Die Formation aus Kentucky hat mit ihrem dritten Album ein weiteres Mal ihren Ausnahmestatus in der modernen Hardcore- und Metalcore-Szene gefestigt. Mit Isaac Hales begeben wir uns auf Spurensuche zu „You Won’t Go Before You Supposed To“ und erfahren von dem sympathischen und reflektierten Gitarristen einiges zu den Hintergründen der Platte und darüber hinaus.
Isaac, kannst du uns ein bisschen was zu den Themen und Prozessen erzählen, die ihr beim Schreiben des Albums durchlaufen habt?
Ich glaube, die größte Herausforderung beim Aufnehmen dieses Albums war, etwas zu schaffen, auf das wir – sowohl klanglich als auch künstlerisch – absolut stolz sein können. Auf der einen Seite unsere Fans nicht zu enttäuschen, aber vielmehr auch nicht uns als Band, machte das Ganze nicht gerade einfacher. Wir hatten so viele Songs für dieses Album geschrieben, hier die besten rauszupicken und daraus diese mächtige Scheibe zu machen, die es letztendlich geworden ist, das war ein ganz schöner Kraftakt. Zudem haben wir jede Menge Mühe investiert, um herauszufinden, wie wir einerseits exponentiell wachsen können, ohne gleichzeitig das Gesicht zu verlieren, das war mitunter die größte Schwierigkeit.
Du sagtest kürzlich, das neue Album wird das härteste, aber gleichzeitig auch das melodischste und zugänglichste eurer ganzen Karriere. Mal abgesehen davon, dass das jede Band vor ihrem neuen Album behauptet, habe ich den Eindruck, dass es bei euch tatsächlich jedes Mal ein Stück mehr in die Richtung härter, aber gleichzeitig auch massentauglicher geht. Wie schafft ihr es, diese Balance zu halten?
Also zunächst mal muss man sagen, dass wir vier Jahre an diesem Album gearbeitet haben. Das war der intensivste Prozess, durch den wir beim Schreiben einer Platte bisher gegangen sind. Einen Großteil der Zeit haben wir tatsächlich darauf verwendet, die Catchyness und die Größe der Hooks so in Einklang bringen zu können, dass das Album trotzdem super heavy und intensiv wird. Wir mussten lernen, dass es neue Wege und Straßen gibt, die wir als Band befahren müssen, und gleichzeitig immer ein Geben und Nehmen ist. Wir selbst sind die größten Fans der Band und achten immer darauf, dass es bei allem Neuen, das wir integrieren, immer eine gewisse Form der Heavyness gibt, die bleibt. Es geht um die richtige Kombination aus Kreativität und Härte!
Euer Sänger Brian hat mal in einem Interview hat „The Shining“ als seinen Lieblingsfilm bezeichnet. Das finde ich spannend. Denn ähnlich wie bei dem Film muss man bei eurer Musik ein bisschen tiefer einsteigen, um alles zu verstehen. Man muss entdecken, forschen und sich darauf einlassen. Würdest du dem zustimmen und ist das ein grundsätzliches Ziel, welches ihr verfolgt?
Es ist witzig, dass du „The Shining“ erwähnst. Denn tatsächlich war der Film eine große Inspiration für das Video zu unserer Doppel-Single, die wir letztes Jahr veröffentlicht haben. Grundsätzlich haben diese verrückten Kubrick-Filme auf ästhetischer Ebene definitiv einen großen Impact auf die Band und ich kann auf jeden Fall die Verbindung nachvollziehen, die du hier siehst. Wenn die Leute ausschließlich auf die Breakdowns warten und ihre Wut rauslassen wollen, ist das für mich auch in Ordnung. Aber wir arbeiten sehr hart daran, dass ein KNOCKED LOOSE-Album ein vielschichtiges Erlebnis ist, das eine tiefer gehende Erfahrung bietet, sowohl inhaltlich als auch musikalisch. Und manchmal bemerken es die Leute, manchmal nicht. Und wir sind fein damit, aber dennoch ist es das, wofür man uns auch kennen sollte.
Die erste Single, „Blinding faith“, setzt sich stark mit Religion auseinander und bietet dazu ein paar eindrückliche, sehr kritische Lyrics. Seid ihr selbst religiös oder habt einen entsprechenden Hintergrund?
Ich denke, dass einige Mitglieder der Band auf ihre ganz eigene, persönliche Art eine Verbindung zur Spiritualität haben, aber bezogen auf die christliche Kirche haben wir alle vermutlich eine ähnliche Meinung. Ich selber war nie eine Person, die von sich aus zur Kirche gegangen ist, musste es aber natürlich als Kind tun, mit meiner Mutter zusammen. Und dort sah ich diese ganzen Leute, die ihren Glauben als Maske benutzten, sich über andere stellten und dachten, ein Kirchenbesuch würde ihr schlechtes Verhalten im Alltag schon wieder wettmachen. Außerdem glaube ich, dass das Thema einfach einige Leute anspricht. Uns geht es hier auch nicht darum, eine Gegenposition zu einer bestimmten Religion einzunehmen, aber wir haben eine eindeutige Haltung zu vor allem christlichen Personen, die durch ihre Bigotterie auffallen, nichts in Frage stellen und sich einfach einem bestimmten Mindset unterordnen, weil es ihnen so vorgegeben wurde.
Beim Hören des Albums hatte ich den Eindruck, dass die Songs „Moss covers all“ und „Take me home“ ursprünglich ein Track gewesen sein könnten.
Die beiden sind definitiv miteinander connectet. Witzig, dass du das ansprichst. „Moss covers all“ entstand als Erster von den beiden, eine schnelle, harte Nummer. Nach einer gewissen Zeit kam das Gefühl auf, dass wir einen weiteren unheimlichen, spooky Track brauchen, der stimmungsvoll und atmosphärisch ist, allein auf dem Gefühl der Angst aufbaut und dafür nicht mal einen Breakdown braucht. Also nahmen wir einen Gitarrenpart von „Moss covers all“, der quasi nun als Loop in „Take me home“ auftaucht, und fingen an, um diesen herum den Song aufzubauen. So ging das weiter, bis alles schließlich sehr organisch zusammenpasste.
Ihr schließt mit „Slaughterhouse (Part II)“ einen Kreis, der mit Chris von MOTIONLESS IN WHITE begonnen hatte. Wer hatte die ursprüngliche Idee dafür?
Zuerst war das nicht mehr als ein Joke. Die Überlegung, das Sequel zu machen, kam von uns, MOTIONLESS IN WHITE wussten nichts davon. Während wir aber mehr und mehr im Albumprozess drinsteckten, wurde uns klar, wie lustig es doch eigentlich wäre, dies umzusetzen. Als wir mit ihnen auf Tour waren, haben wir ihnen schließlich die Idee präsentiert und Chris war sofort davon angetan. Das war es im Prinzip, aus einer Quatschidee heraus ist die ganze Nummer entstanden. Wir dachten uns, daraus könnte wirklich etwas Größeres werden, letztendlich ist es ja auch so gekommen und wir sind alle begeistert davon.
Das Album endet mit „Sit and mourn“, einem wie ich finde ganz wundervollen Track, der aufs Neue musikalisch diverse Härtegrenzen auslotet, textlich aber sehr empowernd und aufbauend ist. Kannst du mir etwas mehr über die Entstehung dieses Songs erzählen?
Der schwere Breakdown am Ende des Songs war der erste Part, den wir fertig hatten. Den haben wir tatsächlich schon vor Jahren aufgenommen und bereits damals wussten wir, damit werden wir das Album beenden. Aber natürlich brauchten wir einen Song dazu, was im Grunde auch wieder sehr interessant ist, da der eigentliche Song tatsächlich der letzte ist, der für das Album geschrieben wurde. Es ging dann aber alles sehr schnell. Ich finde, dieser soundtechnisch sehr traurige Track fasst das ganze Album perfekt zusammen und referenziert eigentlich den Titel der Platte, er wirkt wie das letzte Kapitel eines Buchs. Wie alle KNOCKED LOOSE-Alben ist auch dieses sehr ehrlich, es geht um persönliche Kämpfe, mentale Probleme, Verlust, Trauer und Wut. Und am Ende dieses Songs steht die Aussage: Ich habe mich durchgekämpft durch all das, bin aber immer noch hier. Und ich werde erst gehen, wenn ich gehen muss. Diese Kombination aus trauriger Anmutung und konstruktiven Lyrics ist etwas, das wir bisher noch nie gemacht haben. Ich bin sehr glücklich damit, was letztendlich daraus geworden ist.
Das kann ich sehr gut nachvollziehen, ich hatte beim Hören den Eindruck, dass hier eine starke Verbindung zum Rezipienten aufgebaut werden soll.
Yeah! Exakt das ist es, es freut mich zu hören, wenn es die Leute auf genau diese Weise erreicht, und ich kann es gar nicht abwarten, bis es die ganze Welt hören kann, denn genau das ist ein elementarer Teil des Albums.
Zwei letzte Fragen habe ich noch, die vielleicht etwas aus dem Rahmen fallen. Wenn man sich die Kommentarspalten anschaut auf Social Media, gibt es ein wiederkehrendes Thema, als Beispiel: „Die Band ist super, aber was macht der Sänger da mit seiner Stimme?“ Dies fand ich schon immer etwas seltsam, denn meiner Meinung nach hören sich im Hardcore und Metalcore die meisten Sänger doch irgendwie gleich an. Ich finde, der wichtigste USP von KNOCKED LOOSE ist tatsächlich Brians Stimme. Wie ist das bei euch, diskutiert ihr das, bewegt es euch oder belächelt ihr solche Anmerkungen?
Ich denke, dass diese negativen Stimmen Brian ziemlich oft erreichen und auch bewegen. Das ist schon ein heißes Eisen und er hat sich so oft dazu geäußert und darüber diskutiert. Und ich bin überzeugt, dass es manchmal nicht einfach ist für ihn, er wird dadurch zu einer Zielscheibe für die Kritik. Während das für den Rest von uns schon immer klar war. Ich meine, ich bin aufgewachsen mit Bands wie CONVERGE! Für mich ist die Härte einer hohen Stimme, das Kratzige, das Schreien in Verbindung mit einer tiefer gestimmten Gitarre doch genau das, was es cool macht! Wenn ich mit meiner tiefen Stimme singen würde, oder jemand anderes oder so, wäre es einfach nicht dasselbe. Ich denke, genau das ist es, was unseren Sound so einzigartig macht. Und was mich angeht, ich liebe seine Stimme! Ich mochte sie schon immer, und das übrigens auch egal in welcher Verfassung. Ob er die vollen hundert Prozent am Start hat oder manchmal vielleicht auch nur dreißig, ich denke mir jedes Mal, es ist gut, dass wir ihn in der Band haben, das zeichnet uns aus. Ich liebe das gleichwertige Nebeneinander von Musik und Stimme und von daher bin ich da ganz bei dir. Es ist schräg, dass es für einige Leute so eine große Sache ist, für uns hat es nämlich schon immer perfekt gepasst.
Letzte Frage: Wenn du dir mal die ganze „Arf, arf“-Sache rund um euren Song „Counting worms“ und den Einfluss auf die Szene und darüber hinaus ansiehst, glaubst du, das wäre ohne die Macht von TikTok und Instagram ähnlich gelaufen?
Ich denke, dass ein Song wie „Couting worms“ heute nicht da stehen würde, wo er jetzt steht, wenn er nicht irgendwo auch für die Memes gemacht worden wäre. Also ja, er hatte definitiv seinen viralen Moment. Und auch heute noch ist es oft genau der Weg, wie die Leute unsere Band entdecken. Und ich denke, dass harte Musik generell heute nicht in dem Maße so groß hätte werden können ohne TikTok und Co. Social Media hat schon immer diese zwei Seiten gehabt, positive wie negative Konsequenzen. Würden wir uns manchmal wünschen, dass die Menschen auf andere Weise unsere Musik entdecken? Natürlich tun wir das. Andererseits würde ich mich niemals darüber aufregen, wenn jemand zu uns kommt aufgrund eines „Counting worms“-TikToks oder eines witzigen Memes, weil ich grundsätzlich jede Art wertschätzen kann, wie jemand unsere Musik konsumieren möchte. Natürlich ist es irgendwo bescheuert, wenn jemand dann nur diesen einen Song von uns hört und sonst nichts, ich kriege das ja auch mit, andererseits würden wir wie bereits gesagt uns niemals darüber erheben, wie und in welchem Umfang eine Person unsere Musik hören möchte. Und dazu kommen natürlich auch aktuell all die ganzen großen Stars, die Hardcore oder Metal hören, Merch tragen oder entsprechende Videos teilen. Ich denke, das Genre an sich hat gerade viele Augen auf sich gerichtet, was im Endeffekt wieder für uns eine gute Sache ist, da es uns viele Möglichkeiten eröffnet, für neue oder andere Leute zu spielen. Und um ehrlich zu sein, das ist am Ende des Tages das Wichtigste für uns.
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