Berücksichtigt man, dass diese Band gerade mal seit Oktober 2011 existiert und erst seit etwa April/Mai 2012 Konzerte spielt, gibt es keine andere, die ich in so kurzer Zeit derart oft und gerne gesehen habe. Oder, um es mit den Worten meines nicht gerade unwählerischen Freundes Micha zu sagen: „HUMAN ABFALL geht immer!“ Dafür nimmt sogar er verrauchte und stickige Lokationen oder Festivals in Kauf, auf denen mehr als fünf Bands spielen. Wer den älteren Herrn kennt, weiß genau, was für ein Ritterschlag das ist. Wer ihn nicht kennt, kann sich mit der Summe behelfen, die sich aus Bandinterviews und Features für das Ox ergibt, die von mir in den letzten 69 Ausgaben verfasst wurden, um eine Ahnung zu bekommen, wie ernst mir das hier ist.
Die vier jungen Menschen (für Leute meines Alters bestehen mittlerweile die meisten Bands aus jungen Menschen) haben innerhalb weniger Monate schon alles durchgezogen, wofür andere Bands oft Jahre benötigen, sofern sie es überhaupt gebacken bekommen. Demotape auf dem hauseigenen Tapelabel Monkey Bizz Tape Empire von Sänger Flo aka „Flavio Bacon“, von dem über 200 Exemplare über den Tisch gingen. Wohlgemerkt auf einem Tonträgerformat, das einige hier schon langsam googeln müssen.
Dann wäre da noch der Samplerbeitrag auf der gelungenen „Von Heimat kann man hier nicht sprechen“-LP, die EP auf Spastic Fantastic (Reviews an anderer Stelle) und nun eine LP, die schon seit einem halben Jahr fertig ist, aber aufgrund des Sounds of Subterrania-Labeljubiläums etwas warten musste. Zeitgleich zur LP wird außerdem noch eine Split-7“ erscheinen.
Ganz nebenbei kommen in dieser Zeit noch mehr als vierzig Shows mit zwei Touren zusammen. Eine ordentliche Menge, wenn man bedenkt, dass mit JFR Moon ein Bandmitglied die meiste Zeit in Berlin weilt, während der Rest in der Schlafstadt Stuttgart lebt. Proben, touren, Aufnahmen finden nur statt, wenn alle da sind, was auch bedeutet, dass von HUMAN ABFALL aufgrund der räumlichen Distanz auch mal zwei bis drei Monate lang kein Ton zu hören ist. Proben zu dritt sind keine Option, denn wer die Band schon einmal gesehen hat, darf sich zum einen glücklich schätzen, zum anderen wird er oder sie bemerkt haben, dass die einzige Konstante der am Mikro mit dem irren Blick ist, während die drei Herren weiter hinten munter ihre Instrumente durchtauschen. Dann schon lieber wertvolle Zeit nutzen und vier Tage am Stück oder gleich eine ganze Tour spielen.
Die Theorie besagt ja, dass es dort, wo die Umstände am schlimmsten sind, oft die besten Bands gedeihen. Angesichts der Menge an Veranstaltungsorten, die in Stuttgart in den letzten Jahren aus Geldgier und/oder Dummheit für immer geschlossen haben, wie der Hi-Club, Röhre, Waggons (die wahrscheinlich genialste Bühne diesseits des Dons), Beat-Club, Landespavillon, um nur ein paar zu nennen, und der Anzahl derzeit richtig guter Bands, scheint diese Theorie jedenfalls mehr als nur eine solche zu sein.
Entstanden aus Lust, etwas auf den Punkt zu bringen, mit Freuden, die zur Abwechslung mal nicht ausschließlich aus dem Punk/Hardcore-Kontext stammen, war es reiner Zufall, dass aus den drei Einzelteilen vier wurden, nur weil jemand seinen Pulli vergessen hatte, den er eigentlich nur in der WG abholen wollte, in der die erste Probe stattfand. Statt Pulli griff er sich einen herumstehenden Bass, und am Nachmittag waren die ersten Stücke fertig. Alle bringen Banderfahrungen aus unterschiedlichen Richtungen mit. Ringo spielte in einer Surf-Band, Fabian in einer Shoegazer-Band, Paul unter anderem in einer klassischen Rock’n’Roll-Kapelle und Flo in der einen oder anderen Hardcore-Combo.
Diese Einflüsse kann man mit einem guten Ohr heraushören, die und mehr, denn die Summe aller Einzelteile ergibt ein Vielfaches mehr. Sieht man sich die Lieblingsplatten der vier Herren an, die von klassischem Hardcore über Folk, frühen NDW, Noise, Metal bis zu purem Pop reichen, ergibt das den klassischen Background, vor dem sich die meisten frühen Punkbands zusammengerauft haben. Damals hatte jeder seine LED ZEPPELIN, ROLLING STONES, STATUS QUO im Schrank und trotzdem ist daraus etwas Neues entstanden.
Bringt man Bands und Musiker wie CAN, BLACK FLAG, RAZZIA, NEU!, FEHLFARBEN, Sun Ra, INFEST, JOY DIVISION, HÜSKER DÜ, Bob Dylan, John Coltrane, ABC, VELVET UNDERGROUND, Neil Young, MONSTERS, King Khan, WU-TANG CLAN, LOST RIVERS, CRAMPS, Nick Cave, BRIAN JONESTOWN MASSACRE, KRAFTWERK und THE JESUS AND MARY CHAIN auf einen kleinen gemeinsamen Nenner, hat man lediglich eine Ahnung von dem, was am Ende dabei herauskommt. Alle diese Bands, neben zig weiteren, haben die vier als Lieblingsbands angegeben, natürlich mit den entsprechenden Platten. Nimmt man diese Zutaten, webt daraus einen Soundteppich, in dem sich verhallte Surf-Elemente ebenso wie der bis zum Anschlag verzerrte Pop von JESUS AND MARY CHAIN findet, gibt eine Prise Post-Punk dazu, hat man eine Grundlage und in etwa eine Ahnung davon, was einen erwartet, oder auch nicht, das hängt ganz alleine von deiner Vorstellungskraft ab.
Das Wechseln der Instrumente verändert dabei auch immer die Soundfarbe, ohne die Grundelemente zu zerstören, denn die bleiben wie eine edle Auslegeware vorwiegend dicht verwoben. Auf diesen dicken Brokatvorleger packen wir dann noch einen Psychopathen mit Mikrofon, der dir kleine, auf das Wesentliche reduzierte misanthropische Geschichten um die Ohren schlägt, als wäre die Welt ein großer Kasernenhof. Derart pointierte Minimaltexte in deutscher Sprache habe ich sonst nur bei Bands wie D.A.F., TRIO, S.Y.P.H., MITTAGSPAUSE und vielleicht beim frühen KFC gehört, allerdings nie in dieser Intensität. In den knapp halbstündigen Sets (wer will schon eine Punkrock-Band hören, die eineinhalb Stunden spielt?) gibt es keine Ansagen, keinen Smalltalk mit dem Publikums und keine verkaufsfördernden Maßnahmen, lediglich ein unmissverständliches, harsches „Danke!“ am Ende einzelner Stücke. „Fickt euch!“ könnte auch nicht freundlicher klingen. Auf Beifall wird gar nicht erst gewartet, erst am Ende wissen viele, was ihnen das gerade geschehen ist: „Danke, wir waren HUMAN ABFALL.“ Zugaben sind nicht nötig, alles ist nach dieser kurzen Zeit gesagt, mehr wäre reine Wiederholung.
Neben dem messerscharfen Vokabular als Alleinstellungsmerkmal wird auf das übliche Punksong-Klischee Verse-Chorus-Verse komplett verzichtet. Refrain? Welcher Refrain?! Wenn man einen bis zur Entfärbung wiederholten Satz am Ende eines stringent aufgebauten Stückes als Refrain bezeichnen will, bitte sehr, dann hast du einen. Wenn nicht, dann musst du eben ohne auskommen.
Derart intensiv sind nur wenige andere Bands, wenn doch, dann wird das Ganze meistens nur mit hohem körperlichen Einsatz getragen. Hier aber springt niemand mit der Gitarre in die Luft, wälzt sich auf dem Boden oder wirft sich für Mitsingparts in die Menge. Genau genommen ist es der komplette Gegenentwurf dazu. Dem Sänger möchte man lieber nicht zu nahekommen, geschweige denn auch nur zu versuchen, sein Mikro anzufassen, die Band spielt mit ihren eigenen Stücken, statt sie ständig eins zu eins zu reproduzieren, und sie bewegt sich wie in einem Wohnzimmer, selbstverständlich, ohne die Anwesenden durch Beiwerk abzulenken. Der Schlag ins Gesicht ergibt sich einzig und alleine aus dem, was vorne herauskommt.
Dabei ist das Ergebnis kein Kalkül, sondern vielmehr ein glückliches Zusammenspiel, bei dem sich ein Teil in das andere gefügt hat. Die persönlichen Geschichten sind nachvollziehbar, beginnen oft in einem kleinen Büro oder in einem einseitig geführten Dialog und enden meistens in einem einzigen dadaistisch-empörten Satz, der zigfach wiederholt wird, bis er sich für alle Zeiten in dein Hirn einfrisst wie Batteriesäure in ein Kleidungsstück. Kalkuliert ist nichts, aber alle sind sich durchaus des Ergebnisses bewusst und reflektieren die Wirkung, die sie erzielen, ohne das Ganze zu übersteigern. Reduktion ist alles, Show ist anders.
Wirft man einen Blick auf die zurückliegenden Konzerte und Touren, stellt man fest, dass sie meistens in den coolen kleinen D.I.Y.-Läden spielen und es offensichtlich keine großen Probleme gibt, eine vernünftige Tour ohne Zickzackfahrten durch die Republik zu organisieren. Das Network of Friends funktioniert also weiterhin. Gut zu wissen, denn lieber machen die vier etwas mit Leuten, die etwas von dem verstehen, was die Band da abliefert, als in einem vielleicht größeren, aber unbekannten Kontext mit einem engstirnigen Publikum, für das Punk ausschließlich in festgefahrenen Kategorien stattfinden kann.
Auf Sounds of Subterrania als Label für die LP konnte man sich problemlos verständigen, auch weil das Label ebenso wie die Band fest im D.I.Y.-Kontext verankert ist, jeder mehrere Platten von S.o.S. im Schrank stehen hat und weiß, dass Gregor eine ganz bewusste Bandauswahl betreibt, die Zweckmäßigkeit nie über die Form stellt. Übersetzt heißt das, dass seine Veröffentlichungen auch optisch und haptisch ansprechen, weil in jeder einzelnen Veröffentlichung Herzblut steckt, was man von so manchem Label nicht unbedingt sagen kann. Auch wenn man sich nach mittlerweile 600 verkauften Singles über vorhandenes Interesse keine großen Sorgen machen muss, war ein richtiges Label mit guten Vertriebsstrukturen eine Grundvoraussetzung. Die Menge ist nicht entscheidend und ist ebenso ungeplant, wie das, was am Ende vorne aus den Boxen kommt.
Um ein altes Fazit zu bemühen: HUMAN ABFALL sind heißer Scheiß, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Punkrock, so wie er ursprünglich eben einmal entstanden ist, gemacht von Leuten, die eben nicht auf einen homogenen jahrzehntelangen Werdegang durch zig Punkrock-Bands zurückblicken können, um sich mit der Zielvorgabe hinzusetzen: „Wir gründen eine Band, und die klingt dann wie ...“ Letztendlich ist es genau das, was einige im Punk suchen (ich sage ganz bewusst nicht alle, denn die meisten wollen doch nur Altbewährtes hören): Originäre Musik, die man so noch nicht gehört hat. Wer’s jetzt noch nicht kapiert hat, kann mich mal. Danke!
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