JOY DISASTER aus Nancy sind zwar erst seit dem Frühjahr 2005 wirklich aktiv, werden aber bereits in der Reminiszenz-Hölle nicht zu Unrecht als Frankreichs Antwort auf INTERPOL gehandelt. Mit melodiösem Wave-Rock/Punk, der seine Wurzeln im britischen Post-Punk und Gitarren-Wave der frühen Achtziger Jahre hat, lassen JOY DISASTER Erinnerungen aufkommen an Bands wie IKON (mit denen sie dieses Jahr bereits auf Tour waren), ALTERED STATES, MURDER AT THE REGISTRY und natürlich - da Pate für den Bandnamen - auch JOY DIVISION. Ungeachtet aller genannten musikalischen Genreanleihen haben die Bandmitglieder zuvor in verschiedenen Punkbands wie RESCUE oder EDGE OF TIME gespielt, Sänger und Gitarrist Nicolas Rohr bei PALINKA. In unseren Breitengraden hat die Band zuletzt auf dem Remembrance Daze-Festival in Berlin gespielt. Diesen Sommer kann man sie zudem u.a. mit 45 GRAVE und Bettina Koster (ex-MALARIA! zusammen mit Gudrun Gut) von THE AUTONERVOUS sehen. Anfang des Jahres hat die Band ihre Aufnahmen für ihr zweites, das Live-Session-Recording-Album "Le Cabinet Noir", beendet. Grund genug, Sänger Nicolas Rohr einige Fragen zu stellen.
Euer Bandname macht mehr als deutlich, welcher musikalische Einfluss dominant bei euch ist - neben BAUHAUS, IKON oder PINK TURNS BLUE. Aber habt ihr euch darüber hinaus der Person Ian Curtis etwas eingehender gewidmet?
Natürlich ist der Bandname ganz klar durch JOY DIVISION inspiriert, aber er ist vielmehr auch eine Hommage an die Person Ian Curtis. Und in den beiden Wörtern "Joy" und "Disaster" spiegeln sich letztlich auch unsere Musik im Allgemeinen, aber auch meine Texte im Speziellen wider, insofern ist es schon eine tiefere Beschäftigung mit der Person Ian Curtis. Man würde uns unrecht tun, wenn man JOY DISASTER ganz oberflächlich als stereotype Band klassifiziert, wie es meist üblich ist, wenn man JOY DIVISION als wichtigen Einfluss nennt. Wir haben auch "Modern Rock"-Elemente in unserer Musik und sicherlich starke Achtziger-Jahre-Einflüsse in Bezug auf die Melodien und den Gesang. Ganz klar, wir bekennen uns, wenn du so willst, zu JOY DIVISION und Ian Curtis, die unbestritten ein wichtiger Bestandteil dieses Genres sind, aber unser alltägliches Schaffen und unsere Kreativität kapriziert sich nicht allein auf diesen Ursprung. JOY DISASTER haben meiner Auffassung nach auch viele Elemente von THE CURE, David Bowie, BAUHAUS, PLACEBO und INTERPOL.
Es ist offensichtlich, dass ihr eine gewisse Post-Punk-Inspiration kultiviert, aber Frankreich erlebt gegenwärtig eine Art Cold Wave-Renaissance mit prägenden Protagonisten wie FRUSTRATION, die diesem Begriff wohl etwas kritisch gegenüberstehen, und einer Welle von Reunions, beispielsweise der von CHARLES DE GOAL oder METAL URBAIN. Wie nimmst du diese Wiederbelebung wahr und wo würdest du JOY DISASTER ansiedeln?
Ich habe FRUSTRATION live gesehen und sie sind eine großartige Band mit ebensolchen Songs. Für mich birgt ihre Musik auch Einflüsse von Bands wie den DEAD KENNEDYS, THE STOOGES und auch JOY DIVISION. Sie sind wirklich etwas Besonderes. CHARLES DE GOAL sind Freunde von uns. Ihr gegenwärtiger Erfolg beruht natürlich zum einen darauf, dass sie eine hervorragende Live-Band sind, aber auch auf dem Umstand, dass sie ihre alten Sachen durch etwas modernere Arrangements aufgefrischt haben. METAL URBAIN kommen mehr aus dem traditionellen französischen Punk, aber sie haben immer noch einen erheblichen Einfluss auf die Generation aktueller Punkbands.
Wie wichtig ist euch das Coverartwork? Gibt es bestimmte wichtige Einflüsse in dieser Hinsicht?
Das Artwork ist natürlich sehr wichtig für uns, da wir den Leuten, die an unserer Musik interessiert sind, das entsprechende optische Image mit auf den Weg geben wollen, welches zu uns passt und es ihnen ermöglicht, die Musik im Vorfeld ein wenig einzuschätzen und darauf neugierig zu werden. Die wichtigen Einflüsse in dieser Hinsicht sind ganz allgemein Filme, Pop Art und Bilder, die wir selbst aufnehmen. Ich mag es, auf meiner etwas desolaten Kamera schräge Bilder aufzunehmen.
Mitte der Achtziger Jahre hatte Frankreich in Gestalt von JAD WIO ein sehr würdiges Pendant zu BAUHAUS. Keine Ahnung, ob die noch aktiv sind, kennst du sie und würdest du sie als optischen und musikalischen Einfluss sehen?
JAD WIO sind immer noch aktiv und spielen auch noch gute Konzerte. Ich denke schon, dass sie ein gutes Referenzmodell für viele Bands sind: sie sind auf der Bühne optisch enorm präsent, ihre Musik ist sehr facettenreich und sie spielen wirklich einen sehr individuellen und einmaligen Achtziger-Jahre-Sound. Für uns sind sie aber nicht von so signifikanter Bedeutung. Es ist ja nicht so, dass wir uns ausschließlich auf Gothic-Bands beziehen, weil wir der Auffassung sind, dass es für jeden Musiker sehr wichtig ist, neugierig auf und offen für verschiedene stilistische Ausrichtungen zu sein, um ein möglichst großes kreatives Spektrum zu gewährleisten. Wir mögen auch Pop, Rock'n'Roll, Punk, Industrial, elektronische Musik bis hin zu HipHop - wenn er gut gemacht ist.
Siehst du große Unterschiede in optischer und musikalischer Hinsicht bei französischen (Cold-)Wave- und Gothic-Bands im Vergleich zu deutschen Bands? Mein Empfinden war und ist noch, dass einige gravierende Peinlichkeiten an französischen Bands vorbeigegangen sind und sie immer etwas stilsicherer waren beziehungsweise nicht so dogmatisch.
Ich verstehe, was du meinst, aber um ehrlich zu sein, manchmal haben wir dasselbe Empfinden bei einigen französischen Bands, die etwas daneben sind. Deutschland hat in dieser Hinsicht sehr gute Bands und Musiker wie PINK TURNS BLUE, THE COLD oder auch DIE PERLEN, SONNENBRAND, DIE DREIPUNKT BAND, ROBOTRON sowie Bettina Köster, ich denke, ich habe da noch einige vergessen. Ich habe den Eindruck, dass wir nicht wirklich objektiv und ehrlich sind, was unsere heimischen Bands angeht, und ständig auf die angeblich besseren Bands aus anderen Ländern schauen.
Stimmt es, dass ihr auf dem Drop Dead-Festival in New York gespielt habt und werdet ihr dieses Jahr auf dem Drop Dead in Prag spielen?
Ja, aller Voraussicht nach werden wir in Prag spielen. Wir warten gegenwärtig noch auf die Bestätigung der Organisatoren. In New York haben wir nicht gespielt - wir hatten lediglich die stille Hoffung, dass es klappen würde. Wir waren deshalb sehr daran interessiert, weil es bisher sehr schwierig war, Konzerte in den USA zu organisieren.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #73 August/September 2007 und Markus Kolodziej