Die Band aus Auckland, Neuseeland existiert seit 2006, mit „Pirohia“ (Golden Antenna) erschien jetzt das dritte Album. Wer instrumentale, epische Musik liebt, muss KERRETTA mögen, die ihre dramatischen Kompositionen auch regelmäßig in aller Welt live aufführen. Antworten gab’s von Drummer Hamish Walker.
Wenn ich den Begriff „Experimental Rock“ höre, den ihr auf eurem Facebook-Profil unter Genre eingetragen habt, habe ich immer das Bild eines Labors vor Augen. Also beschreib mir doch bitte eure klanglichen Experimente: Wie sieht der Versuchsaufbau aus und was ist das Ziel eurer Forschung?
Ich glaube, der Entstehungsprozess unserer Musik lässt sich schon irgendwie mit einer Laborsituation vergleichen. Wir nutzen eine ganze Menge an Ideen, vermischen sie und schauen dann, ob sie zusammen funktionieren. Wir mögen den Begriff „experimental“, weil er einschließt, dass wir bereit dazu sind, Sachen auszuprobieren, die noch nie gemacht wurden. Beim Schreiben dieses Albums waren wir diesmal wirklich offen für alles. Das hört sich erst mal selbstverständlich an, aber manchmal geht man schon voreingenommen an die Dinge heran. Also hat jeder von uns seine eigenen Vorstellungen an die anderen herangetragen. Dieses Mal waren die Ideen im Voraus wesentlich stärker ausgefertigt, als bei unseren letzten Platten. Das liegt daran, dass wir im Moment in verschiedenen Ländern leben und wir uns nicht einfach zusammen ins Studio setzen können, um an der Musik zu arbeiten. Wenn einer von uns eine Idee hat, wendet er sich an die anderen beiden. Wir gehen das Ganze dann durch, um zu sehen, ob die Idee ganz oder wenigstens teilweise funktioniert. Als das Fundament der Songs stand, trafen wir uns in einem Studio in Neuseeland und arbeiteten ständig an ihnen weiter, um sie auszufeilen und schließlich fertigzustellen.
Für Bands mit Songtexten ist es einfach Akzente zu setzen: Der Titel, ein einprägsamer Satz, ein Refrain. Wie versucht ihr, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen?
Ich glaube, bei Musik mit Gesang ist es für deine Ohren ganz natürlich, sofort darauf zu achten. Wenn du dieses Mittel nicht zur Verfügung hast, gibt dir das aber auch die Freiheit, diesen Fokus auf die Instrumente zu lenken. Das heißt, du hast die Möglichkeit neue Dinge auszuprobieren und dein Instrument ganz anders einzusetzen. Wir mögen es, mit der Dynamik zu spielen, Spannung und Entspannung, sich überlagernde Frequenzen, Polyrhythmik und wechselnde Taktarten. Mit Gesang kannst du vieles davon nicht benutzen, weil es von den Texten ablenken würde.
Gibt es eine bestimmte neuseeländische Musiktradition, mit der ihr euch verbunden fühlt?
Traditionelle Musik aus Neuseeland, Waiata genannt, unterscheidet sich sehr stark von dem Großteil der westlich geprägten Musik. Es werden eine Menge verschiedener Taktarten benutzt, es gibt oftmals mikrotonale Intervalle – das beinhaltet auch Töne, die nicht auf der 12-Ton-Skala der westlichen Oktave enthalten sind – und Melodien, die selten mehr als vier bis fünf Ganztonschritte vom Grundton des Songs abweichen, was auch ein Element der Drone-Musik ist. Aber es ist kein Drone im westlichen Sinn, es ist nur so, dass man für eine Melodie keine großen Intervalle braucht. Auf eine gewisse Weise beeinflusst uns diese Musik schon. Auf dem neuen Album ist auch ein Song mit Gesang in der Sprache der Eingeborenen Neuseelands, der Maori.
Musik ohne Text lässt im Kopf oft Bilder von weiten Landschaften entstehen – die Art von Landschaften, die auch in Peter Jackson-Filmen auftauchen ... Fühlt ihr euch mit dieser Vorstellung wohl oder ist eure Musik der Soundtrack zu einem völlig anderen Film?
Es ist schwer, sich nicht von seinem Umfeld beeinflussen zu lassen, egal, ob du aus Berlin kommst oder aus Neuseeland. Ausgedehnte Landschaften beherrschen den Großteil von Neuseeland. Innerhalb einer Stunde kann man von schneebedeckten Bergen an die Küste reisen. Ich freue mich darüber, dass unsere Musik dich an diese Bilder denken lässt. Aber ich glaube nicht, dass das auf instrumentale Musik im Allgemeinen zutrifft, genauso wie Musik mit Gesang nicht automatisch das Bild eines Sängers auf der Bühne hervorruft. Wenn du Landschaften als Bezugspunkt verwenden möchtest: Die Natur kann ebenso brutal wie wunderschön sein und ich glaube, dieses Zusammenspiel von Gegensätzen beschreibt das, was wir machen, meiner Meinung nach, besser. Ich mag Extreme, Höhen und Tiefen. Das neue Album ist eher um eine Geschichte angelegt, die auch in den Songtiteln angedeutet wird – nicht alle Tracks haben etwas mit Landschaften zu tun.
Die Produktion ist in eurer „Ecke“ der Musikwelt ein sehr wichtiges Thema. Während Garagepunk nicht wirklich auf ein großes Budget angewiesen ist, wäre eure Musik ohne Dynamik nicht vorstellbar. Also, wie macht ihr das? Gibt es einen typischen Aufbau?
Ich glaube, noch bevor man den Aufnahmeknopf drückt, müssen verschiedene Dinge im Vorfeld passieren. Zuerst einmal musst du dein Instrument dynamisch spielen. Zu üben, auf der einen Seite leise und sanft und auf der anderen Seite so laut es geht zu spielen, ist die Quintessenz, die es ermöglicht, das Wechselspiel von laut und leise richtig klingen zu lassen. Es ist oftmals sehr schwer, leises Spiel vorzutäuschen, wenn du die Saiten zu hart anschlägst oder zu kräftig auf die Becken hämmerst. Zweitens hilft es ungemein, gutes Equipment zu haben und auf dessen guten Zustand zu achten. Und schließlich ist es auch wichtig, sich mit seinem Equipment auch auszukennen. Dinge wie elektrische Impedanz, Verstärkungsstruktur, der Pegel des Grundrauschens oder die Verfügbarkeit von „Clean Power“ – Energie, die gleichmäßig fließt; keine typische „Gipfel und Täler“-Struktur – werden oft vernachlässigt. Aber diese Dinge können eine Show oder eine Aufnahme so viel besser machen, wenn man daran arbeitet. Wenn wir dann irgendwann ins Studio gehen, suchen wir uns einen Raum mit guter Akustik für die Aufnahme aus. Unser Gitarrist David hat einen ganzen Haufen Mikrofone. Damit experimentieren wir sehr viel und versuchen so, den Klang einzufangen, den wir hören wollen. Danach hängt auch viel von den Proben ab und davon, spontane Energie einzufangen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #116 Oktober/November 2014 und Joachim Hiller
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