JOY DIVISION wurden vor circa 30 Jahren gegründet, und dieser Tage wird der Fan mit zahlreichen Neuauflagen und Collector's Editions der Band versorgt, wie nötig oder unnötig das auch immer sein mag. Und Anfang 2008 lief das Filmdebüt des Fotografen Anton Corbijn, der bereits im Alter von 24 Jahren nach England übersiedelte, nach kaum vierzehn Tagen Kontakt mit JOY DIVISION hatte und die wohl bekanntesten Fotos der Band machte, in Gestalt des Films "Control" in den deutschen Kinos an. Corbijn hatte bisher so ziemlich alles von DEPECHE MODE über BAUHAUS bis hin zu Nick Cave vor der Kamera. Er war damals vom Album "Unknown Pleasures" (1979) sehr angetan und resümierte noch Mitte 2007: "What I liked about JOY DIVISION was that there was a sensibility. It was poetic." Auch die Anzahl der Bands, die gegenwärtig mit JOY DIVISION in einem Atemzug als Inspirationsquelle genannt werden, wächst inflationär (wenngleich diese Reminiszenz etwas schnell bedient wird) - kurzum: der Drang, sich mit der Musik von JOY DIVISION und der Person Ian Curtis zu beschäftigen, ist auch 27 Jahre nach seinem Tod nicht geringer geworden.
Die Hamburger Fotografin Katja Ruge hat sich dieses Themas im Rahmen eine Fotoreportage über Ian Curtis angenommen. Sie dokumentierte 23 Orte, die für Ian Curtis und JOY DIVISION von Bedeutung gewesen sind und porträtierte 23 Musiker und Bands, die sie auch ihre Beziehung zu dieser Band beschreiben lässt, unter anderem MAXIMO PARK, THE RAPTURE, Jaz Coleman (KILLING JOKE), SHE WANTS REVENGE, MOGWAI, Mark E Smith (THE FALL), Karl Bartos (KRAFTWERK) und viele mehr. Das Buch erschien im Dezember bei Monitorpop und wurde in Brüssel im Rahmen der Factory Night im Rahmen einer Fotoausstellung vorgestellt. An diesem Abend gab es auch Konzerte der JOY DIVISION-Zeitgenossen CRISPY AMBULANCE und SECTION 25 geben. Die Factory Night fand im Plan K in Brüssel statt, in dem JOY DIVISION im Oktober 1979 auftraten und wo im Verlauf dieses Konzerts dem Fotografen Phillipe Carly einige der eindringlichsten Fotos von Ian Curtis gelangen. Katja Ruge beantwortete einige Fragen zum Buch.
JOY DIVISION wurde vor über dreißig Jahren gegründet, Ian Curtis starb 1980 und gehört sicherlich zu den meist dokumentierten Menschen der Rockmusik. Was war Anlass und Inspiration für dich, die Fotodokumentation "Fotoreportage23 - In Search Of Ian Curtis" zu machen? Worin lag die Herausforderung?
Vor ungefähr drei Jahren hörte ich, dass es einen Film über das Leben von Ian Curtis geben wird, forschte dann im Internet, aber viel habe ich zu dem Zeitpunkt nicht gefunden. Stattdessen bin ich auf der JOY DIVISION-Central-Site hängen geblieben. Die Tatsache, dass dort Orte aufgeführt sind, die wichtig im Leben der Band waren und die ein Fan besuchen sollte, fand ich einfach spannend. Dann bekam ich von einer Freundin aus New York eine Holga-Kamera mitgebracht und mit dieser war die Idee geboren, diese Orte zu besuchen und zu fotografieren. Es war zum Teil sehr schwierig, die genauen Orte zu finden. Teilweise gab es die Gebäude nicht mehr, ganze Stadtteile waren abgerissen - bei mir entwickelte sich echter Forschergeist.
In dem Buch kommen viele Zeitgenossen und Wegbegleiter von Ian Curtis zu Wort wie beispielsweise der Factory-Designer Peter Saville sowie der Factory-Gründer und kürzlich verstorbene JOY DIVISION-Entdecker Tony Wilson, aber auch Musiker der Gegenwart wie BLOC PARTY und THE RAPTURE. Wie schwierig war es, diese Musiker für dein Vorhaben zu gewinnen? Gab es Absagen, mit denen du nicht gerechnet hast?
Ja, einige Bands wie die EDITORS oder THE RAKES wollten auf gar keinen Fall mitmachen. Bands, die von der meist englischen Presse mit JOY DIVISION in Verbindung gebracht werden, waren nicht zu knacken. Oft sind Anfragen einfach im Sande verlaufen. Da gab es seitens der Plattenfirmen kein Interesse, Anfragen weiterzuleiten, oder das Management der Bands hat es unter den Tisch fallen lassen. Schade, so ist es sicherlich zu einigen spannenden Begegnungen nicht gekommen. Irgendwann habe ich mich aber komplett zurückgelehnt und die Geschichte einfach passieren lassen. Damit bin ich dann sehr gut gefahren und vieles hat sich auf wundersame Weise ergeben, wie zum Beispiel mein Treffen mit Johnny Marr - unter anderem aktiv bei THE SMITHS, THE THE, ELECTRONIC, MODEST MOUSE. Eigentlich wollte ich auf einem Festival eine ganz andere Band treffen und bin dann zufällig mit Johnny Marr in Kontakt gekommen. Die Begegnung war unerwartet und besonders wertvoll.
Wie kamen die Kontakte zu Stande und welche von den im Buch zu Wort kommenden Musikern haben dich am meisten berührt?
Mein Kumpel Gareth, der auch das Vorwort des Buches geschrieben und die vielen Übersetzungen gemacht hat, hat mich mit Mark Reeder verknüpft. [Anmerkung: Mark Reeder spielte unter anderem Anfang der Achtziger Jahre in einer Band - gemeinsam mit dem späteren DIE HAUT- und NICK CAVE AND THE BAD SEEDS-Drummer Thomas Wydler - namens DIE UNBEKANNTEN, die beispielsweise 1981 mit dem Song "Radio war" einen wirklich großartigen JOY DIVISION-nahen Sound kreierten.] Er wiederum hat mir mit seinen Kontakten wahnsinnig geholfen. Ohne ihn wäre dieses Buch, vor allen Dingen mit dem wunderschönen Covermotiv von Ian Curtis, sicherlich so nie entstanden. Das Treffen mit ihm in Berlin war sehr bewegend. Besonders berührt hat mich auch das Treffen mit Annik Honore. Überrascht war ich bei einigen Bands, wie offen sie ihre Gedanken niedergeschrieben haben.
Auch Genesis P-Orridge, THROBBING GRISTLE, PSYCHIC TV, kommt in dem Buch zu Wort. Er ist wohl derjenige, der als Letzter in der Nacht, als Ian Curtis starb, noch mit ihm telefoniert hat. Als was für einen Menschen hast du Orridge wahrgenommen?
Ich habe fast zwei Jahre mit Genesis E-Mails ausgetauscht, bis es doch noch spontan bei der diesjährigen Tour von PSYCHIC TV in Hamburg zu unserem Treffen kam. Er war sehr warmherzig und interessiert an dem Projekt. Mir wird dieses Treffen in besonderer Erinnerung bleiben, da kurz danach die Tour abgesagt worden ist, da seine Lebenspartnerin Lady Jaye überraschend gestorben ist. Das muss ganz schrecklich für ihn sein.
Ian Curtis ist eine nahezu unantastbare Ikone geworden. Hast du während der Entstehung des Buches Menschen getroffen, die eher ein "distanziertes" Verhältnis zu ihm und zur Musik von JOY DIVISION hatten?
Nein!
Wie ist deine persönliche musikalische Sozialisation verlaufen, die dich zu JOY DIVISION geführt hat? Du arbeitest ja als freie Fotografin und die Musiker, die du beispielsweise für die Intro, Spex oder Groove fotografierst, sind eher zeitgenössische Bands und DJs?
Wir haben zu Hause viel Musik gehört, Soul oder Bands wie ROXY MUSIC. Ich war schon sehr früh eine begeisterte Radiohörerin, wenn meine Eltern Fernsehen schauten, hörte ich mit Kopfhörern im gleichen Zimmer Musik. Anschließend bin ich viel auf Northern Soul Allnightern gewesen, bei denen das Tanzen im Mittelpunkt stand. Sehr früh habe ich dann elektronische Musik entdeckt und bin in Clubs gegangen, parallel dazu auf Konzerte jeglicher Art. Wenn es um Musik geht, bin ich keineswegs dogmatisch, das muss immer im Fluss bleiben und alles ist möglich. Früher bin ich auch einfach zu Konzerten gegangen, ohne die Bands zu kennen, dabei habe ich Bands wie THE FALL oder FELT entdeckt. Dann ging der Manchester-Hype los und kurz danach bin ich Richtung England verschwunden, um direkt mittendrin zu landen. Dazu muss ich sagen, dass NEW ORDER immer eine meiner Lieblingsbands waren, selbst das schlechteste Konzert der Band konnte mich nie umstimmen - und davon gab es einige. Trotzdem ist "Blue monday" für mich das Lied mit der optimalen Schnittstelle und mein Lieblingssong überhaupt.
Du bist mit Anja Huwe, X MAL DEUTSCHLAND, die jetzt Malerin ist, aber ab und an von der "Macht" ihrer musikalischen Vergangenheit eingeholt wird, befreundet und sie kommt auch im Buch zu Wort. Wie war ihr Bezug zu Ian Curtis und JOY DIVISION? X MAL DEUTSCHLAND war ja in diesem Genre die einzige deutschsprachige Band, vielleicht mit DAF, die in England Anfang der Achtziger Jahre Erfolge feiern konnte, sie waren ja beim englischen Kultlabel 4AD unter Vertrag.
Das kann man sehr gut im Buch nachlesen, ich will nicht zu viel verraten. Anja hat mir unendlich viel geholfen, speziell, wenn es um die Stimmung in England zu der Zeit von JOY DIVISION geht. Auch das Gefühl, in einer Band zu sein zu dieser Zeit, hat sie mir näher gebracht. Das war sehr wichtig für mich, da England für mich eindeutig enger verbunden ist mit der Rave-Bewegung, Acidhouse und perfekter Popmusik. Aber auch alte Konzertmitschnitte, Zeitschriften oder das tolle Buch von Simon Reynolds "Rip It Up And Start Again" haben in dieser Hinsicht auch sehr geholfen.
Wäre ein Projekt für dich spannend, bei dem du dich als Fotografin nur mit Coverartwork beschäftigst? Factory war ja in dieser Hinsicht wie 4AD wegweisend und stilprägend?
Ich habe darüber noch nicht nachgedacht.
Was sind deine nächsten Projekte?
Ich werde mich nach fast drei Jahren unermüdlicher Recherche und Arbeit an der Reportage erstmal ausruhen und genießen. Zudem hoffe ich, dass Fans und Freunde von JOY DIVISION und Ian Curtis dieses Buch in die Hand nehmen und ebenso genießen. Die Reise zu den Orten ist so spannend, die Texte der Freunde und Musiker ehrlich und interessant.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #76 Februar/März 2008 und Markus Kolodziej