Lesen bildet und lesen macht Spaß. Und was liest Mensch am liebsten? Bücher und Geschichten, zu denen er einen Bezug hat. Punkrocker lesen also gerne Bücher, in denen es um Punkrock geht. Und da ist Jan Off nicht weit, einer, der mit Büchern wie „Hanoi Hooligans“, „Ausbruch“ und „Vorkriegsjugend“ seine wilden Punkerjahre auf sehr unterhaltsame und direkte Art mehr oder weniger autobiographisch zu Papier gebracht hat, den man aber auch allenthalben live auf der Bühne erleben kann, allein und auf Poetry Slams. Bisher verpasst? Selber schuld. Und damit das nicht wieder vorkommt hier ein Interview mit dem sympathischen Glatzkopf, geführt mit Vogelgezwitscher im Hintergrund auf der Terrasse des Ox-HQ.
Was ist das für einer, dieser Jan Off, wo kommt der her, warum schreibt der Bücher?
„Also mein Karrierebeginn unterscheidet sich deutlich von dem der meisten Schriftschaffenden, weil ich im Gegensatz zu vielen weder als Kind noch als Jugendlicher geschrieben habe. Ich habe nur immer gerne Briefe geschrieben, und als ich dann das zweite Mal ein Studium abgebrochen hatte und vor der Frage stand, was ich jetzt noch machen könnte, ist mir nichts anderes eingefallen als Schriftsteller. Ich bin sonst künstlerisch eine totale Null, kann weder musikalisch noch gestalterisch was, nur beim Schreiben hatte ich das Gefühl, das könnte was werden, und so habe ich mich mit 24 ganz bewusst und rational dafür entschieden. Ich denke, das unterscheidet mich von vielen anderen, die so einen inneren Drang verspürten, Schriftsteller zu werden, die gar nicht anders können. Ich sehe das ganz nüchtern, das Schreiben ist mein Broterwerb, und wenn du mir drei Millionen auf mein Konto überweist ...“
... könntest du dir auch vorstellen, damit aufzuhören?
„Dass ich nur noch wenig schreiben würde, ja, Briefe etwa. Denn das macht nicht mehr so viel Spaß, wenn man mal fünf Stunden an einer Geschichte gearbeitet hat.“
Selber ein Fanzine gemacht oder so hast du nie?
„Nein, denn ich war schon 24, als ich zu schreiben begann. Und so ein Fanzine fängt man ja in jungen Jahren an. Ich habe nur mal einen Text für meine damalige Punkband geschrieben, aber an den kann ich mich nicht erinnern.“
Apropos Punkband: Wie autobiographisch ist „Vorkriegsjugend“ denn?
„Jaaaaaa ... Es ist schon autobiographisch, aber ich habe mir auch das eine oder andere ausgedacht. Wobei ich manche Dinge für das Buch noch entschärft habe, damit sie nicht so ausgedacht klingen. Da steckt also schon viel Wahrheit drin, wenn auch nicht nur meine.“
Wie lebt es sich in Deutschland anno 2004 denn als Schriftsteller?
„Ich kann fast davon leben und könnte davon leben, wenn ich mich noch mehr einschränken würde, etwa auf Auto und Zentralheizung verzichten. Problematisch ist, dass die Einkünfte nicht regelmäßig eingehen. Ich sollte deshalb mal lernen zu sparen, denn das kann ich nicht, muss ich aber auch nicht, denn ich habe noch ein kleines Restvermögen, von dem ich zehre. Wenn das allerdings weg ist ... Ich hoffe, bis dahin habe ich die Tür zu Hollywood durchschritten.“
Du schreibst also einerseits Bücher und bist andererseits ständig unterwegs, um vor Publikum zu lesen.
„Genau, ich sitze auf einer Bühne und lese aus meinen Büchern. Und ich schreibe für verschiedene Blätter wie etwa die ‚Junge Welt‘. Lieber würde ich aber 50.000 Bücher im Jahr verkaufen und müsste dafür keine Lesungen mehr machen.“
Aber da muss ich intervenieren! Denn auf der Bühne vorgelesen macht ‚Vorkriegsjugend‘ gleich noch mal so viel Spaß. Das ist wie die Platte einer Band einerseits und ein Konzert andererseits.
„Ja, leider, und danke für dieses Lob, das ehrt mich, der ich nie lesen, sondern nur schreiben wollte. Ich höre das häufig, und es macht mich etwas traurig, denn es wäre schön, wenn das Buch auch so für sich allein lebendig werden würde. Ich bin aber auch ein großer Entertainer und habe außerordentliche Vorleserqualitäten, von daher kann ich damit leben, haha.“
Ich habe dich immer im Kontext dieser Social Beat-Szene wahrgenommen, die sich in den Neunzigern entwickelt hat. Trifft das zu?
„Das ist eine ganz zwiespältige Sache. Zum einen bin ich der Social Beat-Bewegung natürlich dankbar, denn so kam ich zu meinen ersten Veröffentlichungen und Lesungen. Ohne diese Festivals hätte ich die ganzen Leute auch nicht getroffen, wäre ich womöglich im Jugendzentrum Nordstadt in Braunschweig versauert. Mich hat bei aller Dankbarkeit aber von Anfang an dieser Ausdruck ‚Social Beat‘ gestört, damit konnte ich gar nichts anfangen. Ein englischer Ausdruck für eine rein deutsche Literaturbewegung? Und das Wort ‚social‘ macht ja wohl jeden fertig. Aber zwei Leute hatten sich damals eben diesen Namen und das Festival ausgedacht und danach wurde man den Begriff nicht mehr los. Als die Sache dann allmählich versandete, war ich sehr froh, diesen Begriff nicht mehr hören zu müssen. Aber dann dachte ich, ich müsste auch mal bei zwei, drei Poetry Slams mitmachen – man muss ja alles mal ausprobieren, das war toll, man konnte in zehn Minuten 500 Leute beglücken – und hatte das dann prompt am Hacken. Das ist wie bei Musikern: Man schleppt so eine Bezeichnung mit sich rum und will doch nur als Individuum wahrgenommen werden, als Jahrtausendkünstler, als Gott! Und jetzt habe ich auch noch dieses Punk-Ding am Arsch, der Begriff ‚trash‘ geistert herum, wenn ich Berichte über mich lesen muss.“
Aber das hilft doch auch, um Publikum zu locken, oder?
„Natürlich, man muss den Leuten ja auch was geben, damit sie wissen, was sie so ungefähr erwartet. Mit den Begriffen ‚trash‘ und Punkrock habe ich jedenfalls kein Problem, mit Social Beat und Slam Poetry hingegen schon. Slams mache ich heute nicht mehr mit, bis auf wenige Ausnahmen. Für Anfänger ist das aber natürlich eine schöne Sache, die haben da gleich ein richtig großes Publikum.“
Ich ...
„Du wolltest mir das Stichwort ‚Verschwende deine Jugend‘ geben, oder? Ich habe das Buch gelesen, direkt als es erschien, denn da tauchen ja auch viele meiner alten Helden auf. Und da stellt sich dann die Frage, was das mit ‚Vorkriegsjugend‘ zu tun hat. Teile davon waren davor schon fertig, das hatte aber eher Kurzgeschichtencharakter, und ich habe mir dann gedacht, dass das alles, was in diesen Interviews erzählt wird, gut und schön und wahr ist, es aber auch noch eine andere Seite gibt, denn all die, die überhaupt nicht prominent oder semi-prominent waren. Die hatten nur eine Dose Bier und sich selber. Und da habe ich dann eben einen Roman daraus gemacht.“
Ist es der Alltag, der die besten Geschichten schreibt?
„Kommt darauf an, was man für einen Alltag hat. Wenn man den ganzen Tag zuhause vor dem Computer sitzt und neue Geschichten schreibt, kann dieser Alltag ja keine neuen Geschichten gebären. Da ich spät zu schreiben begonnen habe, habe ich vorher auch Zeit gehabt, was zu erleben, zu reisen, und heute ergibt sich durch die vielen Lesereisen auch viel Interessantes. Ich bin ja kein Kind von Traurigkeit und mit 36 Jahren Berufsjugendlicher, den Drogen auch zugetan – und das ist ja oft die Grundvoraussetzung für eine gute Geschichte: Es muss erstmal der Rausch her, damit die Angst über Bord geschmissen werden kann, und dann geht man rein in die dunkle Kaschemme – und dann kommt erst das, was man später vielleicht zu Papier bringt. In meinem Fall zumindest. Andere Leute haben ihre Erlebnisse im Wald.“
Leute etwa, die Bukowski schrecklich und ordinär finden.
„Zum Beispiel. Obwohl ich mit dem nicht verglichen werden möchte, da lege ich großen Wert drauf. Das ist mir früher öfter passiert, deshalb sage ich das gleich dazu. Aber ich bewundere ihn schon sehr, auch wenn er mir gesundheitlich schwer geschadet hat: Kaum hatte ich sein erstes Buch gelesen, fing ich an zu trinken. Wenn ich also mit 60 in die Grube fahre, dann weiß ich schon, bei wem ich mich bedanken darf: bei ‚Christiane F.‘, bei Bukowski und vielen anderen Schlingeln. Und ich finde, meine Schreibe unterscheidet sich von Bukowskis doch sehr real klingenden Stories oft durch eine gewisse surreale Komponente.“
Fällt es dir schwer zu schreiben?
„Sehr schwer, denn ich bin Genussmensch, und das Schreiben ist kein Genuss. Ich warte immer noch auf den viel beschworenen Schreibrausch, aber bislang ist mir das noch nie passiert. Ich quäle mir jeden Satz aus dem Kopf, und manchmal sitze ich da eine Stunde und habe nur drei geschrieben. Ich schreibe immer nachts, war schon immer ein Nachtmensch. Da hat man am meisten Ruhe, und außer besoffenen Schriftstellerkollegen ruft einen auch keiner an. Die Sätze sollen ja auch eine gewisse Melodie haben, und so sitze ich da und weiß, was ich schreiben will, schreibe es auch auf, aber es gefällt mir nicht, weil der dritte Satz nicht zu den zwei davor passt. Und dann muss ich lange rumfeilen, bis ich zufrieden bin.“
Wie ist eigentlich das Verhältnis der Autoren aus der, na ja, „Szene“ so untereinander?
„Also das ist weder eine Community, noch herrscht ein wirkliches Konkurrenzdenken, denn dazu sieht man sich zu selten. Es gibt zwar eine gewisse Konkurrenz, aber man neidet eher diesen Pop-Fickeln ihr gutes Auskommen, so Typen wie Christian Kracht, die man nicht kennt, aber wo man das Gefühl hat, denen sei was geschenkt worden, auch wenn es vielleicht nicht so ist.“
Und nervt es dich, wenn ein Typ wie Stuckrad-Barre zur Ikone der Popkultur wird?
„Klar, das nervt wie Sau. Und der einzige Trost ist, dass es sich bei ihm doch um eine andere Zielgruppe handelt, bei einer gewissen Schnittmenge mit meinem Publikum. Und er muss viele Dinge tun, die ich nicht machen möchte, etwa Modefotos für Zeitschriften, die ich nicht mal mit spitzen Fingern anfasse, muss bei jeder Lesung den großen Entertainer geben. Das bleibt mir erspart, und außerdem ist bei ihm die Fallhöhe viel größer. Ich kann ja gar nicht so tief fallen, ich stehe noch mit einem Fuß auf dem Boden.“
Wie sieht es mit literarischen Vorbildern aus?
„Also ich lese natürlich alles, was die Kollegen aus der ‚Szene‘ so machen, aber diese Charts-Bücher von jüngeren deutschen Autoren lese ich ungern, denn die Chance, dass ich mich beim Lesen riesig ärgern muss, ist sehr groß. Da lese ich lieber Bücher von Leuten, die schon tot sind oder aus fernen Ländern kommen. Und vor allem mag ich Bücher, die in so einem altertümlichen Deutsch geschrieben sind, woran ich mich dann auch gerne bediene. Ich finde es reizvoll, eine raue Thematik mit einer etwas altbackenen, barocken Sprache zu verknüpfen, daran habe ich Spaß.“
Was sind deine Pläne für die nächste Zukunft?
„Weniger Lesereisen, dafür ein paar Kurzgeschichten schreiben, an meinem nächsten Roman arbeiten – einem Porno-Roman übrigens – und auf ein Filmangebot für ‚Ausschuss‘ warten, mit mir in einer Nebenrolle.“
Jan, danke für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #113 April/Mai 2014 und Christoph Parkinson