IRON ROSES

Foto© by Ian Jared Bell

Es ist okay, Fehler zu machen

Im Oktober haben THE IRON ROSES ihr selbstbetiteltes Debüt auf Sbäm Records veröffentlicht. Wobei man von Debüt eigentlich nicht unbedingt sprechen kann, da sie teilweise schon vorher beim Soloalbum „Rebel Songs“ von Nathan Gray (BOYSETSFIRE, I AM HERESY) zusammengearbeitet haben und dann als NATHAN GRAY & THE IRON ROSES auf Tour waren. So ist etwas gewachsen, aus dem sich eine feste, gleichberechtigte Band entwickelt hat. Ich spreche im Videointerview mit Becky Fontaine und Nathan Gray über das neue Album, über Punk an sich und über Ängste, die im Rahmen von Political Correctness entstehen können – und einen einfachen Weg, sie zu überwinden.

Ich habe gestern wieder einmal den DIRE STRAITS-Song „Money for nothing“ gehört und dann gelesen, dass er homophob sei. Sänger Mark Knopfler meinte auf den Vorwurf angesprochen, dass der Song auf einer wahren Geschichte beruhe, die er in einem Laden miterlebt hat, und nicht seine Sichtweise wiedergebe. Beim Künstler HR Giger wurde auch nicht behauptet, er wolle Babys töten, weil er solche dargestellt hat. Ebenso wird Sylvester Stallone nicht vorgeworfen, dass er Menschen abknallen möchte, so wie in seinen Filmen. Warum wird zwischen Musik und anderen Kunstformen derart unterschieden?

Nathan: Ich denke, es wird in der Musik oftmals verwechselt, aus welcher Perspektive ein Song erzählt wird oder eine Story entsteht. In dem von dir angesprochenen Stück haben sie gezeigt, dass es Leute gibt, die Rock’n’Roll nicht verstehen, und es aus dieser Perspektive dargestellt. Die Diskussion gab es bei uns auch. Pedro hatte die Idee, einen Song der Band X zu covern und schlug „Los Angeles“ vor. Nachdem ich mir den Text angesehen habe, habe ich gesagt, dass wir das nicht tun können – der Song enthält das N-Wort. Es kommt immer auf die Zeit an. Damals haben sie damit gezeigt, wie schockierend Rassismus ist. Heute kannst du es aber nicht mehr auf diese Weise sagen. Ich finde es aber eine gute Entwicklung, dass in Kunst und Musik zunehmend bewusster damit umgegangen wird, was heute nicht mehr gesagt werden sollte – mit der Betonung auf „sollte“.
Becky: Das ist lustig, wir hatten erst gestern die gleiche Diskussion über alte Punksongs.
Nathan: Auch wenn ich sage, dass ich genau weiß, was sie damit ausdrücken wollten, ist mir nicht klar, ob alle anderen das verstehen. Für unsere Band ist es wichtig, dass unsere Texte ohne Zweifel so verstanden werden, dass sie inklusiv sind, und wir wollen uns auch so ausdrücken, dass solche Irritationen gar nicht erst entstehen.

Nach meinem letzten Interview mit dir, Nathan, gab es Kritik, da ich angeblich falsche Pronomen benutzt hätte – du wärst non-binary und ich hätte die männliche Form genutzt. Allerdings hatten wir über dein Outing als pan/bi gesprochen. Generell kann ich mit Kritik leben, vor allem, wenn sie unberechtigt ist. Es war aber ein gutes Beispiel für viele Leute im Punkrock in unserer Generation. Besonders Männer haben oftmals große Angst, irgendetwas im Umgang mit Menschen aus der LGBTQ-Community falsch zu machen, und sei es nur, die „falschen“ Wörter zu benutzen – und scheuen deshalb den Kontakt. Was denkst du?
Nathan: Erst mal war ich mir ja selbst bei den Pronomen noch nicht ganz im Klaren, als wir vor einem Jahr gesprochen haben. Um aber die Frage zu beantworten, wir können es von zwei Seiten aus betrachten. Wenn Menschen Angst haben, etwas falsch zu machen oder etwas Falsches zu machen, ist das meiner Meinung nach falsch. Stattdessen sollte man sagen, wie man es meint, und sich bewusst zu sein, dass kritische Reaktionen kommen können und man sich diese dann anhört und darüber nachdenkt, statt gleich wieder über eine Cancel Culture zu schimpfen, wie es oft der Fall ist. Wenn man etwas sagt und das Gegenüber meint, das es nicht richtig ist, ist es doch kein Problem zu sagen, dass man es nicht wusste und darüber reden oder diskutieren möchte. Und man sollte einfach offen sein, etwas zu lernen. Meist kommen die Menschen aus marginalisierten Gruppen wie unter anderem die LGBTQ-Community. Wir können alle etwas lernen, wenn wir Kritik annehmen können, und es geht nicht darum, dass wir uns dabei schlecht fühlen sollen.
Becky: Es ist völlig okay, etwas falsch zu machen, was man nicht wusste. Es ist nur nicht okay, das mit Absicht zu tun.
Nathan: Absolut richtig.
Becky: Auch ich benutze beispielsweise manchmal falsche Pronomen und Nathan ist einer meiner besten Freunde, meine Tochter ist trans. Und hey, es ist okay, wenn man Fehler macht oder falsche Pronomen benutzt. Nur wäre es das, wie gesagt, nicht, wenn ich es bewusst tun würde. Wenn ich einen Fehler mache und dafür kritisiert werde, sage ich sorry, nehme es an und mache es das nächste Mal eben anders.
Nathan: Wenn du in deiner Angst gefangen bist, verhärtet es dein Herz ein wenig und macht defensiv, mit der Folge, dass du am Ende gar nicht mehr zuhörst.

Nathan, was ist seit unserem Interview vor etwas mehr als einem Jahr bei dir passiert, bei dem du dich als pan/bi geoutet hattest?
Nathan: Mein Leben hat sich seitdem drastisch geändert. Im Rahmen des ganzen Prozesses meiner Selbstfindung habe ich viele Freundschaften festigen können mit Menschen, die für mich da waren. Und mich von denen trennen können, die es nicht waren. Wenn sich im Leben grundlegend etwas ändert, ist es am Ende gut zu wissen, wo dein Platz ist und wo du hingehörst und mit wem du dich umgibst. Ich habe eine feste Basis an engen Freunden – und das sind so ziemlich alle in meiner Band. Der Rest ist mehr oder weniger weg.

Damals war der Auslöser deines Outings, dass Teile deiner Verwandtschaft Anti-LGBTQ-Posts veröffentlicht haben. Kam danach noch einmal ein Kontakt zustande?
Nathan: Nein. Ich rede nicht mit jemanden, der mich nicht akzeptiert als die Person, die ich bin. Ich hatte ja mein Bestes versucht und es hat nicht geklappt. Dagegen war meine Mutter für mich die Person, die für mich da war. Es war wundervoll!

Wie waren die Reaktionen in der Punkrock-Szene?
Nathan: Als wir mit THE IRON ROSES anfingen, habe ich es über die BOYSETSFIRE-Seiten gepostet, um Fans mitzunehmen. Bis wir realisiert haben, dass ich damit aufhören musste. Ich habe mit Josh von BOYSETSFIRE darüber diskutiert und kam dann darauf, dass wir so etwas wie einen „Mainstream-Erfolg“ haben – und THE IRON ROSES einfach nichts dafür sind. Was eigentlich eine Schande ist. Es ist, als ob du fragst, was RAGE AGAINST THE MACHINE plötzlich einfällt, politisch zu sein. Als THE IRON ROSES haben wir eine starke und fantastische Fanbase und das ist getrennt von der Vergangenheit – in einer sehr guten Art und Weise. Jedesmal, wenn ich versucht habe, etwas von hier nach dort zu transportieren, kam irgendein Arschloch und hat etwas Fürchterliches dazu gesagt. Bei THE IRON ROSES ist es dagegen deshalb total cool, weil jeder, der sich auf uns einlässt, sehen kann, mit wem er es zu tun hat. Bei uns ist auf den ersten Blick ersichtlich, wofür wir stehen. Und mir ist noch wichtig zu sagen, dass es hier nicht um meine eigene Reise geht. Aber ich weiß, wenn ich mich dazu äußere, wie es mir geht, dass sie alle mit ihrer Stimme und ihrer großen Lautstärke in der Öffentlichkeit hinter mir stehen. Ich denke, die Leute sehen das.

Absolut. Warum wurde aus NATHAN GRAY & THE IRON ROSES im Laufe des Jahres THE IRON ROSES?
Becky: Ich habe auf allen Platten von Nathan gesungen. So war es ein ganz natürlicher Prozess. Und als Nathan begann ... das zu werden, was auch immer er jetzt ist ...
Nathan: Haha, genau, was auch immer das ist ...
Becky: Auf Nathans Platten waren die Themen oft die heftigen Dinge, die Nathan erlebte. Es wurde aber von Album zu Album immer weniger, je stärker Nathan wurde und je weniger Nathan noch aufarbeiten musste. Auf „Rebel Songs“ war es noch ein anderes Team. Dann haben wir ein paar Änderungen vorgenommen und die richtige Crew zusammengestellt. Auf unserer Europatour letztes Jahr haben wir gemerkt, dass wir ein Netzwerk von Leuten sind, die zueinander passen – sowohl menschlich als auch kulturell. Wir waren eine Gemeinschaft, in der wir uns alle sicher fühlten. Und so war es ein ganz normaler Prozess, dass wir nicht mehr „Nathan and his backing band“ waren. Wir fingen an, als sechs verschiedene Individuen mit unterschiedlichen Backgrounds, die wir in der Band sind, gemeinsam neue Musik zu schreiben. Es war wunderbar zu sehen, was da von allein passierte – eben dass wir nur noch THE IRON ROSES waren.

Als ich eure neue LP das erste Mal gehört habe, war ich ziemlich überrascht. Nach „Rebel Songs“ habe ich ein fröhliches Rock-Album erwartet – stattdessen habt ihr eine wütende, aggressive und laute Punkrock-Scheibe abgeliefert. Und für alle ist etwas dabei: Punk, Hardcore, Ska, Reggae ...
Nathan: Absolut richtig. Die Phase, als wir zu THE IRON ROSES wurden und darüber geredet haben, war sehr wichtig. Alleine hätte ich das nicht hinbekommen. Es war von vornherein beabsichtigt, dass es eine Punkrock-Platte werden sollte – schnell, wütend, aggressiv. Und wie man hört, hatten wir verdammt viel Spaß und Freude daran.

Sie ist auch sehr politisch. Zunächst ist für mich der Song „The soldier of fortune“ interessant, der Kritik an der eigenen Szene enthält. Was hat es damit auf sich?
Nathan: Es begann damit, dass ich mich darüber aufgeregt habe, dass BOYSETSFIRE auf einem Festival spielen sollten, auf dem auch PANTERA mit ihrem rassistischen Sänger im Line-up waren. Und ich wollte nicht auf derselben Bühne stehen, auf der vorher dieses Arschloch gewesen war. Das war aber nur der Auslöser für den Song. Eigentlich ist das ein Thema für die Punk-Szene – nur schien es keine andere Punkband zu interessieren. Ich war völlig überrascht und fragte mich, wo diese anderen „Punkrock“-Bands waren, die bei solchen Themen sonst immer ganz laut sind, nun aber die Klappe hielten, weil sie oder ihr Label kein Geld verlieren wollten. Vielleicht haben ihnen auch die Manager gesagt, sie sollten sich da nicht positionieren. Der Song beschreibt das ganze letzte Jahr, in dem man manchmal einfach nur noch „Wow!“ sagen konnte.
Becky: Und zeigt, wie relevant es immer noch ist. Es war auch der letzte Song, den wir geschrieben haben, kurz bevor wir ins Studio gegangen sind und noch mal darüber gesprochen haben, was da alles geschehen ist.
Nathan: Bedauerlich fand ich nur, dass mich befreundete Punkbands abblitzen ließen. Aber wenn THE IRON ROSES die Letzten sind, die mit erhobener Faust auf dem Felsen stehen, dann sind wir das eben.

Verrückt war, dass ihr bei der PANTERA-Sache neben Sozialdemokraten und Grünen auch die CSU quasi als „Koalitionäre“ hattet und niemand aus dem Punkrock.
Nathan: Haha, ja. Überall außerhalb der Punk-Szene gab es Proteste, auch von Künstler:innen und Aktivist:innen, die sehr viel investiert haben.
Becky: Ich meine, als Künstler:in habe ich das Privileg, auf einer Bühne zu stehen. Es macht mich wahnsinnig, wenn man bei einer solchen Geschichte diese Möglichkeit dann nicht nutzt, den Mund aufzumachen.

Bei „Raising hell, raing hope“ handelt es sich um ein Arbeiterlied. Was ist der Hintergrund?
Nathan: Das beruht auf dem Streik, der hier vor kurzem stattfand. Der Streik in der Filmindustrie wurde gerade beendet ...
Becky: ... ja, sie haben eine Einigung erzielt.
Nathan: In den USA ist es so, dass du als Arbeiter für jede klitzekleine Lohnerhöhung kämpfen musst. Es ist schade, in einem Land zu leben, in dem es die Menschen scheinbar nicht verdienen, genug Einkommen oder eine Krankenversicherung zu haben, während eben die Besitzer dieser großen Unternehmen Milliarden einstreichen. Es geht einfach darum, dass die Menschen, die die Arbeit machen, genug Einkommen haben sollen, um nicht ihr Haus, ihr Auto oder ihre Gesundheit zu verlieren.

Ihr habt bis jetzt drei Singles vom neuen Album veröffentlicht: „Screaming for a change“, „Old guard“ und „Justify the lies“. Hat die Reihenfolge einen bestimmten Sinn?
Becky: Uns war klar, dass „Screaming for a change“ der erste Song werden musste, da er von allem etwas enthält und zeigt, was du auf dem Album erwarten kannst. Du hast unsere powervollen Gitarren, unsere Harmonien, den Ska-Punk. Ansonsten hat das keinen Grund. „Justify the lies“, das auch als Vinyl-Single erschienen ist, war uns deshalb wichtig, weil es eine Veränderung der Stimmung darstellt.
Nathan: Genau, beim ersten Stück hast du alles, bei den anderen beiden hast du zwei Extreme. „Old guard“ ist ein RAMONES-artiger straigther „Fuck off“-Punkrock Song, während „Justify the lies“ diese Reggae- und Rap-Parts hat.

Ich habe heute den Freestyle-Remix eures Bandmitglieds Philip von „Justify the lies“ gehört, der sehr beeindruckend ist.
Nathan: Ja, der ist fantastisch. Seine Rap-Sachen veröffentlicht er als Eugenius. Und das ist der Grund, warum er bei uns ist. Er war auf „Rebel Songs“ mit an Bord und als ich erfahren habe, dass er Gitarre spielen kann, habe ich gesagt: Du bleibst! Haha.

Kommen wir zu Social Media. Ich kenne keine Band, die aktiver ist als ihr. Wüsstet ihr eine?
Becky, Nathan: Haha, no!

Warum ist euch das so wichtig?
Becky: Es macht verdammt viel Spaß.
Nathan: Ja, an erster Stelle aus Spaß. An zweiter Stelle ist es so, dass wir sehr an uns glauben und überzeugt sind, das Richtige zu tun. Um ehrlich zu sein, haben wir nichts anderes zu sagen, haha. Wir glauben einfach an das, wofür wir kämpfen – wenn wir das nicht konstant pushen, warum sollte es jemand anderes machen?
Becky: Außerdem leben Nathan und ich nur ein paar Häuser voneinander entfernt. Wenn jemand eine Idee hat, können wir einfach schnell rübergehen. Es macht Spaß, wenn wir authentisch sein können, da gibt es keine rigiden Zwänge. So können wir auf eine lustige, lächerliche oder aufregende Weise für uns werben, haha.

Ich nehme an, ihr bekommt viele Rückmeldungen und davon sind so einige negativ. Belastet euch das?
Nathan: Manchmal schauen wir uns das an. Wir sind Menschen und es ist ab und an für ein paar Sekunden hart. Dann denke ich mir, okay, das gefällt demjenigen nicht, und weiter geht’s. Auf der anderen Seite haben wir die Rückmeldungen von anderen, denen es sehr gut gefällt. Dazwischen gibt es eigentlich nichts. Wenn es dir total gut gefällt oder du es absolut hasst, dann bin ich völlig zufrieden.
Becky: Die negativen Reaktionen halten uns aber nicht davon ab weiterzumachen.

Die letzte Frage: Warum erscheint das Album bei Sbäm und nicht bei End Hits Records?
Nathan: Das ist eine lange Geschichte. Ich habe End Hits Records verlassen, bevor die Band zu THE IRON ROSES wurde. Das ist alles. Der Grund für Sbäm ist, dass wir in den USA auf Iodine Records erscheinen und sich Casey von Iodine bezüglich Europa an Sbäm gewendet hat. Es ist toll, weil beide Labels einfach super sind!