Ich bin mir sicher, dass viele Menschen das Gefühl kennen, von einer Band überrascht zu sein. Man kennt eine Band, sie begeistert einen aber nicht, vielleicht gefällt sie einem sogar überhaupt nicht. Dann kommt ein neues Album von dieser Band raus und man denkt sich, wow, das hätte ich nicht erwartet. Fortan begleitet einen das Album und man findet im Zweifelsfall sogar nach und nach Gefallen an den Platten der Band, die man vorher nicht mochte. Ein eben solcher Zustand herrscht zwischen mir und JR EWING.
Die Norweger fand ich immer mittelprächtig bis okay. Ich hörte mir ihre Platten kaum an und wenn ich mal auf einem Konzert war, wo die Herren aus Oslo spielten, fühlte ich mich mit der Band eher konfrontiert, konnte den frickeligen Hardcore der Band aber kaum genießen. Die Shows gaben mir kaum etwas, mir fehlte der Punkt, an dem ich ansetzen konnte, um in das Schaffen der Band hinein zu finden. „Maelstrom“ nun, das neue Album von JR EWING, änderte dies. Zwar brauchte das Album seine Zeit, ehe es mir zu gefallen begann, nach drei bis fünf Durchläufen der Platte entpuppte sich dieser aber als richtig guter „Grower“. Denn mit dem harten, teils mathemathisch-strukturierten Hardcore-Songs der früheren Tage von JR EWING haben die Stücke auf „Maelstrom“ nicht mehr viel gemein. Auf dem Album hört man diesen Sound zwar an ein, zwei Stellen durch. Insgesamt glätten JR EWING den Sound aber wesentlich dadurch, dass sie sich auf „Maelstrom“ gen Rock öffnen.Einerseits fließen Elemente modernen Rocks, die mit ... TRAIL OF DEAD vergleichbar sind, auf „Maelstrom“ ein. Andererseits hört man auf der Platte ebenfalls Passagen, die an SONIC YOUTH und andere, rauere Rockbands erinnern. Dazu kommen ein Gespür für poppige Parts, das JR EWING zum Beispiel in „Take a hint“ zum Ausdruck bringen und auch wieder krachig-sperrige Parts, die, wenn auch poppiger als auf früheren JR EWING-Alben, etwa im Opener „Change is nothing (everything is)“ zum Ausdruck kommen.
Sicher, wenn man Fan der bisherigen JR EWING-Alben vor „Maelstrom“ ist, dann wird man sich an das Album gewöhnen müssen. Letzten Endes gehört eine Band aber sich selber. Genauso wenig wie eine Band ihr Label in ihr musikalisches Schaffen eingreifen lassen sollte, sollte sie sich davor scheuen, Neues auszuprobieren. Mit einem neuen Deal im Rücken – Sony BMG vertreibt die Band in Norwegen, Plastic Head in England und Motor Music auf dem europäischen Festland –, sowie einer wirklich guten Platte, stehen die Zeichen gut für die Zukunft von JR EWING.
„Wer denkt, dass ‚Maelstrom‘ eine solche Platte geworden ist, weil Sony BMG ihre Daumen darauf hatte, der liegt vollkommen falsch. Denn wir haben die Aufnahmen des Albums selber finanziert. Während wir im Studio waren, hat kein Label Interesse an uns gezeigt. Die Platte haben wir schließlich an Sony BMG lizenziert, das Mastertape befindet sich nach wie vor in unserem Besitz“, erzählt JR EWING-Gitarrist Erlend Mokkelbost, der mir gemeinsam mit JR EWING-Sänger Andreas im Büro von Motor Music beim abendlichen Snack gegenüber sitzt.
„Mich stört, dass die Leute, die ‚Szene‘, wenn du so willst, denkt, dass ihnen eine Band gehört. Sie lassen Musikern kaum Freiraum zur Entwicklung, was sich darin äußert, dass jeder, der etwas entgegen der szeneinternen Konventionen macht, an den Pranger gestellt wird. Wir hätten niemals ‚Ride Paranoia II‘ machen können. JR EWING waren nach dem Album und den anschließenden Touren an einem Punkt, wo wir sagten, dass wir entweder musikalisch etwas Neues machen oder die Band auflösen müssen. In gewissem Sinne haben wir uns also bewusst für einen neuen Sound entschieden. Dennoch entstanden die Songs aus sich selbst heraus, ohne, dass wir im Voraus eine feste Vorstellung davon hatten, wie sie klingen sollten“, führt Andreas den Gedanken des Gitarristen fort, bevor dieser sich wieder einschaltet: „Schau es dir an, jede Band, die für die Musikgeschichte wichtig war, hat sich musikalisch entwickelt. THE CLASH, THE WHO, die ROLLING STONES oder Ian McKaye, alle haben mit der Zeit einen anderen Sound gemacht. Und ich finde es schade, dass viele Bands davor Angst haben, etwas zu riskieren und einen frischeren, neuen Sound zu machen. Und genau darum ging es uns mit ‚Maelstrom‘. Mit der Platte wollten wir einen musikalischen Wandel vollziehen, mit dem wir uns selber beweisen, dass wir einen frischen, anderen Sound spielen können, ohne, dass wir dabei den Respekt vor uns selbst oder unseren Respekt vor der Musik verlieren.“
Das ist der Band definitiv gelungen. Bei „Maelstrom“ ist es das Wechselspiel aus rocklastigen Passagen und getragenen Parts, die wieder in geschrieene Passagen und aggressivere Töne umschlagen. Die zehn Songs von „Maelstrom“ bieten viele Stellen, an denen man in die Platte eintauchen und sich von ihrer teils melancholischen, teils wirklich dunklen Atmosphäre mitreißen lassen kann. JR EWING haben es geschafft, den Krachanteil ihrer Musik zu reduzieren und dafür atmosphärische Rockmusik zu spielen und damit eine vielschichtige und überraschende musikalische Mischung zu bieten.
„Ich denke nicht, dass wir uns radikal verändert haben. Klar, wir haben neue und andere Einflüsse verarbeitet, uns musikalisch entwickelt und bei den Aufnahmen der Platte vieles ausprobiert, ‚Maelstrom‘ ist aber ein Album, auf dem man JR EWING wieder erkennt. Ich weiß, das klingt jetzt ausgelutscht, aber letzten Endes ist ‚Maelstrom‘ das Album, auf das wir jahrelang hingearbeitet haben. Mehr als bei anderen JR EWING-Platten kann man einen Bezug zu ‚Maelstrom‘ aufbauen, denke ich. Textlich sprechen wir auf dem Album über viele Dinge, die jeder Mensch erlebt und die nicht immer zum Lachen sind. Die letzten anderthalb Jahre waren die härteste Zeit, die wir, und da spreche ich für die ganze Band, je erlebt haben“, holt Erlend aus. „Ich bin gerade mal 25 und in den letzten Jahren habe ich viele meiner Freunde gesehen, wie sie sich einem normalen Alltagsleben mit 9-to-5-Job, einem Haus und Familie zugewandt haben. Mir wurde klar, dass ein solches Leben Stabilität bedeutet, du stehst eben nicht vor der Frage, ob du nach der nächsten Tour noch die Miete zahlen kannst. Ich fühlte mich am Scheideweg, begebe ich mich in ein gesichertes Leben oder mache ich Musik? Vieles von diesem Hinundhergerissensein schlug sich auf ‚Maelstrom‘ durch. Nicht umsonst haben wir in den letzten anderthalb Jahren mehrmals darüber nachgedacht die Band aufzulösen.“
Seien wir froh, dass es dazu nicht gekommen ist. Denn mit „Maelstrom“ sind JR EWING zu einer der interessantesten europäischen Bands geworden, die unberechenbar ist, von der man nicht sagen kann, wie das nächste Album klingen wird. Auch Touren ist ein bekanntes Thema im Hause JR EWING. Europa hat die Band von oben bis unten längst betourt und über den Atlantik schaffte es der Fünfer auch schon. Ihre Amerika-Touren brachten der Band aber nicht nur Freude. Zwar lief eine Kalifornien-Tour, wie Erlend zwischen Crackern und einem Schluck Beck’s bekundet, „hervorragend“. Ihr folgte aber eine Tour durch die gesamten USA, die der Band zumindest im Midwestern-Teil der Staaten etwas Bauchschmerzen bereitete. „Als wir auf dem Weg zur Denver-Show waren, hatten wir einen Unfall. Bei diesem gingen die Scheiben unseres Tour-Vans zu Bruch, nachdem sich das Auto vor uns überschlug und in unseren Van krachte. Wir hatten Todesangst und nachdem wir wieder herunter gekommen waren, fuhren wir ohne Scheiben weiter. Es war Halloween und abends bei der Show waren viele Anwesende, die mit Kunstblut bespritzte Krankenhaus-Kittel trugen. Mann, dachte ich, wir wären heute fast drauf gegangen und hier rennen alle mit solchen Krankenhausklamotten rum“, resümiert Erlend. Hoffen wir, dass JR EWING auf allen zukünftigen Touren von derlei Zwischenfällen verschont bleiben. Darüber hinaus darf man sich jetzt schon auf die anstehenden JR EWING-Deutschland-Shows freuen!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #45 Dezember 2001/Januar/Februar 2002 und Michael Siewert
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #63 Dezember 2005/Januar 2006 und Manuel Möglich
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Michael Streitberger
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #46 März/April/Mai 2002 und Michael Siewert