FUGAZI gehören sicherlich zu den wichtigsten und einflussreichsten Bands der 80er und 90er Jahre. Wie sagte einmal SPERMBIRDS-Sänger Lee Hollis so schön: „MINOR THREAT definitely changed my life. FUGAZI later on changed it a little more.“ Seit 2002 nimmt sich die Band eine Auszeit, ihre Mitglieder sind aber weiterhin in diversen Projekten unterwegs. Joe Lally, seines Zeichens Bassist und Gründungsmitglied von FUGAZI, veröffentlichte just sein drittes Soloalbum. Wenn man ihn so über seine musikalischen Vorlieben reden hört, bekommt man einen Hinweis darauf, warum für FUGAZI die Punk-Hardcore-Schublade schon immer zu klein war.
Joe, ich habe gelesen, dass du mehr oder weniger seit 2006 durchweg auf Tour bist, stimmt das?
Eigentlich versuche ich, alle zwei Monate unterwegs zu sein, aber Anfang 2010 habe ich mir zum ersten Mal frei genommen, um mein drittes Studioalbum aufzunehmen. Ich habe zum ersten Mal nicht in Washington aufgenommen, denn da ich in Rom wohne, konnte ich auch gleich hier aufnehmen. Leider ist unser Drummer Emanuele Tomasi nach den Aufnahmen ausgestiegen. Aber jetzt ist Fabio Chinca dabei, der bei ASSALTI FRONTALI gespielt hat, die wiederum 1995 mit FUGAZI in Italien unterwegs waren. Er war der einzige Schlagzeuger, den ich kannte, als ich nach Rom kam, aber leider hatte er immer zu tun. Als ich jetzt dringend jemanden suchte, hatte er Zeit, ich hatte also wirklich Glück. Emanuele war ein fantastischer Schlagzeuger, aber er spielt nur in Bands, die um Rom herum auftreten und tourt nicht so gerne durch die Welt. Außerdem hatte er immer weniger Zeit zum Proben und das brauche ich einfach, auch wenn wir nicht so viel zum live spielen kommen. Ich brauche jemanden, der Lust hat zu spielen. Elisa Abela, unsere Gitarristin, ist eigentlich aus Sizilien, hat sich aber extra ein Zimmer in Rom genommen. Seither haben wir einige Gigs gehabt und vier- bis fünfmal die Woche geprobt. Seit FUGAZI habe ich nicht mehr so viel geprobt und das macht mich echt glücklich.
Du lebst in Rom. Ist das jetzt deine Heimat oder hast du überhaupt einen Ort, den du als Heimat bezeichnen würdest?
Sobald du eine Familie am Start hast, ist Heimat irgendwie immer da, wo du mit ihnen gerade bist. Wir haben in Virginia gelebt, dann in D.C., dann Portland, dann wieder D.C. Und dann sind wir in Rom gelandet. Meine Frau ist Italienerin, sie war fast zehn Jahre lang in den USA, um bei mir zu sein. Davor war sie noch nie dort gewesen. Sie brauchte es einfach, wieder in Italien zu leben. Außerdem kümmern wir uns hier um ihre Mutter. Und meine Tochter ist inzwischen auch irgendwie ... Italienerin, haha. Sie ist jetzt neun und wir sind seit über drei Jahren in Rom, sie wächst also hier auf. Es ist einfach irgendwie alles so passiert.
Lebst du von der Musik?
Ich bin mir nicht sicher, aber ja, ich überlebe. Ich habe keinen richtigen Job, aber wir haben eine kleine Wohnung, die wir vermieten. Für unsere eigene zahlen wir Miete. Ich versuche einfach, alles so gut hinzukriegen, wie ich kann, und mich um meine Familie zu kümmern. Es ist aber schon eine ziemliche Herausforderung, weil ich den Musikzirkus nicht in solchem Maße betreibe, dass ich mich teuer verkaufe. Ich bringe Platten raus, ich gehe auf Tour und alles passiert so, wie es halt passiert. Jedes Jahr frage ich mich wieder aufs Neue, ob das so weitergehen wird, aber das wird man sehen. Ich glaube, ich mache einfach damit weiter, das zu tun, wonach ich mich fühle. Elisa hat mir dabei wirklich geholfen, weil ich anfangs einfach niemanden gefunden habe, der konstant mit mir zusammenspielt. Vom ersten Moment an, als ich sie getroffen habe, sagte sie: „Wann immer du Lust hast, Musik zu machen, ich bin dabei!“ Bei Fabio habe ich das gleiche Gefühl. Er hat auch eine Tochter. Wir bringen unsere Kids also zur Schule, treffen uns gegen zehn Uhr morgens und spielen dann drei bis vier Stunden, das ist fantastisch. Wenn du das als Ausgleich hast, egal, ob du jetzt die große Kohle damit machst oder nicht, versuchst du es einfach am Laufen zu halten. Wenn ich es mir irgendwann absolut nicht mehr leisten kann, dann werde ich es nicht mehr machen können. Aber soweit ist es zum Glück noch nicht gekommen.
Sprechen wir über deine Musik. Wie würdest du sie beschreiben?
Es ist nie leicht, Musik zu beschreiben, gerade nicht deine Eigene. Es ist etwas, das schon immer in mir drin war, vom ersten Moment an, als ich ein Instrument in die Hand genommen habe, um mit jemand zu spielen. Ich habe mir alles selbst beigebracht, ich habe keine wirklichen Grundlagen. Ich habe spielen gelernt, indem ich von Anfang an mit Leuten Songs geschrieben habe.
Wie lange schreibst du schon eigene Lieder?
Für FUGAZI habe ich nie ein komplettes Lied geschrieben. Am Anfang habe ich das Riff für „And the same“ auf der LP „13 Songs“ geschrieben, aber da ging es darum, dass man sich irgendwie mit einbringt. Ich musste mir auch all die Jahre nie Gedanken darüber machen, wie beispielsweise der Gesang klingen sollte. Und als das mit FUGAZI vorbei war, bemerkte ich, dass der Drang, Lieder zu schreiben, noch immer da war. Das war ganz schön hart am Anfang, wenn man merkt, dass einem das Handwerkszeug fehlt, um die Songs komplett fertig zu machen. Also habe ich damit angefangen, mir das alles beizubringen, beispielsweise wie man singt und so weiter. Ich konnte immer Sachen in meinem Kopf hören, musste aber erst mal rausfinden, wie man das da rausbekommt. Ich musste die Lieder allein fertig stellen. Die Lieder auf meinen Platten habe ich dann alle selbst geschrieben.
Was für eine Bedeutung haben Texte für dich?
Sie müssen viel aussagen. Sie müssen mir persönlich viel sagen, egal, wie sie für jemand anderen klingen. Wenn man versucht etwas auszudrücken, das sehr persönlich ist, und man es auf die richtige Art und Weise sagt, hat es bei verschiedenen Leuten eine ganz unterschiedliche Bedeutung. Es gibt Musik, die ich mag, die ich aber wegen der Lyrics nicht durchgehend anhören kann. Ich liebe den WU-TANG CLAN, aber ich kann mir nicht anhören, wie da über Frauen gesungen wird. Ich habe es echt versucht, weil ich die Musik so liebe. Aber als sich das immer wiederholte, dachte ich nur noch: Das ist ekelhaft.
Spielt es für dich eine Rolle, auf welchem Medium du Musik hörst?
Natürlich höre ich Musik am liebsten auf Vinyl, wenn es irgendwie geht. Es klingt einfach besser. Ich habe den Unterschied lange nicht gekannt, aber jetzt kann ich ihn deutlich hören und sogar fühlen. Leider habe ich nicht so viel Gelegenheit dazu, mich einfach zurückzulehnen und eine Platte zu genießen. Wenn ich staubsauge oder Geschirr spüle, habe ich meinen iPod auf. Dabei höre ich eigentlich die meiste Musik: beim Saubermachen.
Was waren deine ersten Erfahrungen mit Musik?
Ich gehe auf Konzerte, seit ich zehn oder elf bin. Nicht weit von dort, wo ich wohnte, spielte ein Haufen R&B-Bands dieses ganze Motown-Zeug. Und weil ich das auch im Radio hörte, war es echt cool, die dann auch live zu sehen. Die erste Band, von der ich damals ein Album haben wollte, war GRAHAM CENTRAL STATION – Larry Graham war der Bassist von SLY & THE FAMILY STONE. Als ich ihre zweite Platte damals zum Geburtstag bekam, bin ich total ausgeflippt. Das war das Größte überhaupt. Und als ich zwölf war, sah ich sie live. Es war mein erstes Konzert in einem Stadion – und mein letztes für eine lange Zeit, weil ich erst um zwei Uhr morgens nach Hause kam, worüber mein Vater nicht sehr glücklich war. In der Zeit sah ich THE O’JAYS, THE ISLEY BROTHERS, THE SPINNERS und THE JACKSON FIVE. Und weil ich total auf James Brown, FUNKADELIC und Otis Redding stand, ist viel von dieser Musik bei mir hängengeblieben.
In dem Buch „Our Band Could Be Your Life“ habe ich die lustige Episode gelesen, wie Brendan Canty, der FUGAZI-Drummer, dich zum ersten Mal in dem Plattenladen „Today and Tomorrow“ sah. Er sagte, du bist ohne zu Zögern auf das Metal-Plattenfach zugelaufen. Erzähle uns von deinen Metal-Wurzeln.
Als ich in die Junior Highschool ging, traf ich mich nicht mehr mit meinem Nachbarn, mit dem ich all diese R&B-Bands gesehen habe, sondern mit einigen Kids, die sich ordentlich volllaufen ließen. Ich weiß auch nicht, warum. Mit der Pubertät kam der Wahnsinn. Und der Hardrock. Anfangs habe ich nicht mal gekifft oder getrunken, ich habe einfach alle möglichen Pillen geschmissen: Speed, Quaalude – eigentlich ein Schlafmittel, das damals ziemlich angesagt war bei Jugendlichen –, und all dieses krasse Zeug. Ich war gerade mal 13. Später kamen dann Gras, Pilze und LSD dazu. In der Zeit der Junior High, im Alter zwischen 13 und 15, habe ich alles genommen, was es gibt. Und ich hörte AEROSMITH, BLACK SABBATH, YES und THE WHO, einfach gewöhnlichen Hardrock. Aber am Ende der neunten Klasse dachte ich mir: Da muss es doch noch mehr geben. Ich mochte nämlich diesen neuen, sauber klingenden Metal nicht. Selbst JUDAS PRIEST nicht ... okay, die waren schnell, aber ich fand das alles viel zu klinisch. Ich war eben verdorben durch LED ZEPPELIN: die hatten diesen dreckigen, schmierigen Sound wie Hendrix. Es hat zu tun mit diesem Live-Feeling: es gibt Fehler in der Musik und in der Aufnahme, es klingt nicht so exakt und steril. Mein Kunstlehrer hat mir dann gesagt, ich solle auf diese Highschool gehen, wo man den halben Tag Kunstunterricht hat. Da bin ich hin und in dieser Kunstklasse hat mich dann ein Typ namens Ivan Martinez auf Punk gebracht. Er war der Einzige, der so einen Kram hörte, und genau in dem Moment, in dem ich dringend etwas anderes brauchte, hörte ich plötzlich THE DAMNED und die SEX PISTOLS. Ich war 16. Mit Ivan sah ich 1979 THE CLASH, DEVO und vor allem die B-52’s. Dieses Konzert werde ich nie vergessen. Es war so verdammt intensiv, ich habe mir fast in die Hosen gemacht. Es war auch das Publikum, ich wurde einfach reingezogen, meine Füße berührten den Boden nicht mehr. Ich dachte echt, dass ich hier verdammt noch mal sterben könnte. Es hat mich umgehauen. Aber auch die CRAMPS waren verdammt beängstigend. All das war so unglaublich direkt und schonungslos, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte, und es war genau das, was ich wollte.
Okay, aber mit Metal hat das nun schon nicht mehr viel zu tun ...
Na ja, in dieser Zeit war aber auch Dave Williamson, der Drummer von THE OBSESSED, in meiner Klasse. Wir hörten die ganze Zeit dieses ganze Punk-Zeug, während wir Kunst machten, und er lud mich auf ein Konzert von ihnen ein. Eine Band, die eigene Metal-Songs schreibt und dazu noch Lieder von den DAMNED und den SEX PISTOLS spielt, war verdammt schräg. Das war 1980 und sie waren die Vorband der DEAD BOYS. Sie hatten einen total verrückten Sänger, der komplett ausflippte, ins Publikum sprang, auf Winos Schultern stieg und sich an seinen Haaren festhielt, während der Gitarre spielte. Sie waren einfach wild. Und so fing ich an, sie und andere Punkbands in kleinen Clubs zu sehen. Als Nächstes waren da plötzlich diese Hardcore-Bands, die für größere Bands den Opener machten. Ich merkte plötzlich, dass die ganzen Kids, die ich von den Shows kannte, nicht nur in Bands spielten, sondern auch ihre eigene Musik herausbrachten. Es war eine echt spannende Zeit, es gab New Wave, es gab Punk, Metal, Hardcore und überall passierte etwas. Es riss dich einfach mit, all diese total verschiedenen Richtungen. Die Metal-Kids sagten: „Joe is a punk kid.“ Und wenn ich bei einem Punk-Konzert war, war ich der Typ von den Metal-Kids. Als ich Ian MacKay kennen lernte, war ich für ihn der Typ von der OBSESSED-Gang. Damals hatte ich lange blonde Haare und Fred von BEEFEATER sagte immer, ich sähe aus wie Iggy Pop. Du bist kein Musiker, nein Mann, du bist ein verdammter Poser, so nennen dich alle und das ist alles, was du sein kannst: setze dir etwas auf, nimm etwas an, übernimm etwas, egal was, nur um das Gefühl zu haben dazuzugehören. Und dazu noch dumme Sprüche von den Nachbarn. Aber es war voll mein Ding, ich war mit Hingabe dabei, deshalb habe ich es auch so geliebt, mit BEEFEATER auf Tour zu gehen. Wenn das mit Ian und der Band nicht passiert wäre, würde ich wahrscheinlich heute noch für andere Bands arbeiten, das habe ich echt gern getan.
Wie hat das dann angefangen mit dem Musikmachen?
Ich war auf tausenden Konzerten, aber ausgerechnet nach einem MINOR THREAT-Konzert, auf dem ich mit meinem Schulfreund Peter Cortner war, der später Sänger von DAG NASTY werden sollte, sagte er: „Ich singe!“ Und ich: „Okay, ich spiele Bass!“ Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich da verdammt noch mal tat, aber weil ich einen Job hatte, kaufte ich einen Amp und einen Bass und wir fingen an, Lieder zusammen zu schreiben. Wir hatten zwei Bands und jede der Bands spielte zwei Konzerte. Eines davon war sogar eine Party, gar kein richtiges Konzert.
War der Job, von dem du gerade gesprochen hast, der bei der NASA?
Ja, den Job habe ich nur bekommen, weil ich als Hardcore-Kid meinen Kopf rasiert hatte. Und der Typ, der mich eingestellt hat, fand das cool, weil er ein Ex-Marine war, glaube ich. Ich hatte keinerlei Ausbildung für den Job, aber die haben ein gutes Gehalt gezahlt und mich die ganze Zeit auf Fortbildungen geschickt, die mit dem Umgang mit Computern zu tun hatten. Ich habe alle möglichen Zuschüsse bekommen und alle paar Monate sogar eine Gehaltserhöhung. Das war der einzige Grund, warum ich dort geblieben bin: weil ich echt Geld verdient habe. Aber weil ich meinen Job zugleich auch so sehr hasste, bettelte ich irgendwann so lange bei BEEFEATER, bis sie mich mit auf Tour nahmen. Ich kündigte also meinen Job, um Roadie zu werden. Es war großartig: ich dachte, dass BEEFEATER die Größten seien, obwohl sie niemand kannte. Für sie zu arbeiten war das Beste überhaupt. Das war im Sommer 1986, eigentlich eine schreckliche Zeit zum Touren. Wir sind quer durch die USA bis nach Kanada gefahren und es hat mich umgehauen. Ich war vorher noch nie wirklich weg. Als ich von dieser Tour zurückkam, wollte ich das einfach weitermachen. Ich fand erst mal einen Job als Tellerwäscher. Eines Tages ging ich mit Thomas, dem Sänger von BEEFEATER, mit zu ihm nach Hause. Er wohnte mit Ian MacKaye von MINOR THREAT im Dischord-Haus, wo auch das Label war, und ich blieb dort über Nacht. Wir gingen mit Ian essen und erzählten von der Tour, und ich glaube, er konnte sehen, dass ich durchgeknallt genug war, um mich voll und ganz einer Band zu widmen. Eine Woche später rief er mich an und fragte, ob ich in seiner neuen Band FUGAZI Bass spielen will. Er hatte mich vorher nie Bass spielen gesehen.
Welche Platte oder welchen Song würdest du jemand vorspielen, der FUGAZI noch nie gehört hat?
Schwer zu sagen. Ich habe gemerkt, dass Menschen ganz unterschiedlich Zugang zu FUGAZI finden. Und es ist eben ein Unterschied, ob du bei der vierten, ersten oder achten Platte einsteigst. Es gab mal jemand, der uns live sah und nach dem Konzert meinte: „Es gab viel mehr Gesang bei euch, als ich erwartet hatte.“ Es stellte sich heraus, dass er nur den „Instrument Soundtrack“ von Jem Cohens FUGAZI-Doku kannte, haha.
Ist eine FUGAZI-Reunion oder irgendetwas Ähnliches in Aussicht?
Nein, es gibt keine derartigen Pläne, weil unser Schlagzeuger Brendan vier Kinder hat. Man sollte zu Hause bleiben, wenn man so eine große Familie hat. Warum in aller Welt sollten wir es uns auch so schwer machen mit dem, was wir mit FUGAZI tun? Wenn wir Geduld haben und die Zeit es erlaubt, können wir vielleicht zurückkommen und es so machen, dass dann auch etwas Anständiges dabei herauskommt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Florian Jäger
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