtsantritt als Heilsbringer für alle MexikanerInnen - Reiche wie Arme, sogar für die Indìgenas - aufführt.

Eben jenen Fox, Ex-Chef von Coca-Cola-Lateinamerika, bezeichnen die Delegierten der Zapatistas in ihren Reden als einen Lügner, der einen unwürdigen Schein-Frieden erschleichen wolle, um das lästige Zapatista-Problem loszuwerden, damit internationale InvestorInnen keine Scheu mehr vor dem „schmuddeligen“ Mexiko haben müssten.

Das zentrale Thema der zapatistischen Reden auf den Veranstaltungen sind immer wieder die Ungerechtigkeiten, die der indigenen Bevölkerung in den letzten Jahrhunderten aufgezwungen wurden und die es zu beenden gilt, sie beziehen sich jedoch auch positiv auf andere emanzipatorische Bewegungen.

Nach dem Aufenthalt in Tuxtla setzt sich die Bus-Demonstration wieder in Bewegung und wir passieren eines der vielen Gefängnisse sowie einige Dörfer, in denen sich eindrucksvolle Szenen abspielen: Obwohl die Karawane diese Dörfer nur durchquert ohne anzuhalten, haben die Menschen Bühnen mit Lautsprecheranlagen und aufwendigen Transparenten gestaltet, welche die „Zapatour“ willkommen heißen und hochleben lassen. Oft werden uns auch Wasserflaschen, Obst u.ä. in die Busse gereicht. Am Abend erreichen wir schließlich die Stadt Juchitan im Bundesstaat Oaxaca, wo unter großer Anteilnahme der Bevölkerung die zentrale Kundgebung des Tages abgehalten wird, die als ein typisches Beispiel für eine Veranstaltung gelten kann: Der Platz ist mit vielen Transparenten geschmückt. Es werden linke Zeitungen, Souvenirs wie T-Shirts und Anstecker, nichtalkoholische Getränke und kleine Snacks verkauft. Es herrscht so etwas wie „Volksfeststimmung“, nur dass uns keine aggressiven und betrunkenen Menschen auffallen. Die außerparlamentarische Bewegung lebt und ermöglicht durch ihre Solidarität diesen fast absurden Marsch einer unbewaffneten linken Guerilla durch ein Land, in dem die Regierung und die Reichen über die Hälfte der Bevölkerung bevormunden und unterdrücken. Neben vermummten Zapatistas, den Gesichtern von Emiliano Zapata, Subcomandante Marcos, Che Guevara und dem nicaraguanischen Revolutionär Sandino sind auf den Transparenten Grußbotschaften von IndÌgenagruppen, Gewerkschaften, Frauengruppen, linken und anarchistischen Organisationen und Punks zu erkennen. Nach den Veranstaltungen gibt es meist Essen und Getränke für alle Karawane-TeilnehmerInnen. Bei den Übernachtungen haben wir häufig richtig gut organisierte Unterkünfte mit der Möglichkeit zu Duschen u.ä.. Die Comandancia übernachtet übrigens stets etwas abgeschottet, von einem zivilen Schutzgürtel ihrer Sicherheitsleute und z.T. weiterer Internacionalistas umgeben.

Die Nächte bleiben kurz, die zwei bis vier Stunden Schlaf werden durch Dösen im Bus, in dem wir täglich etwa 10 Stunden verbringen, aufgefangen. An den folgenden Tagen nehmen wir jeweils an zwei bis drei Tagesveranstaltungen und einer Hauptkundgebung am Abend teil, die, grob betrachtet, recht ähnlich verlaufen, sich jedoch im Hinblick auf Stimmung und Größe unterscheiden. Ein Höhepunkt ist unser Aufenthalt in Puebla, die bis dato größte Veranstaltung, wo die Sympathiebekundungen der 20.000 Anwesenden schlicht euphorisch sind und eine unglaublich gute Stimmung herrscht.

Zwischendurch diskutieren wir mit Menschen aus der „ersten Welt“ unsere Rolle als Internacionalistas während dieses Marsches. Die anfangs eher spärlichen internationalen Kontakte nehmen während der Karawane deutlich zu und allein die spontane Aktion eines Menschen, der frühmorgens auf einem Dudelsack die „Himno Zapatista“ spielt, nachdem wir mit ca. 2.000 Menschen in der Sporthalle der sehr solidarischen Universität von Puebla genächtigt hatten, sorgt für einen enormen Stimmungsschub!

Ab dem dritten Tag besteht die Karawane aus mehr als 40 Fahrzeugen und 2.500 Personen und in unserem Bus, der international gut gemischt ist und in dem auch MexikanerInnen mitfahren, findet z.B. eine kleine „Singstunde“ statt. Immer wieder gibt es Gespräche über die Lage im eigenen Land und es wird viel gelacht.

Es gibt aber auch sehr unerfreuliche Ereignisse im Rahmen der Karawane: In Oaxaca kommt es zu Drohungen und Sachbeschädigungen von Menschen, die gegen den Marsch sind, woraufhin ein Busunternehmen seine Busse zurückzieht und neue organisiert werden müssen; vom Staat angebotene Busse werden nicht angenommen. Auf einigen Fincas machen Menschen eifrig Notizen, welche Busse passieren, und die Busunternehmen fürchten, dass weitere Racheaktionen folgen könnten. In Ixmiquilpan werden wir am Rande der Kundgebung nach unserer Meinung über Marcos ausgefragt und geben uns neutral (dazu wurden wir für solche Situationen von den OrganisatorInnen aufgefordert), was sich als nicht völlig ungerechtfertigt erweist, denn diese Männer sind knallharte EZLN-Hasser, die uns dann aber in Ruhe lassen. Besonders schockierend ist aber der „Bus-Vorfall“, von dem bis heute nicht sicher bekannt ist, ob es ein Unfall oder ein Attentatsversuch gegen den Bus der EZLN-Delegation war. Ein anderer Bus der Karawane war scheinbar außer Kontrolle geraten, hatte einen Motoradpolizisten getötet und war erst kurz vor dem EZLN-Bus zum Stehen gekommen, nachdem er mehrere Fahrzeuge gerammt und schwer beschädigt hatte. Wie durch ein Wunder kam darin niemand ums Leben. Der Busfahrer war sofort verschwunden. Nach dem Zusammenstoß bildeten die TeilnehmerInnen der Karawane stundenlang einen Sicherheitsgürtel, bis sich die Lage beruhigt hatte. Die EZLN bedauerte den Tod des Polizisten und forderte die Aufklärung des Falles.

Nach einer Woche verlassen wir die Karawane, um in den Bundesstaat Oaxaca zurückzufahren und dort eine Freundin zu besuchen und unsere Eindrücke durch eine Auswertung der Presse sowie weitere Diskussionen zu komplettieren. Im Menschenrechtsbüro werden wir noch einmal mit den Geschehnissen von Cancun konfrontiert, als ein Student seine schweren Verletzungen am Kopf und auf der Innenseite seiner Oberschenkel dokumentieren lässt. Mexiko ist ein Land der Gegensätze: schöne Landschaften, schöne (Innen-)Städte und im nächsten Moment Armut und brutale Repression. Aus der Distanz erfahren wird dann, dass der Marsch mit einem triumphalen Einzug in Mexiko-Stadt endet, doch uns stört die Fixierung der Medien auf Subcomandante Marcos, der aber in der Tat von Teilen der Bevölkerung in einem Personenkult verehrt wird, und auf seinen Gegenspieler Fox.

Fazit

Die Karawane der Würde war im Sinne ihrer mobilisierenden Kraft und des Austausches ein großer Erfolg für die außerparlamentarische Bewegung, es bleibt aber fraglich, wie dieses Kapitel der Geschichte weitergehen wird.

Wir haben nicht daran teilgenommen, um die Zapatistas „revolutionsromantisch“ zu feiern. Wir waren aus Solidarität mit einer Bewegung von Marginalisierten, die sich organisieren und gegen ihre Situation wehren, dort. Es war uns wichtig, dass der Marsch ein Großereignis wird und Druck auf die Regierung ausübt. Wir wollten dazu beitragen, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass der internationale Widerstand gegen den Neoliberalismus präsent ist. Des weiteren könnte eine Umsetzung der Verträge von San Andrès dazu beitragen, dass der indìgenen Bevölkerung, die seit Jahrhunderten ausgebeutet und dezimiert wird, etwas weniger Ungerechtigkeit wiederfährt. Wir wollten aus erster Hand berichten, um den Lügen der Regierung und der Prominentenfixierung der Medien etwas entgegenzusetzen. Und schließlich waren wir auf Einladung der Bewegungen dort, um zur Sicherheit dieses Großereignisses beizutragen.

Die zapatistische Karawane war eine Ansammlung von vielen Geschichten und nicht nur eine Geschichte von Fox und Marcos. Es wurden Kontakte geknüpft, vor allem an der Basis, was sicherlich für viele Menschen wichtig war und sie auch in ihrem politischen Engagement weiter voranbringen wird.

Aktuelle Entwicklungen

Die sieben der 259 Stützpunkte wurden zwar geräumt und die Soldaten innerhalb von Chiapas umgruppiert, aber noch immer sind über 60.000 Soldaten, ein Drittel der gesamten Armee, dort stationiert. In anderen pro-zapatistischen Gebieten hat sich die Militärpräsenz wieder erhöht. In den Gefängnissen vegetieren noch ca. ein Dutzend Zapatistas und das bereits 1996 ausgehandelte Vertragswerk ist von Präsident Vicente Fox im Dezember medienwirksam dem Parlament vorgelegt worden. Kongress und Senat haben Ende April 2001 jedoch nur eine stark abgeschwächte Version ratifiziert, die noch der Bestätigung der verschiedenen Bundesstaaten bedarf und auf erheblichen Widerspruch seitens der EZLN und der gesamten indigenen Bewegung gestoßen ist, die die Reform als „Gesetz zum Schutz von Großgrundbesitzern und Rassisten“ bezeichnet und Protestaktionen angekündigt haben.

Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A.