Humpataanko Suomessa?

Foto

Finnland - ein Szenebericht

Wir sind beim Thema „Musik in finnischen Breiten“, denn getreu dem Motto „Die spinnen, die Finnen“ steppt auch jenseits der Ostsee gewaltig der Bär. Hin- und her hab ich mich gewunden auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, wie solch ein Text hier aufzuziehen wäre. Rein geschichtlich eine Analyse über die Musik in Finnland zu geben, kann sicher auch ganz effektiv sein, wohingegen dabei jegliche Regung essentieller Unterhaltung auf der Strecke bleibt. Pure biografische Dateien rund um das große Rätsel Ton durften wir schließlich beim Musiklehrer mit der Wanderbeule oftmals auf unserer nicht immer funktionierenden Festplatte zuhauf abspeichern. Allerdings gibt es genügend Gestalten, die alles über Musik zu wissen scheinen, oder dies in ihrem Leben als Maxime vorangestellt haben. So stellt sich hier wiederum die Frage, was wohl diese Erkenntnisse für einen Sinn und Nutzen in unserem beschränkten Erdendasein mit sich bringen?

Zumindest saß ich mal in Turku, in einem Pub, im „Bristol“, dessen Eigentümer 14-tägig einen Wettbewerb veranstalten, der sich auf die ganze Welt des Klanges ausweitet, sich nicht auf bestimmte Epochen reduziert und damit den antretenden Teams richtig harte Nüsse vorsetzt, die diese zu knacken scheinen. Fragen wie zum Beispiel die nach dem Titel der Platte, die 1967 erschien und auf Seite B den Song „Wake me up when it‘s time to lift my balls“ enthält, sind dann noch recht einfach ...
Aber zurück zum Anliegen meines Textes: die finnische Musik, zumindest jene, die vielleicht den einen oder anderen Leser interessieren dürfte, sofern nicht schon alle potentiell Neugierigen bei meinem an Gewäsch reichen Vorwort gescheitert sind. Vollständigkeit ist hier nicht Sinn und Zweck der Übung, auch keine dilettantischen Ausführungen über strukturelle Zusammenhänge ...

„Das hier passt gut zum Einstieg“, meint der Dealer eines finnischen Musikgeschäfts auf die Frage „Was ist denn nun typisch finnisch?“ und kramt von ELÄKELÄISET die „In Humppa We Trust“ raus, eine der ersten Platten der Band. ELÄKELÄISET sagt ja wohl jedem was. Die Mischung aus Humppa & Alkohol hat exakt den Nerv der Konsumgesellschaft getroffen, große und zahlreiche Deutschlandtouren beweisen dies eindringlich. Die wohl unprofessionellste Band mit dem größtmöglichen Erfolg, obwohl die letzten Aufnahmen wesentlich professioneller daherkommen als ihre vorherigen Scheiben. Das Thema Cover-Versionen auf Humppa mit finnischen Texten scheint mit den neueren Platten auszulaufen. Noch vor kurzer Zeit war es so, dass die Band, eher ein Projekt aus vielen Musikern, ohne zu proben ins Studio wankte, dort die Noten vorgesetzt bekam, sich ordentlich zuzog, um dann die Record-Taste zu drücken. Um ELÄKELÄISET bilden sich viele Legenden. Beispielsweise erlaubte es die Größe des Orchesters, gleichzeitig zwei Gigs zu spielen, einen auf einem Festival in Finnland, einen zweiten auf dem Wacken Open Air. Checkt einfach mal die Website der Band: www.humppa.com. Dort ist unter anderem die Rede von geheimen Landkarten, von Alkohol-Verstecken, die die Band für Fans und Freunde anlegt, wenn sie auf Tour ist. Und wer es noch nicht wusste, „eläkeläiset“ heißt nichts anderes als „Rentner“ oder „alte Leute“.

Aber es gibt doch noch mehr aus finnischen Landen, womit der Durchschnittseuropäer was anfangen kann. Zu den größten Namen, die dieses Land hervorgebracht hat, zählen nun mal auch Ville Valo mit seinen HIM, die ebenso in Finnland wie bei uns einen wahnsinnigen Erfolg bei den Acht- bis Zwölfjährigen haben. Schmusepop und Kuschelbeats auf nunmehr vier Alben, große Konzerte, mit dem Hauptsponsor Clerasil im Rücken, bringen HER und Sängerin Pille Palle ganz nach vorn, genau in die Herzen derer, die bereit sind, vor Villes Haustür ihre Zelte aufzuschlagen. Er ist begehrt, ebenso wie die Plätze, an denen er wandelt. So ist Bar Loose, ein Rock‘n‘Roll-Schuppen in Helsinki, der als Treffpunkt vieler Musiker gehandhabt wird, auch als eine seiner Stammkneipen bekannt, was den einen oder anderen Touristen rein zufällig dorthin verschlägt, um bei hohen Bierpreisen einige Stunden zu verwarten und dann doch wieder enttäuscht zu entschwinden, aber zumindest mit einem Hauch Valo in der Lunge ...

„Bleiben wir doch gleich mal in der Kneipe“, meint unser Dealer und kramt eine ganze Menge Scheiben von den dort verkehrenden Musikern raus. Illustre Namen wie THE MUTANTS, die ihre Kreation auf dem noch frischen Werk „Voodoo Blues“ als Afro-Garage-Mambo-Musik bezeichnen. Die Bezeichnung „instrumentale Beatmusik“ wäre bei diesem Mix von Garage, Funk, R‘n‘R mit irgendwelchen Heavy-Einflüssen zu kurz gegriffen.
Als nächstes dringt was von THEE ULTRA BIMBOOS in mein Ohr, luftiger, Sixties-lastiger Gitarrenpop, der von vier bildhübschen jungen Damen zusammengeschraubt wurde, und sich auch in Europa wachsender Popularität erfreut. BRANDED WOMEN schiebt er gleich hinterher, auch eine Damen-Band. Deren männlicher Schlagzeuger hatte sich mal bei BABYLON WHORES betätigt und bezeichnet das als seine Metal-Vergangenheit. Stattdessen gibt er jetzt zu verrauchten, leicht jazzigen Arrangements den Takt an, auf sehr entspanntem Niveau, mit einer erotischen Kehle am Mikro, passend für des Nächtens geöffnete Etablissements. Das gefällt mir ...

Schon liegt die nächste Scheibe im Player, „Andromeda Airport“ von THE HYPNOMEN, orgelgeschwängerte Beatmusik, auch fast rein instrumental. Gestandene Musiker, wie man mir sagt, passen ebenso wie BRANDED WOMEN gut in verrauchte Nachtklubs. Wenig später hatte ich die Gelegenheit eben diese Band zu sehen. Allerdings waren an genau demselben Abend zwei andere Instrumental-Bands in Helsinki unterwegs: LAIKA & THE COSMONAUTS und AAVIKKO. Erstere sind weltweit als eine der einflussreichsten Bands auf dem Surfsektor bekannt – Musiker wie Al Jorgensen von MINISTRY wurden mal nach ihren Top 5 befragt, was dieser mit einer Aufzählung von fünf Alben der Finnen beantwortete –, letztere erfreuen sich ebenso einer ungemeinen Popularität aufgrund ihres schwer in Worte zu fassenden, experimentell psychedelischen Instrumentalsounds.

Dann versucht mein Plattendealer mir HEAVEN AND HELL unterzujubeln, eine Heavy‘n‘Roll-Combo, deren Sound mir einfach zu poppig und für‘s Musikfernsehen angelegt ist. Nein, nicht wirklich ... THE ROLLSTONS mit ihrem Pop-Rock kommen da auch nicht so gut weg bei mir. RITE knallen da schon besser, diese auf ENTOMBED-Pfaden wandelnde Thrash-Rock-Kapelle bringt die Muskeln in Bewegung, wenn auch nicht mit sonderlich neuen Einfällen, so doch ganz nett anzuhören. Mit den DEADBABES spielt er wahrscheinlich auf meine schwarzen Socken an, denn das ist eindeutig was für romantisch verklärte Schwarzkittel, die Synthie-Pop bevorzugen und auch schon mal was von DEPECHE MODE gehört haben. Na ja, auch nicht ganz so mein Fall. Dafür aber KOMETA, deren Sound wieder was ganz frisches ist, ein Mix aus Rock‘n‘Roll, Metal und Hardcore, was sich in der Beschreibung nicht wirklich aufregend anhört, aber auf Scheibe und live einfach einzigartig ist. Die Band gewann 2002 den vom Sue-Magazin gestarteten Demo-Wettbewerb und konnte daraufhin die MCD „Gravy“ veröffentlichen, eine Scheibe, die ich mir unzählige Male schon vor Ohren geführt habe.
Ach, die spielen auch bei CLEANING WOMEN? Das ist ja wohl das abgefahrenste, was mir der Geldschneider am anderen Ende der Theke aufzutischen sucht. Industrieller Sound, drei Typen, die sich „Die Putzfrauen“ nennen, was von KRAFTWERK im Repertoire haben, aber dafür keine richtigen Musikinstrumente. Wie jetzt? Unverzichtbare Gegenstände aus dem Haushalt werden hier regelrecht missbraucht, um Töne zu erzeugen: Wäscheständer, Trockenleinen, weiß der Geier was noch ... Ich bin platt. Artrock vom Skurrilsten. Um meinen Herzkollaps ein wenig rauszuzögern, gibt‘s zur Abwechslung die SCREAMIN‘ STUKAS, eigentlich aus Lahti, auf die Lauscher, die in Finnland nur unter TEHOSEKOITIN bekannt sind, dort allerdings in den Top 10 der finnischen Charts ihr Unwesen treiben, mit „A Lotta Rhythm“ auf den europäischen Markt zustreben und dabei auch recht erfolgreich sind, wenngleich ihre musikalischen Vorlieben im Glamrock mit starker 70er Prägung liegen. Was für die Girls, würde ich spontan mal behaupten.
Die HURRIGANS, eine der wohl populärsten Bands der 70er und 80er in Finnland, waren ein großer Einfluss für die STUKAS, spielten sie doch während ihres zehnjährigen Bestehens klassischen „Baby, Baby“-Rock‘n‘Roll. Nur noch eines der Mitglieder ist jetzt noch am Leben, die anderen verendeten am harten Alkohol – was sonst, sind ja Finnen. Ihr 75er Werk „Roadrunner“ zählt zu den Klassikern des Genres, nicht nur in Suomi. Auf dem Album ist ein Song namens „Get on it“ enthalten. Eine Legende besagt, dass der Song spontan entstand, da noch Platz auf der Platte war, der Drummer gab den Beat vor, wies seine Kollegen an, so und so zu spielen, sang selbst irgendwelche Lyrics ins Mic, die ihm so in den Kopf kamen, obwohl er des Englischen unmächtig war, und die Aufnahme lief. Fertig.
Ebenso zu den Top‘n‘Rollern zählen die FLAMING SIDEBURNS, richtige Rockstars, deren skandinavischer Rock‘n‘Roll langsam dem Hochglanz zu weichen droht.

„Ok, ok“, muss ich meinen Händler bremsen: „Das ist ja alles schön und gut, aber doch auch noch sehr westlich orientiert. Gibt‘s denn was, das in unseren Breiten keine Sau kennt und in Finnland ganz groß ist?“ „Kein Problem“, strahlt mich Mister X an und schmeißt mir DON HUONOT an den Kopf, eher schlichten Rock, wenn auch kräftig in Aussage und Umsetzung und mit rein finnischen Texten. Die Band hat sich allerdings nach langjähriger Publikumstreue von den Bühnen dieser Welt verabschiedet – im Oktober des letzten Jahres, im Tavastia zu Helsinki, einem der besten Clubs in ganz Finnland, bei einem dreitägigen Abschiedskonzert, das wirklich jeden Tag richtig ausverkauft war. Kennt in Deutschland echt keine Sau. KOTITEOLLISUUS schiebt er gleich hinterher, mal was Hartes für die Löffel. Dieser Dreier aus dem Osten Finnlands gibt einen leicht an GOREFEST erinnernden, kraftvollen Tritt ab, mit einer extrem auf den Text ausgerichteten Komponente. Meine Finnisch-Kenntnisse reichen jedoch nicht wirklich aus, um mich interpretierend an Themen rund um Tod und Leben zu wagen.

Um meine mittlerweile runtergeschraubte Laune noch weiter in den Keller zu treiben, natürlich mit ‘nem fleischerartigen Grinsen (mein Händler saß übrigens für das Mad Butcher-Cover von DESTRUCTION Modell), drückt mein Unterhalter erneut auf die Play-Taste. HANOI ROCKS heißt die Kreation. Mein zurückliegendes, aus baltischem Brathering bestehendes Frühstück beginnt den Versuch einer Wiederbelebung. Zu oft sind mir die Namen Andy McCoy und Michael Monroe durch die finnischen Medien untergekommen, nahezu täglich erfährt man die neuesten Klatschgeschichten aus Presse, Funk und Fernsehen. Glam-Scheiße aus den 80ern, die sich immer noch einbildet, angesagt zu sein. Seltsamerweise sind die SCORPIONS in Finnland auch noch populär.

„Das reicht“, versuche ich meinem Geschäftspartner zu vermitteln. Ich verlasse den Laden, um ein wenig frische Luft zu saugen. Nach meiner Rückkehr stapeln sich schon wieder die Tonträger vor mir auf. Die Fische schlafen wieder, also kann ich mich den dem ersten der drei Türme widmen. SWEATMASTERs „Sharp Cut“ liegt oben auf, in Finnland ebenso wie in Rest-Europa ein ganz heißes Eisen. Schnörkelloser, kraftvoll präziser Rock‘n‘Roll, der in die Knochen geht. BOOMHAUER – ein weiteres Trio – verfährt ebenso, wenn auch die Kreationen sich nicht an Wiederholung erschöpfen, sondern kurze, gezielte Bolzen sind, die, sobald eine Idee ausgeschöpft ist, einfach beendet werden. Ihr erstes Album „Wild Human Condition“ ist vollgestopft mit Songs, dafür aber nicht mal eine halbe Stunde lang, dennoch nehme ich die Scheibe sofort mit. Um die Wirkung von Trios zu unterstreichen, legt er „Turkele“ ein, das neueste Werk der wiederauferstandenen DEEP TURTLE. Abgefahrener Noise-Rock, melodische VOIVOD mit spanischen Lyrics, mit jazzigen Einschüben und unterschwellig grandiosen Melodien.
In diesem Zusammenhang werde ich darauf hingewiesen, dass ein gewisser, bei DEEP TURTLE mitwirkender Pentti Dassum ein Label namens Zergo betreibt, DIY natürlich, dabei seine Finger noch in anderen illustren Sachen versteckt hat, wie beispielsweise ASTRO CAN CARAVAN und TRANSKAAKKO, orchestrale Geschichten mit jazzigem bzw. folkloristischem Hintergrund. Sehr empfehlenswert. Oder auch KROKO, ein instrumentales Progressive-Rock-Trio. Mit Zergo unterstützt er nebenbei jede Menge schräger Bands, meist aus dem eigenen Land. Ein über das Label herausgebrachter Sampler wie „Cabaret Nocturno“ spricht Bände, aber zeugt dennoch nur von der Spitze eines Eisberges. FUN (Noise-Rock), TORPEDOS (Folk‘n‘Roll), CAUSE FOR EFFECT (Fusion Grindcore), KEUHKOT (Trash/Garage), MOTHERS AGAINST SEX ASSOCIATION (Industrial/Noise-Rock) oder MANIFESTO JUKEBOX (Hardcore) sind hier aufgeführte Vertreter.

Doch weiter in Turku. Bunt ist das Leben in der Musikszenerie. Clubs gibt‘s jede Menge in der Stadt mit ihren 170.000 Einwohnern, Bands ebenso. Allerdings haben sich die Lager gespalten bzw. berühren sich nicht weiter, was vor zehn Jahren noch anders war. Jeder hatte mit jedem zu tun, egal ob Blutwurst-Spekulant oder Irokesen-Häuptling. Mein Dealer greift auf seiner musikalischen Reise gleich was aus dem zweiten Stapel raus, den er mir vorbereitet hat. Was ganz altes. „Yeah“ heißt die Scheibe und stammt von XYSMA. Kenn ich, hab ich. Death-Metal, wenn auch nicht auf europäischem Standard. „Grey Misery“ von DISGRACE gleich hinterher, auch ganz schönes Gebolze. 10.000-mal hat sich das Ding verkauft, so oft wie keine andere Scheibe der Band, die in der Folgezeit eine Metamorphose durchlief, ähnlich wie XYSMA. XYSMA gibt es nun leider nicht mehr. Die stetige Entwicklung hin zu Elvis-lastigem Rock‘n‘Roll kulminierte mit dem letzten Album „Girls On The Beach“, welches allerdings nur schlappe 500-mal erschien, nie international gepresst wurde und von daher nur in Finnland erhältlich war. Highlights der Band waren Alben wie „De Luxe“ und „Lotto“. Nachfolgebands sind MANNHAI (Stoner-Rock/Metal mit AMORPHIS-Typen) und TROUBLE BOUND GOSPEL (räudiger Turku-Trash-Punk). DISGRACE sind immer noch am Start, mit „Born Tired“ legte man dieser Tage nach sechzehn Jahren Bandgeschichte das nunmehr fünfte Studioalbum neben einer Menge Singles vor.
Dann sind mir noch die dem nordischen Black-Metal verfallenen Emos von CALLISTO im Ohr haften geblieben, die auf Fullsteam Records ein erstes kleines Album veröffentlicht haben. Selbiges Label hat unter anderem auch DISCO ENSEMBLE im Angebot, die verdammt viel Ähnlichkeit mit hiesigen TOUR DE FORCE haben, abgerundeter New-School-HC mit leichtem AT THE DRIVE-IN-Touch. Oder auch die Kuschelrocker DEEP INSIGHT oder die recht populären, aber weniger aufregenden Punks NO SHAME ...

Finnland ist ein Land des Heavy Metal. Fast jedes Dorf hat eine Metal-Band. Metropolen sind unter anderem Oulu, die Hauptstadt des Nordens, oder Kotka, Seinäjoki. Städte eben, die auch ein Stück in der Abgeschiedenheit liegen. Als zu Beginn der 90er der schwedische Death-Metal eine weltweite Euphorie auslöste, hat es in Finnland schon ebenso lang geköchelt. XYSMA, DISGRACE, CONVULSE sind beispielsweise Bands, die in diesem Zusammenhang ans Licht traten. DEMIGOD oder LUBRICANT ebenso, leider auch nicht mehr existent. BEHERIT, anfangs stupides Staubsauger-Imitat, oder IMPALED NAZARENE tauchten im Zuge der Black-Metal-Welle auf und sorgen seither mit herben, primitiv faschistoiden Statements für erbitterte Kontroversen. Während viele mit Schnelligkeit und Brunftgegrunze auf der Suche nach dem Extrem waren, gab es Combos wie THERGOTHON, die so langsam wie nur möglich spielten. Unheimlich finsterer Doom, vergleichbar mit UNHOLY, jedoch böser, als alle anderen es jemals sein könnten, Doom/Black-Metal aus den Tiefen finnischer Wälder in der lichtlosen Zeit des ewigen Winters.
GOD FORSAKEN muss man in diesem Zusammenhang nennen, die in den frühen 90ern als PUTRID starteten und doomig genug waren, um die Szene-Kriterien zu erfüllen. Ebenso SPIRITUS MORTIS, die seit Mitte der 80er zum klassischen Doom tendierten und dieser Tage ein erstes richtiges Album veröffentlichten, übrigens auf Firebox Rec. aus dem Norden Finnlands, die sich auch TOTAL DEVASTATION angenommen haben. Dicker fetter Industrial-Death-Metal von sechs Musikern, die nebenbei noch in vielen weiteren Bands ihr Bedürfnis nach Inzucht ausleben, so in OMNIUM GATHERUM (bombastisch angelegter, niveauvoller Black/Death-Metal) oder KAIHORO (hammergeiler, südstaaten-infizierter Kiff‘n‘Riff-Rock) und diversen anderen, kleinen Projekten.

Der dritte Stapel wird jetzt angerissen. Grobes Thema: „Bad Vugum, Hot Igloo“ und der Rest der Welt. Getreu dem Motto „Was in Finnland gut läuft, kann dem Rest der Menschheit nur Schaden zufügen“ gibt es seit 1987 das Label Bad Vugum im Norden Finnlands. Fortan glänzte man mit einer Reihe von Veröffentlichungen, die das Label bald zur „alternative voice of Finland“ machten. Schräge Vielfalt und unkonventionelle Sounds zeichnen das Label aus. Die musikalische Bandbreite ist dermaßen stark gefächert, dass es einem schwer fällt, hier konkrete Auswahlkriterien anzuführen. Auffallend ist aber, dass die meisten Bands aus den Provinzen im Osten und Norden des Landes stammen. Vor kurzem dann ein Bruch. Fortan gibt es Hot Igloo und Bad Vugum. Erstere konzentrieren sich auf RADIOPUHELIMET, die seit ungefähr 20 Jahren existierende und wohl populärste finnische Alternative-Band. Bad Vugum ist durch die Trennung fortan in Helsinki beheimatet. Der jetzige Inhaber führt die Philosophie des Labels weiter. Bad Vugum brachte Bands wie die schon erwähnten AAVIKKO und CLEANING WOMEN ans Licht der Öffentlichkeit, ebenso KEUHKOT oder DEEP TURTLE. Ferner kann sich der Interessierte mit experimentellen Sounds à la SWEETHEART oder CIRCLE auseinandersetzen. Letztere sah ich auf einem Konzert in Helsinki, zwar an einem Sonntagabend, aber dennoch aufnahmefähig genug, um mir diese arhythmischen Soundkonstrukte anzutun, die sich zu ungemein fesselnden, gewaltigen Klangkörpern entwickelten.
MIESKUORO HUUTAJAT, ein Männerchor mit wechselnder Anzahl von Sängern, zeichnet sich dadurch aus, disharmonisch mit rhythmisch gebrüllten Textfragmenten Liedgut der verschiedensten Nationen wiederzugeben – eindrucksvolle Stimmgewalt pur. COSMO JONES BEAT MACHINE (jetzt auf Hot Igloo) könnte man als Verkörperung finnischen Country-Lifestyles bezeichnen, was allerdings die Einzigartigkeit und Originalität eben dieser Band schwer verletzen dürfte. Viele verschiedene Singles erschienen auf Bad Vugum und sind mittlerweile nahezu ausnahmslos schwer gesuchte Raritäten, von denen in Europa kaum eine Spur zu finden ist und die in Finnland zu horrenden Preisen gehandelt werden.

Langsam verliere ich den Überblick ... Eine Reihe weiterer Namen folgen, ich kann‘s mir kaum noch merken. JOLLY JUMPERS, CAN CAN HEADS, CHAINSMOKER, oder auch TERVEET KÄDET, die 1979 eine Single veröffentlichten, die das bot, was Anfang/Mitte der 80er aus England rüberschwappte und diese DIS-Manie auslöste. Knallharten Crust/Hardcore. Die erste DEAD KENNEDYS wurde seinerzeit als die schnellste und härteste Platte der Welt bezeichnet, die erste SLAYER oder auch die erste METALLICA sollten ebenfalls in dieses Horn stoßen, doch diese Single kam 1979 heraus und ist härter. Apropos Härte: Schon kommt die nächste Tonträgerlawine angerollt: VALSE TRISTE (Hardcore-Pioniere), IRRITATE (Grind), ROTTEN SOUND (eine der geilsten Prügel-Bands ever), DEEP RED (Death-Metal amerikanischer Prägung), SLUGATHOR (Old-School-Death-Metal). ENDSTAND hätten wir fast vergessen, eine der geilsten und aktivsten Bands im HC.

Ich habe langsam genug, meine Aufnahmefähigkeit neigt sich dem Ende entgegen. Mir ist jetzt eher nach was Süßem, nach ‘nem Dessert. Kaum bekunde ich meinen Gemütszustand kramt der Dealer auch schon in den nostalgischeren Schubläden. Tango und Humppa will er mir antun, von bis dato nie gehörten Interpreten. Zumindest mag er mich in die Hintergründe finnischer Musikgeschichte einführen.
Tango kam offenbar in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges auf und hielt sich als wichtigste Populär-Musik bis Mitte der 60er. Wer dabei jetzt an lateinamerikanische Ausgelassenheit denkt, ist hier auf dem Holzweg. Der finnische Tango ist deshalb so wichtig für Finnland, weil seine melancholische Ausstrahlung die Tiefen der finnischen Seele zeigt. Weite Wälder, karges Licht, Kälte und Einsamkeit spiegeln sich in diesem Tango wieder. Humppa hingegen ist die finnische Version der Polka, so mutmaße ich einfach mal, und spielt in der Neuzeit eine eher gehobenere Rolle im Werk von ELÄKELÄISET.

Da mein Gastgeber der letzten acht Stunden meine Erschöpfung bemerkt, hält auch er nun langsam inne, und entlässt mich mit einem Stapel Material, von dem ich noch lange zehren kann. Schließlich war es sein freier Sonntag, der nun auch im Arsch ist. Wie als Strafe auf meine Neugier begreife ich die Tatsache, dass, als ich mich wenig später im SUE-Office wiederfinde, mir eine wirklich große Tüte randvoll mit CDs hingestellt wird, die alle den Demo-Status innehaben und nach den Kriterien von Radio Demo als nicht dem finnischen Qualitätslevel entsprechend ausgesondert wurden. Freie Verfügung wurde mir zugesichert, nun hab ich sie – 400 Scheiben. Ich tu mir grad selbst etwas Leid, dafür entdecke ich neben viel Mist eben auch Sachen wie PUS, KUOLEET INTIAANIT, LUCIFERASE, VERIPLASMA oder BARBE-Q-BARBIES, und vieles andere mehr. Jede Menge Stoff, um keine Minuten meines Lebens lautlos dahinschwinden zu müssen.

Noch ein paar nachträgliche Betrachtungen: Nationale Produkte des finnischen Musikmarkts besitzen meinen Beobachtungen nach einen sehr hohen Stellenwert im Biz. Es gibt dermaßen viele Bands im Verhältnis zur relativ kleinen Bevölkerung. Musik ist auch manchenorts der Schlüssel, um der finnischen Einöde zu entfleuchen. Durch die geografische Abgeschiedenheit vom Rest Europas besteht erstens ein erschwerter Zugriff auf dortige Produkte und Bands und zweitens eine Nähe zum russischen und slawischen Kulturreichtum, der sich unter anderem auch in der finnischen Musik wieder findet. Fast völlig losgelöst von szenespezifischen Tendenzen, die gewöhnlich zu einer Einengung der Schaffenden beitragen, werden je nach Bedarf und Neigung Einflüsse aus den verschiedensten Bereichen im eigenen Soundbild verwurstet, ohne dass sich die Szene-Polizei meldet und sagt: „Das geht hier aber nicht, Herr Meier.“ Bestes Beispiel in meinen Augen, OSCAR H.O.T. QUARTETT, eine wirklich abgedrehte Mischung aus Jazz, Swing, Metal, Dancefloor und vielleicht noch Samba.

Auf der anderen Seite besteht ein großes Interesse daran, Bands aus der weiten Welt in Finnland zu sehen, doch schaffen das zum einen nicht alle, da sie vielleicht aufgrund des hohen Qualitätsanspruchs in Finnland keine Chance haben, oder zum anderen auch aufgrund der hohen Kosten nicht anreisen können. In den 90ern war es noch so, dass sich bei großen Events das ganze musikinteressierte Volk aufmachte, um die jeweiligen Stars zu erleben. Ob Hippie, Punk oder Metaller, jeder kann sich genau erinnern, wann er SLAYER, METALLICA oder heutzutage QOTSA, PRODIGY, FUGAZI und MASSIVE ATTACK gesehen hat. Open-Air-Festivals in Finnland sind Gelage. Finnen an sich sind doch eher zurückhaltend und scheuen vor offenen Gefühlsausbrüchen zurück, doch bei Festivals ist das immer etwas anderes.

Labels:
www.badvugum.com
www.firebox.fi
www.spinefarm.fi
www.hotigloo.com
www.gashopper.net
www.fullsteamrecords.com
www.stupido.fi
www.tug-rec.de
Mags:
www.sue.fi
www.soundi.fi
www.rumba.fi
www.inferno.fi
www.rytmi.fi

Der finnische Musikguide
schlechthin:

www.sjoki.uta.fi/%7Elatvis/rockdata