EDITORAL
Wenn der Berg schon nicht zum Propheten kommt, geht der Prophet halt zum Berge hin. Und wenn euch der Hafer sticht, interessiert uns das nicht die Bohne. So, jetzt habters. Ferien im Punk-Zoo. Seit zehn Jahren hat der Abel jeden Juni bei den COCKNEY REJECTS angefragt, ob sie auf seinem Geburtstag spielen könnten. Nie kamen die Affen zu ihm. Also ist er jetzt zu ihnen. Und? Die Schweine kamen einfach nicht über den Kanal. Dafür sollten SMEGMA spielen und all ihre Hits zum besten geben. Wir fieberten dem zwei Tage entgegen, um dann zu erfahren, dass wir der verlogenen Punkpresse auf den Leim gegangen waren. Ich glaube, innerlich hatten wir uns in diesem Moment bereits vom Festival verabschiedet. Und Abel sagte am Samstag Mittag auf dem Kreuzberg noch zu Valérie: "Sei eine Dame und zieh heute Abend nicht die rosafarbenen Badeschlappen an. SMEGMA are in da house!" Und als hätte sie es bereits geahnt, zieht sie dieses äußerst erotische Schuhwerk dennoch an. Schließlich war sie seit geraumer Zeit bereits auf heftigsten Krawall gebürstet. Und dann das mit dem SMEGMA-Ausfall. Wir hatten es hier mit einem Pulverfass zu tun. Dennoch tanzten wir auf dem Vulkan.
SOMMERFREUDEN
Man stelle sich einen herrlichen Samstagmittag in praller Sonne vor. Die Vögel zierpen und knirschen auf den grünenden Ästen der ausschlagenen Bäume. Da ruft uns Dieter mobil an: "Hey Abel, wie geht´s? Heute saufen wir aber richtig. Wir sitzen hier schon beim dritten Bier in ´ner Kneipe." Noch dachten wir, die Bielefelder Jungs hätten es sich in einem netten Biergarten bequem gemacht und wir könnten eventuell auf eine Erfrischung dazustoßen. "Wo sitzt ihr denn?" - "Direkt im U-Bahnhof um die Ecke von der Arena. Die Kneipe ist unten auf dem Bahnsteig. Findet ihr sofort." Tja, wir gingen dann doch nicht hin.
WIE DER PROPHET DOCH NOCH ZUM BERG KAM
Pressekarten waren rar gesät. Sehr rar. Sehr sehr rar. Man könnte fast mutmaßen, dass sie extrem stark limitiert waren. Und würde damit nicht falschliegen. Doch da das Ox Fanzine diese Veranstaltung präsentierte, fielen die zwei Brotkrümel, die an die Presse verteilt wurden, in unsere gierigen Mäuler, die wir natürlich weit aufgerissen hatten. Immer Fresse dick. Nie hinterm Berg halten.
DER EINMARSCH
Voll eimsbushmäßig fuhren wir also vor. Voll krass und phat. Die Leute von Kartenhaus haben uns voll korrekt die Karten gegeben, Alter. Ich schwör. Voll nett, die Alte. Kam voll korrekt rüber. Ja und sonst voll das phate Punkervolk davor, wo. Ey Dicker, ich sach dir. Mit den warn wir gleich voll down. Pimel + Tamer = Sex. Voll derbe Türsteher-Posse. Aber wir ham allen Stoff voll mit reingekriegt. Ham die Motherfucker voll nicht gecheckt. Vater hat auch sein Jägermeister gesteckt gekriegt. Und das alles phat in´ner voll krassen alten Tramm-Halle. Direkt am Wasser, Alter. Voll cool, bei dem Wetter
STIFF LITTLE FINGERS
"STIFF LITTLE FINGERS haben mir auch sehr gut gefallen", sagt die Valérie auch noch zwei Wochen nach dem Konzert der einzigen Band, die wir am Freitag zu Gesicht bekamen. Abel freute sich wie Mannie, der Libero, praktisch die komplette "Hanx"-LP live vor seinen Augen dargeboten zu bekommen. Einhellige Meinung später über die STIFF LITTLE FINGERS (mit zwei ex-JAMern an Bord): "Beste Band des Abends." Dann hatten wir unsere Priorität also richtig gesetzt.
SOMMERZEIT - GRILLZEIT
Diese eine Stunde STIFF LITTLE FINGERS reichte voll und ganz aus, um uns sämtliche Geruchsnerven abzutöten. Denn in der Halle lag die ganze Zeit über der Duft tausender und abertausender gebratener Würste und Steaks. Eigentlich paradiesische Zustände, könnte man meinen. Aber... Ficktor Fennich vermutete gar, selbst zur Wurst mutiert zu sein. Es folgte ein ausgelassener Wursttanz, der auch nicht mehr durch den Cousin des C(!)otzbrocken-Sängers in seiner selbigen Soße liegend überboten werden konnte. Hei, das war ein Spaß. Wurstspaß eben...
KIFFEN UND SEINE FREUNDE
Zur großen AFTER-Show-Parade lud das "Wild At Heart" zum Umtrunk ein. Vor dem Laden saßen Berliner Punks und luden uns zum Kiffen ein. Wir nahmen dankend an. Charlie Harper war gekommen, um seine T-Shirts zu verkaufen, Frido um sich Troublemaker-mäßig in Szene zu setzen (besitzt voll korrekter Schlagring), unser Vater um Rauschgift zu rauchen, Sven Brux um sein Seelenleben nach außen zu kehren, Smartie um zu saufen (wie übrigens fast alle anderen auch, vor allem der von Abel geschätzte und hiermit gegrüßte Coach) und Abel um seinen Deckel zu bezahlen.
KRATER VERGIFTEN IM PARK
Am Samstagmittag hieß es für uns früh zum Festival, schließlich wollten wir ein paar Bands mehr sehen als am Freitag. Auf dem Weg zur Arena grübelten wir über mögliche Krawalle und Ausschreitungen im Anschluss an den DAILY TERROR-Auftritt am Vorabend. Just in dem Moment tat sich vor uns im Park ein riesiger, fußballfeldgroßer Krater auf. War der Krieg ausgebrochen? Fanden die Mai-Krawalle ihre direkte Fortsetzung? Haben die Berliner Punx ein etwas größeres Erdloch geraucht? Wollte die Polizei in Berlin mal wieder ihre Macht demonstrieren? Oder ist einfach nur einigen französischen Skinhead in der Nacht zuvor ein Stück Himmel auf den Kopf gefallen? Letzteres zumindest nicht, denn die saßen wenig später wieder im Biergarten "Zur Pumpe" mitten auf einer Tankstelle beim Frühschoppen.
ABSTÜRZENDE MUFFINS
"Scheiße, dass dein Mitbewohner nicht einspringen konnte. Jetzt sind wir nur zu zweit hier", sprach Collin, seines Zeichen Sänger der Baseler Streetpunk-Band VANILLA MUFFINS noch in der Freitagnacht am Tresen zu mir. "Aber wir spielen trotzdem. Wenn wir schon mal in Berlin sind." Und das taten sie dann auch, am Samstagmittag, wo noch die meisten Konzertbesucher die Wunden des Vorabends leckten. Valerie und Abel verzweifelten derweil an dem Geheimnis um den Krater im Park. Dennoch sorgte der Zwei-Mann-Auftritt der VANILLA MUFFINS, ganz im Stile der legendären ABSTÜRZENDEN BRIEFTAUBEN, für ersten Gesprächsstoff.
SAMSTÄGLICHE BÜHNENACTION
BLANKS 77 - Kämpften mit beschissenem Sound und der Drummer mit dem viel zu hohen Tempo.
THE PRIDE - Solider Fritten-Oi! ohne spektakuläre Höhe- oder Tiefpunkte.
THE CASUALITIES - Superbe Postkarten-Punker, britischer als jeder Brite, aus den Staaten legten die Derbversion von TOTAL CHAOS aufs Parkett.
DISCIPLINE - Brunft-Prügel-Hardcore, der bei dem schönen Wetter viel zu böse und miesgelaunt erschien.
THE CRACK - verpasst, allgemeiner Tenor: Eine der besten Bands des Festivals mit melodischem SLADE-alike Streepunk.
GBH - verpasst, allgemeiner Tenor: Viel zu metallisch.
THE TROOPERS - Die Berliner Lokalmatadore hatten die Halle mit ihrem derben Oi-Punk fest im Griff. Mitreißender Auftritt.
DROPKICK MURPHYS - Machten mächtig Stimmung, fegten ordentlich los und waren auf Dauer allerdings zu schnell und eintönig.
COCK SPARRER - Alte Männer wussten mit ihrem pubrockigen Oi-Punk wieder das Publikum in Rage zu versetzen. Der krönende Abschluss des Tages
BACKSTAGE
Im Backstage-Bereich 1 (Nr. 2 war den Musikern vorbehalten) gab es Bier zum halben Hallenpreis für die VIPs. Blödes Zurschaustellen wurde also aufgrund von Billi Billi in Kauf genommen. DROPKICK MURPHYS-Sänger Al Barr erkannte Abel in Erinnerungen an frühere BRUISERS-Konzerte als Fähnlein Wolle und schmetterte ihm Wolfgang Petry -Hits entgegen. Valerie gestand stattdessen dank erhöhtem Biergenuss der Bassistin von REAZIONE ihre Liebe ("Ich finde das echt sexy, wie du in der Band auftrittst."). Intensiviert wurde diese allerdings im Laufe des Abends nicht mehr.
ARCHIES PENTHOUSE
"Wenn ihr Lust habt, könnt ihr heute Abend mitgrillen. Wir geben auf unserer Dachterasse ein Grillfest." Klar wollten wir. Und deshalb verließen wir am frühen Abend mal das Gelände, um unsere Herrberge aufzusuchen. Netterweise nahmen uns der Süße Sänger Archy von der TERRORGRUPPE und sein Boss von Destiny Dave in ihrem Penthouse über den Dächern von Kreuzberg auf. Es gab neben besagter Einladung zum Essen noch Kabelfernsehen im Gästezimmer und vögelfreundliches Bett. Dafür ließ man GBH und THE CRACK gerne sausen.
SONNTAG MORGEN BLUES
Die alten Knochen schrien laut auf. Die müden Augen schmerzen wie tausend Messerstiche. Wir mußten zwei Tagen fröhlichen Alkoholkonsums Tribut zollen. Gut, SMEGMA würde ja doch nicht als COCKNEY REJECTS-Ersatz spielen, das wußten wir ja inzwischen. PETER & THE TEST TUBE BABIES sollten diese Rolle nun endgültig übernehmen. Die spielen jedes Jahr unterm Weihnachtsbaum, also nicht heute im Frühsommer. Und ansonsten? Ansonsten? Zum dritten mal AGNOSTIC FRONT in sechs Monaten, EXPLOITED ohne Iro, ANTI NOWHERE LEAGUE, BEERZONE und -PATRIOTEN oder mal wieder RED ALERT? Wir entschieden uns, es bei zwei wilden Nächten in der Hauptstadt zu belassen und den Sonntag lieber noch im heimischen Garten zu verbringen. Also spuckte der Prophet dem Berg noch mal kräftig in die Visage und drei Stunden Autofahrt in brütender Mittagshitze lagen vor uns.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #39 Juni/Juli/August 2000 und Abel