Konstantin Wecker? Im Ox? Ernsthaft? Eigentlich ist der Münchner Liedermacher mit der markanten Stimme und den bissigen Texten auf den Feuilleton-Seiten der großen deutschen Tageszeitungen zu Hause. Aber mit seinem neuen Album „Sage nein!“ spricht er auch jedem Punkrocker aus tiefstem Herzen. Eine Zusammenstellung antifaschistischer Lieder von 1978 bis heute. Auf dem Klavier gespielte Kampflieder gegen AfD, PEGIDA und Co., gegen Fremdenfeindlichkeit, Engstirnigkeit und die dunklen Schatten der Vergangenheit.
Kennen Sie eigentlich das Ox? Ein Magazin, das sich vor allem mit Punkrock, Hardcore und Rock’n’Roll beschäftigt?
Nein. Aber ich habe mich erst gestern mit jemandem über meine Konzerte Anfang der Achtziger Jahre unterhalten. Damals ging es ja auch gerade los mit dem Punk in Deutschland. Damals war es also die Musik der Jugendlichen und ich hatte auch immer junges Publikum in meinen Konzerten. Damals bin ich aber ein paar Jahre lang mit einem Kammermusikorchester unterwegs gewesen. Deswegen muss ich heute im Rückblick fast sagen, die jungen Leute sind nicht wegen, sondern trotz meiner Musik gekommen, haha. Manche haben dann vielleicht Dinge gehört, die sie nicht erwartet haben und die ihnen den Einstieg in eine andere Musikwelt eröffnet haben.
Warum war es Ihnen ein Bedürfnis, gerade jetzt ein Album mit antifaschistischen Liedern auf Ihrem Label Sturm & Klang herauszubringen?
Es ist notwendig im Moment. Ich habe wirklich große Sorgen gerade, dass Europa faschistisch wird. Und wie es sich gerade auch in Brasilien zeigt, betrifft es tragischerweise nicht nur Europa. Es ist unbegreiflich für mich, dass alles so schnell passieren konnte. Kein politisch denkender Mensch konnte sich in den Neunzigern so eine Entwicklung vorstellen.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke für diese Compilation ausgesucht? Es sind ja Songs von 1978 bis heute.
Es sind zwei ganz neue Lieder dabei, die vorher noch nie veröffentlicht wurden. „Willy“ in der Version von 2018 und das Lied „Das Leben will lebendig sein“, das direkt nach den Ereignissen in Chemnitz entstanden ist. Außerdem haben wir einige Songs neu aufgenommen. Es ist also eine Mischung aus Titeln, die bereits existiert haben, und ein paar neuen Songs. Zwischen zwei Tourneen hatte ich genau zwei Tage Zeit, um ins Studio zu gehen, und das hat ganz gut funktioniert.
Die CD wird zum reduzierten Preis von zehn Euro verkauft, außerdem geht der Erlös aus dem Verkauf als Spende an die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München, kurz a.i.d.a. Warum machen Sie das?
Das ist kein Projekt, um damit Geld zu verdienen. Ich finde es einfach wichtig, dass diese Songs verbreitet werden. Man kann im Moment wirklich etwas damit erreichen. Und zwar nicht, indem man Andersdenkende zur Umkehr motiviert, sondern man kann Menschen, die die gleiche Sehnsucht haben, Mut machen. Das ist mir wichtig. Das merke ich bei meinen Konzerten im Moment sehr deutlich. Die Leute kommen mehr als in den letzten Jahrzehnten nach dem Konzert und sagen: Danke, dass Sie mir Mut gemacht haben! Ich dachte schon, ich wäre ganz allein! Ein sechzigjähriger Mann hat mir zum Beispiel geschrieben, dass er eigentlich geistig in Rente gehen wollte, aber jetzt war er im Konzert und hat für sich entschieden: Ich engagiere mich weiter! So etwas finde ich toll. Daran merkt man, dass Kunst auch politisch etwas bewirken kann. Ich finde ja schon lange, dass auch Poesie Widerstand leisten kann.
Auf dem Album ist auch ein Song namens „Anna R. Chie“ vertreten. Wie stehen Sie zum Thema Anarchie?
Ich bin ein bekennender Anarcho. Schon immer. Ich sage aber ganz bewusst nicht Anarchist, weil mich jeder Ismus einfach stört. Ich bin schon als 13-Jähriger mit Bakunin in der Hand über den Schulhof spaziert. Ich muss zugeben, ich habe ihn nicht ganz gelesen, aber es war für mich damals eine tolle Attitüde. Und zu dieser Zeit waren fast alle Lehrer an unserem Gymnasium Nazis. Das hat man natürlich überall gespürt. Ich hatte das große Glück, antifaschistische Eltern zu haben, die zu mir und meiner politischen Rebellion standen. Mit 17 Jahren habe ich dann Henry Miller gelesen und der hat geschrieben: Der wahre Künstler muss Anarchist sein! Diesen Satz habe ich mir bis heute gemerkt. Ich habe mich auch in meinem neuen Buch „Auf der Suche nach dem Wunderbaren: Poesie ist Widerstand“ zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft bekannt. Und ich singe ja auch Parolen wie: „Nein, ich hör nicht auf, zu träumen von der herrschaftsfreien Welt, wo der Menschen-Miteinander unser Sein zusammenhält.“ Und in diesem Punkt bin ich heute sogar radikaler als früher. Ich gestatte niemandem mehr, mir irgendetwas zu befehlen. Den bedingungslosen Gehorsam halte ich für die größte Katastrophe, die es gibt. Dadurch sind die unmenschlichsten Dinge passiert. Und das, was wir gerade erleben, ist wie ein hoffentlich letztes Aufbäumen des Patriarchats. Das sind ja alles Männer oder Männlein, die gerade die Schlagzeilen bestimmen. Sehr unreife Menschen wie Trump, Bolsonaro, Erdogan, Orbán oder Putin. Das sind Patriarchen und das muss sich ändern. Die Welt kann so nicht mehr weitermachen. Wir haben in diesem patriarchalen, kapitalistischen, gierigen System keine Chance zu überleben.
Malen wir doch mal den Teufel an die Wand. Die AfD könnte irgendwann Regierungsverantwortung übernehmen, oder wie die das ausdrücken: die Macht ergreifen. Was machen Sie dann? Wie weit würde Ihr Widerstand gehen?
Ich würde keinen Millimeter von meiner Überzeugung abweichen. Aber ich bin ein alter Mann. Vielmehr bin ich in Sorge um die Generation meiner Söhne. Meine Söhne sind jetzt 19 und 21 Jahre alt und politisch sehr aktiv. Ich sehe auf der anderen Seite aber auch den Widerstand, den es gibt. Sei es bei der wunderbaren #unteilbar-Demo in Berlin, bei den vielen Protestaktionen in München oder auch bei dem, was im Hambacher Forst passiert. Und das ist teils sogar ein anarchischer Widerstand, das gefällt mir sehr gut. Der Versuch eines nicht-hierarchischen politischen Aufbegehrens. Es gibt in ganz Bayern immer noch ganz viele Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren. Da steht zwar nicht annähernd so oft in der Presse wie die blöden Sprüche von Herrn Gauland, aber diese Initiativen existieren. Es ist nicht so, dass es keinen Widerstand gäbe. Und das ist auch unsere Chance. Geschichte muss sich nicht wiederholen. Sie darf sich nicht wiederholen. Wir müssen aus dem, was 1933 passiert ist, lernen. Und durch dieses Wissen haben wir auch die große Chance, das abzuwenden.
Sie sind auch viel in sozialen Netzwerken unterwegs und schreiben gerade auf Facebook lange Posts über den Rechtsruck in Deutschland. Warum ist Ihnen das wichtig?
Ich habe mich neulich mal bei jungen Aktivisten erkundigt, ob es etwas Vergleichbares wie Facebook gibt, was man mit besserem Gewissen nutzen kann. Und die haben gesagt: Nein, gibt es nicht. Man muss da einfach mitmachen. Ich poste dort allerdings nie etwas Privates, sondern nutze es lediglich politisch. Und dann habe ich noch mein Web-Magazin namens „Hinter den Schlagzeilen“, das mir auch sehr am Herzen liegt. Und seit Anfang November betreibe ich auch einen eigenen Online-Shop, weil es viele Leute gibt, die die großen Anbieter nicht nutzen wollen. Deshalb vertreiben wir dort auf eigene Faust meine Bücher und CDs, die Erzeugnisse der Künstler meines Labels und auch von Künstlern, die mir einfach persönlich gefallen. Und von jedem Verkauf geht auch ein Euro an mein Web-Magazin als Spende. Ein völlig unabhängiges und werbefreies Magazin. Das wird Amazon nicht wirklich in den Ruin treiben, aber einen Versuch ist es wert. Und ich bin schon lange der Meinung: Wenn wir von etwas wirklich überzeugt sind, dürfen wir auch nicht ständig darauf schielen, ob das auch alle anderen machen. Wir müssen es einfach tun.
Wie haben Sie eigentlich die jüngsten Landtagswahlen in Bayern erlebt, als die CSU ihre absolute Mehrheit verloren hat? Und was sagen Sie zum Verhalten von Ministerpräsident Markus Söder?
Für mich als Bayer war es natürlich eine große Freude, dass die absolute Mehrheit der CSU im Landtag und damit die Vormachtstellung dieser Partei endlich mal gebrochen wurde. Und wie die sich danach benommen haben, finde ich unfassbar. Markus Söder hat sich zum Beispiel hingestellt und hat gesagt: 30.000 Menschen haben gegen das bayerische Polizeigesetz demonstriert? Was sind schon 30.000 im Vergleich zu mehreren Millionen Bayern? Er hat versucht, dieses Signal herunterzuspielen und sich sogar darüber lustig gemacht. Das ist für mich unglaublicher Hohn. So ein Mensch hat sich damit eigentlich selbst disqualifiziert, Politiker zu sein. Er nimmt die Bürger nicht ernst.
Sie gelten ja als Vorzeige-Protestsänger. Als beliebteste Form für Protest-Songs gilt ja neben dem klassischen Songwriter vor allem der Punkrock. Gibt es für Sie Berührungspunkte mit diesem Genre?
Klar kenne ich auch Bands aus dem Genre. Vor allem von früher. Jetzt werde ich immer wieder durch meinen Sohn damit konfrontiert. Der kennt sich sehr viel besser aus als ich. Der fährt auch mal bis nach Italien und sieht sich eine Band an, die vor zwanzig Leuten spielt. Das gefällt mir wirklich gut. Und mein Sohn hat eine Playlist auf seinem Handy, auf der man zwischendurch auch mal eine italienische Oper oder eine Mozart-Sinfonie findet. Das ist inzwischen auch bei Musikern so. Früher war es so: es gab den klassischen Musiker, den Jazz-Musiker und den Liedermacher. Und die durften eigentlich gar nicht miteinander in Berührung kommen. Heute ist es oft so, dass klassische Musiker, die in Orchestern spielen, nebenbei noch in einer Punkband spielen. Das hat sich viel mehr vermischt. Es gibt nicht mehr diese arrogante Art, seinen eigenen Stil als einzig wahren hinstellen zu wollen. Das finde ich sehr spannend. Ich persönlich komme aus der klassischen Musik, mein Vater war Opernsänger und mein Lehrmeister für die Liedermacherei war Schubert. Nicht wie bei Hannes Wader, da war es der amerikanische Folk, oder bei Reinhard Mey, da war es der französische Chanson. Und in einem Punkt muss ich Ihnen widersprechen: der größte Anarcho der Musik war Mozart. Da ging es schon los.
Eine Band aus Mecklenburg-Vorpommern hat in den letzten Monaten für besonders viele Schlagzeilen gesorgt: FEINE SAHNE FISCHFILET. Sei es wegen der Überwachung durch den Verfassungsschutz oder die Konzertabsage in Dessau. Das müsste doch voll nach Ihrem Geschmack sein, oder?
Natürlich, mein Sohn hat mir schon vor eineinhalb Jahren Songs von denen vorgespielt. Ich habe vor zwölf Jahren eine Antifa-Tour unter dem Motto „Nazis raus aus dieser Stadt“ mit Heinz Ratz von STROM & WASSER gespielt und da wurde uns an einem Gymnasium in Halberstadt in Sachsen-Anhalt auch ein Konzert untersagt. Das ging dann sogar bis ins Parlament und wir durften dann dieses antifaschistische Konzert nicht spielen mit der Begründung: Wenn man dem linksradikalen Wecker ein Konzert gestattet, dann müsste man auch den Rechtsradikalen eine Plattform für ein Konzert bieten. Geiles Gegenargument, oder? Die NPD hatte unter anderem auch damit gedroht, sie wolle an der Schule künftig Veranstaltungen zu nationalen Themen durchführen. Stattdessen haben wir dann ein Konzert an einer Schule in Jena in Thüringen gespielt. Von daher kann ich die Aufregung um das Konzert in Dessau nachvollziehen und finde es auch wichtig, dass die Band nicht lockergelassen hat.
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