JAN OFF

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Der Lordsiegelbewahrer der deutschen Hochkultur

Die Veröffentlichung von Jan Offs letztem Buch „Unzucht“ liegt erst etwa zwölf Monate zurück. Die erhitzten Gemüter der sich stets vergrößernden Leserschaft haben sich noch nicht ganz abgekühlt, schon steht die nächste für Schnappatmung sorgende Publikation über den Ventil Verlag an: „Offenbarungseid – rare Altlasten aus dem Off“. Längst vergriffene Texte des derzeitigen Hamburger „Kiezkollegen“ werden in einmaliger Zusammenstellung neu auf den Markt gebracht. Im Unterschied zu menschlichen Liebesbeziehungen, bei denen nach der Trennung der Grundsatz gilt „Aufgewärmtes schmeckt meist nur einen Tag“, sind Jans alte Texte auch im Jahr 2010 nach wie vor sehr lesenswert. Außer über seinen aktuellen „Offenbarungseid“ wurde in diesem Interview auch über die Heyne-Neuveröffentlichung von „Vorkriegsjugend“, sein linksradikales Treiben oder sonstige angsterhaltende Maßnahmen gesprochen.

Die Veröffentlichung deines letzten Romans „Unzucht“ liegt ungefähr ein Jahr zurück. Wie sah bisher das Feedback deiner Leserschaft aus: Gab es Unterschiede zwischen den Reaktionen von Frauen und Männern? Wie wurde auf die häufigen Sexszenen reagiert?

Ich denke, dass das Buch von der weiblichen Leserschaft insgesamt wohlwollender aufgenommen wurde, was sicher damit zu tun hat, dass es sich bei „Unzucht“ trotz aller Sexszenen nicht um einen klassischen Porno handelt. Als Masturbationsvorlage taugt der Roman nur bedingt, vielmehr wird hier eine Passionsgeschichte erzählt, für die das Abarbeiten sexueller Fantasien schlicht die Grundlage bildet. Ich hätte auch über Drogensucht oder eine andere Form der Unzucht mit dem eigenen Ego schreiben können. Möglicherweise hat hier auf männlicher Seite eine falsche Erwartungshaltung vorgelegen. Aber ich will mich nicht beschweren, werden doch, wenn ich richtig informiert bin, 70 Prozent aller Bücher von Frauen gekauft. Und natürlich möchte ich meine Pommes auch morgen noch mit Ketchup essen. Apropos Erwartungshaltung: Es gab und gibt ein paar Stimmen, die in „Unzucht“ den meinen früheren Büchern innewohnenden Trash-Faktor vermissen. Genau darauf zu verzichten war aber mein unbedingter Vorsatz. Es hätte mich vor lauter Langeweile ins Lattenheim gebracht, wenn ich nicht mal etwas anderes versucht hätte. Der nächste Roman, und das sei hiermit versprochen, wird allerdings wieder deutlich bizarrer daherkommen. Schließlich wird er die so genannte „Radikale Linke“ zum Inhalt haben, sich also zwangsläufig mit Absurditäten beschäftigen müssen.

Im letzten Jahr hat der Heyne Verlag deinen zuerst bei Ventil erschienenen Roman „Vorkriegsjugend“ unter dem Titel „200 Gramm Punkrock“ als Taschenbuch herausgebracht. Bedeutet die Veröffentlichung bei einem derart großen Verlag unmittelbar den Durchbruch oder wie folgenreich darf man sich ein derartiges Geschäft vorstellen?

Es ist mir ein dringendes Anliegen, darauf hinzuweisen, dass du – was den Verkauf der Taschenbuchrechte angeht – als Autor im Normalfall keinerlei Mitspracherecht genießt. Nun besteht dafür vielleicht auch keine unbedingte Notwendigkeit, schließlich hast du erst mal nichts weiter zu tun, als die Hand aufzuhalten und eine vergleichsweise angenehme Summe einzustreichen. Ärgerlich wird es allerdings, wenn der neue Rechteinhaber – wie in meinem Fall – nicht nur ein abgrundtief scheußliches Cover präsentiert, sondern auch noch einen neuen Titel. Das Cover konnte ich, nicht zuletzt dank der Fürsprache meiner tschetschenischen Cousins, verhindern, die Titeländerung leider nicht. Was deine eigentliche Frage angeht: Meinen Durchbruch hatte ich im Jahr des Herrn 2004, als es mir gelang, im Spiel der studentischen Eishockeymannschaften TU Braunschweig II gegen TU Braunschweig III als Spieler des letztgenannten Teams kurz vor Schluss den Treffer zum völlig unerwarteten 1:1 zu markieren. Gegen derartige Glücksgefühle kommt eine Veröffentlichung bei Heyne ganz einfach nicht an. Ich habe übrigens bis heute noch keinen einzigen Mitarbeiter von Heyne zu Gesicht bekommen. Es gab am Anfang dieser Liaison den Austausch von zwei oder drei elektropostalischen Nachrichten – und das war es dann auch schon. Das mag seltsam anmuten, ist aber, wenn ich denjenigen glauben darf, die schon häufiger mit Großverlagen zu tun hatten, gang und gäbe.

Einigen deiner Leser mag es vielleicht nicht bekannt sein, aber du bist sehr im „linksradikalen Treiben“ aktiv. Was bedeutet das in Theorie und Praxis? Ich stelle mir gerade vor, wie du den Schwarzen Block auf Demos mit peitschenden Gedichten anheizt.

Als regelmäßiger Bildzeitungsleser und Besitzer eines erweiterten Hauptschulabschlusses ist natürlich auch mir schon aufgefallen, dass es ums menschliche Bewusstsein nicht zum Besten steht. Von daher kann die Forderung eigentlich nur lauten: Menschheit abschalten! Und zwar so schnell wie möglich. Wenn ich mir vorstelle, dass die Geburtenrate plötzlich auf null sinken würde, sehe ich viele Probleme hinfällig werden. Beispielsweise bestünde keine Notwendigkeit für Verteilungskriege mehr. Und auch in Sachen Umweltschutz wäre eine derartige Maßnahme ein wahrhaft segensreicher Schritt. Da es aber aktuell nicht so aussieht, als würde die Reproduktion unserer Spezies gestoppt werden können, gilt es sich auch weiterhin mit einer längerfristigen Zukunft zu beschäftigen. Und die soll natürlich irgendwann zumindest die Ansätze einer „freien Assoziation freier Individuen“ präsentieren, schließlich wünsche ich meinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nur das Beste, oder um es mit BLUMFELD zu sagen: „Ich habe nichts gegen Menschen als solche, meine besten Freunde sind welche.“ Linksradikales Treiben ist also unverzichtbar, und sei es nur, um dem eigenen Nihilismus etwas entgegenzusetzen. Für die Praxis gilt: Wer sich nicht wenigstens hin und wieder Momente jenseits des alltäglichen Regelapparats aneignet, verzichtet auf etwas wahrhaft Erfrischendes. Inwieweit sich das mit dem Rezitieren von Gedichten verwirklichen lässt, sei dahingestellt. Zur Verwirrung staatlicher Sicherheitsorgane taugt das Aufsagen sinnentleerter Lyrik allemal.

Bist du eigentlich berühmt? Sprich: Hängst du in Hamburg auch mit Promis wie zum Beispiel mit Michael Ammer ab?

Michael Ammer absolviert bei mir gerade ein Praktikum als Sitzsack. Ansonsten vermeide ich die Begegnung mit Prominenten jeder Couleur, wie ich auch versuche, möglichst selten mit anderen Schriftschaffenden zusammenzutreffen – alles Schaumschläger und Maulhelden. Ich weiß das, bin ja selber einer.

Du arbeitest inzwischen seit einigen Jahren als Schriftsteller und musstest dir vermutlich bereits die unterschiedlichsten Bezeichnungen und Kategorisierungen gefallen lassen. Jedoch, was löst es in dir aus, wenn dich jemand als „Gentleman-Punk“ bezeichnet? Und wie erklärst du dir eine derartige Betitelung?

Ich finde derlei Zuschreibungen eigentlich ganz putzig, speziell den „Gentleman-Punk“. Darüber hinaus lösen sie nichts in mir aus. Wer nicht bereit ist, den Wunsch des Erdenbürgers nach einer sprachlichen Ordnung des ihn umgebenden Irrgartens zu akzeptieren, soll lieber Robben schlachten gehen, anstatt sich auf Bühnen, Papier oder Tonträgern zu produzieren.

Was hat es mit dem recht grässlichen Cover zu „Angsterhaltende Maßnahmen“ auf sich?

Die Coverzeichnung hat der damals fünfjährige Sohn meiner Ex-Freundin verfertigt. Eigentlich zeigt sie „einen Vampir und ein Monster“. Ich habe das Bild allerdings stets so interpretiert, als würde hier ein Punkrocker einem Nazi-Skin gescheit zwischen die Beine treten. Es passt für meinen Geschmack daher ganz ausgezeichnet zum Titel.

Demnächst wird der Ventil Verlag unter dem Titel „Offenbarungseid“ ein Buch von dir herausbringen, das „rare Altlasten“ beinhalten soll. Was sind das für Texte? Ausschließlich alte? Und falls ja, was für Unterschiede weist dieses Material deiner Meinung nach im Vergleich zum aktuellen Stoff auf?

„Offenbarungseid“ beinhaltet in erster Linie Storys aus den beiden vergriffenen Kurzgeschichtenbänden „Affenjagd mit Kim Il Sung“ und „Köfte“. Dazu kommen ein paar Schmankerl aus den Nebenbereichen meiner Produktionsstätte, also Kolumnen, Rezensionen und Ähnliches. Dieses Kompendium begreift sich als Gruß an die Anhängerschar, also an Menschen, die den „heißen Scheiß aus alten Tagen“ schon länger einfordern. Inwieweit sich die neuen von den alten Geschichten unterscheiden, wage ich nicht zu beurteilen. Mir persönlich gefallen ein paar der frühen „Smash-Hits“ nach wie vor.

Wie hoch schätzt du deine Lebenserwartung ein?

Der männliche Teil meiner Vorfahren ist selten älter als 60 geworden, und ich gebe mein Bestes, diese Tradition fortzuführen. Eventuell dauert es also nur noch 15 bis 20 Jahre, bis meine Bücher bei eBay Spitzenpreise bringen, was natürlich nichts anderes heißen soll als: Zugreifen, Leichtmatrosen!

Was steht 2010 für dich noch an?

2010 wird für mich ein Jahr der Kontemplation und der inneren Einkehr. Ich werde mein neues Buch beginnen, nebenher das sich stündlich verändernde Verkaufsranking beim Internet-Giganten Amazon beobachten und still und heimlich darauf hoffen, dass sich die Fußballbegeisterung so vieler gescheiter junger Menschen nach und nach in Luft auflöst. Die Leute geben ja im Normalfall mehr für die Farben ihres Vereins als für die soziale Revolution. Das muss sich ändern. Das wird sich ändern! In diesem Sinne: Venceremos!