Das Debütalbum von ISOSCOPE ist so ziemlich alles außer langweilig. Melancholischer Post-Pop, wütender Noise oder Dancefloor-Punk. Jeder Song klingt anders. Alle vier Bandmitglieder singen, schreien und flüstern. Vier Menschen, die sich in Berlin zusammengetan haben, um ihre ganz eigene Vorstellung von Krach zu verwirklichen. Und zwar ziemlich DIY – vom Aufnahmeprozess übers Artwork bis zu den Videos. Wegen Corona ist das Quartett aus der Hauptstadt bisher noch keine versierte Live-Band, das soll sich aber jetzt ändern, wie Bonnie (dr) und Philipp (gt) uns verraten.
Wie schwierig waren die Bedingungen, unter denen ihr vor drei Jahren als Band gestartet seid?
Philipp: 2020 lief absolut gar nichts, deshalb haben wir uns intensiv mit den Aufnahmen für unser Album beschäftigt. 2021 hatten wir zum ersten Mal das Gefühl, dass wir als Band aus dem dunklen Proberaum ans Tageslicht getreten sind. Wir haben sogar zwei Clubshows in Berlin gespielt und zwei Festival-Auftritte absolviert.
Bonnie: So blöd die Pandemie auch ist, für unser Album war es eigentlich das Beste, was uns hätte passieren können. Durch die ganzen Kontaktbeschränkungen habe ich zum Beispiel ein halbes Jahr lang nur die anderen von der Band gesehen. Deshalb konnten wir uns auch in unserem Proberaum in Friedrichshain einschließen und intensiv an der Musik arbeiten. Ich weiß nicht, ob das so passiert wäre, wenn jeder sein normales Leben wie vor Corona geführt hätte. So konnten wir das auch alles ohne fremde Hilfe stemmen.
Ihr habt bisher noch keine zehn Konzerte gespielt und trotzdem schon einen Plattenvertrag in der Tasche. Respekt.
Philipp: Die Release-Party für „Ten Pieces“ haben wir im Juli 2021 im Keller vom Haus meiner Eltern in Potsdam vor ein paar Kumpels von mir gespielt. Die hatten aber gar nicht so viel Interesse an unserer Musik, die wollten einfach nur Spaß haben. Meine Eltern sind extra in den Urlaub gefahren, damit wir sturmfreie Bude haben.
Bonnie: Wir saßen an diesem Tag bei Philipp auf der Veranda und hatten schon einen im Tee. Dabei habe ich unsere Band-Mails gecheckt und da kam plötzlich eine Nachricht von Noisolution. Arne hat uns geschrieben, dass er unser Album entdeckt hat und interessiert sei. Und das an dem Tag, als wir es im Netz veröffentlicht haben. Wir hatten die Songs vorher an unsere Freundin Kat von 24/7 DIVA HEAVEN geschickt und die hatte die Mail an Arne weitergeleitet. Wir waren uns mit Noisolution ziemlich schnell einig und haben uns riesig gefreut, dass es von „Ten Pieces“ auch Vinyl und CDs gibt.
Philipp: Das Album war rund drei Monate im Netz, dann haben wir es wieder rausgenommen, um dem Release von Noisolution nicht zu schaden. Ich saß gerade in der Bibliothek und habe fürs Studium gelernt, als ich das gemacht habe. Das ist mir wirklich schwergefallen. Die Aufnahmen wurden dann noch einmal von Stefan Brüggemann gemastert. Soundmäßig war das ein Unterschied wie Tag und Nacht, im Vergleich zum Ergebnis von unserem Gitarristen Konstantin, der das Album komplett aufgenommen und produziert hat. Wir sind wirklich sehr zufrieden damit, wie das jetzt klingt.
Auffällig ist, dass die Songs von „Ten Pieces“ so unterschiedlich sind. Wie kommt das?
Bonnie: Bei dem ganzen Album ist alles vom Songwriting bis zur Veröffentlichung ein Prozess gewesen. Für uns hat sich der Sound in dieser Zeit extrem weiterentwickelt. Außerdem sind wir ein wild zusammengewürfelter Haufen, der privat völlig unterschiedliche Musik hört. Wir haben irgendwann angefangen, uns gegenseitig Playlists zu schicken, damit wir auch den Musikgeschmack der anderen in der Band verstehen. Dazu kommt, dass unsere Songs sehr demokratisch entstehen, das heißt jeder steuert seinen Einfluss bei. Manche Songs stammen zwar aus der Feder eines einzelnen Bandmitglieds, aber die anderen haben stets ihren Beitrag dazu geleistet. Es gibt jedoch auch Songs, die wie eine kleine Reise sind, wo also verschiedene Parts ineinander übergehen.
Woher kennt ihr euch?
Philipp: Wir haben uns über eine Plattform für Berliner Musiker gefunden. Ich wollte schon seit Jahren eine Band gründen, hatte es aber nicht geschafft, weil ich immer nur in Potsdam gesucht habe und nicht in Berlin. Dann ging alles plötzlich ganz schnell. Merle, Konstantin und Bonnie habe ich alle gleichzeitig angeschrieben. Merle und Konstantin haben binnen zwei Stunden geantwortet. Bonnie einen Tag später. Dann haben wir uns Ende 2018 zum ersten Mal getroffen. Und es hat auf Anhieb gut funktioniert, obwohl man sofort gemerkt hat, dass unsere Einflüsse sehr unterschiedlich sind.
Bonnie: Wir kannten uns gar nicht vorher. Nicht einmal zwei Personen untereinander. Wir waren also komplett fremd und hatten einfach Bock aufeinander. Konstantin war zu diesem Zeitpunkt erst seit drei Monaten in Deutschland. Er kommt aus Russland und hatte vorher zwei oder drei Jahre in Tschechien gelebt. Und auch Merle war gerade mal ein halbes Jahr in Berlin.
Worum geht es in den Songs von „Ten Pieces“?
Bonnie: In „Parts“ zum Beispiel geht es darum, dass man Teil eines Gesamtkonstrukts ist. Man funktioniert in der Masse wie ein Zahnrad. Alles läuft, aber du kannst auch ganz schnell ausgetauscht werden. Ich schreibe gerne sozialkritische Texte, wie beim Song „World’s end“. Der handelt davon, dass unsere Welt stirbt und wir uns um die Heilung kümmern müssen, obwohl unser Anteil an der Misere viel kleiner ist als der von vorherigen Generationen. Wir müssen quasi die Suppe auslöffeln und tanzen mit einem sarkastischen Lächeln ins Ende der Welt hinein. Dieses Bild fand ich irgendwie passend.
Ihr seid neben 24/7 DIVA HEAVEN die Mitbegründer des Grrrl Noisy-Kollektivs in Berlin, das sich speziell um die Belange von Musikerinnen kümmert. Welche Rolle spielt ihr in diesem Kollektiv?
Bonnie: Ich habe das Kollektiv mit Kat, Mary und Karo gegründet und dann gleich zu Beginn Merle dazugeholt. Ich habe mit Mary zusammen studiert, daher kennen wir uns. Deshalb hatte sie mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr dieses Kollektiv zu gründen. Und dann haben wir das gemeinsam aus dem Boden gestampft. Ich bezeichne mich in diesem Kollektiv immer als „Jack of all trades“, weil ich überall meine Finger im Spiel habe. Ich fühle mich als die Mutti, die gut organisieren kann.
Hast du selbst auch schlechte Erfahrungen gemacht als Musikerin?
Bonnie: Ich identifiziere mich nicht als Frau, ich bin non-binary. Ich habe zwar selbst keine schlechten Erfahrungen gemacht, aber ich spiele schon gefühlt ewig Schlagzeug, habe mich jedoch vor dem Kollektiv nie auf die Bühne getraut, weil ich da nie Frauen gesehen habe. Mary ist die erste Frau, die ich am Schlagzeug erlebt habe. Wenn einem die Vorbilder fehlen, kommt man einfach schlecht aus seiner Komfortzone heraus. Bei mir war also die Hemmschwelle einfach zu hoch. Deshalb waren diese Jamsessions von Grrrl-Noisy eine große Hilfe für mich.
Neben Gleichberechtigung und Demokratie ist bei euch in der Band auch der DIY-Gedanke sehr ausgeprägt. Wie wichtig ist euch die volle Kontrolle?
Philipp: Für mich hat der DIY-Gedanke keinen großen Stellenwert. Wir haben das alles nur so gemacht, weil wir mussten. Wir hatten aus finanziellen Gründen gar keine andere Wahl, denn wir hatten nicht genug Geld, um ein Studio zu buchen. Also mussten wir das Album einfach selbst aufnehmen. Wenn wir Hilfe angeboten bekommen und wir den Leuten vertrauen, wie etwa Noisolution, dann habe ich auch kein Problem damit, das anzunehmen.
Bonnie: Ich wäre auch nicht traurig gewesen, wenn wir in einem Studio aufgenommen hätten. Andererseits war ich schon froh, dass wir nicht nur eine Woche Zeit hatten, das Album einzuspielen. So haben sich noch einige Dinge im Aufnahmeprozess ergeben, die sonst vielleicht nicht entstanden wären. Weil jeder von uns bei jedem Aufnahmeschritt dabei war, kamen einige sehr gute Anregungen. Das wäre in einem professionellen Studio so gar nicht möglich gewesen. Die vertraute Umgebung war für ein erstes Album genau richtig, denke ich. Merle zum Beispiel hatte ja vorher in keiner anderen Band gespielt. Wir hatten eigentlich auch gar nicht an ein Label gedacht, aber wir hatten einfach Lust, unsere Musik unter die Leute zu bringen.
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