Sich mit Jim Ward über seine Musik zu unterhalten, ist wie eine Geschichtsstunde im Post-Hardcore. Mit „Daggers“ zeigt der Texaner nun abseits von SPARTA, SLEEPERCAR und AT THE DRIVE-IN, dass seine punkige Seite immer noch sehr lebendig ist. Es ist eins dieser Alben, das die Geschichte von 2020 erzählt und vor allem eines transportiert: Bei all der Wut auf die ganzen Idioten um uns herum sollten wir dennoch versuchen, das Beste aus uns herauszuholen. Welchen Anteil zwei Freunde von ihm am Sound des vermeintlichen Soloalbums haben und was neben dem Musikmachen in seinem Leben noch so abgeht, erzählt er im folgenden Interview.
Während der Vorbereitung auf das Gespräch musste ich daran denken, dass ich SPARTA vor fast 18 Jahren das erste Mal in Köln live gesehen habe. Auf der Hinfahrt hat es aus Eimern geregnet, ich habe bestimmt vier rote Ampeln überfahren und dann waren da noch die typischen Kölner Einbahnstraßen. Das Konzert war am Ende überragend.
Ja, das erste Mal, als wir mit SPARTA nach Europa gekommen sind, war etwas ganz Besonderes. Ich kann mich gut daran erinnern, wie herzlich ihr uns damals willkommen geheißen habt. Und das, obwohl wir eine neue Band waren, in der ein paar Typen von AT THE DRIVE-IN gespielt haben. Für mich war es das erste Mal, dass ich auf einem Album den Gesang komplett allein übernommen hatte. Die Reaktion auf diese Platte hat uns enormes Selbstbewusstsein gegeben. Ich hatte zwar schon immer eine Affinität zu dem Publikum in Deutschland, jedoch bin ich wirklich besonders dankbar für diese Zeit. Es hätte schließlich auch ganz anders laufen können. Auf einmal war ich nicht mehr nur der Gitarrist in irgendeiner Band. Dass ihr uns aufgebaut und bestärkt habt, rechne ich euch hoch an.
Und vielleicht haben wir ja im nächsten Jahr die Chance, dich im Zuge deines Soloprojekts endlich wieder live zu sehen.
Ich bitte darum! Es hat viel zu lange gedauert. Ich habe riesigen Bock, die neuen Songs von „Dagger“ zu spielen, ebenso wie die neuen SPARTA-Songs, die wir im letzten Jahr veröffentlicht haben. Bei SPARTA bin ich darauf beschränkt, SPARTA-Songs zu spielen. Wenn ich alleine beziehungsweise mit meiner kleinen Band auf die Bühne gehe, kann ich alles spielen, an dem ich jemals beteiligt war. Umso mehr freue ich mich auf die kommenden Konzerte.
Kannst du dich daran erinnern, wann Musik dich das letzte Mal richtig bewegt hat?
Das müsste auf der „Joshua Tree“-Tour von U2 2018 gewesen sein. Anton Corbijn hat damals einen Film über die Konzerte gedreht. Ich kann mich daran erinnern, dass ich so emotional wie noch nie während einer Show war. Ich habe Rotz und Wasser geheult. Die Platte ist mir enorm wichtig, weil ich sie mit elf, zwölf Jahren zusammen mit meinem Dad gehört habe. Das war das erste Mal, dass wir beide auf die gleichen Sachen standen. An einem Abend der Tour musste ich genau daran denken und es hat mich komplett überwältigt. Normalerweise kann ich nicht auf große Konzerte oder Festivals gehen. Ich habe ja selbst gefühlt 20.000 davon gespielt. Die Erfahrung bei U2 hat mich aber komplett überrascht. Deswegen war dieser Abend auch etwas ganz Besonderes.
Ich finde, dass „Dagger“ sich genauso anhört, wie ein Fan deiner Musik es sich nur wünschen kann. Man kann hier SPARTA, SLEEPERCAR, aber auch die punkige Attitüde von AT THE DRIVE-IN heraushören.
Normalerweise ist es so, dass ich mich nach einer Tour mit SPARTA hinsetze und komplett andere Musik schreibe. Von dieser Herangehensweise war ich jedoch dieses Mal nicht überzeugt. Ich wollte eine richtig laute Rock-Platte schreiben. Während der Pandemie hatte ich sowieso viel Zeit, wir haben im letzten Jahr eine SPARTA-Platte veröffentlicht und ich hatte eine Menge Ideen. Eigentlich ging alles recht schnell. Ich hatte das Glück, dass Tucker Rule, der Schlagzeuger von THURSDAY, in dem Moment auch Zeit hatte, und ich schickte ihm meine Songideen. Einfach so, weil ich seine Meinung hören wollte und weil ich sowieso jemanden brauchte, der das Schlagzeug einspielt. Wir mailten uns also das Zeug hin und her und auf einmal, so nach zwei bis drei Wochen, war „Daggers“ im Kasten. Einen großen Anteil am Sound hatte übrigens auch noch Ben Kenny, der eigentlich Bassist bei INCUBUS ist. Wir drei sind super gut miteinander befreundet und schätzen uns als Musiker sehr. Ben hat am Ende zum Beispiel dafür gesorgt, dass wir weniger hektisch und ruppig klingen. Von ihm kam auch die Idee, ein paar Songs einfach halb so schnell zu spielen. Und das hat dem Ganzen dann sehr gut getan. Das größte Kompliment, das die beiden mir machen konnten, war, meine Songs mit mir einzuspielen.
War es von vornherein klar, dass du ein Jahr nach dem letzten SPARTA-Album direkt schon deine Solosachen veröffentlichen würdest?
Eigentlich habe ich das gar nicht vorgehabt. Ich dachte, wir machen ein paar Songs fertig und ich lade sie dann ins Internet. Da ich aber vertraglich bei Dine Alone eingebunden bin, habe ich denen die Tracks vorgestellt. Und sie waren von dem Album so überzeugt, dass sie gesagt haben, dass wir daraus unbedingt eine richtige Veröffentlichung machen sollten. Ich wollte jedoch nicht, dass „Daggers“ während des Wahlkampfs im letzten Jahr verheizt wird, obwohl so viele Songs perfekt auf die damalige Situation gepasst haben. Ich wollte es dieses Mal auch einfach anders angehen. Ich spiele in Bands, seit ich zwölf bin. Jetzt bin ich 44 Jahre alt und will neue Dinge ausprobieren. Der Prozess, wie die Platte entstanden ist, war zum Beispiel etwas Neues.
Ich habe gelesen, dass du dich mit „Daggers“ selbst therapiert hast. Kannst du das erläutern?
Ich denke, du bist im Bilde darüber, wer bis vor kurzem der Präsident von Amerika war, oder? Ich hasse alles, wofür dieser Mann steht, liebe auf der anderen Seite aber auch mein Land. Dieses Dilemma hat mich in eine Situation gebracht, in der ich ein Ventil brauchte. Meine Frau besitzt die kanadische Staatsbürgerschaft und wir hätten das Land verlassen können. Ich wollte jedoch nicht weg. Ich wollte irgendwie dafür einstehen, warum ich Amerika so liebe. Er hat jedoch all das fast zum Einsturz gebracht. Und dann kam da auch noch die Pandemie – und wie Trump darauf reagiert hat. Er hat alles vermasselt, was man nur vermasseln konnte. Und dann waren da auch noch die weißen Polizisten, die lachend afroamerikanische Männer umgebracht haben. Als Amerikaner, der in anderen Ländern auf Tour ist, habe ich mich gefragt, wie ich da noch Stolz empfinden konnte. Wie sollte ich im Ausland klarmachen, dass ich mein Land ja eigentlich liebe? Dazu wurde die Situation mit dem Restaurant, das meine Frau und ich hier in El Paso betreiben, während Corona extrem schwierig. Ich konnte nicht auf Tour gehen, obwohl wir ein neues Album veröffentlicht hatten. Alles wurde abgesagt, meine Crew und Bandmitglieder mussten auf einmal schauen, wie sie überhaupt über die Runden kommen. Wir musste Leute, die im Restaurant gearbeitet haben, entlassen. Und als es irgendwann August war, war ich komplett ausgebrannt. Ich war fertig. Ich war mental einfach kaputt, hatte Angst, war depressiv und wusste mir nur damit zu helfen, am Ende des Tages meine Gitarre in die Hand zu nehmen und alles rauszulassen. Das erste Riff, das ich schrieb, war für „I got a secret“. Es ist ein eindeutiger Punkrock-Song. Und dann kamen die Lyrics. Bei „Daggers“ muss man wissen, dass die Reihenfolge der Songs nicht die ist, in der sie geschrieben wurde. „Paper fish“ ist zuletzt entstanden und gibt doch irgendwie die Message der Platte wieder. Ich wollte die beste Version meiner selbst sein. Es hat ein ganzes Album gebraucht, bis ich verstanden habe, was ich aus meinem Leben machen sollte. Was mich am Anfang noch fertig machte, war am Ende der Anlass für mich, etwas zu verändern. Und ich will nett zu anderen Menschen sein. Denn das ist es schlussendlich auch, was diese Wichser wie Trump so fertig macht. Wenn wir miteinander ins Gespräch kommen und uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen.
Das mit deinem Restaurant können wir jetzt aber nicht unter den Tisch fallen lassen. Was steht bei euch auf der Speisekarte?
Unser Restaurant heißt Eloise. Unter eloiseelpaso.com findet man die aktuelle Speisekarte. Grundsätzlich sind wir ein veganes beziehungsweise vegetarisches Restaurant. Uns ging es darum, gutes Essen anzubieten, ohne jemanden auszuschließen. Deshalb bieten wir auch ein paar wenige Fleisch-Optionen an. Während der Pandemie mussten wir unser Menü ein wenig ausdünnen, um mit weniger Angestellten immer noch öffnen zu können. Das hat aber auch den Vorteil, dass weniger Essen weggeworfen wird.
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