JESUS PIECE

Foto© by Kevin Bethke

Fashionable metallic hardcore

JESUS PIECE schalten sich zum Interview aus El Paso, Texas dazu. Die Band aus Philadelphia ist zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wieder auf ausgiebiger, sechswöchiger US-Tour, gemeinsam mit vier weiteren Bands, die zusammen so etwas wie den aktuellen Stand moderner Heavy-Musik abbilden. Eine ausgezeichnete Gelegenheit, um mit Sänger Aaron Heard und Schlagzeuger Luis Aponte über das neue Album „... So Unknown“, Ausflüge in andere musikalische Gefilde und Trendbewusstsein im Metal zu sprechen.

Euer Debüt „Only Self“ ist 2018 erschienen. Was ist in der Zwischenzeit bei JESUS PIECE passiert?

Aaron: Wir haben uns den Arsch ab getourt, ein paar Festivals gespielt, dann war Pandemie und jetzt erscheint unser neues Album.
Luis: Alle sagen momentan zu uns: Oh, ihr seid zurück! Ich verstehe diese Aussage nicht, denn wir haben eine Platte veröffentlicht, live gespielt und dann hat die Welt einfach drei Jahre Pause gemacht. Als es langsam wieder losging, haben wir uns nicht direkt in alles hineingestürzt, weil es immer noch zu viel Unsicherheit gab und niemand so genau wusste, wie es nun weitergeht. Wir haben nur so lange abgewartet, bis es wirklich wieder passte.

Was habt ihr abseits der Band getrieben?
Aaron: Ich habe für fast vier Jahre Bass bei NOTHING gespielt, das hat Spaß gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass ich noch mehr Tourerfahrung brauche, bevor es mit JESUS PIECE weitergeht, die habe ich definitiv bekommen.

Welchen Vorteil hat es, der Frontmann zu sein, im Gegensatz zur Position am Bass bei NOTHING?
Aaron: Oh, Sänger zu sein, liegt mir sehr viel mehr, weil es physisch herausfordernder ist. Außerdem muss ich nicht ständig eine Bassbox in der Größe eines Kühlschranks herumschleppen. Vor allem habe ich aber eine schreckliche ADHS-Störung, was bei der etwas schläfrigen Musik dazu geführt hat, dass ich manchmal komplett den Faden verloren habe, weil ich mich nicht konzentrieren konnte. Das passiert mir nicht, wenn ich herumrenne und mich wie ein Verrückter aufführe. Fünf Minuten lang einen langsamen Song zu spielen, kann hart für mich sein.

Luis, du hast dich zwischen den Alben als LU2K in eine komplett andere musikalische Richtung entwickelt.
Luis: Ich wurde Teil der elektronischen Musikszene und bin allein durch Europa und die USA getourt. Ich bin in Clubs aufgetreten, habe Tracks produziert und mit anderen Künstlern gearbeitet. Ich habe mich aber auch darauf fokussiert, mein Schlagzeugspiel zu verbessern. Ich denke, das hört man dem neuen Album auch an.

Stellst du bei deiner Arbeit als Elektro- und als Heavy-Musiker Ähnlichkeiten fest?
Luis: Natürlich gibt es Überschneidungen bei allen Musikarten, für mich waren aber die Unterschiede ausschlaggebender. Zuallererst war ich es gewohnt, als Teil eines Teams zu agieren, also war das für mich ein kompletter Neuanfang. Außerdem ist das Touren in der Elektro-Welt um einiges leichter. Zum einen spielt man nicht an sieben Tagen in der Woche, zum anderen ist das Reisen viel einfacher, weil man mit dem Zug oder Flugzeug unterwegs ist. Ich finde es lustig, wenn sich Elektro-Künstler über das harte Tourleben beschweren. Wenn man allein unterwegs ist, fühlt man sich zwar hin und wieder isoliert, aber abgesehen davon ist es sehr komfortabel.

Zurück zu JESUS PIECE. Meistens werdet ihr als Metalcore-Band bezeichnet. Was eher irreführend ist, da eure Musik zwar tatsächlich eine Mischung aus Metal und Hardcore ist, ihr aber keinem der gängigen Klischees entsprecht, die mit dem Genre einhergehen.
Aaron: Ganz genau. Und du benennst auch schon das Problem, das durch dieses Label für uns entsteht. In unserem Fall bedeutet der Begriff etwas völlig anderes, aber wir werden immer wieder mit Dingen in einen Topf geworfen, mit denen wir nichts zu tun haben. Daher versuchen wir den Begriff zu vermeiden und nennen es stattdessen Metallic Hardcore.

Was gefällt den Leuten besonders an JESUS PIECE?
Aaron: Sie finden es cool, dass wir so heavy sind, haha.
Luis: Die Leute mögen in der Regel unsere Live-Präsenz. Ich glaube, dass wir eine Energie transportieren, mit der auch jemand etwas anfangen kann, der gar nicht so viel von der Musik versteht. Aber wenn man uns auf der Bühne sieht, ergibt plötzlich alles Sinn. Das hören wir wirklich oft. Sogar mein Vater konnte bei einer Show Bezug zu unserer Musik finden, was ich als großes Kompliment auffasse.

Nicht nur auf der Bühne scheint ihr Wert auf eine starke und charismatische Erscheinung zu legen, auch bei Fotos und Videos scheint ihr euch viele Gedanken zu machen. Welchen Stellenwert hat das Thema bei euch?
Luis: Es ist uns wirklich sehr wichtig. Oft sind die Leute, mit denen wir arbeiten, überrascht, weil sie es nicht gewohnt sind, dass eine Metalband so klar ist, was den optischen Aspekt betrifft. Nimm unser Albumcover: Es ist ein wenig eigenartig und ungewöhnlich, aber für uns drückt es genau das Richtige aus. Es muss nicht immer vor Blut triefen, obwohl wir das auch mögen. Außerdem glauben wir sehr wohl daran, dass auch Metal sich immer weiterentwickelt, und wer weiß, wo wir in fünf Jahren stehen. Vielleicht sind Airbrush-Engel auf Covern dann normal und die Bands kleiden sich alle so, wie sie wollen. Diese konstruktive Sichtweise ist mir wichtig.

Gerade eure Videos vervollständigen noch mal das Bild, weil sich zu der Härte der genannte Sinn für Ästhetik, aber auch eine gehörige Portion Spaß mischt. Das kann einem beim Hören des neuen Albums schon mal entgehen.
Luis: Und dabei haben wir gerne Spaß! Tatsächlich sind wir eher entspannte Typen als wirklich angepisst und ernst. Gleichzeitig ist es uns aber wichtig, ein gewisses Level an Intensität zu erreichen. Wir sind in der Lage, unterschiedliche Emotionen zu transportieren, ohne dass Widersprüche entstehen. In der einen Minute albern wir herum und in der nächsten wechseln wir komplett den Modus. Wir chillen und spielen Nintendo Switch und dann betreten wir die Bühne und sind vollständig andere Menschen.