Punk war eine Jugendbewegung, damals, 1977. 35 Jahre später sehen die damaligen Akteure so aus, wie man eben aussieht, wenn man 20, oder 30 plus 35 rechnet. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen von einst sind in Ehren ergraut, sie sehen aus wie seinerzeit ihre Eltern, nur dass viele von ihnen im Gegensatz zu „normalen“ Erwachsenen immer noch auf der Bühne stehen. Der englische Fotograf John Bolloten hat viele dieser Musiker und Musikerinnen getroffen und portraitiert, auf seiner Website sind die wirklich berührenden Bilder zu sehen. Ich befragte John zu seinen Motiven und seiner Vorgehensweise und bat ihn, sein schönstes hier abgebildetes Foto zu kommentieren.
John, wer bist du?
Ich lebe in Bradford im Norden von England und bin 47. Ich bin kein professioneller Fotograf, ich mache das auch erst seit vier Jahren. Neben der Fotografie betreibe ich noch einen Blog und habe einen normalen Vollzeitjob.
Wie kamst du auf die Idee zu dieser Fotoserie über alte – oder soll ich sagen: alternde – Punkrocker? Sind dieFotos alle extra für diese Serie entstanden?
Ich hatte kein Konzept für dieses Projekt. Im Mai 2011 habe ich gehört, dass ZOUNDS bei mir in der Nähe spielen würden, eine Band, die ich sehr gemocht habe, als ich klein war, und ich hatte sie nie live gesehen. Also habe ich Steve Lake eine Mail geschrieben und gefragt, ob ich ein Porträtfoto von ihm machen dürfe. Er war einverstanden, also habe ich ihn getroffen, und bei dieser Gelegenheit habe ich auch Andy T fotografiert, ein Dichter, der auch auf dem CRASS-Label war. In den darauffolgenden Tagen habe ich darüber nachgedacht, die ganzen Künstler aus dieser ja wirklich besonderen Ära der britischen Musik- und Kulturgeschichte zu fotografieren, und zwar so, wie sie jetzt aussehen, gute 35 Jahre später. Im Sommer 2011 begann die Geschichte dann Form zu anzunehmen, und ich habe wirklich angefangen, jeden Monat ein paar Porträts zu schießen. Inzwischen sind es schon fast hundert, aber ich glaube, dass immer noch ein gutes Stück Weg vor mir liegt. Also ja, alle diese Porträts, ausgenommen die ersten zwei oder drei, wurden speziell für diese Serie gemacht.
Punk ist – oder war? – eine Jugendbewegung, ein Aufstand der Jugend. Wie passt das zu Bildern von Menschen, die aussehen, als seien sie Eltern oder gar Großeltern von Punks?
Einige dieser Menschen waren sehr politisch in ihrer Musik und ihren Ansichten, andere nicht. An und für sich umfasst das Genre Punk eine große Vielfalt an Stilen und Weltanschauungen. Ältere Künstler gab es ja von Anfang an auch, selbst 1977, nimm zum Beispiel die STRANGLERS, oder Knox von den VIBRATORS, oder Charlie Harper von U.K. SUBS. Punk war eine sehr mächtige Jugend-Subkultur, unbestritten, aber es ging nicht immer zwingend um Rebellion. Es gab unter den Bands auch viele mit einem sehr nihilistischen Weltbild. Ich für meinen Teil stand schon immer auf Musik, hinter der ein gewisses soziales Bewusstsein steckt, dann ist auch völlig egal, wie alt die Musiker sind. Bei meinem Projekt wird ganz bewusst kein Unterschied gemacht zwischen den diversen Subgenres des Punk oder irgendetwas besonders hervorgehoben. Ich will Porträts, die für sich selbst stehen, eine ehrliche Reflexion der jeweiligen Persönlichkeit.
Hast du den Porträtierten gegenüber explizit erwähnt, dass die Porträts Teil einer Serie sein würden?
Wie ich bereits sagte, gab es zu Beginn gar keinen Plan, aber das änderte sich ja bald. Deshalb erkläre ich den Leuten jetzt immer, was ich mache und weshalb ich es mache. Die meisten Leute, um die es mir ging, haben sich einfach gefreut, dabei zu sein, bei manchen musste ich aber auch Überzeugungsarbeit leisten, und einige wenige haben abgesagt. Es geht mir bei der Serie auch darum, dass das Porträts sind von Menschen wie du und ich, Menschen die altern, aber eine sehr spezielle Geschichte haben.
Wenn ich mir die Fotos so ansehe, glaubst du, Punk lässt einen schneller altern, oder hält Punk die Leute jung – im Herzen und auch äußerlich?
Ich glaube, grundsätzlich gilt, dass ein Leben auf der Überholspur mit viel Alkohol- und Drogenmissbrauch einen viel höheren Tribut verlangt, was Gesundheit und den Alterungsprozess angeht. Ich glaube nicht, dass Punks sich da in irgendeiner Weise von anderen Menschen unterscheiden. Sicherlich ist man, solange man körperlich und geistig aktiv bleibt, insgesamt irgendwie fitter. Äußerlichkeiten zu beurteilen, ist jedoch immer eine sehr subjektive Angelegenheit, und das, was der eine in einem Foto sieht, sieht für jemand anders womöglich ganz anders aus. Bei mir ist es so, dass ich meinen Fokus immer auf die Augen konzentriere und zu ergründen versuche, was in ihnen liegt.
Altern Männer und Frauen unterschiedlich?
Das kommt ganz auf die Person an, ihre genetische Ausstattung und den Lebensstil. Man sieht heute schon mal Leute, vielleicht von Anfang zwanzig, die total verlebt aussehen, während einige von denen, die ich porträtierte, weit über 50 sind und super aussehen.
Altersdiskriminierung wurde in den letzten Jahren immer mehr zum Thema. Steckt eine Botschaft in deinen Bildern?
Die Botschaft ist immer zuerst die Person, und sie erst mal als Mensch wahrzunehmen. Wir können nicht in sie hineinsehen, stecken nicht in ihrer Haut, und jeder schleppt eine gewisse Last mit sich herum. Mit einigen führe ich auch Interviews, in denen ich sie ihr Leben reflektieren lasse. Wenn diese Serie jemals als Buch veröffentlicht wird, dann sollen die Fotos durch die Interviews ergänzt werden. Alles in allem ist das ist ein dokumentarisches Projekt über das Altern, welches sich auf eine besondere Gruppe von Menschen bezieht.
Hast du irgendetwas Spezielles beobachten können in Bezug auf den Umgang der Porträtierten mit ihrem Alter? Also das Tragen von Kennzeichen von Jugendkultur, wie Lederjacken, oder gefärbte Haare und so weiter?
Das ist ganz verschieden. Manche Leute ziehen sich immer noch genauso an wie früher, andere haben sich komplett verändert. Etwas, das ich eigentlich kaum mache, ist die Leute „in character“, also etwa auf der Bühne zu fotografieren. Alle Bilder werden mit natürlichem Licht gemacht, die Leute tragen auch keine Bühnenklamotten oder so was.
Hast du jemals etwas gedacht wie: „Meine Güte, er/sie sieht wirklich alt und nicht besonders gut aus ...“ Oder: „Wow, ich kann nicht glauben, dass er/sie in den Fünfzigern ist!“?
Solche Gedanken kommen einem da automatisch, aber ich versuche immer, unvoreingenommen an die Sache heranzugehen. Ich will, dass die Porträts ehrlich sind und ich kann über Äußerlichkeiten hinwegsehen, sobald ich mit meiner Arbeit beginne. Mir persönlich ist es im Grunde egal, wie jemand aussieht, so lange meine Arbeit einen gewissen Standard besitzt. Was mir jedoch auffiel, war, dass manche auch sehr gehemmt sind, wenn es darum geht, sich in so einer „intimen“ Art und Weise fotografieren zu lassen. Ein paar wenigen kam das Projekt bedrohlich vor und sie wollten nicht mitmachen. Auch wenn das enttäuschend ist, ich kann ja niemanden zwingen mitzumachen.
Gibt es ein Foto, das dich besonders berührt hat?
Das Porträt von Wakey, dem Sänger der ENGLISH DOGS, wird immer etwas Besonderes für mich sein. Bei Live-Auftritten ist er ein total durchgedrehter Typ, aber ich wollte den Mann hinter der Bühnenpersönlichkeit einfangen. Als wir die Photosession gemacht haben, hat er für mich einen Haufen typischer Punk-Grimassen gemacht und ich habe ein paar hübsche Bilder bekommen. Dann habe ich ihn jedoch gebeten, sich absolut natürlich zu geben, und dann hat alles so geklappt, wie ich es geplant hatte. Ein Foto ist immer ein Austausch zwischen Subjekt und Fotograf, und diese Situation fühlte sich irgendwie speziell an, als hätten wir eine Verbindung zwischen uns geschaffen. Als ich fertig war, haben wir uns spontan umarmt und sind seitdem gute Freunde. Er hat mir wirklich viel gegeben in der Session und hat mir wirklich vertraut, dass ich ihn in einer Weise ablichte, ohne über ihn zu urteilen. Zu dem Zeitpunkt hat er gerade einiges durchgemacht – man sieht auch sein blaues Auge auf dem Foto.
Ist auch eine richtige Ausstellung der Fotos geplant – also neben der Website?
Ich würde liebend gerne eine Ausstellung machen und würde die Fotos auch gerne als Buch veröffentlichen, beides wäre der richtige Rahmen für diese Art von Kunst. Websites sind okay, aber es befriedigt einen einfach viel mehr, wenn man die Originale dieser Bilder konkret vor sich hat. Ich habe immer noch einen Haufen Arbeit vor mir und denke, dass ich locker noch ein Jahr mit diesem Projekt verbringen werde. Ich bin bisher noch an niemanden herangetreten, was die Veröffentlichung angeht, und ich weiß auch nicht genau, wo ich anfangen soll. Aber es entwickelt sich allmählich immer mehr Interesse daran und ich hoffe, dass dieses Projekt einen wichtigen Beitrag leisten kann zur Dokumentation der Geschichte des Punks und der Leute, die daran teilhatten.
Übersetzung: Julius Lensch
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #105 Dezember 2012/Januar 2013 und Joachim Hiller