KAPTAIN KAIZEN

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Norddeutscher Kopfpunk aus dem Süden

KAPTAIN KAIZEN kommen aus dem Süden, auch wenn man anhand des Bandnamens und des Sounds umgehend an den hohen Norden denkt. Ihr zweites Album „Alles und Nichts“ erschien bei This Charming Man Records und bietet eine knappe halbe Stunde Kopfpunk mit smarten deutschen Texten. Wir sprachen mit Schlagzeuger und Texter Max darüber.

Kaizen“ spricht man besten mit einem weichen Z aus, dann kommt man dem japanischen Ursprung des Wortes am nächsten. Kaizen bezieht sich auf die Philosophie der ewigen Veränderung und des Wandels zum Besseren. Damit kann sich die Band, insbesondere Texter Max, gut identifizieren, auch wenn die Atmosphäre ihrer Musik eher ernüchternd statt hoffnungsvoll klingt. Der Kaptain im Bandnamen harmoniert gut damit und soll die Affinität zur nordischen Punkmusik, zum Meer und dessen Unberechenbarkeit unterstreichen. Dabei kommen alle Bandmitglieder von KAPTAIN KAIZEN ursprünglich aus der anderen Ecke Deutschlands, nämlich aus dem Saarland, und aktuell hat sich die Truppe auf Frankfurt und Mannheim aufgeteilt. Die Ähnlichkeit zu den ersten Alben von TURBOSTAAT liegt allerdings auf der Hand. Max macht keinen Hehl daraus: „Wir finden die Band großartig, verfolgen die auch schon viele Jahre. Die Art und Weise, wie sie an das Songwriting und ihre Texte herangegangen sind, das ist für uns auf jeden Fall eine große Inspirationsquelle.“

Max und die Gitarristen Christian und Julian machen schon seit ihrer Schulzeit gemeinsam Musik. Bassist Matze stieß später dazu und seitdem läuft alles unter dem Bandnamen KAPTAIN KAIZEN. Nach der Gründung 2013 ging es für die Band relativ schnell. Die EP „Ausgeliehen für immer“ wurde 2014 veröffentlicht, 2016 kam das Debütalbum „Einatmen, Ausatmen“ und nun eben das zweite Album „Alles und Nichts“. Die Chemie in der Band stimmt – Julian und Max sind Zwillingsbrüder. Diese Bandkonstellation ist etwas, das Max maßgeblich für die Qualität von KAPTAIN KAIZEN verantwortlich macht: „Jeder, der Geschwister hat, eventuell sogar Zwillingsgeschwister, weiß von der zwischen den beiden Personen herrschenden Dynamik, die für andere wirklich sehr anstrengend und auch nervig sein kann. Ohne die Gelassenheit von Christian und Matze wäre so manche Probe nicht so sanft zu Ende gegangen und so manches Lied wahrscheinlich nie fertig oder nur halb so gut geworden“, lacht er. „Wenn einer von uns vieren aufhören würde, würden wir KAPTAIN KAIZEN auf jeden Fall auflösen. Wir würden sicher weiter Musik machen, aber nicht unter diesem Bandnamen.“

Über die Jahre hat es sich bei KAPTAIN KAIZEN automatisch so ergeben, dass Max die meisten Texte und viele Musikskizzen zu den Proben mitbringt. Im Falle von „Alles und Nichts“ gilt das sogar für alle Songs: „Entweder habe ich eine Zeile im Kopf, dann suche ich mir das passende Riff. Oder ich habe auf der Gitarre etwas ausprobiert und möchte dazu etwas texten“, weiht Max uns in seine Vorgehensweise ein. Ein Plan, der offensichtlich gut aufgeht, denn KAPTAIN KAIZEN haben in ihren Texten starke Bilder verpackt und selten gingen, gerade bei jungen Punkbands, Musik und Text so vortrefflich Hand in Hand. Im Song „Kein Bock“, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Pop-Industrie, muss der Schauspieler Pierre Brice als Metapher herhalten. Als eingefleischter Fan der Karl May-Filme der Sechziger Jahre, steht der Darsteller aus der Sicht von Max sinnbildlich dafür, dass selbst schöne Dinge aus kommerziellen Gründen so lange und gnadenlos ausgeschlachtet werden, bis sie einen faden Beigeschmack bekommen und einfach schleichend schlecht werden.

Mit dem Song „Es gibt immer was zu tun“ wollen KAPTAIN KAIZEN klarmachen, dass eine Stadt Verbesserungspotenzial hat und zwar jede einzelne in Deutschland und nicht nur einige im Osten. Heile Welt im Süden, Westen und Norden? Fehlanzeige. „Ich glaube nicht, dass es die bestimmte Stadt gibt, in der es brennt. Klar, wir können immer mit dem Finger auf irgendetwas zeigen und am besten alles auf den Osten schieben. Da gibt es immer mehr rechte Parolen. Aber das ist hier bei uns genauso, und das muss man einfach so benennen. Wir leben in einer Zeit, in der man es nicht mehr von sich wegschieben und totschweigen darf. Sonst verpasst man wieder den Zeitpunkt, um diesem Phänomen noch mit Worten den Wind aus den Segeln nehmen zu können“, macht Max seinen Standpunkt klar. „Was für ein unfassbarer Wahnsinn, es sind erst siebzig Jahre seit Kriegsende vergangen und jetzt fallen schon wieder Leute auf die gleiche Scheiße rein wie damals. Das geht mir nicht in den Kopf. In einem Land mit dieser historischen Verantwortung seinem Nachwuchs nicht zu erklären, was da war und was bitte nie mehr passieren darf.“

An Demonstrationen teilnehmen, nicht wegschauen oder sich politisch beteiligen – es gibt viele Möglichkeiten, um nicht still zu sein. Verbesserungswürdig in Mannheim wäre beispielsweise auch die Clubszene. Man kann die Clubs, die für eine Show von KAPTAIN KAIZEN infrage kämen, an weniger als einer Hand abzählen. Ein Grund für die Band, ihre beiden Release-Shows in Frankfurt und Saarbrücken zu spielen.

Die Wahl des Münsteraner Labels This Charming Man Records sieht Max als Glücksgriff, zumal eine deutsche Punkband auch hier nicht unendliche viele Anlaufstellen hat. Labelchef Chris sagte relativ schnell zu, nachdem er das Demo der Band bekommen hatte, und so dürfen sich KAPTAIN KAIZEN mit Album Nummer zwei über grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit freuen. Einen optischen Kaufanreiz bildet natürlich das Artwork einer Platte. Dafür wühlte sich Max online durch frei zugängliche Bildarchive und wurde auf einer polnischen Seite fündig. Die Künstlerin Karolina Grabowska stellte ihre Arbeiten dort kostenlos zur Verfügung, bat lediglich bei Verwendung um Namensnennung. Max sprach das Bild mit der kargen Landschaft, in Bezug auf den Albumtitel, sofort an, weshalb es nun in Kombination mit dem Bandschriftzug das Cover ziert.

KAPTAIN KAIZEN widmen sich auf ihrem Album „Alles und Nichts“ thematisch vorrangig dem Negativen und Verbesserungswürdigen. Wäre nicht zur Abwechslung auch mal ein positiver Song sinnvoll? „Habe ich versucht“, lacht Max. „‚100.000 Wege‘ war eigentlich als positiver Song gedacht. Das war zuerst eine wohlwollende Reflexion meiner aktuellen persönlichen Situation. Aber bevor ich die zwei Sekunden genießen konnte, in denen ich alles toll fand, fiel mir ein, was im Hintergrund schon wieder dagegen arbeitet, so dass es doch wieder schlecht wird. Dann habe ich keinen Nerv dafür, mich mit positiven Themen zu beschäftigen. So bin ich nicht veranlagt, so was steckt in mir nicht drin.“

Natürlich bedeutet das nicht, dass Max ein durchweg depressiver Mensch ist. Ganz im Gegenteil, im Gespräch zeigt er sich sehr lebendig, positiv und lacht viel. Er versichert uns, dass er sich durchaus mit niederschwelligen oder einfach doofen Inhalten beschäftigen kann. „Nein, ich laufe jetzt nicht dauernd traurig durch die Gegend, das wäre ja auch tatsächlich sehr schlimm. Aber zum Beispiel ein Liebeslied zu schreiben, das war mir bisher auch einfach nicht vergönnt, ich kann das nicht. Meine eigene Formulierung kommt mir immer blöd vor. Das klingt dann in meinen Ohren viel zu schmalzig und kitschig“, lacht er.

Grundsätzlich sind KAPTAIN KAIZEN aber kleinen Kurswechseln gegenüber aufgeschlossen, auch wenn es sicher nie zum Partysong auf Ballermann-Niveau kommen wird. Anfangs tendierte die Band noch Richtung MUFF POTTER, die Orientierung in Richtung TURBOSTAAT schlich sich erst später ein. Ob der Knoten bei Max’ Texten noch irgendwann platzt, werden wir sehen. So lange darf man sich über tolle Lieder freuen. Auch wenn diese das Leben mehr hinterfragen als feiern und alles und nichts bedeuten können. Max wünscht sich für die Zukunft einfach nur mehr Auftritte für die Band, nach größeren Bühnen sehnt er sich bedingt: „Ich würde mich sicher nicht beschweren, wenn die Konzerte größer werden. Aber ich habe großen Respekt davor, weil ich finde, dass es unserer Musikrichtung immer guttut, wenn der Raum nicht zu groß ist. Diese Kompaktheit und die Intimität macht viel von dem aus, was man an der Musik mag“, findet er. „Ich würde mich freuen, wenn wir einfach nur ganz oft gefragt werden, ob wir spielen wollen.“