Johnny war mein Lieblings-Ramone. Von Anfang an. Bereits zu der Zeit, als ich noch dachte, er hieße Dee Dee, als die RAMONES gerade erst zu meiner unangefochtenen Lieblings-Band geworden waren. Doch warum ausgerechnet Johnny? Ausgerechnet der songschreiberisch wenig (später gar nicht mehr) kreative Gitarrist, der in der öffentlichen Beliebtheit stets klar hinter dem liebenswerten Joey und der enfant-terriblen Punkrock-Ikone Dee Dee rangierte? Ich will es euch sagen. Weil er der coolste Ramone war.
Schon höre ich den Aufschrei der Dee Dee-Fraktion, die mit Recht auf die Eskapaden ihres tragischen Helden verweist. Und in der Tat, Dee Dees Leben war eine Rock‘n‘Roll-Biografie klassischen Zuschnitts, mit unzähligen Aufs und Abs, mit etlichen spektakulären Bildern und Storys für die aufgeschriebene Rock-Geschichte – und schließlich auch mit dem amtlichen Rock‘n‘Roller-Abgang via Überdosis. Und doch: Viel mehr faszinierte mich von Anfang an jener Ramone, der mit seinem Pottschnitt bis zuletzt genauso aussah wie auf den ersten Covern und Fotos der Band. Neben der Frisur waren es Johnnys Blick und seine spezielle Haltung, die so gar nicht dem klassischen Auftreten eines (Punk-)Rockers entsprach.
Johnnys gesamter Look war vollkommen einzigartig in der Pop-Musik seiner Zeit. Er war gewissermaßen die Essenz des RAMONES-Images, des RAMONES-Lifestyles, der für mich und so viele andere zum Anker in einer Welt voller postpubertären Wirren wurde. Johnnys Attitüde war die der perfekten Coolness, der vollkommenen Unantastbarkeit. Dabei war sie von einzigartiger Subtilität. Hier gab nicht einer platt den Mucker, sondern kreierte aus einem komplett trendfernen Haarschnitt, Billig-Turnschuhen, ultraspacken T-Shirts mit Kindermotiven, der legendären Lederjacke und einem an Ausdruckslosigkeit nicht zu überbietenden (Hunde-)Blick einen Look, der wie kein anderer zuvor die destilliert-pure Verkörperung eines der besten RAMONES-Songs war (und immer noch ist): „I don‘t care“.
Schon auf Fotos stets eine Offenbarung, gelangte die Johnny-Attitüde in „Rock‘n‘Roll Highschool“ schließlich zu absoluter Perfektion: Man sehe sich die Szene an, in der Johnny zunächst der aufgeregten Mrs. Kogar mit seiner Gitarre in den Po piekt. Johnnys anschließendes Abwinken ist für mich bis heute eine der besten Szenen des gesamten (grandiosen) Films (kaum weniger genial: die Szene, in der Johnny Backstage ein Stück Pizza wegwirft). Johnny war jedoch nicht allein ob seines derart vorgeführten perfekten Stils mein Lieblings-Ramone. Äußerer Stil war vielmehr nur sichtbarer Ausdruck einer auch inneren Haltung und Einstellung: Johnny Ramone fakete nicht einfach ein Image für Platten-Cover und Zelluloid – der war wirklich so, wie er sich dort gab!
Natürlich weiß ich das nicht aus eigener Erfahrung. Dankenswerterweise jedoch informieren uns in jüngster Zeit vermehrt neue Publikationen über die RAMONES, und sie tun es ungleich effektiver, als die bereits vor einiger Zeit erschienene offizielle Band-Bio, deren Lektüre ich seinerzeit auch gerade hinsichtlich meines Informationsbedürfnisses in punkto Johnny als vergleichsweise enttäuschend empfand. Vor allem dem 2003 herausgekommenen Buch des Tourmanagers Monte Melnick, „On the road with the RAMONES“, ist viel Erhellendes über Johnny wie auch seine Bandbuddies zu entnehmen. Der extrem kurzweilige und zudem reichlich bebilderte Band sei hier ausdrücklich jedem ans Herz gelegt, der sich RAMONES-Fan schimpft.
Hier erfährt man erstmalig auch einiges über Johnnys Charakter, der offensichtlich seine Ecken und Kanten hatte, und die Gründe dafür, die mit seinem Elternhaus zusammenhängen. Väterliche Prägung war demnach für Johnnys bekanntermaßen rechtskonservative politische Ausrichtung wie für seine extreme Disziplinversessenheit verantwortlich. So manch einer hatte seine Probleme mit Johnnys Art, Joey etwa hatte spätestens seit Mitte der 90er vollends mit ihm gebrochen. Doch ob der private Johnny möglicherweise ein Sack war, interessiert mich ebenso wenig wie seine privaten politischen Ansichten, mögen sie auch noch so fragwürdig gewesen sein
Für mich als Fan zählt einzig sein Wirken als Ramone, und das wurde in der Öffentlichkeit zeitlebens unterschätzt. Kein Zweifel, es war Tommy, der zu Beginn Sound und Image-Masterplan der Band erdachte, und es waren Dee Dee und Joey, die das kreative Zentrum der Band bildeten. Ohne sie hätte es die RAMONES nie gegeben. Ohne Johnny jedoch, und dessen bin ich vollkommen sicher, wären die RAMONES nie zum Mythos geworden, zum einzigartigen Punkrock-Markenzeichen, zum Blueprint für unzählige Epigonen auf der ganzen Welt.
Grund: Es war Johnny, der erkannte, dass nur Kontinuität in Look und (Live-)Sound, die RAMONES zur Legende machte. Und er wachte mit harter Hand über die Wahrung jener Kontinuität. Nur ein unkreativer Pragmatiker mit einer so extrem puristischen Einstellung wie Johnny Ramone konnte dies bewerkstelligen. Kreative und gleichermaßen unstete und labile Persönlichkeiten wie Joey und Dee Dee hätten niemals eine derartige Konstanz in ihrem Tun beweisen können. Kreative Persönlichkeiten müssen sich verändern, das liegt in ihrer Natur. Entsprechend hat Dee Dee es ja auch getan (siehe seine „Rap-Karriere“).
Johnny dagegen war im Grunde kein Musiker (im herkömmlichen musisch-kreativen Sinn). Seine einmalige und stilbildende Art Gitarre zu spielen war für ihn Handwerk, war Sport. Er hatte keinerlei Ambitionen, sich spieltechnisch weiter zu entwickeln, ließ kompliziertere Parts bei Aufnahmen von Studiomusikern einspielen, nicht weil er es nicht hätte einstudieren können, sondern weil ihm Effektivität über alles ging. Konzerte waren für ihn stets „jobs“, waren Dienst am Fan. Johnny sah die RAMONES zu Recht als Gesamtkunstwerk, als Institution, die durch Veränderung, durch Weiterentwicklung zerstört worden wäre. Und weil er das sah, übernahm er den Job, für die Einhaltung der Regeln, der Band-Disziplin zu sorgen. Ein undankbarer Job, für den es Durchsetzungsfähigkeit brauchte. Freunde hat er sich bandintern damit keine gemacht.
Nicht zuletzt dank Monte Melnicks Buch ist Johnnys Verdienst um die RAMONES mittlerweile mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt, ich erzähle hier also den meisten nichts Neues. Meine langjährige Motivation, einen Artikel über Johnny zu schreiben, hatte sich also eigentlich längst erledigt. Und dennoch war es stets mein Traum, irgendwann einmal ein Interview mit Johnny zu machen. Seit dem 15. September muss dieser Traum unerfüllt bleiben. Mein Lieblings-Ramone wird Johnny selbstverständlich für immer sein. Und wenn ich Anschauungsunterricht in Sachen Stil brauche, dann werfe ich einfach einen Blick auf das RAMONES-Poster an der Wand (es wird immer eines dort hängen!), und nehme mir ein Beispiel am legendärsten Pottschnitt der Punkrock-Geschichte. Danke, Johnny!
Fotos: Lothar Felkel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #57 November 2004/Januar/Februar 2005 und Stefan Moutty