KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD

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Jäger der verlorenen Tonleiter

Kaum eine Band ist in den vergangenen zehn Jahren fleißiger gewesen, als KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD. Die Jungs aus Melbourne haben 15 Alben, fünf Live-Alben, zwei EPs, zwei Demo-Compilations und einen Film veröffentlicht. Wenn ich mich nicht verzählt habe ... Dass sich die australische Metropole zwischenzeitich im zweiten Corona-bedingten Lockdown befand, kam der Veröffentlichungswut der Psychedelic-Rocker zusätzlich entgegen. Sänger und Gitarrist Stu Mackenzie hat viel Zeit damit verbracht, in seinem Schlafzimmer unzählige neue Songs zu schreiben. Im Ox-Interview erklärt er, welche Idee hinter dem 16. Album „K.G.“ steckt.

Stu, du bist ja wie immer sehr produktiv. Anscheinend hast du dein unfreiwilliges Eremitendasein vor allem für kreative Dinge genutzt.

Einige der Ideen für dieses Album sind schon vor diesem ganzen Corona-Wahnsinn entstanden. Es hat sich schon vor einem Jahr so angefühlt, als würde ein Album daraus werden. Als dann der Lockdown kam und wir uns nicht mehr jeden Tag sehen konnten wie sonst, kamen diese Gespräche auf, dass wir aus dieser Handvoll mikrotonaler Songs ein Album machen. Dann mussten wir natürlich erst lernen, wie wir getrennt voneinander arbeiten und uns die Soundfiles schicken können. Aber im Nachhinein hat es großen Spaß gemacht und ich bin froh, dass wir es gewagt haben.

„K.G.“ klingt fast wie eine Fortsetzung von „Flying Microtonal Banana“, eines eurer erfolgreichsten Alben. Haben die beiden eine Verbindung?
Es sind beides natürlich mikrotonale Alben. Das heißt jeder Song auf diesen beiden Alben erforscht die Töne zwischen den Tönen. Es ist erst das zweite Mal, dass wir diesen Sound in Albumlänge ausprobiert haben. Es gibt sonst nur einzelne Songs oder Elemente von Songs auf anderen Alben. Wir haben im Laufe der Jahre diesen mikrotonalen Sound für uns weiterentwickelt.

Für meine Ohren haben diese mikrotonalen Songs einen orientalischen Vibe. Wo kommt der her?
Die Idee für diese mikrotonale Musik kam mir, als ich viel türkische Musik gehört habe. Ich habe vor vielen Jahren angefangen, mich für Musik aus allen Teilen der Welt zu interessieren, also nicht nur USA, Europa oder Australien. Da bin ich auf eine Menge sehr interessante psychedelische Musik aus Südamerika, Südostasien und dem Mittleren Osten gestoßen. Vor sechs Jahren bin ich zwei, drei Wochen durch die Türkei gereist und habe ein türkisches Zupfinstrument namens Baglama mitgebracht. Ich habe mir dann selbst beigebracht, sie zu spielen, weil ich diesen Klang einfach toll fand. Irgendwann hatte ich dann die ganze Band soweit, dass sie mikrotonale Musik spielt. So bekamen wir Zugang zu Noten, die in der westlichen Welt keiner kennt. Wir haben sehr viel damit experimentiert. Irgendwann habe ich mir eine Gitarre mit zusätzlichen Viertelton-Bünden umbauen lassen. Das hat mich gerade mal fünfzig Dollar gekostet. Anfangs war nicht klar, ob wir nur ein bisschen damit herumspielen oder ganze Songs damit aufnehmen, inzwischen hat es sich als unheimlich inspirierend herausgestellt. Diese Gitarre hat mir eine völlig neue Welt eröffnet. Dadurch ist vor drei Jahren das Album „Flying Microtonal Banana“ entstanden. Das ist auch der Name der Gitarre und auf diesem Instrument sind alle Songs entstanden. Der kreative Prozess ist mir damals so leicht von der Hand gegangen wie nie zuvor. Es hat sich so frei und ungezwungen angefühlt. Deshalb wollte ich mit dem neuen Album wieder an diesen Punkt kommen. Es hat uns zwar drei Jahre gekostet, aber wir sind letztendlich wieder in der mikrotonalen Welt angekommen.

Bei meinem letzten Türkeitrip habe mir auch CDs mit Sufi-Musik mitgenommen, zu der sich Derwische in Trance tanzen.
Ich halte diese Musik für sehr psychedelisch. All diese verrückten Tänzer und diese völlig andere Herangehensweise an Musik. Das finde ich total faszinierend und es beweist, wie breitgefächert Musik sein kann. Es gibt so viele Perspektiven, die wir in der westlichen Welt noch nicht kennen.

Eure Alben klingen zum Teil ja sehr unterschiedlich. Zwei haben diesen orientalischen Sound, andere sind sehr poppig, eines ist fast schon ein Thrash-Metal-Album. Woher kommt diese Vielfalt?
Das kommt alles aus dem Bauch heraus. Meistens gibt es eine Idee, aus der sich dann ein ganzes Album entwickelt. Ich höre MEGADETH, wenn ich mit meinem Auto unterwegs bin, und wenn ich koche, höre ich Alice Coltrane. Alle meine Freunde haben ein extrem großes Spektrum an Musik, die sie hören. Das wirkt sich natürlich auf meine verschiedenen Stimmungen aus. Die Vielfalt unserer Musik reflektiert also die Musik, die wir hören. Ich persönlich liebe das Album-Format sehr, ich liebe es einfach, zwischen 35 und 50 Minuten Zeit für die Ausformung einer Idee zu haben. Alben, die eine ganze Landschaft erschaffen oder eine bestimmte Stimmung erzeugen, sind mir am liebsten. Deshalb versuche ich das auch immer zu erreichen. Normalerweise trage ich immer eine Tasche mit Songs mit mir herum, die nicht aufs aktuelle Album passen. Daraus entstehen dann ganze Alben. So war es zum Beispiel bei unserem Metal-Album „Infest The Rats’ Nest“. Ich hatte ein Demo vom ersten Song „Planet B“, der trashiger klang als anderen Songs von uns, und wie der Impuls für ein neues Album wirkte. So ist es meistens. Wir bauen dann aus einem oder zwei Songs eine komplette neue Welt. Ich denke eigentlich die ganze Zeit nur in Alben und nicht in Songs.

Wenn es um Texte geht, sprichst du vom „Gizzverse“, diesem Universum, in dem jeder Song von King Gizzard seinen Platz hat. Wie ist das mit eurem neuen Album „K.G.“?
Die Texte auf dem neuen Album sind ziemlich nihilistisch und pessimistisch geraten. Sie sind ziemlich dunkel, paranoid und introspektiv. Zum Teil sogar furchterregend. Bis auf „Honey“ vielleicht, das ist ein Lovesong, der ein bisschen optimistischer ist. Dabei geht es nicht einmal konkret um Corona. Es geht um all den Scheiß, der gerade in der Welt passiert und der existentielle Ängste in uns auslöst. Momentan geht es ums nackte Überleben. Also Dinge wie Artensterben oder Klimakatastrophe. In den Texten von „K.G.“ drücken wir all unsere Zukunftsängste aus.

Ihr habt euch auch intensiv mit den apokalyptischen Zuständen in eurer Heimat beschäftigt. Dieses Jahr habt ihr drei Live-Alben über Bandcamp veröffentlicht, deren Erlös der Wiederaufforstung nach den massiven Waldbränden zugutekommt.
Die Waldbrand-Saison dieses Jahr war absolut verheerend. Die Schlimmste, die wir je hatten in Australien. Das war für jeden hier total schockierend. Absolut furchterregend. All diese uralten Wälder, in denen ich schon war, sind einfach abgebrannt. Hunderte Quadratkilometer Natur und Wildnis sind komplett zerstört. In Australien brennt es zwar regelmäßig, weil es ein trockenes Land ist, aber diesmal haben Gegenden gebrannt, in denen das noch nie passiert ist. Und das sollte einfach nicht sein. Alle haben dann vom wirtschaftlichen Schaden für die Menschen geredet, was natürlich auch schlimm ist. Aber ich habe mir viel mehr Gedanken über die Tiere gemacht, für die dieses Flammenmeer ein absolutes Horrorszenario gewesen sein muss. Deshalb haben wir uns entschieden, ein paar Live-Aufnahmen für diesen Zweck zu stiften und hoffen, dass wir damit zumindest ein bisschen helfen können.

Wart ihr auch persönlich von den Waldbränden betroffen?
Nein, Melbourne war nicht wirklich vom Feuer betroffen. Es gab lediglich ein paar Tage lang einen gelben Himmel. Ziemlich spooky. Weil wir alle in dieser kleinen Blase in Melbourne leben, wurde aber keiner von uns oder unseren Freunden Opfer der Flammen.

Wie kommt es, dass ihr so fleißig seid? „K.G.“ ist schon das 16. Album in nur zehn Jahren.
Ich habe keinen anderen Job. Ich mache nur Musik und gehe auf Tour, sonst mache ich nicht viel. Deshalb ist diese Menge Alben für mich nicht besonders verrückt. Manche Leute machen sich wirklich ausführliche Gedanken, wie ein Album klingen soll, und durchdenken jedes Detail. Es gibt auch von uns Alben, auf denen ich jedes Solo akribisch geplant habe, aber damit bin ich dann oft später nicht mehr zufrieden. In 90% der Fälle hat sich herausgestellt, dass der erste Gedanke der beste ist. Deshalb vertraue ich vor allem auf meinen Instinkt. Diese Herangehensweise verkürzt natürlich die Arbeit an einem Album.

Außerdem macht ihr alles selbst. Musik aufnehmen, Artwork gestalten, Videos drehen. Sogar euer Label Flightless Records betreibt euer ehemaliger Drummer Eric Moore. Warum ist euch DIY so wichtig?
Das ist für mich der einzige Weg, Platten zu machen und als Band zu existieren. Immer, wenn ich in meiner Musikerkarriere den Einfluss von anderen Menschen zugelassen habe, wurde es schnell schwierig. Vor King Gizzard haben wir alle in anderen Bands gespielt. Wir haben uns alle mit Aufnahmetechnik vertraut gemacht und nebenbei Musik in unseren Schlafzimmern aufgenommen, weil wir unzufrieden waren mit der Stange Geld, die wir für Studios ausgegeben hatten. Dann haben wir Kontakt zu Presswerken aufgenommen und angefangen, selbst Platten zu produzieren. Das hat sich einfach so ergeben. Vielleicht weil wir alle keine Lust mehr auf die Ineffizienz der Musikindustrie hatten. Wenn du kapierst, wie das alles funktioniert, kannst du das alles viel schneller hinbekommen. Abgesehen davon war ich schon immer ein ziemlicher Kontrollfreak. Ich mag es, in allen Bereichen die Finger im Spiel zu haben.

Habt ihr auch einige Die-hard-Fans, die euch auf Konzertreisen hinterherfahren und alle eure Platten kaufen? So wie die Psychonauten bei MOTORPSYCHO?
Von dieser Band haben mir schon einige Leute erzählt. Ich selbst kenne sie noch nicht. In den letzten beiden Jahren haben wir angefangen, bei jedem Konzert eine andere Setlist zu spielen. Wir schöpfen aus einem Reservoir von etwa achtzig Songs. Daraus suchen wir uns für jeden Abend 18 andere Songs heraus. Dadurch kommen immer mehr Leute zu mehreren Shows und reisen uns auch nach. Leute, die wir in Brüssel, Utrecht oder Amsterdam treffen. Sie kommen, weil sie immer eine andere Performance sehen, und diese Gruppe von Fans wird mit jeder Tour größer. Leider mussten wir ja diesen Sommer canceln, aber ich hoffe, dass es 2021 so weitergeht.

Wie sehen eure Pläne für die nächsten Monate aus?
Für 2021 haben wir mindestens drei weitere Studioalben geplant. Ich habe schon wieder jede Menge Ideen für neue Musik im Kopf. Ich hoffe natürlich, dass wir auch wieder Konzerte spielen können, wenn es sicher ist. Ich kann es kaum erwarten, wieder unterwegs zu sein. Aber wir müssen natürlich abwarten, wie sich die ganze Situation entwickelt. Ob der ganze Planet noch mehr Feuer fängt als bisher.