Ein Thema, das wie kein zweites die deutsche Linke in unversöhnliche Lager spaltet, ist der nie zu enden scheinende Nahost-Konflikt. Im Zuge dieser Debatte wird je nach Standpunkt der argumentative Scheinwerfer immer direkt auf eine Facette des Konfliktes gehalten, sei es auf die Verbrechen der israelischen Armee in den Palästinenser-Gebieten oder der Fanatismus der palästinensischen Fundamentalisten und ihre Verneinung des Existenzrechtes Israels. Dass man sich aber dem Thema auch geschickter und wesentlich authentischer nähern kann, zeigt der in diesem Jahr erschienene Dokumentarfilm „Jerichos Echo“. Dieser geht über eine reine Betrachtung des im Untertitel angekündigten „Punkrock In The Holy Land“ hinaus und zeigt nicht nur, wie es um die israelische Punkszene steht, sondern lässt die Beteiligten aus erster Hand berichten, wie sie den Konflikt erleben und welche Auswirkungen es auf ihr tägliches Leben hat. Dabei spielen die den meisten bekannten Aspekte, wie der verpflichtende dreijährige Wehrdienst und Selbstmordattentate, eine primäre Rolle. Die Besonderheit des Filmes besteht aber darin, darüber hinaus auch zu zeigen, wie unterschiedlich die einzelnen Individuen den Konflikt verarbeiten.
Liz Nord, Regisseurin aus San Francisco und Autorin diverser Beiträge im Maximum Rock’n’Roll, kam die Idee zu diesem Projekt, als sie vor sieben Jahren ein Konzert für Israels weltweit bekannteste Punkrock-Band USELESS ID organisierte. Da sie selbst aus einem jüdischen Elternhaus kommt, entstand relativ schnell eine Freundschaft zur Band und sie beschloss einen Film unter dem Arbeitstitel „Useless Movie“ über die Band und ihr israelisches Umfeld drehen zu wollen. Vor Ort angekommen stellte Liz Nord aber relativ schnell fest, dass es außer USELESS ID noch viele weitere Bands, sogar eine sehr aktive Punkszene in Israel gibt und somit änderte sie den Fokus des Filmes auf ein Portrait der kompletten Szene.
Die Dreharbeiten für den Film wurden im Sommer letzten Jahres beendet und seit ein paar Monaten ist der Film fertig geschnitten. Er wurde bereits auf dem Lost Film Festival, dem Toronto Jewish Film Festival und dem San Francisco Jewish Film Festival gezeigt, um nur die Größeren zu nennen. Die Deutschlandpremiere wird im Dezember im Rahmen des „Traum und Trauma“-Filmfestivals in Berlin stattfinden. Liz Nord wird außerdem mit dem Film im April nächsten Jahres auf Deutschlandtour kommen, Grund genug, ihn bereits vorab schon einmal unter die Lupe zu nehmen.
Eine der ersten Erkenntnisse, die der Film über die israelische Szene vermittelt, ist die Auffächerung der Szene in musikalische Subgenres und Einstellungen, wie sie genauso in europäischen oder anderen Punk-Szenen zu beobachten ist. Zwar werden zu Anfang alle im Film wiederkehrende Protagonisten mit dem Bekenntnis vorgestellt, dass Punkrock für sie Freiheit bedeute, doch schon hier wird diese Aussage oft kurz darauf qualifiziert, wie es zum Beispiel Lital mit Hinblick auf die Aktivisten und Mitglieder von stark links orientierten Bands macht: „Ich schätze mal, dass für sie Punk heißt, zu protestieren, zu protestieren gegen das, was sie hassen, was sie nicht mögen. Das ist es für mich auch, aber wir sind gegen unterschiedliche Dinge, denn an der Spitze meiner Prioritäten stehen Menschen. Wenn die Aktivisten Kühe und Gänselebern und solche Sachen an die Spitze ihrer Prioritäten stellen, ist das okay. Esst euren Tofu, macht euren Kram, macht eure Proteste. Aber verurteilt mich nicht, weil ich Fleisch esse und mich ab und zu streiten mag.“
Diese Trennung zwischen politisch Aktiven und denen, die kein Interesse an Demonstrationen und Engagement haben, ist eine der stärksten in der israelischen Szene. Die Größe der einzelnen Lager schätzt der Betreiber einer israelischen Internetseite über Konzerte und die Szene mit dem Spitznamen „Gutzy“ so ein: „Eine ist die größere und jüngere Szene der Punkrock-Kids, die auf Shows gehen und sich eigentlich dort treffen. Die andere Szene ist die politische Punkszene, die offensichtlich kleiner ist, hauptsächlich, weil es weniger attraktiv ist und weniger Spaß macht, ein Teil davon zu sein.“ Mit dieser letzten Aussage bezieht sich Gutzy aber ironisch auf die Sicht, welche die meisten Menschen, die sich in der erstgenannten Szene aufhalten, von politischem Aktivismus haben. Er selbst glaubt nach eigenen Aussagen nicht, dass eine Trennung von Punk als Musik und Punk als politische Einstellung möglich sei.
Entlang dieser Trennung verläuft aber auch ein musikalischer Graben. Bands wie USELESS ID, PUNKACHE oder HA PUSSY SHEL LUCY („The pussy of Lucy“), die in ihren Texten keinen Bezug zu Politik und Israel nehmen, spielen meist Pop-Punk, während viele Bands mit politischem Anspruch härtere Musik machen, wie zum Beispiel NIKMAT OLALIM (Hardcore/Crust) oder CHAOS RABAK (Streetpunk).
Es gibt aber auch noch weitere Unterteilungen, denen die israelische Szene unterworfen ist. So sind Punks, deren Eltern als russische Einwanderer nach Israel kamen, oft Teil einer eigenen Unterszene. Zwar ist die Sprachbarriere inzwischen nicht mehr so hoch wie noch vor einigen Jahren, in denen diese kaum oder nur wenig Hebräisch sprachen und demzufolge auch sprachlich von der restlichen Szene abgetrennt waren, aber immer noch teilen viele Punks, die aus einem russischsprachigem Hintergrund kommen, eine gemeinsame Vorliebe für Streetpunk, ein dementsprechendes Outfit und eine gewisse Skepsis gegenüber politischen Bands. Genauso wenig scheinen sie aber auch mit den Pop-Punk-Bands anfangen zu können, wie man einer Aussage von Yonathan Gat, Bassist von PUNKACHE, entnehmen könnte: „Wenn Leute sagen: Ihr seid kein Punk, sage ich: Okay. Du bist wahrscheinlich viel mehr Punk als ich, weil du bei deinen Eltern wohnst, den ganzen Tag Schnitzel isst, Celine Dion hörst und auf Konzerte mit deinem stinkenden Iro kommst und denkst, du wärst sehr cool, da es das ist, was gerade Mode ist.“
Ein Aspekt, den der Film in diesem Zusammenhang gut herausstellt, ist die aus dem politischen Engagement (oder eben gerade dem Fehlen eines solchen) resultierende Einstellung der jeweiligen Bands zum Nahost-Konflikt. Mitglieder von NIKMAT OLALIM beispielsweise sieht man in diversen Sequenzen des Filmes als Teilnehmer von Demonstrationen und Aktionen und ihre Aussagen scheinen aus ihrem politischen Einsatz gewachsen zu sein: „Ich denke, es ist wichtig zu hören, dass es Leute in Israel gibt, die drastisch gegen die Besetzung sind. [...] Und der ganze Anfang eines Prozesses echten Friedens und eines Weges, normal zu leben, wäre wirklich, miteinander zu reden und die andere Seite und andere Kultur kennen zu lernen, tatsächlich zusammen leben zu lernen und eben nicht getrennt.“
HA PUSSY SHEL LUCY hingegen sitzen den kompletten Film über auf einem braunen Sofa herum, während sie ihre Erkenntnisse über den Konflikt in sehr allgemeinen Aussagen zusammenfassen: „Es gibt schlechte Juden und es gibt gute Juden, es gibt schlechte Araber und gute Araber, da wir alle Personen sind, wir sind alle menschliche Wesen, wir sind von der selben Rasse ... Dies ist die universelle Wahrheit für uns.“
Auf einem sehr einsamen Posten mit ihrer Einschätzung scheint die Band RETRIBUTION zu stehen, die musikalisch sehr nach Tough Guy Hardcore klingen, auch wenn sie für sich selbst den Stil „Israeli State Hardcore“ (ISHC) beanspruchen: „Die einzige Lösung, die sein kann, verlangt sehr, sehr große Kompromisse auf beiden Seiten und diese beiden Seiten wollen diese Kompromisse nicht eingehen. So sind die Palästinenser: egal, was du ihnen geben wirst, sie werden nie damit zufrieden sein. Alles, was sie wollen, ist uns hier rauszuschmeißen.“
Die durch ihren lakonischen Unterton beeindruckende Einstellung von Dennis von SMASH 4$ entstand durch seinen Wehrdienst: „Also beschützten wir diese Arschlöcher (Anm: Gemeint sind die Siedler in der Westbank). Mir sind die Araber egal, mir sind die Israelis, die dort leben egal. Die können machen, was immer sie wollen. Falls ihr in den besetzten Gebieten leben wollt, lebt halt dort. Ich brauche euch aber nicht zu beschützen. Es ist eure Wahl, ich denke, ihr müsst euch selbst schützen. Oder kommt halt zurück nach Tel Aviv.“
Dass jemand wie Dennis, der in den Aufnahmen deutlich als Streetpunk erkennbar ist, seinen Militärdienst abgeleistet hat, zeigt bereits, dass der israelische Staat nicht mit Repressionen zu geizen scheint, wenn es darum geht, den Status quo, in dem nur in Ausnahmefällen kein Wehrdienst abgeleistet werden muss, aufrecht zu erhalten.
Dass ohne den Druck der Gesellschaft, die Androhung einer Haftstrafe und einer lebenslangen Markierung als „unnormal“ weitaus mehr Menschen den Militärdienst ablehnen würden, erläutert die Aussage von Batz, einem Mitglied der Surf-Band ASTROGLIDES, die viel mit Punkrock-Bands zusammen auftritt: „Du gehst zur Armee für drei Jahre deines Lebens, machst die beschissensten Dinge, die du dir jemals vorstellen kannst, und alles, was du im Gegenzug bekommst, ist eine blaue Bescheinung; das ist alles, was du bekommst. Der monatliche Sold beträgt 300 Shekel (etwa 60 Euro).“
Daher scheint es nicht verwunderlich, dass die Armee zu drastischen Maßnahmen greift, wie Batz weiter berichtete. Seine Schwester habe den Militärdienst überhaupt nicht gemocht und ihn frühzeitig verlassen. Daraufhin wurde in ihren Unterlagen ein Vermerk eingetragen, der angibt, sie „wäre unfähig zu zwischenmenschlichen Beziehungen“. Da jeder Beamte und potenzielle Arbeitgeber diese Unterlagen zu Gesicht bekommt, habe sie damit auch Schwierigkeiten gehabt, einen Job zu finden.
Umgekehrt ist somit einer der wenigen Wege, dem Militärdienst zu entgehen, eine vermeintliche Verhaltensstörung gleich im Vorfeld der Rekrutierung zu simulieren. Tal von NIKMAT OLALIM erklärt, wie Mitglieder seiner Band es erreichten, nicht in die Armee aufgenommen zu werden: „Wir brachten sie dazu zu glauben, dass wir geisteskrank sind.“ Was, so David aus der gleichen Band, „nicht sehr schwer“ war. „Wenn man nicht daran interessiert ist, zur Armee zu gehen, ist man ohnehin bereits ein Außenseiter.“
Obwohl zum Beispiel Guy von USELESS ID von seiner Verweigerung spricht, als wäre es eine selbstverständliche Tat und es würde eine Menge Leute geben, die ähnlich handeln, gibt es in der Punkszene Israels doch eine große Gruppe Musiker, die zu seinem Schritt nicht bereit sind, wie zum Beispiel in der Band HA PUSSY SHEL LUCY: „Ich denke, dass ich zur Armee gehen und weiterhin in meiner Band spielen und singen sollte über den Geist des Friedens und den Geist der Liebe zwischen den Menschen auf der ganzen Welt.“
Ganz so vereinbar können nationale Gefühle und die Sehnsucht nach Frieden nicht sein, wie das Resümee eines anderen Bandmitglieds über seine Militärzeit andeutet: „Ich bin dem Land verpflichtet und das Land sagt mir: Geh [in die besetzen Gebiete] und mach dies und mach das. Das löste einen inneren Konflikt in mir aus.“
Die sich selbst als politisch dem rechten Spektrum zuordnenden RETRIBUTION sehen den Militärdienst sogar als Verpflichtung gegenüber Israel: „Wir haben auf allen Seiten und selbst in unserer Mitte Feinde. Wir müssen unsere Stellung halten. Wir müssen unser Land behalten, denn es ist alles, was wir haben.“ Aber auch sie streiten nicht ab, dass der Armeedienst mehr als unangenehm ist: „In der Armee zu sein, ist scheiße. Niemand wird dir erzählen, dass sie Spaß in der Armee hatten oder dass sie es dort mochten, aber es ist eine wichtige Sache.“ „Als ich 18 war und zur Armee ging, war ich einer der letzten meiner Klasse, der der Armee beitrat. Zu dem Zeitpunk hatte ich bereits einen Freund zu Grabe getragen. Und ich habe noch drei weitere beerdigt in den Jahren danach.“
Neben solch drastischen Erlebnissen in der Armee, gibt es aber auch schleichende Entfremdungsprozesse: „Du wirst mit fremden Leuten zusammengeworfen, du lebst mit anderen Menschen zusammen und keiner von ihnen ist ein Punk und sie verstehen dich nicht. Das dauert drei Jahre, du lebst mit Menschen, die nichts mit Punk zu tun haben und na ja, das verändert einen“, so benennt Tom von SMASH 4$ eines der größten Probleme, die der Militärdienst für die israelische Musikszene bedeutet. Davon abgesehen, dass viele Bands darunter leiden, dass ein oder mehrere Mitglieder nur noch am Wochenende Zeit für Proben haben, verliert ein gewisser Prozentteil mit der Zeit den Kontakt zur Szene. Das Ergebnis ist, dass es nur wenige Bands mit Älteren gibt und der Großteil der Menschen in der Punkrockszene unter 17 Jahre alt ist.
Für diejenigen, die bei der Musik bleiben, kann der Armeedienst aber auch einen gewissen positiven Aspekt haben, ergänzt Dennis von SMASH 4$: „Ich denke, es hat mich zum Besseren verändert, denn als ich mit der Armee fertig war, verstand ich wirklich, was es heißt, frei zu sein.“ Der Militärdienst als Konfrontation mit der Realität hatte für ihn und Tom auch noch weitere Facetten: „Vor der Armee dachte ich immer, dass die besetzten Gebiete irgendein anderes Land sind, ich wusste nichts über sie.“
Neben dem tiefen Einschnitt, den der Militärdienst bedeutet, bleibt auch die Punkrockszene nicht von den Selbstmordattentaten verschont, die das Land seit der ersten Intifada erschüttert. Zum einen drückt die Gefahr, zu jeder Zeit an jedem Ort Opfer eines Anschlags werden zu können, auf die allgemeine Stimmung, eines der Mitglieder von HA PUSSY SHEL LUCY beschreibt dies so: „Der durchschnittliche Israeli steht der Situation im Land ziemlich apathisch gegenüber. Er sitzt lieber zu Hause und schaut Fernsehen. Niemand geht mehr auf die Straßen, niemand versucht zu protestieren. Die Menschen haben einfach genug von den Anschlägen, die um uns herum passieren.“ Ein Gefühl der Ohnmacht paralysiert nicht nur die Mehrheit der normalen Israelis, auch für die meisten der israelischen Punks wie zum Beispiel Yonathan von PUNKACHE ist diese permanente Gefahr nur schwer zu verarbeiten: „Man wacht morgens auf und liest, dass etwa zwanzig Leute getötet wurden, und das macht einen verbittert und zynisch. Das ist etwa so: Du hast einen Auftritt und am Morgen des Auftrittstages passiert ein Terroranschlag und die Eltern lassen ihre Kinder nicht aus dem Haus. Sie sagen: ‚Nein, nein, geh’ nicht an einem öffentlichen Ort, geh zu keiner Show, es könnten dort Bomben sein!‘.“
Einige in der Szene haben über die Attentate bereits Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder verloren, wie zum Beispiel HA PUSSY SHEL LUCY: „Einer unserer Leadsänger, wir hatten zwei, starb durch einen Selbstmordattentäter in einem Bus. Ich denke, der schlimmste Tag unserer Leben, der schlimmste Moment, den ich mir vorstellen kann, war der Moment, in dem wir alle auf dem Friedhof an seinem frisch angelegtem Grab standen.“
Auch USELESS ID spürten die Folgen des Konfliktes, wie Yotam erzählt: „Einer unserer größten Fans in Israel wurde in einem Bus in die Luft gejagt und das quälte mich wirklich. Zwei Wochen lang war ich nicht ich selbst, ich konnte damit einfach nicht umgehen.“
Guy konnte den Anschlag sogar hören: „Ich hörte diese Explosion und wusste nicht genau, was passiert ist, da die Navy manchmal Waffen testet. (Anm.: Guy lebt in Haifa, das im Norden Israels am Meer liegt.) Und etwa zehn Minuten später erfuhren wir, dass sich ein Selbstmordattentäter in einem Bus in die Luft gejagt hat, etwa zehn Minuten von hier. Und sie starb bei diesem Anschlag, in diesem Bus. Später haben wir Aufnahmen angeschaut und ein Video zusammengeschnitten, da wir ein Video für eins der Lieder auf unserem neuen Album erstellen wollten. Und man kann sie in der ersten Reihe sehen, wie sie herumspringt und Spaß hat. An diesem Punkt wurde es persönlich für mich.“
Dies macht es nun vielleicht nachvollziehbarer, warum USELESS ID in ihren Texten nicht über Politik singen wollen, wie Guy erwähnt: „Ich würde von der Punkszene an einem Ort wie Israel erwarten, dass sie äußerst politisch ist. Aber es ist auch hart, damit umzugehen, denn man steckt so tief in Politik drin, dass manchmal die Punkband ein Weg ist, aus der ganzen politischen Situation herauszukommen.“
Punk als Ventil ist ein klassisches Motiv, das weit mehr Bands der israelischen Szene zu Grunde liegt als nur denen, die ihre Wut in ihren Texten artikulieren. Ein Grund, warum diese in der Minderheit zu sein scheinen, mag auch damit in Verbindung stehen, dass schnell der Eindruck entsteht, dass das Benennen der Probleme diese nicht löst und sogar noch mehr Probleme schafft. So berichteten NIKMAT OLALIM in einem Interview, dass sie als junge Band oft Probleme mit den Punks russischer Abstammung hatten, die Aussagen der Band für Tierrechte dahingehend interpretiert haben, dass die Band sich über sie, die Fleisch essen, lustig mache.
Ein weiteres Beispiel gibt der Film auch mit dem kurzen Exkurs über die ebenfalls kurze Karriere der Band KAFA LA PANIM SHEL LIMOR LIVNAT, deren Name „Schläge ins Gesicht von Limor Livnat“ sich auf einen Vorfall beziehe, bei dem die siedlernahe Erziehungsministerin Limor Livnat laut Gitarrist Gutzy „einen Demonstranten einer konkurrierenden Partei körperlich angegriffen hatte“. Der Film zeigt zuerst einen sichtbar nervösen Gutzy, der das erste Konzert seiner Band ankündigt, um wenige Ausschnitte später ihn vom Aus der Band nach sechs Monaten berichten zu lassen. Der Grund dafür war ein Zeitungsartikel, über den Gutzy berichtet: „Der Artikel handelt von unserem Namen und wie kontrovers und unakzeptabel er sei, und endet mit der Aussage von Limor Livnats Öffentlichkeitsberater, dass sie uns vermutlich verklagen werde und wir nur ein Haufen Punks seien, die nicht wüssten, wovon sie reden.“ Zu der Klage kam es nicht, denn nachdem auf den Artikel noch diverse Drohanrufe jüdischer Siedler und ähnlich geartete Beiträge im Forum der Band folgten, beschlossen die Bandmitglieder vorerst getrennter Wege zu gehen: „... wir haben diesen Druck nicht erwartet, daher beschlossen wir uns aufzulösen und eine letzte Show zu spielen.“
Damit zeigt der Film auch Eigenschaften der israelischen Gesellschaft auf, die laut Batz sehr konservativ sei und andere nicht wirklich tolerieren könnte. Dies zeigt sich auch in den Berichten der Band CHAOS RABAK: „Wir sind wie Bürger zweiter Klasse, werden ständig festgenommen. Wir kamen ins Gefängnis, weil ein paar Typen uns angegriffen haben. Wir haben mit ihnen gekämpft, die Polizei kam, aber nahm nur uns mit.“
Aber nicht immer müssen die Zusammenstöße mit Gruppen, deren Einstellungen gegen alle Grundbekenntnisse von Punk laufen, gleich gewaltsam sein. Eine der faszinierendsten Szenen des Filmes zeigt, wie bei einer Live-Show von CHAOS RABAK eine Gruppe orthodoxer Juden auftaucht. Der Bruder eines der CHAOS RABAK-Mitglieder war mit seinen Freunden gekommen, um sich das Konzert der Band seines Bruders Assih anzuhören. Die von Liz Nord in ihren Bemerkungen zu den Dreharbeiten berichtete damalige Befürchtung, es würde zu einer Schlägerei kommen, war unberechtigt, denn Assih berichtet in den Aufnahmen fast ohne Anteilnahme: „Es war cool bis zum Stück ‚Kipot Schchorot‘ (Schwarze Kippas). Es ist ein Lied über religiöse Menschen, also sind sie danach gegangen. Es ist mir egal, er ist immer noch mein Bruder.“
Nicht ohne ein Lachen erzählen PUNKACHE später von einem ähnlichen Erlebnis: „Wir haben in einem Club in Jerusalem gespielt und es war Chanukka. Und in der Mitte der Show kamen ein paar wirklich sehr religiöse Gläubige in den Club hinein und wollten, dass wir eine Kerze für Chanukka anzünden. Wir zündeten den Chanukka-Leuchter auf der Bühne an und tanzten mit Kippas und Rabbi-Hüten. Und wir tanzten mit den Rabbis und sangen Chanukka-Lieder während der Show und es war sehr lustig.“
Die Band scheint die Bemühungen der an einer inneren Mission interessierten Gläubigen zwar nicht all zu ernst zu nehmen, die Szene zeigt aber, dass es in Teilen der israelischen Punkszene ein gewisses jüdisches Selbstverständnis gibt. Zu diesem Thema kommen auch Akteure wie der Sänger Coray der Pop-Punk-Band LO KASHER („Nicht koscher“) zu Wort mit Aussagen, in denen klar wird, dass man sich nicht komplett von jüdischen Traditionen losgelöst sieht. Ein Beispiel für Corays Haltung ist ein von ihm geschriebenes Stück von LO KASHER mit dem Titel „I’m a jew, but not like you“ und der Textzeile „I’m not a jew like you, I can do what I wanna do, I don’t have to be like you, I don’t have to do nothing, but I’m still a jew“.
Lital geht in einer Szene sogar so weit, zu behaupten „Judaismus ist eine Art Kultur, gläubig zu sein ist eine andere Sache“, eine Aussage, die vermutlich andere israelische Bands wie zum Beispiel NIKMAT OLALIM sehr bestreiten würden.
Solche Uneinigkeiten in der Punkszene werden auch deutlich in einer Filmszene, in der der Schlagzeuger von SOON IN HERE seine Meinung zu Israel beschreibt: „Israel ist der beste Ort, an dem man leben kann selbst mit all den schlimmen Dingen, die passieren. Ich weiß, dass mir nicht viele Leute zustimmen werden“, woraufhin einer seiner Bandkollegen sofort den Finger hebt.
Ähnlich wie CHAOS RABAK, die zugeben Israel doch zu mögen, vielleicht gerade weil es nicht einfach ist, dort ein Punk zu sein, sehen auch NIKMAT OLALIM eine positive Wirkungsmöglichkeit für sich in ihrer Heimat: „Es gibt manche Länder, in denen die Schlagzeilen von einem Paar, das heiratet, oder von einem Fischer handeln, aber hier passieren wirklich Dinge und wir haben tatsächlich eine Chance, Dinge drastisch zu ändern.“
„Jerichos Echo“ beschreibt über die genannten Punkte hinaus aber auch noch mehr Aspekte der israelischen Punkszene, geht auf den Anteil weiblicher Musiker am Geschehen ein und zeigt Live-Auftritte aller interviewten Bands. Links zu den Bands, ein Tagebuch der Dreharbeiten und weiteres Hintergrundmaterial zum Produktionsteam gibt es auf der offiziellen Internetseite des Films. Ein etwas später entstandenes Fanzine aus Deutschland informiert ebenfalls über die Szene Israels und bietet noch weitere Informationen wie zum Beispiel über Bands wie DIR YASSIN oder den Info-Shop „Salon Mazal“ in Israels Hauptstadt Tel Aviv. Katzilla #2 ist unter anderem erhältlich beim Fanzine-Distro Else-Joffi.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #63 Dezember 2005/Januar 2006 und Johannes Dechant