Grenzgänger, softe Oldies, bloß keine Rocker. ILLEGALE FARBEN wissen ziemlich genau, wer sie sind und was sie sein wollen. Offenbar sind sie eine sehr selbstreflektierte Truppe, zumindest erwecken Thomas und Tillo im Gespräch diesen Eindruck. Es gibt Koordinaten, Vorstellungen, Pläne. Das schillernde Schwarz und Weiß ihres Debüts ist einem Grau gewichen, das sich so leicht nicht greifen lässt. Umso spannender ist es zu hören, was für Gedanken das neue Album tragen und ob sich ILLEGALE FARBEN auf „Grau“ so sehr verändert haben, wie es die erste Auskopplung „Kein Problem“ andeutet. Eines gilt jedenfalls nach wie vor: Es darf getanzt werden.
Das ging ja doch schnell mit der zweiten Platte, Wie habt ihr das vergangene Jahr seit dem Debüt erlebt?
Thomas: Das war tatsächlich fließend. Die erste Platte ist im März 2016 rausgekommen und 2015 entstanden. In der Zeit danach sind wir viel getourt. Es war das erste Mal, dass wir eine komplette Platte hatten und auch eine komplette Band waren. Vorher gab es ja noch einen Schlagzeugerwechsel. Wir hatten erst eine Weile das Gefühl, dass alles noch im Entstehen ist. Aber wir haben bald gemerkt, dass wir schnell mit etwas Neuem weitermachen wollen. Wir haben uns intern ein bisschen darüber gestritten, dann aber doch relativ zügig angefangen, Songs zu schreiben. Ein paar waren auch schon da. Es sollte schnell gehen, weil ein Album immer so eine Art Ausschnitt darstellt und man als Band in der Zwischenzeit eigentlich schon wieder woanders ist.
Gab es Fehler, die ihr bei eurem Debüt gemacht habt, die ihr diesmal vermeiden wolltet?
Thomas: Wir sind nicht fehlerlos, aber was andere als Fehler empfinden würden, sehen wir nicht so problematisch, glaube ich. Eine Sache ist jetzt anders gelaufen, das war, die Enge ein bisschen zu öffnen. Es gibt verschiedene Stimmungen auf der Platte. Auch wenn der Gesamteindruck etwas düsterer ist, sind trotzdem sehr poppige Songs dabei. Die sind vielleicht sogar schon hart an der Ox-Grenze, „Frequenz“ zum Beispiel. Ich finde es toll, als Band ein bisschen ein Grenzgänger zu sein. Aber wenn wir in manchen Schuppen spielen, ist es schon seltsam, wenn vorher eine Hardcore-Band auftritt und dann kommen wir. Es ist aber auch cool, dass es trotzdem funktioniert und es Orte gibt, wo so etwas geht und danach noch Technoparty ist. Ich finde es gut, wenn Konzerte nicht so starr auf ein Genre beschränkt bleiben.
Hattet ihr das Gefühl, dass es einen gewissen Druck oder eine gewisse Erwartungshaltung gab, was die zweite Platte betrifft?
Thomas: Ich glaube, was das angeht, waren wir viel schlimmer als alle anderen da draußen. Die Welt hätte es schon verkraftet, noch ein bisschen zu warten. Wir waren diejenigen, die meinten, dass es jetzt gemacht werden muss. Wir funktionieren wohl ganz gut, wenn wir einen gewissen künstlerischen und auch zeitlichen Rahmen für uns abstecken. Wenn du das erste Mal etwas mit einer neuen Band machst, steckst du so dein Gebiet ab, und später fragst du dich, ob du da bleiben möchtest. Man darf nicht denken, dass „Grau“ einfach nur aus Songs bestehen würde, die zu schlecht für die erste Platte waren. Wir haben so ein Blatt Papier gehabt, auf dem draufstand, was wir uns für das neue Album vorstellen und wie wir es angehen wollen. Diese Koordinaten hatten wir beim ersten Mal nicht. Es war eben die Frage, ob man ausbrechen und was ganz anderes machen will oder eben nicht. Wo wollen wir eigentlich hin? Machen wir jetzt eine Folk-Platte ...?
Seid ihr rückblickend innerhalb dieser abgesteckten Koordinaten geblieben?
Tillo: Auf dem Plan standen so Sachen drauf wie: keine Keyboards, drei Gitarren, keine Rockmusik. Auch ein paar inhaltliche Sachen.
Thomas: Ja, was das Gefühl angeht. Wir haben uns eine Stimmung überlegt, die wir einfangen wollten. Der Titel trifft es gut. Die erste Platte war ja sehr von dieser Schwarzweiß-Ästhetik bestimmt und die neue jetzt heißt „Grau“. Nicht mehr nur null oder eins. Auf einmal werden Schattierungen zugelassen. Es hat sich ein bisschen ausgefasert, aber man erkennt uns noch.
Tillo: Wir haben bei beiden Platten eine Art Motto gehabt. Bei der ersten war es: Du gehst nachts durch eine Großstadt. Bei „Grau“ lautet es: Es ist Tag geworden und du gehst noch immer durch die Stadt, kommst zum Beispiel aus einem Club. Das ist ein bisschen was anderes. Ich komme aus der Nacht und habe noch nicht geschlafen.
Thomas: Oder auch: als ob man im Traum fällt und plötzlich aufwacht. Solche Dinge können auf so einem Zettel stehen. Das hat wenig mit der Musik zu tun. Künstlerische Ideen finden auch ihren Weg da rein. Die Bildende Kunst sollte eine Rolle spielen.
Auch der visuelle Aspekt der Band ist euch sehr wichtig, daher habt ihr auch gern künstlerische Videos. Die CD und euer Social-Media-Auftritt sind ja diesmal auch entsprechend düster.
Thomas: Das resultiert ebenfalls aus den gleichen Vorgaben, die auf diesem Zettel stehen. Wir haben zum Beispiel bei der Songauswahl auch nicht unbedingt nur unsere liebsten Songs aus dem, was wir hatten, rausgepickt, sondern diejenigen, die am besten in das Konzept zu passen schienen. Vielleicht gibt es die anderen noch mal in einer anderen Form. Die wurden aussortiert, weil sie nicht reinpassten in diesen definierten Rahmen.
Wie sieht dieser Rahmen genau aus? Das Ganze kam mir auf jeden Fall weniger poppig und melodieverliebt vor.
Tillo: Ich hätte gern eine noch viel düstere Platte gemacht, mir reicht das eigentlich noch gar nicht. Aber ich bin auch der Dark-Head. Ich finde, gerade textlich passiert auf „Grau“ mega viel und es werden düsterere Themen angesprochen. Substanzielle sogar für mein Empfinden.
Thomas: Schau dir die Periode an, in der „Grau“ entstanden ist und was politisch passiert ist. Vor allem für jemanden wie mich, der in den Neunzigern aufgewachsen ist und die ganz schlimmen Sachen noch gar nicht richtig mitbekommen hat. Neulich war ja zum Beispiel der 25. Jahrestag des Anschlags auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen 1991. Um das zu begreifen, war ich damals zu jung. In meiner Jugend gab es in der Linken eine Haltung und eine Kampflinie, aber es war irgendwie einfacher. Wenn man sich jetzt anguckt, wie Menschen mit Flüchtlingen umgehen oder Sachen wie der Brexit oder die Wahl von Trump ... Das ist nicht unbedingt das Kernthema von „Grau“, aber es steckt darin.
Bei dem Text von „Sirenen“ fällt auf, dass der Schauplatz offenbar eine Demo ist, aber eigentlich scheint es hier vor allem um das Zwischenmenschliche zu gehen.
Thomas: Wir schreiben in dem Sinne keine Love-Songs, aber das war so ein Setting, wo so eine Szene passieren kann. Ich habe ein Problem mit großen Menschenmassen und das Setting hat mich interessiert. Es spielt rein, was wir da gerade in Köln erlebt haben.
Tillo: Der Text stammt aus der Zeit, als versucht wurde, einen PEGIDA-Ableger in Köln zu etablieren. Ich glaube, der Song ist nach einer Gegendemo entstanden. Ich war im Gegensatz zu Thomas ja auch schon in den Neunzigern in der Lage, solche Dinge wahrzunehmen. Es kommt mir so vor, als seien diese Meldungen rechter Aktivitäten in den zwei Jahrzehnten davor nicht so präsent gewesen.
Thomas: Es fühlt sich zumindest so an. Es gibt ja auch Stimmen, die sagen, dass es gar nicht unbedingt zahlenmäßig mehr Rechte gibt, aber sie sind organisierter und lauter. Schwer zu sagen, ob das stimmt. So oder so empfinde ich diese Entwicklung als einschneidend.
Tillo: Die weltpolitische Lage spielt solchen Menschen in die Karten. Die Leute haben Angst vor einer Überfremdung, die sie tatsächlich ja gar nicht erleben. Das ist eine nicht zu greifende Angst und ein Nährboden für rechte Gedanken.
Das Motiv des Tanzens kennt man auch schon von „Schwarz“, doch auf „Grau“ taucht es häufiger auf. Ist es vielleicht auch eine Art von Flucht vor dem, worüber wir gerade sprachen?
Thomas: Dass sich das Motiv wiederholt, ist unbewusst passiert. Wenn man mit Leuten Tanzen geht, ist es immer wie eine Weltflucht, ein Kippen in den Wahnsinn aufgrund der Realitäten.
Tillo: Grundsätzlich versuchen wir ja bei aller Düsternis noch Musik zu machen, zu der man auch tanzen kann. Das würden sicherlich alle von uns unterschreiben. Tanzen ist gut.
Thomas: Tanzen ist wirklich gut. Ich glaube, die Bösen tanzen nicht.
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