Seit ein paar Jahren hat sich Hopeless Records als eines der interessantesten kalifornischen Labels etabliert, das zwar noch ein gutes Stück von der Grösse von Epitaph oder Fat Wreck entfernt ist, aber mit Bands wie den QUEERS, den NOBODYS, AGAINST ALL AUTHORITY, SCARED OF CHAKA, HECKLE, FUNERAL ORATION, 88 FINGERS LOUIE oder DILLINGER 4 eine imposante musikalische Bandbreite abdeckt. Ich unterhielt mich mit Hopeless-Gründer Louis Posen über so ziemlich alles, was mit Hopeless und dem neugegründeten Sublabel SubCity zu tun hat.
Stell dich bitte mal kurz vor.
"Mein Name is Louis Posen, ich bin 28 Jahre alt, ich mag Lakritze, Bier und Punkrock, und ich suche eine empfindsame Frau, die den Rest ihres Lebens mit mir verbringen will."
Danke, das wars. Äh, zur Sache: Ich denke, es ist ungefähr fünf Jahre her, seit ich das erste Mal auf Hopeless gestossen bin. Seit wann gibt´s das Label, wie hat alles angefangen?
"1992 habe ich als Regisseur gearbeitet und hatte Lust, für meine Lieblingsbands mal ein Video zu drehen. Also kontaktete ich NO FX, die zu diesem Zeitpunkt noch eine relative kleine Band waren. Ich rief also Epitaph an, die gaben mir Mikes Nummer, ich rief ihn zu Hause an, fragte, ob sie nicht ein Video machen wollten, er hatte Lust, und wir drehten das Video zu "Bob". Durch dieses Video kam ich an GUTTERMOUTH, drehte mit denen das Video zu "1, 2, 3 Slam", und dabei kam ich mit GUTTERMOUTH ins Gespräch und sie erzählten mir, dass sie derzeit kein Label hätten, aber gerne eine 7" rausbringen würden. Ich war erstaunt über die Frage, sagte ihnen, dass ich noch nie eine Platte rausgebracht hätte. Sie meinten nur, sie hätten vom Labelgeschäft auch keine Ahnung. Mir gefiel der Gedanke dann aber zunehmend, und so nahm ich die Herausforderung an und kaufte mir das Buch "How to run an independent record label"."
So was gibt´s?
"Ja, klar! Das stammt von einem Typen, der bei SST gearbeitet hat, und es wird auch immer noch verkauft. Ich orientiere mich immer noch daran, oder besser gesagt wäre ich gut beraten, das zu tun. Mit Hilfe der Ratschläge in diesem Buch und ein paar Telefonaten mit Mike, der gerade Fat Wreck ins Leben gerufen hatte, sowie dank der Hilfe von Bill von Dr. Strange Records, brachte ich dann tatsächlich diese 7" raus. Es ging da um so simple Fragen, wie, wo sie die Cover drucken lassen und sowas. Naja, die 7" kam raus, ich hatte mir als Name, weil man ja einen Namen braucht, Hopeless Records ausgesucht, und ich hatte keine weiteren Pläne. Der Name Hopeless stammt vom ersten Song auf der 7", der eben "Hopeless" hiess. Was das Labellogo, diesen Löffel, anbelangt, so hat den jemand mal eben gezeichnet, einen Tag bevor die Sache in die Druckerei ging. Wir assoziierten herum, und zum Begriff "hopeless", also "hoffnungslos", fiel uns dann eine Suppenküche und dann ein Löffel ein."
Also kein Hinweis auf Heroinabhängigkeit.
"Hehe, nein, aber das war auch, was meiner Mutter dazu als erstes einfiel. Ausser meiner Mutter und dir hat diese Assoziation bislang übrigens nur Stan Lee von den DICKIES eingebracht. Ich habe mit denen auch mal über eine Platte auf Hopeless geredet, und er meinte, mein Logo gefiele ihm."
Wer steckte anfangs hinter dem Label?
"Eigentlich nur ich, aber meine damalige Freundin, meine Mutter und mein Stiefvater halfen mir. Nach der 7" kam "Punk Side Story" von SCHLONG und eine Video-Compilation namens "Cinema Beer Tape" mit meinen Videos und noch ein paar anderen. Zu diesem Zeitpunkt schrieb Darren mir dann einen Brief und meinte, er hätte Lust mitzumachen, und so kam dann Darren an Bord. Das war 1995."
Das war also auch das Jahr, als es "richtig" losging mit Hopeless?
"Ja. Ich beschloss, mich auf das Label zu konzentrieren, und nicht mehr auf den Videodreh - nicht ganz freiwillig, denn mein Sehvermögen verschlechterte sich damals zunehmend."
Darf ich fragen, was mit deinen Augen nicht stimmt?
"Kein Problem. Ich habe eine Netzhauterkrankung namens Retinatis Pigmentosa, die bewirkt, dass die Zellen in der Netzhaut sich verändern. Dass mein rechtes Auge so anders aussieht, hat damit zu tun, dass man daran eine Biopsie durchgeführt hat, um zu ergründen, was ich habe, und dabei habe ich das Sehvermögen auf dem rechten Auge völlig verloren. Auf dem linken Auge habe ich auch nur noch ein sehr begrenztes Sehvermögen."
Keine guten Voraussetzungen, um im visuellen Bereich zu arbeiten.
"Nein, wirklich nicht. Allerdings denke ich, dass ich immer noch im Videobereich arbeiten könnte, da ich auf emotionaler und psychologischer Ebene meine diesbezüglichen Fähigkeiten ja nicht eingebüsst habe. Aber ich erkannte, dass meine eingeschränkte Sehfähigkeit an diesem frühen Punkt meiner Karriere natürlich ein grosses Hindernis darstellen würde. Ich war damals 23, wollte irgendwas machen und damit erfolgreich sein - und als sehbehinderter Videoregisseur hätte ich wohl einen sehr schweren Weg vor mir gehabt. Da ich aber Musik über alles liebe, beschloss ich, mich stattdessen als Labelmacher zu versuchen."
Wie kommst du denn als Sehbehinderter mit der täglichen Büroarbeit zurecht? Ich denke, dass allein eine Selbstverständlichkeit wie eMail-Schreiben und -Lesen am Computer schon eine Hürde darstellt.
"Es ist in der Tat sehr schwierig, aber es gibt auch gute Hilfsmittel und die Möglichkeit, manche Sachen anders zu organisieren. Mein Computer läuft mit einem Programm, das mir alles, was darauf geschrieben wird, vorliest, auch die eMails. Alles, was mit Schreiben zu tun hat, stellt also kein wirkliches Problem dar, im Gegensatz zu graphischen Arbeiten: das kann ich nun gar nicht, aber dafür habe ich ja klasse Leute, die mit mir arbeiten. Die kümmern sich um das Layout von Covern und Anzeigen, die können mir eine Telefonnummer aus dem Karteikasten raussuchen, mir Briefe und Rechnungen vorlesen. Jeder im Büro ist da sehr flexibel und hilft mir."
Eröffnet dir die Behinderung denn in anderer Hinsicht neue Möglichkeiten? Ich meine insofern, als du durch die Abgabe mancher Tätigkeiten den Kopf frei hast für konzeptionelle Arbeiten.
"Ich bin definitiv der Ansicht, dass eine Sehbehinderung oder Blindheit auch ihr Gutes haben kann. Ich konzentriere mich - gezwungenermassen - auf das, was ich an akustischen Reizen bekomme, und erinnere mich an sehr fiel. Ich höre den Leuten also sehr genau zu, etwa meinen Bands, wenn ich mit ihnen rede, mache mir sehr viele Gedanken über neue Marketing-Ideen, über die Promotion und den Vertrieb. Das hat zum Teil was mit meiner Veranlagung zu tun, zum Teil aber natürlich auch mit meiner Behinderung - insofern, als ich nicht von visuellen Reizen abgelenkt werde. Um es auf den Punkt zu bringen: jemand, der sehen kann, verwendet zwei Stunden darauf, etwas zu lesen, während ich in diesen zwei Stunden was anderes machen kann."
Wie kam es dann zur Expansion des Labels? Ist das einfach so passiert oder hast du das geplant?
"Nein, das hat sich so entwickelt. Anfangs arbeiteten Darren und ich auf gerade mal 10 Quadratmetern, dann kamen immer mehr Releases und wir mieteten ein Lagerhaus mit 160 Quadratmetern. Dann wurden unsere Bands immer grösser, wir brauchten mehr Platz, und so haben wir jetzt über 300 Quadratmeter. Heute sind wir bei Hopeless insgesamt acht Leute, und wir haben immer auch Praktikanten. Es war ein langsames, allmähliches Wachstum, und das finde ich gut, denn wenn du einen Hit hast, musst du plötzlich viele Leute anheuern, die du am Ende nicht kennst, und hast richtig Stress am Hals. Zu schnell zu gross werden, darauf habe ich keine Lust, das ist nie gut und führt nur dazu, dass du deinen Bands etwas versprichst, das du nicht halten kannst."
Welche Platte brachte denn für euch den Durchbruch?
"Das war "Behind Bars" von 88 FINGERS LOUIE, unsere siebte Veröffentlichung. Die Releases davor liefen zwar auch gut, aber in einem kleineren Rahmen. Zu verdanken haben wir unseren ersten Erfolg Fat Mike, denn 88 FINGERS LOUIE hatten bereits zwei Singles auf Fat Wreck veröffentlicht und wollten auch das Album auf Fat Wreck machen. Der Veröffentlichungsplan war aber bereits so voll, dass sie ein Jahr hätten warten müssen, wozu sie nicht bereit waren, und so verwies Mike die Band an uns weiter: wir hätten die Zeit, uns wirklich um sie zu kümmern. Ich redete mit der Band, sie hatten Bock auf uns, und mit dieser Platte öffneten sich dann für uns eine Menge Türen."
Eine weitere wichtige Band für euch ist MUSTARD PLUG.
"Ja, absolut. Als wir die unter Vertrag nahmen, hatten wir mit Ska-Bands keine Erfahrung, mussten uns also auf ein neues Publikum einstellen, auch wenn wir wussten, dass sie bei den Punk-Kids auch gut ankommen. Aber es bedeutet mit Ska- und Punk-Fans natürlich auch eine ganz andere Basis. Als "Evildoers Beware" dann erschien, ging die Platte ab, es war unglaublich, und bis heute haben wir rund 70.000 Stück verkauft."
Auch von den anderen Platten verkauften wir fast immer 10.000 und mehr. Ich finde das erstaunlich, denn es ist eine ganz andere Dimension als in Deutschland, und es erscheint mir auch leichter, ein Punklabel in Kalifornien zu betreiben, als in Deutschland. Viele Labels hier sind ja schon froh, wenn sie mal mehr als 1.000 Stück von einer Platte verkaufen können, und 10.000 sind schon eine Ausnahme.
"Ich kann die Verhältnisse in Europa und den USA natürlich nicht vergleichen, dazu fehlt mir die Erfahrung. Ich verkaufe meine Platten aber nach Europa, und allein das ist schon sehr schwierig. Schon deshalb macht Europa nur einen kleinen Teil unseres Geschäftes aus, im Vergleich mit den USA, Kanada und Asien. Unsere Verkäufe konzentrieren sich auch in den USA nicht auf Kalifornien, im Gegensatz zu anderen Labels, und es ist wirklich so, dass für uns jeder der 50 Bundesstaaten einen eigenen Markt darstellt, wie die verschiedenen europäischen Länder. Florida und Deutschland, das kann man in dieser Hinsicht durchaus vergleichen: Ähnliche Grösse, ähnlich viele Einwohner. Und dann ist da Illinois mit seiner sehr grossen Punkszene, da verkaufst du mehr Platten als in ganz Skandinavien. Du hast also diese ganzen verschiedenen Einzelmärkte mit anderer Mentalität, anderem Kaufverhalten. Da habe ich oft das Gefühl, dass wir uns zwar um Europa kümmern, aber uns gleichzeitig nicht genug um die einzelnen Märkte in den USA kümmern, etwa was Anzeigenschaltungen anbelangt. Kann sein, dass die Kids in Illinois nur Punk-Fanzines lesen, während in Florida vor allem die grossen Musikmagazine gelesen werden, solche Sachen halt. Du siehst, das ist sehr kompliziert, und wir arbeiten immer noch daran, das alles besser zu machen."
Gleichzeitigt habt ihr mit dem Grossraum Los Angeles einen riesigen Markt direkt vor der Tür, und ich weiss von Labels, die alleine dort tausende Platten verkaufen und davon und damit sehr gut leben - und damit in einer Gegend, die sie sehr gut kennen, ein Mehrfaches davon verkaufen, was sie in Deutschland loswerden.
"Da hast du schon recht. LA ist ein sehr guter und grosser Markt, es gibt sehr viele Plattenläden. Ausserdem ist es ein sehr guter Standort: es gibt viele andere Labels, viele Frachtunternehmen, die täglich das ganze Land und die ganze Welt bedienen, es gibt eine gute, sehr grosse Szene, gerade in den Vororten. Dabei haben wir aber nur eine Band hier aus der Gegend auf dem Label, FALLING SICKNESS aus Riverside. Wir verkaufen zwar ganz gut in Südkalifornien, aber nicht so gut wie etwa Nitro, deren Bands da unglaublich gut verkaufen. Die machen einen Grossteil ihres Geschäftes da, während unsere Verkäufe über das ganze Land verstreut sind. Wir können das ja anhand des "Sound Scan"-Systems nachvollziehen, durch das wir nach dem Einscannen der Platten beim Bezahlen an der Kasse genau nachvollziehen können, wann wo wieviele Platten von welchem Titel verkauft wurden. Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass unsere Bands aus dem ganzen Land kommen: 88 FINGERS LOUIE aus Chicago, MUSTARD PLUG aus Grand Rapids, Michigan, DILLINGER 4 aus Minneapolis...
FUNERAL ORATION aus Amsterdam...
"Ja, aber dadurch verkaufen wir in den Niederlanden auch nicht mehr Platten. Die kennen mehr Leute in LA als in Holland, glaube ich."
Wie sieht deine grundsätzliche Herangehensweise ans Plattenveröffentlichen aus? Was bedeutet für dich in diesem Zusammenhang Punkrock?
"Ich denke, meine Herangehensweise hat nicht direkt was mit Punkrock zu tun, ich denke, jede Art von Geschäft müsste für mich ein paar grundlegende Bedingungen erfüllen: mach nur das, was du wirklich willst, mache das mit Leidenschaft, sei ehrlich und bleibe deinen Überzeugungen treu, mache es mit Liebe und habe Spass dabei."
Ist es dir wichtig, etwas zu bewegen?
"Auf jeden Fall. Anfangs war es so etwas simples wie unsere Bands auf Tour zu schicken und möglichst vielen Leuten die Chance zu geben, sie und diese Musik kennenzulernen. Als ich dann älter wurde, reichte mir das nicht mehr, und ich arbeitete an einer neuen Idee."
Du meinst SubCity, euer neues Sub-Label.
"Ja. Für SubCity gibt es mehrere Gründe. Ich und auch die anderen Label bei Hopeless haben den Willen und das Bedürfnis, unsere Energie und unsere Zeit für etwas Positives einzusetzen. Gleichzeitig haben wir mit Hopeless so viel zu tun, dass eigentlich keine Zeit bleibt, sich etwa bei irgend einer Organisation zu engagieren oder direkt politisch aktiv zu werden. Gerade das halte ich aber für sehr wichtig in den USA, wo die Meinungs- und Redefreiheit sehr hoch gehandelt wird und dementsprechend viele verschiedene Meinungen präsent sind, aber auch viele Leute für dich Entscheidungen treffen. Da ist es sehr wichtig, dass möglichst viele Leute ihren Arsch hochkriegen, aktiv werden, sagen, was sie wollen und dafür eintreten. Andernfalls müssen sie sich damit abfinden, dass andere Leute über ihr Leben bestimmen. Als ich vor einer Weile an einer Wohltätigkeitsveranstaltung arbeitete, die mit Hopeless gar nichts zu tun hatte, stellte ich fest, dass mir das Spass macht, ich aber nicht genug Zeit habe, sowas regelmässig zu machen. Also kam die Überlegung auf, etwas im Rahmen von Hopeless zu organisieren. Das stellte sich aber als schwierig heraus, weil schon genaue Releasepläne existierten und auch Absprachen mit unseren Bands. So kam mir die Idee, die Sache unter einem neuen Namen laufen zu lassen, mit dem Effekt, dass die Leute wissen, dass wenn eine Platte mit diesem Logo erscheint, 5% des Ladenpreises an eine von der Band bestimmte Organisation geht."
Nur dass ich dich recht verstehe: grundsätzlich 5% des Ladenpreises, ab der ersten verkauften Platte.
"Exakt. Ich wollte das unbedingt so machen, weil ich schon oft genug Platten gesehen habe, bei denen ein gewisser Prozentsatz des Gewinns gespendet wird. Naja, und man kennt das ja: nachher bleibt so gut wie kein Gewinn übrig, und auch keine Spende. Auf sowas hatte ich keine Lust, und ich denke, selbst wenn 5% wenig erscheinen, so ist das doch eine Sache, die von Anfang an funktioniert und wo die Band bei jeder Abrechnung sieht, was passiert."
Was für Organisationen unterstützt ihr, und wer entscheidet, welche das sind?
"Bei den Band-Releases machen das die Bands, und bei den Compilations wir. Wir dachten uns, das wäre dann eine ausgeglichene Sache, bei der beide Seiten was für ihre Projekte tun können."
Im Falle von SCARED OF CHAKA habe ich gesehen, dass das Geld an eine Organisation in ihrer Heimatstadt Albuquerque geht. So hat die Band natürlich auch die Kontrolle, dass ihr Geld ankommt.
"Ja, exakt. SCARED OF CHAKA sind von dieser Organisation, die sich um Familien und Kinder mit Problemen kümmert, schon ausgezeichnet worden. Die sind von der Idee völlig begeistert und können das Geld sehr gut gebrauchen."
Von was für Summen reden wir denn da?
"Bei einem Album macht das 70¢, also 5% von $13.98. Da kommt einiges zusammen, und seit wir SubCity im April mit der Platte von FIFTEEN gestartet haben, sind bis jetzt, Mitte August, insgesamt schon über $30.000 Dollar zusammengekommen."
Radikale, "korrekte" Polit-Punks mögen euer Engagement, das eines professionell arbeitenden, aber auch grundsätzlich kommerziellen Labels, kritischer sehen.
"Mag sein, aber ich habe auch noch nie kapiert, warum sich Punk und profesionelle Arbeit ausschliessen sollen. Ich habe noch nie verstanden, was an Unprofessionalität so besonders Punkrock sein soll. Ich denke, wenn du professionell arbeitest, kannst du sogar viel mehr Punk sein. Du kannst mehr Leute von deinen Bands überzeugen, mehr Leute dazu bewegen, selbst was zu unternehmen und für die Ziele einzutreten, hinter denen sie stehen. Wenn du dich damit zufrieden gibst, nur Leute zu erreichen, die sowieso schon wissen, worum es geht, dann erreichst du unterm Strich nur sehr wenig. Aber das muss jeder selbst wissen, ich habe ja nichts gegen Leute, die keine Anzeigen in grossen Magazinen schalten wollen und lieber im Underground bleiben, aber die sollen sich auch hinterher nicht beklagen, dass sie nicht genug Leute erreichen. Was Hopeless anbelangt, so wollen wir zwar professionell, aber nicht kommerziell sein. Das ist ein grosser Unterschied, denn wir wollen niemanden ausbeuten, sondern nur das, was wir tun, mit maximalem Einsatz tun. Das ist auch der grosse Unterschied zu Kommerz-Labels: die machen das nur des Geldes wegen."
Wenn wir schon beim Thema sind: Würdest du Hopeless für eine grosse Summe Geld, sagen wir eine Million Dollar, an einen Major verkaufen?
"Sagen wir es so: ich mache Hopeless sehr gerne und bin allen meinen Bands verpflichtet. Von daher wäre es für mich theoretisch nur möglich, das Label zu verkaufen, wenn alle Betroffenen damit einverstanden sind. Aber ich mache Hopeless nicht mit dem Hintergedanken, es eines Tages für viel Geld verkaufen zu können, und ich habe auch noch nie mit irgendwem darüber gesprochen. Ich sage jetzt nicht, dass sowas nie passieren wird, weil ich niemals nie sage und nicht weiss, was heute in zehn Jahren sein wird und was für Prioritäten ich in meinem Leben setzen werde."
Ihr habt bei den Compilations "Cinema Beer Nuts" und "Hopelessly Devoted To You Too" sehr geniale Verpackungen: Die CDs sind in Verpackungen eingeschweisst, die denen von Chips oder Erdnüssen ähneln. Wie kamt ihr auf diese Idee und wie habt ihr sie umgesetzt?
"Die erste "aussergewöhnliche" Verpackung war die von "Cinema Beer Nuts". Wir wollten, dass sich die CD von allen anderen unterscheidet, denn es ist ein Sampler und im Laden werden die meistens einfach unter V.A. eingeordnet, wo sich oft Sampler mit ähnlichen oder den gleichen Bands finden. "Beer Nuts" im Original sind eben so kleine Nüsschen zum Knabbern, die eine ganz ähnliche Verpackung haben wie unser Sampler, und wir dachten, es wäre eine witzige Idee, diese Verpackung nachzuempfinden. Es war natürlich schwer, eine Firma zu finden, die so eine Verpackung herstellt, und ich bin dann in den Gelben Seiten unter "Verpackungen" fündig geworden. Ich rief verschiedene Firmen an, eine meinte, sie könnten das machen, es sei gar kein Problem, und als das Teil dann raus war, wurde es ein riesiger Erfolg."
Habt ihr euch denn diese Idee schützen lassen? Ich denke, die Idee ist so gut, dass sie sicher andere Labels kopieren wollen.
"Hm, da habe ich noch nicht drüber nachgedacht, aber du hast schon recht. Ich denke, ich muss mir darüber mal Gedanken machen. Aber eigentlich ist es auch egal. Bislang haben mich schon über zehn Labels angerufen und wollten wissen, wie und wo wir das gemacht haben, und ich habe ihnen bereitwillig Auskunft gegeben. Allerdings haben die bislang nichts in der Hinsicht gemacht. Grundsätzlich finde ich es immer spannend, wenn eine CD vom Packaging her was Besonderes ist. Zum Beispiel der "Take Action"-Sampler auf SubCity: die kommt in diesem dicken Karton-Tray, und der Titel ist eingeprägt, nicht nur aufgedruckt. Ausserdem ist der Titel auch noch in Braille, in Blindenschrift eingestanzt. Der Grund ist, dass die 5% vom Verkaufspreis hier an die "Foundation Fighting Blindness" gehen. Ausserdem ist der letzte Track auf der CD eine Besonderheit: da wird das Tracklisting vorgelesen."
Wie würdest du Hopeless Records musikalisch beschreiben? Ich meine, man tut Hopeless definitiv unrecht, bezeichnet man euch als ein Label, das nur melodischen Punkrock im Angebot hat - ein Vorwurf, den man gerade in Deutschland vielen kalifornischen Labels macht.
"Ich denke, das ist absolut nicht richtig. Ich persönlich höre die unterschiedlichsten Sachen, aber vor allem Punkrock. Das fängt an mit Sachen wie X und den RAMONES, aber umfasst auch die VIOLENT FEMMES, die BEATLES oder SIMON & GARFUNKEL. Was nun die Bands auf dem Label anbelangt, so muss die Band einfach gut sein und die richtige Punk-Attitüde haben, und es hat nichts damit zu tun, was andere Leute davon stilistisch halten. Ich finde, wir haben eine ziemliche Bandbreite an Stilen im Programm: Das fängt an mit MUSTARD PLUG im Ska-Bereich, geht mit den NOBODYS weiter, die straighten 4-Akkord-Punkrock spielen, mit AGAINST ALL AUTHORITY und ihrem rotzigen Polit-Punk, mit HECKLE, die melodischen Hardcore machen, oder 88 FINGERS LOUIE und ihrem Melodic Punkrock, bis hin zu DILLINGER 4 und SCARED OF CHAKA, die eher garagigen Punkrock spielen. Wir haben bislang noch keine Old School-Hardcore-Platte rausgebracht, aber das ist keine grundsätzliche Sache: wenn die richtige Band kommt, kann ich mir auch das vorstellen. Und die WEAKERTHANS, die wir jetzt von G7 Records aus Kanada lizenzieren, machen auch wieder was ganz eigenes."
Was können wir im Jahr 2000 von Hopeless erwarten - falls wir das Jahr 2000 erleben...?
"Wir bringen dieser Tage die "Hopeless Y2K"-CD raus, die beim Abspielen alle elektronischen Geräte in deinem Haushalt zerstört. Äh, shit, nee, andersrum: wenn du diese CD abspielst, wird auch im nächsten Jahr noch alles funktionieren. Ich denke, die sollte sich gut verkaufen, hehehe."
Gut, und welche Platten finanziert ihr mit diesen so gewonnenen Reichtümern?
"Dieses Jahr haben viele unserer Bands keine neue Platte gemacht, also geht´s im Januar mit DIGGER los, dann werden die QUEERS und AGAINST ALL AUTHORITY folgen, später 88 FINGERS LOUIE und DILLINGER 4, dann die WEAKERTHANS. Ausserdem haben wir seit einer Weile keine neue Band mehr gesignt, also kümmern wir uns derzeit verstärkt darum, und so denke ich, dass da noch was kommen wird. Ausserdem haben wir ja auch noch SubCity, wo übrigens das WEAKERTHANS-Album erscheinen wird, und wo wir verschiedene Pläne haben, die aber noch nicht spruchreif sind."
Es gibt auch noch die "Take Action"-Tour. Was hat´s damit auf sich?
"Wir haben mit dieser Tour 30 Konzerte in den USA gespielt, und es ist das gleiche Konzept wie bei den Veröffentlichungen auf SubCity: die Leute auf Non Profit-Organisationen aufmerksam machen und Geld für deren Arbeit zu sammeln - und gleichzeitig ´ne coole Punkrock-Party feiern. Headliner waren FIFTEEN, jeden Abend spielten insgesamt fünf Bands, und 5% des Eintritts gingen an vier verschiedene Organisationen. Zwischen den Bands hatten wir Redner auf der Bühne, die über verschiedene Projekte informierten, wir verteilten Broschüren, und wir überlegen jetzt, ob sowas nicht auch in Europa funktionieren kann. Für 2000 haben wir wieder so eine Tour geplant, vielleicht etwas grösser als dieses Jahr, so in 1.000er-Hallen, nachdem dieses Jahr 300er- bis 600er-Clubs fast immer voll waren. Ich war selbst bei einigen Konzerten, und es war ein gutes Gefühl, nach dem Konzert zu spüren, dass die Leute über die Idee und die Themen geredet haben und man vielleicht ein paar Leute dazu bewegen konnte, jetzt selbst aktiv zu werden."
Gute Idee, das - vielleicht greift ja jemand in Deutschland diese Idee auf.
Danke für das Interview!
Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #37 IV 1999 und
© by Fuze - Ausgabe #109 Dezember 2024 /Januar 2025 2024 und Dennis Müller