Zur Szenerie: Joe Cardamone (Gesang) und Aaron North (Gitarre) lümmeln sich im Backstageraum des Münsteraner Gleis 22 herum, nuscheln in mein Mikrophon, reißen mir mein Ox aus den Händen und enthüllen sofort, dass Herr Hiller sich die besten Interviews immer selbst vorbehält. Alvin Deguzman (Gitarre) und Lance Arnao (Bass) wickeln Kräuter in dünne Papierblättchen und halten sich ansonsten vornehm zurück. Jeff Watson (Drums) lässt sich erst gar nicht blicken, dafür aber der Soundtyp, der mal bei LEATHERFACE war, um so öfter: am Kühlschrank mit dem Bier nämlich. Ideale Voraussetzungen für ein Interview also.
Ey, ihr Leute seid noch so verdammt jung, und obwohl einige von euch schon seit Ewigkeiten miteinander spielen, hat es bis zu eurem Full-Length-Debüt sehr lange gebraucht. Warum?
Aaron: Richtig, vier von uns spielen schon zusammen, seit wir sechzehn sind, jetzt sind wir alle um die zwanzig. THE ICARUS LINE gibt es erst seit etwa drei Jahren. Wir haben wie die meisten anderen Bands auch angefangen, indem wir 7“s und EPs aufgenommen haben, und mit ihnen getourt sind. Aber der Hauptgrund dafür, dass es so lange gedauert hat, ist schlicht und einfach: die Leute mochten uns nicht und vielleicht hatten sie auch Angst vor uns. Sie wussten, dass es uns gibt, aber es war ihnen egal. Und eine ganze Zeitlang wollte keiner eine Platte mit uns machen.
Und innerhalb von drei Jahren habt ihr insgesamt fünf Schlagzeuger verschlissen!
Joe: Ja, und warte ab, nach dieser Tour werden es sieben sein, hehe!
Alvin: Sie sind alle verrückt geworden nach einer Weile.
Aber mal im Ernst: Was stimmt mit euch nicht? Wieso will niemand mit euch spielen?
Aaron: Die erste Band, in der wir gespielt haben, die KANKERSORES, wurde durch den Unfalltod unseres Schlagzeugers aufgelöst. Er war ein guter Freund und ein überragender Drummer, und deshalb nur schwer ersetzbar. Von unseren Schlagzeugern verlangen wir, dass sie mit ganzem Herzen bei der Band sind, und dabei entpuppen sich viele als totale Schwachköpfe.
Joe: Es gab eine Zeit, in der wir mehr Geld verloren, als verdient haben, und das haben die meisten nicht mitgemacht. Sie wollten lieber Zuhause rumsitzen und am Computer spielen...
Lance: ... und nicht mit einer maroden Band herumtouren, auf Böden schlafen und Scheiße fressen.
Ihr stammt aus Los Angeles, einer Stadt, die nicht gerade für eine florierende Untergrundszene berühmt ist, sondern eher für Mainstream und Kommerz. Seid ihr da eine große Ausnahme?
Joe: Wir haben mit Kommerz nix zu tun, wir verkaufen ja nicht einmal Platten.
Aaron: Es gibt dort einfach keine Bands, die auf einem Indie-Level spielen. Bands wie TOOL, RAGE AGAINST THE MACHINE, JANE’S ADDICTION oder GUNS’N’ROSES haben da mal angefangen, in denselben Clubs wie wir gespielt, aber schau mal, wo die hingekommen sind. Wir haben keine Szene gehabt, auf die wir uns stützen konnten, keine Gemeinschaft. Wir mussten alles selbst machen. Das ist aber auch nicht schlimm, weil Szenen für gewöhnlich langweilig sind, und immer nur dasselbe hervorbringen.
Wie ist euer Verhältnis zu Buddyhead? Das ist euer Label, aber es gibt auch eine ziemlich ansehnliche Homepage, die schon alleine den Besuch lohnt.
Aaron: Buddyhead ist mein eigenes Label. Ich mache es mit einem Freund zusammen. Es hat als eine Website begonnen, aber wir haben dann beschlossen, auch Platten zu veröffentlichen.
Reden wir mal ein bisschen über eure Diskographie. Eure erste 7“ kam auf Hellcat raus, aber ich finde, ihr passt nicht wirklich auf dieses Label.
Joe: Das waren noch Songs, die wir mit unserer alten Band, den KANKER SORES, geschrieben haben. Ein Freund von uns hat bei Hellcat gearbeitet. Er mochte unsere Musik und hat uns geholfen.
Aaron: Das war leider auch nur eine einmalige Sache. Aber immerhin konnte Joe das Telefon von Epitaph benutzen, um Auftritte klarzumachen und CDs klauen, die wir bei Konzerten verkauft haben.
Ihr habt eine EP veröffentlicht mit dem Titel „Red And Black Attack“. Eingedenk eurer Uniformen und eurer intensiven Liveshows: Gehe ich recht in der Annahme, dass dieser Titel irgend etwas mit euch zu tun hat?
Joe: Schlaues Bürschchen, genau richtig.
Nun ist ja aber die Idee einer uniform auftretenden Band nicht neu. Was waren eure Gründe dafür, euch alle ganz in schwarz und mit einer roten Krawatte zu kleiden?
Aaron: Schau uns doch an, wir sind wie komplette Idioten angezogen, haha. Aber im Ernst: wenn du die Bühne betrittst, wirst du sofort nach deinem Äußeren beurteilt. Trägst du Basketball-Hemden bist du eine Hardcore-Band usw. Unsere Idee war es, niemandem die Möglichkeit zu geben, uns einzuordnen. Wir wollten die Aufmerksamkeit auf die Musik lenken.
Joe: Das hat auch nichts mit Mode zu tun. Wir laufen ja in unserer Freizeit auch nicht so rum, um besonders cool zu wirken. Ich denke, auf Konzerten ist es für die Kids sehr verwirrend, wenn sie es mit langhaarigen Verrückten in Anzügen zu tun haben. Viele kommen damit nicht so klar und sie wissen zunächst nichts mit uns anzufangen.
Und wie seid ihr an Blaze James geraten, der euer Album mitproduziert hat, und vorher für AT THE DRIVE-IN gearbeitet hat?
Joe: Als wir ihn das erste Mal getroffen haben, war er ein ziemlicher Säufer, der versucht hat, seine Band, die zufällig ATD-I war, bei einigen Shows von uns unterzubringen. Er hat jeden Tag angerufen, und wir haben dann zugestimmt und in der Folge fast immer mit ihnen zusammen gespielt...
Aaron: ...bis sie groß geworden sind und uns einfach vergessen haben.
Ihr selbst habt euren Sound mal als „Panic Rock” bezeichnet, man sagt euch nach, dass ihr auch gerne mal die Bühne in Schutt und Asche legt…
Joe:„So ein Bullshit! Wir zerlegen die Bühne überhaupt nicht… nicht immer jedenfalls. Nur manchmal. Das hängt ganz davon ab, welche Stimmung wir an diesem Abend haben, wie das Konzert verläuft, wieviel Schlaf wir hatten, welche Drogen wir genommen haben usw.
Aaron: Wir planen das jedenfalls nicht, es ist nicht wie eine Stuntshow, oder so. Manchmal stehen wir auch nur rum und machen gar nichts. Es wäre ja auch langweilig, wenn wir jeden Abend das Gleiche machen würden.
Okay, mal angenommen, ihr zerlegt die Bühne, welche finsteren Mächte treiben euch dann?
Joe: Hach, die können wir gar nicht alle aufzählen, die finsteren Mächte… Definitiv die Angst vor dem Tod, all die schrecklichen Dinge, die wir in unserem Leben schon getan haben, und die Angst davor, ein gewöhnliches, langweiliges Leben zu führen. Ich kann hier nur für mich sprechen.
Aaron: Viel hängt auch von uns ab, wie wir aufeinander wirken. Stell dir vor, du sitzt dreizehn Stunden lang in einem Bus, Unmengen von Bier um dich herum, kein Platz zum Schlafen oder um sich richtig zu bewegen, Abgase wehen durch den Bus, so dass du nicht atmen kannst. Aber wenn du dann aus dem Bus steigst, dann möchtest du dich erst einmal bewegen und den Dämonen freien Lauf lassen.
Dann habt ihr es in Deutschland aber gut, hier müsst ihr keine dreizehnstündigen Autofahrten auf euch nehmen.
Aaron: In unserem Bus dauert jede Fahrt mindestens dreizehn Stunden!
Joe: Der kann nur 40 km/h fahren.
Das lasse ich jetzt mal unkommentiert... „Mono“, euer erstes Album, habt ihr schon im Frühjahr 2001 aufgenommen. Wann wird es denn mal endlich einen Nachfolger geben?
Aaron: Wir haben schon einige Songs geschrieben und arbeiten auch noch immer daran. Nur haben wir leider noch kein Label, das sie veröffentlichen würde. Crank, bei denen wir ‚Mono‘ veröffentlicht haben, haben kein Interesse, und wir haben auch keinen Vertrag mit ihnen. Wir machen jetzt erst mal diese Tour und hoffen, dass uns irgendwer Geld gibt, um ein neues Album aufzunehmen. Aber wir haben noch keine konkreten Pläne.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #47 Juni/Juli/August 2002 und Christian Meiners
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #122 Oktober/November 2015 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #115 August/September 2014 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #72 Juni/Juli 2007 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #44 September/Oktober/November 2001 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #54 März/April/Mai 2004 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #110 Oktober/November 2013 und Ingo Rothkehl
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #99 Dezember 2011/Januar 2012 und Christian Meiners