IMPERIAL CHINA sind drei Herren aus Washington, D.C., die in Dissonanz und Sperrigkeit ihr musikalisches Heil suchen – und damit mittendrin im (Post-)Punk-Vermächtnis dieser Stadt zu stehen scheinen. Ihr Schaffen erschöpft sich jedoch nicht im Replizieren eines etwas angestaubten Bezugsmaterials. Die Musik des Trios ist ungemein vielfältig, bewegt sich zwischen garagiger Ruppigkeit und flimmernder Schrägheit, bringt sperrige Grobheit und wabernde Weichheit passgenau zusammen – und klingt dabei wohltuend frisch! Die Veröffentlichung des Debütalbums „Phosphenes“ im März 2010 nahm ich zum Anlass, mich mit Drummer Patrick Gough über die Band zu unterhalten.
Was hat eine nordamerikanische Punkband mit dem kaiserlichen China zu tun?
Nicht wirklich viel! Es gibt in Chicago ein Restaurant namens „Imperial China“. Ein Freund unseres Bassisten Brian ging dort öfter hin und wollte den Namen eigentlich für seine Band verwenden. Da die sich im Endeffekt aber für einen anderen Namen entschieden hat, übernahmen Brian und Matt, unser Gitarrist, diese Idee, als sie die Band gründeten.
Eure aktuelle Scheibe heißt „Phosphenes“. Bitte erkläre doch mal diesen eigenwilligen Namen.
Phosphene sind die Lichtmuster, die du siehst, wenn du deine Augen ganz fest verschließt oder reibst. Oder wenn ein Blitzlicht dich trifft, dann siehst du trotz geschlossener Augen noch blaue Punkte. Ich finde es interessant, dass man auch dann Licht sieht, wenn eigentlich keines mehr da ist. Es ist, als würden dir dein Gehirn oder deine Augen einen Streich spielen. Mit unserer Musik hat das allerdings weniger zu tun. Aber für das Albumartwork habe ich Lichtpunkte und Blitzlichter thematisch verarbeitet.
Wie muss man sich den Songwritingprozess bei euch vorstellen? Ist das eher ein demokratischer Prozess, wie es die musikalische Vielfalt nahe legen würde, oder ist jeder Song eine Kopfgeburt eines Einzelnen?
Die Songs entwickeln sich aus einer einzigen Idee – sei es ein Beat, ein Gitarrenriff oder ein Loop – und dann packen wir alle drei gleichberechtigt etwas dazu. Die einzige „Regel“, die wir haben, ist die, dass wir, sobald sich ein Song zu vorhersagbar anfühlt, diesen weiter abändern und zusätzliche Teile hinzufügen. Das macht die Stücke spannender für uns, und hoffentlich auch für die Hörer.
Eure Songtexte sind recht persönlich und von latenter Negativität geprägt. Sind die Lyrics wichtiges Ausdrucksmittel oder notwendiges Übel?
Die Texte stammen von Brian. Aus Unterhaltungen mit ihm weiß ich, dass es darin hauptsächlich um Enttäuschungen geht. Enttäuschung durch Leute, die einen im Stich lassen, Enttäuschung durch Dinge, die nicht die Erwartungen erfüllen, und auch ein bisschen die Enttäuschung durch einen selbst. Aber Brian ist nicht depressiv! Zufriedenheit drückt sich relativ einfach aus, zum Beispiel wenn man mit Freunden zusammen ist oder Sachen macht, die einem wichtig sind. Unzufriedenheit ist dagegen schwer auszudrücken, weshalb ich glaube, dass Brian versucht, dies über die Texte aus sich rauszulassen. Musik ist ein guter Weg, negative Stimmungen in etwas Positives umzuwandeln. Das soll aber nicht heißen, dass wir Emos sind, haha. Die Musik steht an erster Stelle, dann kommen die Texte.
Da „Phosphenes“ in Anbetracht der Tatsache, dass IMPERIAL CHINA erst relativ kurze Zeit existiert, so ungemein ausgereift klingt, kann ich nicht glauben, dass diese Band eure erste ist. Wart ihr vorher schon in Bands?
IMPERIAL CHINA ist Brians und Matts erste Band, mit der sie Platten aufgenommen haben und getourt sind. Die beiden sind aber schon um die 30 Jahre alt, also keine Kids mehr. Sie hatten schon drei Dekaden Zeit, alles, was sie über Musik wissen, zu destillieren. Daher hatten sie schon, bevor sie IMPERIAL CHINA gründeten, eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was sie machen wollten. Ich selbst bin 42 Jahre alt und mache seit 20 Jahren Musik. Ich war seitdem in einigen Bands, zum Beispiel bei PITCHBLENDE, die ein paar Alben veröffentlicht haben und zwischen 1991 und 1995 viel getourt sind. Für mich ist das alles nicht neu. Aber jede Band klingt anders und birgt andere Herausforderungen. Das hält mich bei der Stange.
Dissonante Musik aus D.C.: da lässt es sich beinahe nicht vermeiden, in diesem Zusammenhang die Wörter „Dischord“ und „FUGAZI“ zu erwähnen. Wie groß ist deren Einfluss auf und in der Stadt gegenwärtig, wie groß auf euch?
Obwohl FUGAZI jetzt schon lange inaktiv sind, glaube ich, dass jeder, der über 25 ist und irgendwas mit Punk oder Post-Punk am Hut hat, von FUGAZI beeinflusst wurde; wenn vielleicht auch nur indirekt. FUGAZI haben einen bestimmten regionalen Sound, einen Stil geprägt. Sie sind eine von Matts Lieblingsbands und ich habe sie öfter als jede andere Band gesehen. Es wäre absurd zu behaupten, sie hätten keinen Einfluss auf unseren Sound. Aber auch andere D.C.-Bands haben uns beeinflusst. DISMEMBERMENT PLAN waren großartig und Q AND NOT U haben dieses Dance-Punk-Ding lange vor uns gemacht. Auch einige aktuelle D.C.-Bands sind hervorragende, eigenständige Künstler: CAVERNS, TITLE TRACKS oder MEDICATIONS. Aber ich denke schon, dass Dischord und FUGAZI auch Jahre nach ihrem Höhepunkt noch sehr bedeutsam sind. Sie sind die Referenz, die jeder kennt und versteht. Noch immer eifern viele Leute deren hohem Anspruch nach.
Mir scheint es als wäre man bei Dischord ein wenig zu sehr mit der Verwaltung der glorreichen Vergangenheit beschäftigt und daher ein wenig unaufmerksam für aktuelle Entwicklungen. Würdest du mir da zustimmen? Braucht D.C. eine musikalische Frischzellenkur?
Ich kann Dischord einfach nicht kritisieren. Sie sind Heimat für so viele großartige Bands und haben einen komplett neuen Weg begründet, mit Punk umzugehen. Sie sind seit Urzeiten dabei. Ich kann es verstehen, dass sie es jetzt etwas ruhiger angehen lassen. Viele haben Familie und Verantwortung außerhalb der Musik. Aber die Szene hier ist alles andere als tot! Andauernd gibt es neue Bands und neue Clubs. Obwohl es im Moment extrem schwer ist, ein Label zu führen, nehmen Leute wie Sean Peoples und Hugh McElroy von Sockets und Ruffian Records sich einer Menge experimenteller Bands an, einfach aus Liebe zur Musik. Bands und Labels befruchten sich gegenseitig mit ihrem Enthusiasmus. Das sorgt für ein gutes Arbeitsklima.
Leute außerhalb von Washington sprechen gern von einem ominösen D.C.-Sound. Du als Washingtoner müsstest es wissen: Gibt es den überhaupt?
Ich denke, dass das früher mal so war. In den späten Achtziger, frühen Neunziger Jahren teilten sich so viele Bands die Mitglieder, dass es beinahe unvermeidlich war, Ähnlichkeiten zwischen den Bands zu finden. Wenn Leute vom D.C.-Sound reden, dann meinen sie RITES OF SPRING, FUGAZI, SOULSIDE, HOOVER – so mit Schreigesang, Dub-Einflüssen und all dem. Aber zum Beispiel NATION OF ULYSSES, SHUDDER TO THINK oder JAWBOX klangen überhaupt nicht so, waren aber auch aus Washington. Von „D.C.-Sound“ zu sprechen ist also nur die halbe Wahrheit. Heute taucht der Begriff immer seltener auf, weil die Bands – so wie auch wir – viele verschiedene Sounds ausprobieren.
Welche sind diese „verschiedenen Sounds“, die du meinst? Welche Musik oder anderen popkulturellen Phänomene beeinflussen euch?
Damit meine ich Loops oder Noise: Dinge, die den Songs eine zusätzliche Ebene hinzufügen. Wir haben nichts gegen Bands, die nur mit Gitarre, Bass und Drums spielen. Uns macht es aber mehr Spaß, wenn da noch Geräusche im Hintergrund sind, wie eine Ufolandung etwa, knallendes Metall oder tiefe, puckernde Impulse. Wir haben auch Songs, bei denen wir zwei Drumsets spielen. Es macht Spaß, viel mit Percussion zu machen. Keine Ahnung, ob irgendetwas Popkulturelles uns direkt beeinflusst, aber ich habe beobachtet, dass wir von Journalisten gern mit der BLUE MAN GROUP verglichen werden. Das ist ein wenig befremdlich, weil die am Broadway und in Las Vegas spielen und mehr so eine populäre Zirkus-Performance machen. Aber kann schon sein, dass uns deren Ding irgendwie musikalisch, ästhetisch inspiriert hat und wir es nur nicht wissen.
Was hat Punk und Hardcore im 21. Jahrhundert noch mit der ursprünglichen Idee gemein? Wie sehr fühlt ihr euch persönlich oder als Band dem Ganzen noch verbunden?
Ich hörte 1981 das erste Mal Punk-Musik. Ich war damals 13 Jahre alt und Punk war noch relativ neu. Es gab viele punkbeeinflusste Bands auf MTV. Aber ich bekam schnell mit, dass Punk für unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge bedeutete. Viele Kids benutzten Punk als Ausrede, um sich gewalttätig oder auf dumme Weise rebellisch zu verhalten. Das war nichts für mich. Mich interessierte mehr die humoristische, satirische Seite von Bands wie SEX PISTOLS oder DEAD KENNEDYS. Mir gefiel, dass sie Autoritäten in Frage stellten. Viel von dem frühen Punk- und Hardcore-Zeug war mir auf Dauer aber zu simpel. Ich stand eher auf Bands wie MINUTEMEN und GANG OF FOUR, die die Musik benutzten, um ihre politischen Ansichten kundzutun. Oder HÜSKER DÜ und die REPLACEMENTS, welche die Adoleszenzkrise sehr intelligent und wortgewandt zum Ausdruck brachten. Sie pflegten einen eher künstlerischen Umgang mit Punk-Musik. Nicht, dass ich die RAMONES nicht mochte, aber ihr Zeug wurde doch schnell langweilig. MINUTEMEN dagegen hatten Energie, Lautstärke und Intensität vom Punk, aber auch Jazz-Elemente. Das fand ich immer interessanter. Auch im 21. Jahrhundert gibt es noch Punkbands, die ihre Musik auf ein künstlerisches Level zu hieven vermögen. Ich mag vor allem Bands, die wie normale Menschen aussehen. Bands, die sich verkleiden, kaspern nur irgendwelche Moden nach und sind unglaubwürdig. Das Wichtigste an Punk ist nach wie vor die Community. Wir versuchen daher, uns mit Leuten zu umgeben, die das Ganze nicht der Aufmerksamkeit, sondern eines Ausdruckszwangs wegen machen und gleichzeitig Teil einer Gemeinschaft sein wollen, zusammen arbeiten, Ideen austauschen und Teil von etwas Größerem als dem Selbst zu sein. Obwohl es Punk nun seit 35 Jahren gibt, bin ich dankbar, dass es anno 2010 noch einen solchen Freiraum gibt für Leute wie uns.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #91 August/September 2010 und Konstantin Hanke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #90 Juni/Juli 2010 und Konstantin Hanke